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Drittes Kapitel
Das Christentum

|82| Entgegengesetzt den Gewohnheiten der Römer zur Kaiserzeit, Ehe- und Kinderlosigkeit immer mehr überhandnehmen zu lassen, handelten die Juden. Zwar besaß die Jüdin kein Recht zur Wahl, der Vater bestimmte ihr den Gatten, aber die Ehe war eine Pflicht, die sie getreulich befolgte. Der Talmud rät: "Wenn deine Tochter mannbar ist, so schenke einem deiner Sklaven die Freiheit und verlobe sie mit ihm." Ebenso befolgten die Juden redlich das Gebot ihres Gottes: "Seid fruchtbar und mehret euch." Dementsprechend haben sie allen Verfolgungen und Unterdrückungen zum Trotz sich fleißig vermehrt; sie sind die geschworenen Gegner des Malthusianismus.

Schon Tacitus sagt von ihnen: "Unter ihnen herrscht hartnäckiges Zusammenhalten und bereitwillige Freigebigkeit, aber gegen alle anderen feindseliger Haß. Nie speisen, nie schlafen sie mit Feinden, und obwohl zur Sinnlichkeit äußerst geneigt, enthalten sie sich der Begattung mit Ausländerinnen ... Doch trachten sie auf Vermehrung des Volkes. Denn eines der Nachgeborenen töten, ist ihnen Sünde; und die Seelen der im Treffen oder durch Hinrichtung Umgekommenen halten sie für unsterblich. Daher die Liebe zur Fortpflanzung neben der Verachtung des Todes." Tacitus haßte und verabscheute die Juden, weil sie, ihre väterliche Religion verachtend, Gaben und Schätze zusammenhäuften. Er nennt sie die "schlechtesten Menschen", ein "häßliches Volk".(1)

Unter der Herrschaft der Römer schlossen sich die Juden immer enger untereinander an. Und unter der langen Leidenszeit, die sie von da ab fast das ganze christliche Mittelalter hindurch zu erdulden hatten, erwuchs jenes innige Familienleben, das der heutigen bürgerlichen Welt als eine Art Muster gilt. Dagegen vollzog sich in der römischen Gesellschaft der Zersetzungs- und Auflösungsprozeß, der das Reich seinem Ende entgegenführte. Der an Wahnsinn grenzenden |83| Ausschweifung trat, als anderes Extrem, die strengste Enthaltsamkeit gegenüber. Wie früher die Ausschweifung, so nahm jetzt die Aszese religiöse Formen an. Ein schwärmerischer Fanatismus machte für sie Propaganda. Die alle Schranken niederreißende Schwelgerei und Üppigkeit der herrschenden Klassen stand im grellsten Gegensatz zu der Not und dem Elend der Millionen und aber Millionen, die das erobernde Rom aus allen Ländern der damals bekannten Welt in die Sklaverei nach Italien schleppte. Unter diesen befanden sich auch zahllose Frauen, die vom häuslichen Herd, von den Eltern und vom Manne getrennt und von den Kindern gerissen, das Elend am tiefsten empfanden und sich nach Erlösung sehnten. Eine große Zahl römischer Frauen, angeekelt von dem, was um sie vorging, befand sich in ähnlicher Geistesverfassung. Jede Veränderung ihrer Lage schien ihnen willkommen. Ein tiefes Sehnen nach Veränderung, nach Erlösung ergriff weite Schichten, und der Erlöser schien zu nahen. Die Eroberung des jüdischen Reiches und Jerusalems durch die Römer hatte die Vernichtung der nationalen Selbständigkeit zur Folge und erzeugte unter den aszetischen Sekten jenes Landes Schwärmer, welche die Entstehung eines neuen Reiches, das allen Freiheit und Glück bringen werde, verkündigten.

Christus kam und das Christentum entstand. Es verkörperte die Opposition gegen den bestialischen Materialismus, der unter den Großen und Reichen des römischen Reiches herrschte, es repräsentierte die Auflehnung gegen die Mißachtung und die Unterdrückung der Massen. Aber da es dem Judentum entstammte, das nur die Rechtlosigkeit der Frau kannte und, in der biblischen Vorstellung befangen, sie als die Urheberin alles Übels ansah, predigte es die Verachtung der Frau, die Enthaltsamkeit und die Vernichtung des Fleisches, das in jener Zeit so schwer sündigte, und verwies mit seinen doppelsinnigen Redewendungen auf ein künftiges Reich, das die einen als himmlisches, die anderen als irdisches deuteten, das Freiheit und Gerechtigkeit allen bringe. Mit diesen Lehren fand es in dem Sumpfboden des römischen Reiches einen fruchtbaren Untergrund. Die Frau, wie alle Elenden, auf Befreiung und Erlusung aus ihrer Lage hoffend, schloß sich eifrig und bereitwillig ihm an. Hat doch bis heute keine große bedeutungsvolle Bewegung in der Welt sich vollzogen, in der nicht auch Frauen als Kämpferinnen und Märtyrerinnen hervorragten. Diejenigen, die das Christentum als eine große Kulturerrungenschaft |84| preisen, sollten nicht vergessen, daß es gerade die Frau war, der es einen großen Teil seiner Erfolge zu danken hat. Ihr Bekehrungseifer spielte sowohl im Römerreiche wie unter den barbarischen Völkern des Mittelalters eine gewichtige Rolle. Durch sie wurden oft die Mächtigsten zum Christentum bekehrt. So war es zum Beispiel Chlothilde, die Chlodwig, den Frankenkönig, zur Annahme des Christentums bewog. Es waren Berta, Königin von Kent, und Gisela, Königin von Ungarn, die in ihren Ländern das Christentum einführten. Dem Einfluß der Frauen ist die Bekehrung vieler Großen zu danken. Aber das Christentum lohnte schlecht der Frau. Es enthält in seinen Lehren dieselbe Verachtung der Frau, die alle Religionen des Orients enthalten. Es gebietet ihr, die gehorsame Dienerin des Mannes zu sein, und noch heute muß sie ihm das Gelöbnis des Gehorsams vor dem Altare ablegen.

Hören wir, wie die Bibel und das Christentum über die Frau und die Ehe sprechen.

Die zehn Gebote des Alten Testaments richten sich nur an den Mann. Im neunten Gebot wird die Frau zugleich mit dem Gesinde und den Haustieren genannt. Der Mann wird gewarnt, sich weder nach des Nächsten Weib noch seines Knechts, noch seiner Magd, noch seines Ochsen, noch seines Esels, noch alles, was der Nächste habe, gelüsten zu lassen. Die Frau ist also Objekt, ein Stück Eigentum, nach dem der Mann, wenn es in fremdem Besitz ist, kein Verlangen haben soll. Jesus, der einer Sekte angehörte, die sich strenge Aszese (Enthaltsamkeit) und die Selbstentmannung auferlegt hatte (2), von seinen Jüngern befragt, ob ehelichen gut sei, antwortet: Das Wort fasset nicht jedermann, sondern denen es gegeben ist. Denn es sind etliche verschnitten, die sind aus Mutterleibe also geboren, und sind etliche verschnitten, die von Menschen verschnitten sind; und sind etliche verschnitten, die sich selbst verschnitten haben um des Himmelreichs willen.(3) Die Entmannung erscheint hiernach als ein gottgefälliges Werk und Entsagung der Liebe und Ehe eine gute Tat.

Paulus, der in höherem Grade als selbst Jesus der Gründer des Christentums genannt werden kann, Paulus, der dieser Lehre erst den internationalen Charakter aufdrückte und sie der beschränkten jüdischen Sektiererei entriß, schreibt den Korinthern: "Worüber ihr mir |85| geschrieben habt, antworte ich: Es ist dem Menschen gut, daß er kein Weib berühre. Aber um der Hurerei willen soll ein jeglicher sein eigenes Weib und eine jegliche ihren eigenen Mann haben ..." "Die Ehe ist ein niedriger Stand; heiraten ist gut, nicht heiraten besser." "Wandelt im Geist und widersteht den Wünschen des Fleisches. Das Fleisch verschwört sich wider den Geist und der Geist wider das Fleisch." "Diejenigen, die Christus erworben hat, haben ihr Fleisch gekreuzigt, mitsamt seinen Leidenschaften und Begierden." Er selbst befolgte seine Lehren und heiratete nicht. Dieser Haß gegen das Fleisch, das ist der Huß gegen die Frau, aber auch die Furcht vor der Frau, die als die Verführerin des Mannes - siehe die Paradiesszene - dargestellt wird. In diesem Geiste predigten die Apostel und Kirchenväter, in diesem Geiste wirkte die Kirche das ganze Mittelalter hindurch, indem sie die Klöster schuf und das Zölibat der Priester einführte, und sie wirkt noch heute in diesem Geiste.

Die Frau ist nach dem Christentum die Unreine, die Verführerin, welche die Sünde in die Welt brachte und den Mann zugrunde richtete. Daher haben die Apostel und die Kirchenväter stets die Ehe nur als ein notwendiges Übel angesehen, wie man das heute von der Prostitution sagt. Tertullian ruft: "Weib, du solltest stets in Trauer und Lumpen gehen, dem Blick deine Augen voll Tränen der Reue darbietend, um vergessen zu machen, daß du das Menschengeschlecht zugrunde gerichtet hast. Weib! Du bist die Pforte zur Hölle!" Und: "Ehelosigkeit muß gewählt werden, wenn auch das Menschengeschlecht zugrunde geht." Hieronymus sagt: "Die Ehe ist immer ein Laster, alles, was man tun kann, ist, sie zu entschuldigen und zu heiligen", weshalb man sie zum kirchlichen Sakrarnent machte. Origenes erklärt: "Die Ehe ist etwas Unheiliges und Unreines, Mittel der Sinnenlust", und um der Versuchung zu widerstehen, entmannte er sich. Augustin lehrt: "Die Ehelosen werden glänzen am Himmel wie leuchtende Sterne, während ihre Eltern (die sie gezeugt) den dunklen Sternen gleichen." Eusebius und Hieronymus stimmen darin überein, daß der Ausspruch der Bibel: "Seid fruchtbar und mehret euch", nicht länger der Zeit mehr entspreche und die Christen nicht kümmere. Es ließen sich noch Hunderte von Zitaten der einflußreichsten Kirchenlehrer anführen, die alle in der gleichen Richtung lehrten. Und sie haben durch ihr fortgesetztes Lehren und Predigen jene unnatürlichen Anschauungen über geschlechtliche Dinge und den Verkehr der Ge- |86| schlechter verbreitet, der doch ein Gebot der Natur und dessen Erfüllung eine der wichtigsten Pflichten des Lebenszwecks ist. An diesen Lehren krankt die heutige Gesellschaft noch schwer, und sie erholt sich nur langsam davon.

Petrus ruft mit Nachdruck: "Frauen, seid gehorsam euren Männern." Paulus schreibt an die Epheser: "Der Mann ist das Oberhaupt des Weibes, wie Christus das Oberhaupt der Kirche", und an die Korinther: "Der Mann ist das Ebenbild und der Ruhm Gottes und die Frau der Ruhm des Mannes." Danach kann sich jeder Pinsel von Mann für besser halten als die ausgezeichnetste Frau, und in der Praxis ist es bis heute so. Auch gegen die höhere Bildung der Frau erhebt Paulus seine gewichtige Stimme, indem er, 1. Timotheum 2, 11 usw., sagt: "Ein Weib lerne in der Stille mit aller Untertänigkeit. Einem Weibe aber gestatte ich nicht, daß sie lehre, auch nicht, daß sie des Mannes Herr sei, sondern stille sei." Und Korinther 14, 34 und 55: "Eure Weiber lasset schweigen unter der Gemeinde, denn es soll ihnen nicht zugelassen werden, daß sie reden, sondern untertan sein, wie auch das Gesetz sagt. Wollen sie aber etwas lernen, so laßt sie daheim die Männer fragen. Es stehet den Weibern übel an, unter der Gemeinde zu reden." Der heilige Thomas von Aquino (1227 bis 1274) sagt: "Die Frau ist ein schnell wachsendes Unkraut, sie ist ein unvollkommener Mensch, dessen Körper nur deshalb schneller zur vollständigen Entwicklung gelangt, weil er von geringerem Wert ist und weil die Natur sich weniger mit ihm beschäftigt." "Die Frauen werden geboren, um ewig unter dem Joch ihres Herrn und Meisters gehalten zu werden, den die Natur durch die Überlegenheit, welche sie in jeder Hinsicht dem Manne übertragen, zur Herrschaft bestimmt hat."

Solche Lehren sind dem Christentum nicht allein eigentümlich, Wie das Christentum ein Gemisch von Judentum und griechischer Philosophie ist und beide wieder ihre Wurzeln in den älteren Kulturen der Indier, Babylonier und Ägypter finden, so war die untergeordnete Stellung, die das Christentum der Frau anwies, nach dem Aufhören des Mutterrechts eine der alten Kulturwelt gemeinsame. So heißt es im indischen Gesetzbuch des Manu: "Der Unehre Ursache ist das Weib, der Feindschaft Ursache ist das Weib, des weltlichen Daseins Ursache ist das Weib; darum soll man meiden das Weib." Neben der Herabsetzung der Frau kommt immer wieder die Furcht vor ihr in naiver Weise zum Ausdruck; so heißt es weiter im Manu: "Weiber |87| sind von Natur immer zur Verführung der Männer geneigt: daher darf ein Mann selbst mit seiner nächsten Verwandten nicht an einem einsamen Orte sitzen." Das Weib ist also nach indischer wie nach alttestamentarischer und christlicher Auffassung die Verführerin. Jedes Herrschaftsverhältnis enthält die Degradation des Beherrschten. Und die untergeordnete Stellung der Frau ist bis heute, bei der zurückgebliebenen Kulturentwicklung des Orients noch mehr als unter den Völkern mit christlicher Weltanschauung, aufrechterhalten worden. Was in der sogenannten christlichen Welt die Stellung der Frau allmählich verbesserte, war nicht das Christentum, sondern die im Kampfe wider die christliche Auffassung gewonnene Kultur des Abendlandes.

Das Christentum ist nicht Ursache, daß die Stellung der Frau eine höhere heute ist als zur Zeit seiner Entstehung. Nur widerwillig und gezwungen hat es sein wahres Wesen in bezug auf die Frau verleugnet. Diejenigen, welche für die die Menschheit befreiende Mission des Christentums" schwärmcn, sind allerdings anderer Ansicht. Sie behaupten vielmehr, das Christentum habe die Frau aus der früheren niederen Stellung befreit, und sie stützen sich hierbei insbesondere auf den später im Christentum zur Geltung gelangten Marien-, beziehentlich Muttergotteskultus, der ein Zeichen der Achtung für das weibliche Geschlecht sei. Die katholische Kirche, die diesen Kultus pflegt, dürfte diese Auffassung kaum teilen. Die bereits zitierten Aussprüche der Heiligen und Kirchenväter, die leicht vermehrt werden könnten, sprechen sich samt und sonders frauen- und ehefeindlich aus. Das Konzil zu Macon, das im sechsten Jahrhundert darüber stritt, ob die Frau eine Seele habe, und mit einer Stimme Mehrheit sich dafür entschied, spricht ebenfalls gegen jene frauenfreundliche Auffassung. Die Einführung des Zölibats der Geistlichen durch Gregor VII.,(4) das veranlaßt war, um in den ehelosen Geistlichen eine Macht zu besitzen, die durch keine Familieninteressen dem Dienst der Kirche entfremdet würden, war nur möglich bei den der Kirche zugrunde liegenden An- |88| schauungen über die Sündigkeit fleischlicher Begehren. Auch verschiedene Reformatoren, namentlich Calvin und die schottischen Geistlichen, haben durch ihr Wüten gegen des "Fleisches Lüste" an. der frauenfeindlichen Auffassung des Christentums keinen Zweifel gelassen.(5)

Indem die katholische Kirche den Marienkultus einführte, setzte sie mit kluger Berechnung denselben an Stelle des Kultus der heidnischen Göttinnen, der bei allen Völkern, über die das Ghristentum sich damals ausbreitete, vorhanden war. Maria trat an die Stelle der Kybele, Mylitta, Aphrodite, Venus, Ceres usw. der südlichen Völker, an die Stelle der Freia, Frigga usw. der germanischen Völker, sie wurde nur christlich-spiritualistisch idealisiert.


Fußnoten von August Bebel

(1) Tacitus, Historien. 5. Buch. <=

(2) Mantegazza, L’amour dans l’humanité. <=

(3) Matthäi Kap. 19, Vers 11 und 12. <=

(4) Ein Schritt, gegen den unter anderem die Pfarrgeistlichen der Diözese Mainz sich beschwerten und slso äußerten: Ihr Bischöfe und Äbte besitzt große Reichtümer, eine königliche Tafel und üppige Jagdequipagen, wir armen, einfachen Priester haben zu unserer Tröstung nur eine Frau. Die Enthaltsamkeit mag eine schöne Tugend sein, aber sie ist in Wahrheit "schwer und hart". Yves Guyot, Les théories sociales du Christiasisme. 2. Auflage. Paris. <=

(5) Beispiele in großer Menge liefert hierfür Buckle in seiner "Geschichte der Zivilisation in England", ins Deutsche übersetzt von Arnold Ruge. 4. Ausgabe. Leipzig und Heidelberg 1870. <=