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August Bebel - "Die Frau und der Sozialismus" - 62. Auflage, Berlin/DDR, 1973, S. 268-309.

1. Korrektur.
Erstellt am 31.1.1999.

Vierzehntes Kapitel
Der Kampf der Frau um die Bildung

1. Die Revolution im häuslichen Leben

|268| Obgleich die gekennzeichnete Entwicklung in der Stellung der Frau mit Händen zu greifen ist, jeder sie sehen muß, der offene Augen hat, hört man noch täglich das Geschwätz vom "Naturberuf" der Frau, der sie auf Häuslichkeit und Familie hinweise. Diese Redeweise wird am lautesten dort gehört, wo die Frau den Versuch macht, in den Kreis der höheren Berufsarten einzudringen, zum Beispiel in die höheren Lehr- und Verwaltungsfächer, den ärztlichen und juristischen Beruf, die Naturwissenschaften usw. Die lächerlichsten Einwendungen werden hervorgesucht und unter dem Scheine der Gelehrsamkeit verteidigt. Als gelehrt geltende Herren berufen sich hier, wie in vielen anderen Dingen, auf die Wissenschaft, um das Absurdeste und Widersinnigste zu verteidigen. Ihr Haupttrumpf ist, die Frau sei an geistiger Befähigung dem Mann inferior, sie könne auf geistigem Gebiet nichts Bemerkenswertes leisten.

Diese Einwände entsprechen so sehr dem Vorurteil der meisten Männer über Beruf und Fähigkeiten der Frau, daß, wer sie erhebt, auf ihren Beifall rechnen kann.

Neue Ideen werden, solange allgemeine Bildung und Einsicht noch so tief stehen wie heute, stets harten Widerspruch finden, namentlich wenn es im Interesse der herrschenden Klassen liegt, Einsicht und Bildung möglichst auf ihre Schicht zu beschränken. Daher werden neue Ideen anfangs nur eine kleine Minderheit für sich gewinnen, und diese wird in der Regel verspottet, verlästert und auch verfolgt. Sind aber die neuen Ideen gute und vernünftige, sind sie als notwendige Konsequenz aus den bestehenden Zuständen erwachsen, so werden sie an Verbreitung gewinnen, die Minderheit wird schließlich Mehrheit. So erging es bisher allen neuen Ideen im Laufe der Geschichte, |269| und die Idee, die wirkliche und volle Emanzipation der Frau herbeizuführen, wird den gleichen Erfolg haben.

Waren einst nicht auch die Bekenner des Christentums eine kleine Minderheit? Hatten nicht die Reformatoren, das moderne Bürgertum übermächtige Gegner? Trotzdem haben sie gesiegt. Oder wurde die Sozialdemokratie vernichtet, weil sie im Deutschen Reiche zwölf Jahre ausnahmegesetzlich geknebelt wurde? Nie war ihr Sieg gewisser, als da man glaubte, sie tot gemacht zu haben.

Die Berufung auf den Naturberuf der Frau, wonach sie Haushälterin und Kinderwärterin sein soll, ist ebenso sinnreich als die Berufung darauf, daß es ewig Könige geben müsse, weil, solange es eine Geschichte gebe, es irgendwo solche gab. Wir wissen nicht, wo der erste König entstand, sowenig wie wir wissen, wo der erste Kapitalist sich zeigte, aber wir wissen und sehen, daß sich das Königtum im Laufe der Jahrtausende wesentlich verändert hat, und die Tendenz der Entwicklung ist, es mehr und mehr seiner Macht zu entkleiden, bis eine Zeit kommt, und sie ist nicht mehr fern, in der es überflüssig ist. Wie das Königtum, so ist jede staatliche und gesellschaftliche Institution beständigen Wandlungen und Umformungen und schließlich dem Untergang unterworfen. Wir sahen in den historischen Darlegungen dieser Schrift, daß die heute geltende Form der Ehe und die Stellung der Frau keineswegs "ewig" so war wie heute, daß vielmehr beide das Produkt eines geschichtlichen Entwicklungsganges sind, der keineswegs seinen Abschluß gefunden hat. Konnte es vor ca. 2.350 Jahren Demosthenes als den einzigen Beruf der Frau hinstellen, "legitime Kinder zu gebären und treue Hüterin des Hauses zu sein", so ist heute dieser Standpunkt überwunden. Wer wagte heute solches als "naturgemäß" zu verteidigen, ohne sich den Vorwurf der Geringschätzung der Frau zuzuziehen? Allerdings gibt es auch noch heute solche Käuze, die im stillen die Auffassung des alten Atheners teilen, aber keiner wagt öffentlich auszusprechen, was vor Jahrtausenden einer der bedeutendsten Männer Griechenlands frei und offen als selbstverständlich erklären durfte. Darin liegt der Fortschritt.

Hat nun die moderne Entwicklung Millionen Ehen untergraben, so hat sie auch andererseits wieder die Entwicklung der Ehe günstig beeinflußt. Vor wenigen Jahrzehnten galt es in jedem Bürger- und Bauernhause nicht nur als selbstverständlich, daß die Frau nähte, strickte und wusch, obgleich auch das schon vielfach aus der Mode ge- |270| kommen ist, sie buk auch das Brot, spann, webte, bleichte, braute Bier, kochte Seife, zog Lichte. Außerhalb des Hauses ein Kleidungsstück anfertigen zu lassen wurde als maßlose Verschwendung angesehen. Wasserleitung, Gasbeleuchtung, Gas- oder Petroleumkocher usw. - von der Elektrizität zu schweigen - nebst einer Unzahl anderer, heute in Haus und Küche vorhandenen Einrichtungen waren unbekannte Dinge. Allerdings bestehen auch noch heute veraltete Zustände, aber sie sind Ausnahmen. Die Mehrzahl der Frauen unterläßt viele früher als selbstverständlich angesehene Verrichtungen, weil sie durch die Industrie besser, praktischer und billiger besorgt werden, als es die Hausfrau vermag, weshalb auch, wenigstens in den Städten, jede häusliche Einrichtung dazu fehlt. So hat in wenigen Jahrzehnten sich innerhalb unseres Familienlebens eine große Revolution vollzogen, der wir nur so wenig Beachtung schenken, weil wir sie für selbstverständlich halten. Veränderungen, die dem Menschen sozusagen unter den Augen hervorwachsen, beachtet er nicht, wenn sie nicht plötzlich vor ihn treten und die gewohnte Ordnung stören, aber gegen neue Meinungen, die ihn aus dem gewohnten Schlendrian zu reißen drohen, lehnt er sich auf.

Diese Revolution, die sich in unserem häuslichen Leben vollzog und immer weiter vorschreitet, hat die Stellung der Frau in der Familie auch nach anderer Richtung wesentlich verändert. Die Frau ist freier, unabhängiger geworden. Unsere Großmütter durften, waren sie ehrsame Meistersfrauen, nicht daran denken und dachten nicht daran, zum Beispiel Arbeiter und Lehrburschen fern vom Haushalt und vom Tische zu halten, dafür aber Theater, Konzerte und Vergnügungslokale, sogar an einem Wochentage, zu besuchen. Und welche von jenen guten, alten Frauen wagte daran zu denken, sich um öffentliche Angelegenheiten zu bekümmern, wie das bereits von vielen Frauen geschieht. Man gründet Vereine für die verschiedensten Zwecke, hält und gründet Zeitungen, beruft Kongresse. Als Arbeiterinnen treten sie in Gewerkschaften zusammen, sie kommen in die Versammlungen und Vereine der Männer und besaßen bereits hier und da - wir reden jetzt von Deutschland - das Recht, zu Gewerbeschiedsgerichten wählen zu dürfen, ein Recht, das ihnen die rückständige Reichstagsmehrheit im Jahre des Heils Eintausendachthundertundneunzig wieder aberkannte. Welcher Zopf wollte die geschilderten Veränderungen beseitigen, obgleich sich nicht bestreiten läßt, daß neben den Licht- auch Schat- |271| tenseiten vorhanden sind, die mit unseren garenden und faulenden Zuständen zusammenhängen - aber es überwiegen die Lichtseiten. Die Frauen selbst, so konservativ sie bis jetzt im ganzen sind, besitzen auch gar keine Neigung mehr, in die alten, engen, patriarchalischen Verhältnisse früherer Zeit zurückzukehren.

In den Vereinigten Staaten steht die Gesellschaft zwar auch auf bürgerlichem Hoden, aber sie hat sich weder mit alten europäischen Vorurteilen noch überlebten Einrichtungen herumzuschlagen und ist daher weit geeigneter, neue Ideen und Einrichtungen anzunehmen, wenn sie Vorteil versprechen. Dort sieht man seit geraumer Zeit die Stellung der Frau anders an als bei uns. Dort ist man zum Beispiel in bessersituierten Kreisen schon längst auf den Gedanken gekommen, daß es nicht bloß mühselig und umständlich und für den Geldbeutel nicht einmal vorteilhaft ist, wenn die Frau noch selber Brot bäckt und Bier braut, man hält es auch für überflüssig, daß sie in der eigenen Küche kocht. Die mit allen möglichen Maschinen und zweckmäßigen Hilfsmitteln eingerichtete Zentralküche der Speisegenossenschaft hat die Privatküche ersetzt; die Frauen der Genossenschaft versehen abwechselnd den Dienst, und das Essen wird billiger und wohlschmeckender hergestellt, es bietet mehr Abwechslung, und seine Herstellung verursacht bedeutend weniger Mühe. Unsere Offiziere, die keine Sozialisten und Kommunisten sind, machen es ähnlich; sie bilden in ihren Kasinos eine Wirtschaftsgenossenschaft, ernennen einen Verwalter, der den Einkauf der Lebensmittel im großen besorgt, der Speisezettel wird vereinbart und die Fertigstellung der Speisen in der Dampfküche der Kaserne bewerkstelligt. Sie leben weit billiger als im Hotel und haben ein mindestens ebenso gutes Essen. Wie bekannt, leben auch Tausende der reichsten Familien das ganze Jahr oder Teile des Jahres hindurch in Pensionen und Hotels, ohne daß sie die häusliche Küche vermissen; sie halten es für eine große Annehmlichkeit, von der Privatküche befreit zu sein, Die ablehnende Haltung namentlich wohlhabender und reicher Frauen gegen die Beschäftigung in oder mit der Küche spricht auch nicht dafür, daß diese Tätigkeit zum "Naturberuf" der Frau gehört, ja die Tatsache, daß fürstliche und vornehme Familien, wie die größeren Hotels, sämtlich Köche zur Herstellung der Speisen engagieren, könnte sogar dafür sprechen, daß Kochen eine männliche Beschäftigung ist. Das denen zur gefälligen Beachtung, die sich die Frau nicht ohne schwingenden Kochlöffel vorstellen können.

|272| Nun liegt nichts näher, als mit der Zentralküche die Zentralwaschanstalt und entsprechende Trockenvorrichtungen - wie solche bereits in allen größeren Städten von reichen Privaten oder Spekulanten errichtet sind und sich vortrefflich bewähren - für den allgemeinen Gebrauch einzurichten, ferner mit der Zentralküche die Zentralfeuerung, neben der Kaltwasser- die Warmwasserleitung einzurichten,, und eine Menge lästiger und zeitraubender Arbeiten sind beseitigt. Große Hotels, viele Privathäuser, Krankenhäuser, Schulen, Kasernen, öffentliche Gebäude aller Art usw. haben diese und ähnliche Einrichtungen - elektrisches Licht, Badeeinrichtungen usw. -, der Fehler ist, daß es nur öffentliche Anstalten und die wohlhabenden Klassen sind, die diese Vorteile genießen, die, allen zugängig gemacht, ein enormes Maß von Zeit, Mühe, Arbeitskraft und Material ersparen und die Lebenshaltung und das Wohlsein aller erheblich steigern würden. Im Sommer 1890 brachten die Zeitungen eine Beschreibung der Fortschritte, die in den Vereinigten Staaten betreffs der zentralen Beheizung und Luftversorgung im Werke waren. Darin hieß es unter anderem:

"Die in neuerer Zeit hauptsächlich in Nordamerika angestellten Versuche, die Beheizung ganzer Häuserviertel oder Stadtteile von einer Stelle aus zu bewirken, haben nicht unbeträchtliche Erfolge zu verzeichnen und sind in konstruktiver Beziehung so sorgfältig und zweckmäßig durchgeführt, daß in Anbetracht der günstigen Erfahrungen und der gebotenen finanziellen Vorteile eine weitere Verbreitung erwartet werden darf. Neuerdings ist man noch weiter bemüht, nicht allein die Beheizung, sondern auch die Versorgung mit frischer Luft, sei es in erwärmtem, sei es in abgekühltem Zustande, für einzelne räumlich nicht allzuweit ausgedehnte Stadtteile von Zentralstellen aus zu bewirken."

Was damals projektiert wurde, ist heute vielfach und verbessert verwirklicht. Die spießbürgerliche Engherzigkeit und Beschränktheit zuckt gern bei uns die Achsel über solche und ähnliche Pläne, obgleich wir uns auch in Deutschland in jener technischen Revolution befinden, welche die Privatküche und andere bisher in der Häuslichkeit vorgenommenen Verrichtungen geradeso überflüssig erscheinen lassen, wie es der handwerksmäßige Betrieb durch die Maschine und die moderne Technik geworden ist. Zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts erklärte selbst ein Napoleon die Idee, ein Schiff durch Dampf |273| in Bewegung zu setzen, für die Idee eines Verrückten; die Idee, eine Eisenbahn zu bauen, wurde von für klug geltenden Leuten als eine Albernheit erklärt, kein Mensch könne auf solch einem Fahrzeug am Leben bleiben, weil die Raschheit des Fahrens dem Passagier den Atem benehme, und so werden noch heute eine Menge neuer Ideen ähnlich behandelt. Wer unseren Frauen vor hundert Jahren den Vorschlag gemacht hätte, das Wasserholen durch eine Wasserleitung abzunehmen, wäre der Anklage ausgesetzt gewesen, er wolle Frauen und Dienstboten zur Faulheit verleiten.

Aber die große technische Revolution ist auf allen Gebieten in vollem Marsche, nichts hält sie mehr auf, und die bürgerliche Gesellschaft hat die geschichtliche Aufgabe, diese Revolution, wie sie dieselbe ins Leben rief, auch ihrem Höhepunkt entgegenzutreiben und auf allen Gebieten die Keime zu Umgestaltungen ans Licht zu fördern, die eine auf neuer Grundlage stehende Gesellschaft nur ins Große und Allgemeine zu entwickeln und zum Gemeingut aller zu machen hat.

Die Entwicklung unseres sozialen Lebens geht also nicht dahin, die Frau wieder ins Haus und an den Herd zu bannen, wie unsere Häuslichkeitsfanatiker wollen und wonach sie, wie die Juden in der Wüste nach den verlorenen Fleischtöpfen Ägyptens, schreien, sondern sie fordert das Heraustreten der Frau aus dem engen Kreise der Häuslichkeit und ihre volle Anteilnahme an dem öffentlichen Leben - zu dem man alsdann die Männer nicht mehr allein zählen wird - und an den Kulturaufgaben der Menschheit. Laveleye hat recht, wenn er schreibt: "In dem Maße, in welchem das, was wir Zivilisation zu bezeichnen pflegen, zunimmt, schwächen sich die Gefühle der Pietät und die Bande per Familie ab und üben weniger Einfluß auf die Handlungen der Menschen aus. Diese Tatsache ist so allgemein, daß man in derselben ein soziales Entwicklungsgesetz erblicken kann."(1) Nicht allein ist die Stellung der Frau eine andere geworden, sondern auch die Stellung von Sohn und Tochter zur Familie, die allmählich eine Selbständigkeit erlangt haben, die früher unbekannt war, namentlich in den Vereinigten Staaten, in welchen die Erziehung zur Selbständigkeit und Unabhängigkeit des einzelnen in weit höherem Grade als bei uns stattfindet. Die Schattenseiten, die auch heute diese Form der Entwicklung besitzt, sind nicht notwendig mit ihr verbunden, sie liegen in den sozialen Zuständen unserer Zeit.

|274| Die bürgerliche Gesellschaft ruft keine neue erfreuliche Erscheinung hervor, die nicht auch ihre dunkle Seite hat, sie ist in allen ihren Fortschritten, wie schon Fourier sehr scharfsinnig hervorhob, doppelseitig und zwieschlächtig.

Wie Laveleye erkennt auch Dr. Schäffle den veränderten Charakter der Familie unserer Zeit als Wirkung der sozialen Entwicklung an. Er sagt:

"Durch die Geschichte zieht sich allerdings die unter II. erörterte Tendenz, die Zurückbildung der Familie auf ihre spezifischen Funktionen, hindurch. Die Familie gibt eine provisorisch und stellvertretend gehandhabte Funktion um die andere ab, sie weicht, soweit sie bloß surrogativ in die Lücke sozialer Funktionen eingetreten war, den selbständigen Anstalten für Recht, Ordnung, Macht, Gottesdienst, Unterricht, Technik usw., sobald sich diese Anstalten ausbilden."(2)

2. Die geistigen Fähigkeiten der Frau

Die Frauen drängen weiter, wenn zunächst auch nur in einer Minorität und darunter nur ein Teil mit vollkommen klaren Zielen. Sie wollen nicht bloß ihre Kräfte auf dem gewerblichen und industriellen Gebiet mit jenen des Mannes messen, sie wollen nicht nur eine freiere, unabhängigere Stellung in der Familie einnehmen, sie wollen auch ihre geistigen Fähigkeiten in höheren Lebensstellungen und im öffentlichen Leben verwerten. Man macht ihnen mit Vorliebe den Einwand, daß sie dazu nicht fähig, weil von Natur nicht veranlagt seien. Die Frage der höheren Berufstätigkeit geht in der heutigen Gesellschaft nur eine kleine Zahl Frauen an, aber sie ist von prinzipieller Wichtigkeit. Die große Mehrzahl der Männer glaubt allen Ernstes, die Frauen müßten stets ihnen auch geistig untergeordnet bleiben und besäßen kein Recht auf Gleichstellung, und sie sind deshalb die entschiedensten Gegner dieser Bestrebungen.

Dieselben Männer, die nichts dagegen einzuwenden haben, daß die Frau in Beschäftigungsarten Stellung findet, von denen viele äußerst anstrengend, oft gefährlich sind, in welchen ihrer Weiblichkeit die höchste Gefahr droht, in denen sie ihre Mutterpflichten in eklatantester Weise verletzt, wollen sie von Berufen ausschließen, in welchen |275| diese Hemmnisse und Gefahren weit weniger vorhanden sind und die ihrer Körperverfassung weit besser zusagen.

Namentlich hat die in Deutschland reger gewordene Agitation für die Zulassung von Frauen zum Studium auf den Universitäten eine starke Gegnerschaft auf den Plan getrieben, die sich namentlich gegen ihre Zulassung zum Studium der Medizin wendet. So Pochhammer, Fehling, S. Binder, Hegar usw. v. Bärenbach glaubte namentlich die Befähigung der Frau zur Wissenschaft damit zurückweisen zu können, daß bisher unter den Frauen noch kein Genie erstanden sei und sie offenbar für das philosophische Studium unfähig seien. Hat die Welt genug männliche Philosophen, so kann sie ohne Schaden auf weibliche verzichten. Auch der Einwand, die Frauen hätten noch keine Genies hervorgebracht, ist weder stichhaltig noch beweiskräftig. Genies fallen nicht vom Himmel, sie müssen Gelegenheit zur Ausbildung und Entwicklung haben, und diese hat den Frauen bisher gemangelt, man hat sie Jahrtausende unterdrückt und ihnen Gelegenheit und Möglichkeit zur Ausbildung ihrer geistigen Kräfte genommen oder verkümmert. Sagt man, die Frauen besitzen keine Anlage zum Genie, weil man glaubt, der immerhin leidlich großen Zahl bedeutender Frauen Genie absprechen zu müssen, so ist das ebenso schief, als behauptete man, in der Männerwelt seien nicht mehr Genies vorhanden gewesen, als die man als solche betrachtet. Jeder Dorfschullehrer weiß aber, welche Menge von Fähigkeiten unter seinen Schülern nicht zur vollen Entwicklung kommt, weil die Möglichkeit ihrer Ausbildung fehlt. Ja, jeder einzelne von uns hat im Leben Menschen kennengelernt, von denen er sich sagen muß, daß, wenn sie unter glücklicheren Umständen ihre Fähigkeiten hätten entfalten können, sie Zierden des Gemeinwesens, geniale Menschen geworden wären. Die Zahl der Talente und Genies unter den Männern ist weit größer, als bisher sich offenbaren konnte. Genauso verhält es sich mit den Fähigkeiten des weiblichen Geschlechts, das seit Jahrtausenden noch weit mehr als das männliche geistig unterdrückt, gehemmt und verkrüppelt wurde. Wir haben keinen Maßstab, wonach wir genau beurteilen könnten, welche Fülle von geistigen Kräften und Fähigkeiten sich bei Männern und Frauen entwickeln, sobald diese sich unter naturgemäßen Bedingungen zu entfalten vermögen.

Heute ist es in der Menschenwelt wie in der Pflanzenwelt. Millionen kostbarer Samenkeime gelangen nicht zur Entfaltung, weil der |276| Boden, auf den sie fallen, ungünstig ist oder bereits okkupiert wurde und so dem jungen Pflänzlein Luft, Licht und Nahrung geraubt wird. Dieselben Gesetze wie in der Natur gelten im Menschenleben. Wenn ein Gärtner oder Landwirt von einer Pflanze behaupten wollte, dieselbe ließe sich nicht vervollkommnen, obgleich er den Versuch dazu nicht machte, so würde er von jedem seiner aufgeklärteren Nachbarn für einen Einfaltspinsel erklärt. Dasselbe geschähe, wenn er es ablehnte, eines seiner weiblichen Haustiere mit dem männlichen einer vollkommeneren Rasse zu kreuzen, um ein vollkommeneres Tier zu erhalten.

Heute gibt es keinen Bauer mehr, der so unwissend ist, nicht die Vorteile einer vernünftigen Behandlungsweise seines Pflanzen- oder Viehbestandes einzusehen - eine andere Frage ist, ob seine Mittel ihm erlauben, die bessere Methode durchzuführen -; nur in der Menschenwelt wollen selbst gelehrte Leute nicht gelten lassen, was von ihnen für die übrige Welt als unumstößliches Gesetz angesehen wird. Und doch kann jeder, ohne Naturforscher zu sein, im Leben seine lehrreichen Beobachtungen machen. Woher kommt es, daß Bauernkinder sich von Stadtkindern unterscheiden? Woher kommt es, daß Kinder der bessersituierten Klassen sich in der Regel von Kindern armer Leute in der Gesichts- wie der Körperbildung und in gewissen geistigen Eigenschaften unterscheiden? Es kommt von der Verschiedenartigkeit der Lebens- und Erziehungsbedingungen.

Die Einseitigkeit, die in der Ausbildung zu einem bestimmten Beruf liegt, drückt dem Menschen einen besonderen Charakter auf. In den meisten Fällen wird mit Leichtigkeit ein Pfarrer oder ein Schullehrer durch seine Haltung und seinen Gesichtsausdruck erkannt, ebenso ein Militär, auch wenn er im Zivilrock steckt. Ein Schuhmacher wird sehr leicht von einem Schneider, ein Tischler von einem Schlosser unterschieden. Zwei Zwillingsbrüder, die in der Jugend sich sehr ähnlich waren, werden im späteren Alter bedeutende Abweichungen zeigen, wenn die Berufsart eine ganz verschiedene ist, der eine harter Handarbeit, zum Beispiel ein Schmied, der andere dem Studium der Philosophie oblag. Vererbung auf der einen, Anpassung auf der anderen Seite spielen in der menschlichen Entwicklung so gut wie im Tierreich eine entscheidende Rolle, und zwar ist der Mensch das bieg- und schmiegsamste aller Geschöpfe. Oft genügen wenige Jahre einer anderen Lebens- und Berufsweise, um aus einem Menschen einen an- |277| deren zu machen. Veränderungen im Äußeren treten nirgends auffallender hervor, als wenn ein Mensch aus ärmlichen und kleinen Verhältnissen in wesentlich bessere versetzt wird. Seine Vergangenheit wird er vielleicht am wenigsten in seiner Geisteskultur verleugnen; das liegt daran, daß die meisten Menschen über ein gewisses Alter hinaus kein Streben nach geistiger Weiterbildung empfinden und oft auch nicht nötig haben. Ein Emporkömmling hat unter diesem Fehler selten zu leiden. In unserer Zeit, die auf Geld und materielle Mittel sieht, beugt man sich weit bereitwilliger vor dem Manne mit großem Geldbeutel als vor dem Manne von Wissen und großen Geistesgaben, namentlich wenn dieser das Unglück hat, arm zu sein und keinen Rang zu besitzen. Die Anbetung des goldenen Kalbes stand zu keiner Zeit höher als in unseren Tagen. Dafür leben wir "in der besten der Welten".

Das schlagendste Beispiel dafür, was grundverschiedene Lebensbedingungen und Erziehung aus dem Menschen machen, sehen wir in unseren Industriebezirken. Dort bilden schon äußerlich Arbeiter und Unternehmer einen solchen Gegensatz, als gehörten sie zwei verschiedenen Menschenrassen an. In einer fast erschreckenden Weise kam uns dieser Gegensatz anläßlich einer Wahlversammlung vor Augen, die im Winter 1877 in einer erzgebirgischcn Industriestadt stattfand. Die Versammlung, in der ein Disput mit einem liberalen Professor stattfinden sollte, war so arrangiert, daß beide Parteien gleich stark vertreten waren. Den vorderen Teil des Saales hatten die Gegner eingenommen, fast ohne Ausnahme gesunde, kräftige, oft große Gestalten, im hinteren Teile des Saales und auf den Galerien standen die Arbeiter und Kleinbürger, zu neun Zehntel Weber, meist kleine, schmalbrüstige, bleichwangige Gestalten, denen Kummer und Not aus dem Gesicht sah. Die einen repräsentierten die satte Tugend und zahlungsfähige Moral der bürgerlichen Welt, die anderen die arbeitenden Bienen und Lasttiere, aus deren Arbeitsertrag die Herren so wohl aussahen. Man setze eine Generation unter gleich günstige Lebensbedingungen, und der Gegensatz wird, bei der Mehrzahl verschwinden, er ist sicher bei ihren Nachkommen getilgt.

Im allgemeinen ist es bei den Frauen schwerer, ihre soziale Stellung festzustellen, als bei den Männern, sie finden sich mit großer Leichtigkeit in neue Verhältnisse und nehmen rasch höhere Lebensgewohnheiten an. Ihre Anpassungsfähigkeit ist größer als die des schwerfälligeren Mannes.

|278| Was für die Pflanze guter Boden, Licht und Luft, sind für den Menschen gesunde soziale Verhältnisse, die ihm die Entfaltung seiner geistigen und körperlichen Anlagen gestatten. Der bekannte Satz: "Der Mensch ist, was er ißt", drückt etwas zu einseitig einen ähnlichen Gedanken aus. Es handelt sich nicht bloß um das, was der Mensch ißt, sondern um seine ganze Lebenshaltung, um das soziale Milieu, in dem er sich bewegt, das seine körperliche und geistige Entwicklung hemmt oder fördert, sein Fühlen, sein Denken, sein Handeln in günstigem oder ungünstigem Sinne beeinflußt. Wir sehen jeden Tag, daß Menschen auch in guten materiellen Verhältnissen geistig und moralisch zugrunde gehen, weil außerhalb des engen Rahmens ihrer häuslichen oder persönlichen Verhältnisse ungünstige Einflüsse sozialer Natur auf sie einwirken und so übermächtigen Einfluß auf sie erlangen, daß sie in falsche Bahnen gelenkt werden. Die allgemeinen Zustände, unter denen jemand lebt, sind sogar von weit größerer Bedeutung als die in der Familie. Sind aber die sozialen Entwicklungsbedingungen für beide Geschlechter die gleichen, besteht für keines irgendeine Hemmung und ist der Sozialzustand der Gesellschaft ein gesunder, so erhebt auch die Frau sich auf eine Höhe der Vollkommenheit ihres Wesens, von dem wir noch keine rechte Vorstellung besitzen, weil bisher ein solcher Zustand in der Entwicklungsgeschichte der Menschen fehlte. Was zeitweilig einzelne Frauen leisteten, läßt das Beste erwarten, denn diese ragen über die Masse ihres Geschlechts ebenso bedeutend hervor wie die männlichen Genies über die Masse ihrer Geschlechtsgenossen. Mit dem Maßstab gemessen, mit dem man zum Beispiel Fürsten zu messen pflegt, haben sogar die Frauen durchschnittlich zum Regieren mehr Talent bewiesen als die Männer. Als Beispiele seien erwähnt Isabella und Blanche von Kastilien, Elisabeth von Ungarn, Katharina Sforza, Herzogin von Mailand und Imola, Elisabeth von England, Katharina von Rußland, Maria Theresia usw. Gestützt auf die Tatsache, daß Frauen unter allen Rassen und in allen Teilen der Welt ausgezeichnet regierten, selbst über die wildesten, turbulentesten Horden, veranlaßt Burbach zu der Bemerkung, daß aller Wahrscheinlichkeit nach die Frauen sich besser für die Politik eignen würden als die Männer.(3) Als im Jahre 1901 die Königin Viktoria von England starb, machte ein großes englisches |279| Blatt den Vorschlag, man solle in England ausschließlich die weibliche Thronfolge einführen, da die Geschichte Englands zeige, daß seine weiblichen Könige besser regierten als seine männlichen.

Mancher große Mann würde in der Geschichte bedeutend zusammenschrumpfen, wüßte man immer, was er sich selbst, was er anderen zu danken hat. Als eines der größten Genies der Französischen Revolution wird von den deutschen Geschichtsschreibern, zum Beispiel von Sybel, Graf Mirabeau angesehen. Aber die Forschung hat ergeben, daß er die Konzepte fast aller seiner Reden der bereitwilligen Hilfe einiger Gelehrten zu danken hatte, die im stillen für ihn arbeiteten und die er zu benutzen verstand. Auf der anderen Seite verdienen Erscheinungen wie eine Sappho, eine Diotima zur Zeit des Sokrates, eine Hypatia von Alexandrien, eine Madame Roland, Mary Wollstonecraft, Olympe de Gouges, Frau v. Staël, George Sand usw. die größte Hochachtung; neben ihnen erbleicht mancher männliche Stern. Was Frauen als Mütter bedeutender Männer wirkten, ist ebenfalls bekannt. Die Frauen haben geleistet, was unter den für sie im ganzen äußerst ungünstigen Umständen möglich war, und das berechtigt für die Zukunft zu den besten Hoffnungen. Tatsächlich hat erst die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts begonnen, den Frauen in größerer Anzahl die Wege zu ebnen und sie zum Wettbewerb mit dem Manne auf den verschiedensten Gebieten zuzulassen. Die erlangten Resultate sind sehr zufriedenstellende.

Aber gesetzt den Fall, die Frauen wären durchschnittlich nicht so entwicklungsfähig als die Männer, es gäbe unter ihnen keine Genies und großen Philosophen, war denn dieser Umstand für die Männer maßgebend, als man ihnen, nach dem Wortlaut der Gesetze, die volle Gleichberechtigung mit den "Genies" und "Philosophen" einräumte? Dieselben Gelehrten, die der Frau die höhere Befähigung absprechen, sind geneigt, dies auch gegenüber dem Handwerker und Arbeiter zu tun. Beruft sich der Adel auf sein "blaues" Blut und seinen Stammbaum, so lächeln sie spöttisch und zucken die Achseln; aber gegenüber dem Manne niederen Standes halten sie sich für eine Aristokratie, die, was sie geworden ist, nicht den günstigeren Lebensumständen zu verdanken hat, sondern einzig dem ihnen eigentümlichen Talent. Dieselben Männer, die auf dem einen Gebiet zu den vorurteilslosesten gehören und eine geringe Meinung von jenen besitzen. die gleich ihnen nicht frei denken, sind auf anderen Gebieten, |280| sobald es sich um ihr Standes- oder Klasseninteresse, um ihre Eitelkeit oder Eigenliebe handelt, beschränkt bis zur Borniertheit und gegnerisch gesinnt bis zum Fanatismus. Die höhere Männerwelt urteilt absprechend über die niedere und ähnlich fast die gesamte Männerwelt über die Frauen. Die Männer sehen in ihrer großen Mehrzahl in den Frauen nichts als Mittel zu ihrem Nutzen und Vergnügen, sie als Gleichberechtigte anzusehen, widerstrebt ihrem Vorurteil. Die Frau soll demütig und bescheiden sein, sie soll sich auf das Haus beschränken und alles übrige dem "Herrn der Schöpfung" als Domäne überlassen. Die Frau soll ihren Gedanken und Neigungen jeden denkbaren Zügel anlegen und abwarten, was ihre irdische Vorsehung, der Vater oder Gatte, über sie beschließt. Je mehr sie allen diesen Forderungen nachkommt, um so "vernünftiger, sittsamer und tugendhafter" wird sie gepriesen, mag sie als Folge ihrer Zwangsstellung unter der Last physischer und moralischer Leiden zugrunde gehen. Spricht man aber von der Gleichheit aller Menschen, dann ist es ein Unding, davon die Hälfte des Menschengeschlechts ausschließen zu wollen.

Die Frau hat das gleiche Recht wie der Mann auf Entfaltung ihrer Kräfte und auf freie Betätigung derselben; sie ist Mensch wie der Mann, und sie soll wie er die Freiheit haben, über sich zu verfügen als ihr eigener Herr. Der Zufall, als Frau geboren worden zu sein, darf daran nichts ändern. Die Frau, weil sie als Frau und nicht als Mann geboren ist - woran der Mann so unschuldig ist wie die Frau -, von der Gleichberechtigung auszuschließen ist ebenso ungerecht, als wenn Rechte und Freiheiten von dem Zufall der Religion oder der politischen Gesinnung abhängig gemacht werden, und ebenso unsinnig wie, daß sich zwei Menschen als Feinde betrachten, weil sie durch den Zufall der Geburt verschiedenen Volksstämmen oder verschiedenen Nationalitäten angehören. Das sind eines freien Menschen unwürdige Anschauungen. Der Fortschritt der Menschheit besteht darin, alles zu beseitigen, was einen Menschen von dem anderen, eine Klasse von der anderen, ein Geschlecht von dem anderen in Abhängigkeit oder Unfreiheit erhält. Es hat keine andere Ungleichheit Berechtigung als jene, welche die Natur in der Verschiedenheit des Wesens der einzelnen und zur Erreichung des Naturzwecks schuf. Die Naturschranken wird aber kein Geschlecht überschreiten, weil es damit seinen Naturzweck vernichtete.

3. Die Verschiedenheiten in der körperlichen und geistigen Beschaffenheit von Mann und Frau

|281| Die Gegner der Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne spielen als Haupttrumpf aus, die Frau habe ein kleineres Gehirn als der Mann, auch stehe sie in anderen Eigenschaften hinter dem Manne zurück, damit sei ihre dauernde Inferiorität (Unterbürtigkeit) bewiesen. Fest steht, daß Mann und Frau zwei Menschen verschiedenen Geschlechts sind, daß jedes dem Geschlechtszweck entsprechend besondere Organe hat und daß auf Grund der Aufgaben, die jedes Geschlecht zur Erreichung des Naturzwecks erfüllen muß, eine Reihe Verschiedenheiten in ihren physiologischen und psychischen Zuständen vorhanden sind. Das sind Tatsachen, die niemand bestreiten kann und bestreiten wird, aber diese begründen keinen Unterschied in der sozialen oder politischen Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die Menschheit, die Gesellschaft besteht aus beiden Geschlechtern, beide sind für den Bestand der Fortentwicklung derselben unentbehrlich. Auch der genialste Mann wurde von einer Mutter geboren, der er oft das Beste, was er besitzt, verdankt. Mit welchem Recht will man also der Frau die Gleichberechtigung mit dem Manne versagen?

Die wesentlichsten Verschiedenheiten, die sich in der körperlichen und geistigen Beschaffenheit von Mann und Weib nach Anschauung hervorragender Autoritäten ergeben, sind folgende: Bezüglich der Körpergröße finden wir zum Beispiel bei Havelock Ellis 170 Zentimeter als Durchschnittsgröße für den Mann, für das Weib 160 Zentimeter (bei Vierordt 172 und 160, in Norddeutschland nach Krause 175 und 165 Zentimeter). Der Unterschied beträgt also durchschnittlich 10 bis 12 Zentimeter. Das Verhältnis der Körpergrößen ist gleich 100:93. Als rundes Gewichtsmittel kann für Erwachsene 65 bis 54 Kilogramm gelten. Das Überwiegen der relativen Rumpflänge beim weiblichen Geschlecht ist ein lange bekannter Unterschied; er wird aber, wie genaue, messende Untersuchung ergibt, zumeist beträchtlich überschätzt. Die Beine sind bei einer mittelgroßen Frau um bloß 15 Millimeter kürzer als bei einem gleichfalls mittelgroßen Manne, und Pfitzner bezweifelt, daß dieser Unterschied bei Betrachtung der Figur merklich werden könne. "Die Gliederung der Körperlänge in Stammlänge und Beinlänge wird ausschließlich durch die Statur beeinflußt und ist vom Geschlecht durchaus unabhängig." Dagegen ist |282| der weibliche Arm ausgesprochen kürzer als der männliche (100: 91,5). Abgesehen von Größe und Breite der männlichen Hand ist beim Manne der Ringfinger in der Regel länger als der Zeigefinger, bei der Frau umgekehrt. Die männliche Hand wird hierdurch affenähnlicher, wie ja auch der längere Arm ein "pithekoides" (affenähnliches) Merkmal ist.

Was die Größe des Kopfes betrifft, so läßt sich ein Verhältnis der absoluten Werte für männliche und weibliche Kopfhöhe gleich 100:94 berechnen; die relativen Kopfhöhen verhalten sich aber wie 100:100,8, was einen absolut kleineren, aber relativ etwas größeren Kopf für das Weib ergibt. Nach Pfitzner verhalten sich nun die absoluten Kopflängen wie 100:96,1. Die relative Kopflänge des Mannes aber verhält sich zu der des Weibes wie 100:103; hier wird der relativ größere Kopf des Weibes etwas deutlicher ersichtlich. Die Knochen der Frau sind kleiner, dünner, zarter gebaut und an der Oberfläche glatter, denn die schwächere Muskulatur bedarf weniger rauher Flächen zum Ansatz. Diese geringere Entwicklung der Muskulatur ist eine der hervorstechendsten Eigenschaften des Weibes; sie äußert sich in der geringeren Dicke der einzelnen Muskeln, überdies sind die Muskeln des Weibes weicher und wasserreicher. (Der Wassergehalt der Muskulatur beträgt nach v. Bibra beim Manne 72,5 Prozent, beim Weibe 74,4 Prozent.) Diesem Verhalten der Muskulatur steht ein umgekehrtes des Fettgewebes gegenüber. Es ist beim Weibe bedeutend reichlicher entwickelt als beim Manne. Der Brustkorb ist verhältnismäßig kürzer und gedrungener, andere Verschiedenheiten hängen direkt mit dem Geschlechtszweck zusammen. Die Angaben verschiedener Autoren über absolutes und relatives Gewicht der Eingeweide widersprechen sich oft sehr bedeutend, So verhält sich das Herzgewicht zum Körpergewicht beim Mann nach Vierordt wie 1:215, nach Cleudinning wie 1:158, beim Weibe nach denselben Autoren wie 1:206 bzw. 1:149. Im allgemeinen kann man wohl annehmen, daß die weiblichen Eingeweide, wenn auch meist absolut kleiner, so doch relativ, auf das Körpergewicht bezogen, schwerer sind. Das Herzgewicht des Mannes stellt sich auf 350, das der Frau auf 310 Gramm.

Für das Blut ergibt sich ein etwas größerer Wassergehalt (80,11 Prozent gegen 78,15), eine geringere Zahl von Blutzellen (Blutkörperchen) in der Raumeinheit (4,5 gegen 3 Millionen im Kubikmillimeter) und ein geringerer Gehalt an Blutfarbstoff (der Unterschied beträgt |283| nach Ellis 8 Prozent). Bei dem Weibe bewirkt die geringere Größe des Herzens, das engere Gefäßsystem und wahrscheinlich auch der größere Wassergehalt des Blutes einen weniger intensiven Stoffverbrauch und eine geringere Ernährung. Auch der schwächere Kieferapparat mag hieraus verständlich werden. "So erklärt es sich, daß auch der zivilisierte Mann noch in manchem dem Tiere, besonders dem Affen, nähersteht als das Weib, daß er 'pithekoide' Charaktere aufweist, zu denen außer der Entwicklung des Gesichtsskeletts auch die Lange der Gliedmaßen genannt werden kann."

Was die Schädelunterschiede der Geschlechter betrifft, so muß gleich hervorgehoben werden, daß nach Bartels ein durchgreifendes, in jedem einzelnen Falle nachweisbares Merkmal für die Zugehörigkeit eines Schädels zu einem der beiden Geschlechter bisher nicht bekannt ist und wohl überhaupt nicht existiert. Absolut genommen ist der männliche Schädel in sämtlichen Dimensionen größer als beim Weibe. Dementsprechend ist auch der Schädelinnenraum und das Gewicht größer (Verhältnis 1.000:888). Die gesonderte Betrachtung von Hirn- und Gesichtsschädel führt aber zu etwas anderen Ergebnissen. Der letztere ist beim Manne nicht nur absolut, sondern auch relativ größer. Dagegen sind die Dimensionen des Hirnschädels beim Weibe durchweg relativ größer. Auch aus den Zahlen für den Schädelinhalt ergibt sich ein relativ größerer Schädel für das Weib.

Als Mittelzahl für sämtliche normale Gehirne erwachsener Personen ergibt sich für den Mann (nach Grosser) ein Gewicht von 1.388 Gramm, für das Weib von 1.252 Gramm.(4) Die überwiegende Mehrzahl der Gewichte für das männliche Geschlecht (84 Prozent) liegt zwischen 1.250 und 1.550, für das weibliche (91 Prozent) zwischen 1.100 und 1.450 Gramm. Diese Gewichte sind aber nicht direkt vergleichbar, da das Weib kleiner ist als der Mann. Wir sind also auf Feststellung des relativen Hirngewichts angewiesen. Beim Vergleich mit dem Körpergewicht entfallen beim Manne 21,6 Gramm, beim Weibe 23,6 Gramm Hirnsubstanz auf das Kilogramm Körpergewicht. |284| Die Erklärung für das Überwiegen wird hauptsächlich in der Tatsache gesucht, daß die weibliche Statur kleiner ist.(5)

Andere Resultate gibt der Vergleich von gleich großen Individuen verschiedenen Geschlechts. Nach Marchand ist das weibliche Hirngewicht für alle Größenklassen ausnahmslos geringer als das gleich großer Männer. Aber dies Verfahren ist ebensowenig korrekt wie der Vergleich mit der Körperlänge. Er setzt voraus als bewiesen, was noch zu beweisen ist: eine direkte Beziehung zwischen Körperlänge und Hirngewicht. Blakeman, Alice Lee und Karl Pearson haben auf Grund englischer Daten und Messungen festgestellt, daß im Hirngewicht kein merklicher relativer Unterschied zwischen Mann und Weib besteht, das heißt, ein Mann mit gleicher Körpergröße, Lebensalter und Kopfmaßen wie das Durchschnittsweib würde von diesem keine Differenz im Hirngewicht zeigen.(6)

Sogar Marchand hebt hervor, daß die Kleinheit des weiblichen Gehirns vielleicht durch größere Feinheit seiner Nervenelemente bedingt ist. "Allerdings", sagt Grosser, "ist dies noch nicht mikroskopisch nachgewiesen und würde auch nur schwer festzustellen sein. Doch muß im Wege der Analogie darauf hingewiesen werden, daß ja auch Augapfel und Ohrlabyrinth beim Weibe etwas kleiner sind als beim Manne, ohne daß deswegen diese Apparate in irgendeiner Hinsicht weniger fein und leistungsfähig wären. Ein weiterer, ja wohl der Hauptgrund für eine wirklich geringere Entwicklung des weiblichen Gehirnes liegt in dem Umstand, daß die weibliche Muskulatur schwächer entwickelt ist."(7)

Soweit die angegebenen Verschiedenheiten auf der Natur des Geschlechtsunterschieds beruhen, sind sie selbstverständlich nicht zu ändern. Wieweit diese Verschiedenheiten in der Blut- und Gehirnverfassung durch andere Lebensweise (Ernährung, geistige und physische Gymnastik, Beschäftigungsweise usw.) sich modifizieren lassen, ent- |285| zieht sich zunächst jedem bestimmten Urteil. Daß die Frau der heutigen Zeit sich in stärkerer Differenzierung vom Manne befindet als die Frau der Urzeit oder Frauen rückständigerer Völker, scheint festzustehen und ist nach der sozialen Entwicklung, welche die letzten 1.000 bis 1.500 Jahre unter den Kulturvölkern für die Frau hervorriefen, nur zu erklärlich.

Nach Havelock Ellis betrug die Schädelkapazität des Weibes (die des Mannes mit 1.000 angenommen):

Neger

984

Russen

884

Hottentotten

951

Deutsche

838 bis 897 (8)

Hindu

944

Chinesen

870

Eskimo

951

Engländer

860 bis 862

Holländer

919 (909)

Pariser (19. Jahr)

858

Die widersprechenden Angaben bei den Deutschen zeigen, daß die Messungen an sehr verschiedenem Material - quantitativ und qualitativ - vorgenommen worden sind und daher nicht absolut zuverlässig sind. Eines aber geht sicher aus den Zahlen hervor. Neger-, Hottentotten-, Hindufrauen haben eine erheblich größere Schädelkapazität als Deutsche, Engländerinnen und Pariserinnen, und doch sind die letzteren sämtlich intelligenter.

Bei der Vergleichung des Hirngewichtes bekannter verstorbener Männer stellen sich ähnliche Widersprüche und Seltsamkeiten heraus. Nach Professor Reclam wog das Gehirn des Naturforschers Cuvier 1.830 Gramm, das Byrons 1.807, das des berühmten Mathematikers Gauß 1.492, des Philologen Hermann 1.358, des Pariser Präfekten Hausmann 1.226 Gramm. Letzterer hatte ein Hirn, das unter dem Durchschnittsgewicht eines weiblichen Gehirns wog. Auch das Gehirn Gambettas wog erheblich unter allem Durchschnitt weiblicher Gehirne, es war nur 1.180 Gramm schwer. Auch Dante soll ein Gehirn gehabt haben, das unter dem Durchschnittsgewicht eines Männerhirnes lag. Angaben ähnlicher Art finden wir bei Havelock Ellis. Danach hatte ein gewöhnliches Individuum, dessen Hirn Bischoff wog, 2.222 Gramm, das Hirn des Dichters Turgenjew 2.012 Gramm, dagegen war das drittgrößte Hirn das eines Narren aus der Grafschaft Hants; das Hirn eines gewöhnlichen Arbeiters wog 1.925 Gramm, das |286| ebenfalls Bischoff untersuchte. Die schwersten Frauenhirne wogen zwischen 1.742 und 1.580 Gramm, zwei von diesen rührten von geisteskranken Frauen her. Auf dem deutschen Anthropologenkongreß, der im August 1902 zu Dortmund stattfand, konstatierte Professor Waldeyer, daß eine Untersuchung des Schädels des im Jahre 1716 verstorbenen Philosophen Leibniz ergeben habe, daß dessen Inhalt nur 1.450 Kubikzentimeter beträgt, was einem Hirngewicht von 1.300 Gramm entspricht. Nach Hansemann, der die Gehirne von Mommsen, Bunsen und Adolph v. Menzel untersucht hatte, wog das Gehirn Mommsens 1.429,4 Gramm und war also nicht schwerer als das mittlere Gehirngewicht eines erwachsenen Mannes. Menzels Gehirn wog nur 1.298 Gramm und Bunsens noch weniger - 1.295 Gramm, also niedriger als das Durchschnittsgewicht und nicht bedeutend größer als das Gehirngewicht einer Frau. Das sind frappante Tatsachen, welche die alte Auffassung, daß die geistigen Fähigkeiten nach dem Schädelinhalt bemessen werden könnten, vollständig über den Haufen werfen.

Raymoud Pearl kommt nach einer Untersuchung der englischen Daten zu folgendem Schlusse: "Es gibt keinen Beweis, daß zwischen den geistigen Fähigkeiten und dem Gehirngewicht engere Beziehungen vorhanden sind."(9)

Der englische Anthropologe W. Duckworth sagt: "Es gibt keinen bestimmten Beweis, daß bei den Menschen ein großes Hirngewicht von hohen geistigen Fähigkeiten begleitet ist. Weder das Hirngewicht, weder die Schädelkapazität noch der Kopfumfang, wo sie festgestellt werden konnten, sind als Gradmesser der geistigen Fähigkeiten von irgendwelchem Nutzen."(10)

Kohlbrügge, der in den letzten Jahren mit einer Reihe von Untersuchungen über Gehirne der Menschenrassen hervorgetreten ist, äußert: "Intelligenz und Gehirngewicht sind zwei ganz voneinander unabhängige Größen. Auch das oft hervorgehobene höhere Gehirngewicht berühmter Männer wird als nicht beweiskräftig zurückgewiesen, weil es wohl das mittlere allgemeine Gehirngewicht übertrifft, aber nicht das der oberen gesellschaftlichen Klasse, zu welcher doch alle diese Männer gehörten. Mit diesen Ausführungen soll aber nicht |287| bestritten werden, daß das Gehirngewicht besonders durch übermäßigen Arbeitsreiz in der Jugend zunehmen kann, wodurch das größere Gehirn der höheren Gesellschaftsklasse oder der besseren Schüler (Schädelkapazität) sich erklären ließe, zumal wenn, wie bei bessersituierten Leuten Regel ist, Überernährung hinzutritt. Diese durch geistige Überanstrengung hervorgerufene Gewichtszunahme hat bekanntlich auch ihre Schattenseite: Gehirne von Irren sind häufig sehr schwer. Hauptsache ist, daß nicht nachgewiesen werden kann, daß Intelligenz (ganz etwas anderes als Arbeitsleistung) irgendwelche Beziehungen zum Gewicht hat. Auch für die äußere Formbildung gilt, daß bisher keine Beziehungen zwischen bestimmten Formen und höherer geistigen Ausbildung, Genialität oder Intelligenz nachgewiesen werden konnten."(11)

Es steht also fest, daß sowenig wie die Körpergröße einen Schluß auf die Körperkraft zuläßt, ebensowenig gestattet das Gewicht der Gehirnmasse einen Schluß auf die geistigen Fähigkeiten. Die großen Säugetiere, Elefant, Walfisch, Delphin usw., besitzen größere und schwerere Gehirne. In bezug auf das relative Hirngewicht übertreffen sie die meisten Vögel und kleinen Säugetiere. Wir haben sehr kleine Tiere (Ameisen, Bienen), die an Intelligenz weit größere (zum Beispiel Schaf, Kuh) übertreffen, ebenso wie oft Menschen von großer Gestalt an Geistesfähigkeit weit hinter solchen von kleiner und unscheinbarer Gestalt zurückstehen. Es kommt mit größter Wahrscheinlichkeit weniger auf die Gehirnmasse an, als auf die Gehirnorganisation und auf die Übung und Anwendung der Gehirnkräfte.

"Es ist meiner Ansicht nach" - sagt Professor L. Stieda - "der feinere Bau der Hirnrinde die unzweifelhafte Ursache für die Verschiedenheit der psychischen Funktionen: die Nervenzellen, die Zwischensubstanz, die Anordnung der Blutgefäße, die Beschaffenheit, Form, Größe, Anzahl der Nervenzellen und nicht zu vergessen ihre Ernährung, der Stoffwechsel in ihnen."(12)

Das Gehirn muß, wenn es seine Fähigkeiten voll entwickeln soll, so gut wie jedes andere Organ fleißig geübt und entsprechend genährt |288| werden; unterbleibt dieses oder wird die Ausbildung nach falscher Richtung unternommen, so tritt statt normaler Entwicklung nicht nur Hemmung, sondern geradezu Verkrüppelung ein. Die eine Richtung wird auf Kosten der anderen gefördert.

Es gibt mehrere Anthropologen, wie Manouvrier und andere, die sogar beweisen, daß das Weib in morphologischer Beziehung höher steht als der Mann. Das ist eine Übertreibung. "Wenn wir die beiden Geschlechter vergleichen" - sagt Duckworth -, "so stellt sich heraus, daß es keinen konstanten Unterschied gibt, der ein Geschlecht in morphologischer Beziehung höher erscheinen läßt als das andere."(13)

Havelock Ellis will nur eine Beschränkung gelten lassen. Er glaubt, daß die Variationsbreite der Merkmale beim weiblichen Geschlecht geringer ausfällt als beim männlichen. Aber Karl Pearson hat in einer Gegenkritik ausführlich bewiesen, daß es nur ein pseudowissenschaftlicher Aberglaube ist.(14)

Niemand, der einigermaßen die Geschichte der Frauenentwicklung kennt, wird aber bestreiten, daß seit Jahrtausenden an der Frau stark gesündigt wurde und noch gesündigt wird. Wenn dagegen Professor Bischoff behauptet, die Frau habe so gut als der Mann ihr Gehirn und ihre Intelligenz ausbilden können, so zeigt diese Behauptung in bezug auf den erörterten Gegenstand ein unerlaubtes und unerhörtes Maß von Ignoranz. Die in dieser Schrift gegebene Darstellung über die Stellung der Frau im Laufe unserer Kulturentwicklung läßt es vollkommen erklärlich erscheinen, daß die Jahrtausende währende Herrschaftsstellung des Mannes wesentlich die großen Unterschiede in der geistigen und physischen Entwicklung verschuldete.

Unsere Naturforscher sollten anerkennen, daß die Gesetze ihrer Wissenschaft auch voll auf den Menschen anzuwenden sind. Vererbung und Anpassung gelten für den Menschen wie für jedes andere Naturwesen. Macht aber der Mensch keine Ausnahme in der Natur, so muß auch die Entwicklungslehre auf ihn angewandt werden, wodurch sonnenklar wird, was sonst trübe und dunkel bleibt und dann Gegenstand wissenschaftlicher Mystik oder mystischer Wissenschaft wird. Entsprechend der verschiedenen Erziehung der Geschlechter - wenn |289| diese Bezeichnung für einen großen Teil der Vergangenheit, namentlich für die Frau erlaubt und der Ausdruck Aufziehung nicht richtiger ist - hat sich auch die Gehirnbildung bei den Geschlechtern entwickelt. Die Physiologen sind einig darüber, daß die Hirnpartien, die den Verstand beeinflussen, in den vorderen Partien des Gehirns liegen, und diejenigen, die vorzugsweise das Gefühls- und Gemütsleben beeinflussen, im Mittelkopf zu suchen sind. Bei dem Manne ist der Vorderkopf, bei der Frau der Mittelkopf mehr entwickelt. Demgemäß hat sich der Schönheitsbegriff für Mann und Frau gebildet. Nach dem griechischen Schönheitsbegriff, der noch heute maßgebend ist, soll die Frau eine schmale, der Mann eine hohe und namentlich breite Stirne haben. Und dieser Schönheitsbegriff, der ein Ausdruck ihrer Erniedrigung ist, ist unseren Frauen so eingeprägt, daß sie eine höhere Stirne als eine Unschönheit betrachten, und die Natur durch die Kunst zu verbessern suchen, indem sie sich die Haare über die Stirne ziehen, damit sie niedriger erscheint.

4. Der Darwinismus und der Zustand der Gesellschaft

Es ist also nicht erwiesen, daß die Frauen infolge ihrer Gehirnmasse gegenüber den Männern unterbürtig sind, demnach braucht man sich nicht zu wundern, daß gegenwärtig die Frauen geistig sind, wie sie sind. Darwin hat sicher recht, zu sagen, daß eine Liste der ausgezeichnetsten Männer in Poesie, Malerei, Skulptur, Musik, Wissenschaft und Philosophie neben einer gleichen Liste der ausgezeichnetsten Frauen auf diesen Gebieten nebeneinander gestellt, keinen Vergleich miteinander aushalten. Aber kann es anders sein? Verwunderlich würde sein, wenn es nicht so wäre. Deshalb antwortet auch Dr. Dodel-Zürich (15), daß dies sich anders verhalten würde, wenn eine Reihe von Generationen hindurch Frauen und Männer gleichmäßig erzogen und in der Ausübung jener Künste und Disziplinen unterwiesen würden. Die Frau ist durchschnittlich genommen auch physisch schwächer als der Mann, was bei vielen wilden Völkern keineswegs der Fall ist.(16) Was Übung und Erziehung von Jugend auf vermögen, sieht |290| man zum Beispiel an Zirkusdamen und Akrobatinnen, die an Mut, Waghalsigkeit, Gewandtheit und Körperkraft das Erstaunlichste leisten.

Da eine solche Entwicklung Sache der Lebensbedingungen und der Erziehung, naturwissenschaftlich derb ausgedrückt der "Züchtung" ist, darf als sicher angenommen werden, daß das physische und geistige Leben der Menschen zu den schönsten Resultaten führt, sobald der Mensch zweck- und zielbewußt in seine Entwicklung eingreift.

Wie Pflanzen und Tiere von ihren Existenzbedingungen abhängen, günstige sie fördern. ungünstige sie hemmen und Zwangsverhältnisse sie nötigen, ihr Wesen und ihren Charakter zu ändern, vorausgesetzt, daß sie unter deren Einwirkung nicht zugrunde gehen, so ergeht es auch dem Menschen. Die Art und Weise, wie der Mensch seine Existenz gewinnt und erhält, beeinflußt nicht nur sein äußeres Wesen, sondern auch sein Fühlen, sein Denken und Handeln. Sind ungünstige Existenzbedingungen der Menschen - das heißt Mangelhaftigkeit des Sozialzustandes - Ursache mangelhafter individueller Entwicklung, so folgt daraus, daß durch Veränderung seiner Existenzbedingungen, das heißt seines Sozialzustandes, der Mensch selbst verändert wird. Es handelt sich also darum, die sozialen Zustände in der Weise zu gestalten, daß jeder Mensch die Möglichkeit zur vollen, ungehinderten Entwicklung seines Wesens erhält, daß die Gesetze der Entwicklung und Anpassung, die nach Darwin mit der Bezeichnung des Darwinismus belegt werden, zweck- und zielbewußt für alle Menschen zur Wirksamkeit kommen. Das ist aber nur möglich im Sozialismus.

Die Menschen müssen als denkende und erkennende Wesen ihre Lebensbedingungen, das heißt ihre sozialen Zustände und alles, was damit zusammenhängt, zielbewußt ändern und vervollkommnen, und zwar dergestalt, daß für alle gleich günstige Daseinsbedingungen vorhanden sind. Jeder einzelne soll seine Anlagen und Fähigkeiten zu seinem eigenen wie zum Wohle der Gesamtheit entwickeln können, er darf aber nicht die Macht haben, anderen oder der Gesamtheit zu schaden. Sein eigener Vorteil und derjenige aller sollen sich decken. |291| Die Interessenharmonie muß an Stelle der Interessengegensätze treten, die heute die Gesellschaft beherrschen.

Der Darwinismus ist wie jede wirkliche Wissenschaft eine eminent demokratische Wissenschaft (17); behauptet ein Teil seiner Vertreter das Gegenteil, so weiß dieser die Tragweite seiner eigenen Wissenschaft nicht zu beurteilen. Die Gegner, insbesondere die Geistlichkeit, die stets eine feine Nase hat, sobald es sich für sie um Vorteile oder Schaden handelt, haben das begriffen, und deshalb denunzieren sie den Darwinismus als sozialistisch oder atheistisch. Hierin stimmt auch Professor Virchow mit seinen heftigsten Gegnern überein, der auf der Naturforscherversammlung in München im Jahre 1877 gegen Professor Haeckel austrumpfte: "Die Darwinsche Theorie führt zum Sozialismus."(18) Virchow versuchte den Darwinismus zu diskreditieren, weil Haeckel die Aufnahme der Entwicklungslehre in den Schulplan verlangte. Die Naturwissenschaft im Sinne Darwins und der neueren Naturforschung in der Schule zu lehren, dagegen kämpft alles, was an der gegenwärtigen Ordnung der Dinge festhalten will. Man kennt die revolutionäre Wirkung dieser Lehren, deshalb das Verlangen, sie nur im Kreise der Auserwählten gelehrt zu sehen. Wir denken aber: Führen die Darwinschen Theorien zum Sozialismus, wie Virchow behauptet, so beweist das nichts gegen diese Theorien, sondern für den Sozialismus. Männer der Wissenschaft dürfen nicht danach fragen, ob die |292| Konsequenzen einer Wissenschaft zu dieser oder jener Staatseinrichtung, zu diesem oder jenem Sozialzustand führen oder ihn rechtfertigen, sie haben zu prüfen, ob die Theorien richtig sind, und sind sie das, so sind sie mit allen Konsequenzen anzunehmen. Wer anders handelt, sei es aus persönlichem Vorteil, sei es wegen Gunst von oben, oder aus Klassen- oder Parteiinteresse, handelt verächtlich und macht der Wissenschaft keine Ehre. Die Vertreter der zünftigen Wissenschaft, insbesondere an unseren Universitäten, können allerdings nur in seltenen Fällen auf Selbständigkeit und Charakter Anspruch machen. Die Furcht, die Pfründe zu verlieren, an Gunst von oben einzubüßen, auf Titel, Orden und Beförderung Verzicht leisten zu müssen, veranlaßt die meisten dieser Vertreter, sich zu ducken und ihre Überzeugungen zu verbergen oder gar öffentlich das Gegenteil von dem zu sagen, was sie glauben und wissen. Wenn ein Du Bois-Reymond gelegentlich einer Huldigungsfeier an der Berliner Universität 1870 ausrief: "Die Universitäten sind die Erziehungsstätten für die geistige Leibwache der Hohenzollern", dann kann man beurteilen, wie die Mehrzahl der übrigen über den Zweck der Wissenschaft denkt, die an Bedeutung tief unter Du Bois-Reymond steht.(19) Die Wissenschaft wird zur dienenden Magd der Gewalt herabgewürdigt.

Es ist erklärlich, daß Professor Haeckel und seine Anhänger, Professor O. Schmidt, v. Hellwald und andere, sich energisch gegen den entsetzlichen Vorwurf wehren, der Darwinismus arbeite dem Sozialismus in die Hände, und behaupten, das Gegenteil sei richtig, der Darwinismus sei aristokratisch, indem er lehre, daß überall in der Natur das höher organisierte und stärkere Lebewesen das niedere unterdrücke. Und da, nach ihnen, die besitzenden und gebildeten Klassen diese höher organisierten und stärkeren Lebewesen innerhalb der Gesellschaft darstellten, so betrachten sie deren Herrschaft als selbstverständlich, weil naturgesetzlich berechtigt.

Diese Richtung unter unseren Darwinianern hat keine Ahnung . von den wirtschaftlichen Gesetzen, welche die bürgerliche Gesellschaft beherrschen, deren blinde Herrschaft weder den Besten noch den Geschicktesten, noch den Tüchtigsten auf die gesellschaftliche Höhe erhebt, oft aber den Geriebensten und Verdorbensten und diesen in die |293| Lage setzt, die Daseins- und Entwicklungsbedingungen für seine Nachkommen zu den angenehmsten zu machen, ohne daß diese dafür einen Finger zu krümmen brauchen. Unter keinem Wirtschaftssystem besitzen, durchschnittlich genommen, Individuen mit menschlich guten und edlen Eigenschaften so wenig Aussicht auf Emporkommen und Obenbleiben als unter der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Man kann ohne Übertreibung sagen, diese Unwahrscheinlichkeit wächst, wie dieses Wirtschaftssystem seinem Höhepunkt entgegenstrebt. Rücksichtslosigkeit und Gewissenlosigkeit in der Wahl und Anwendung der Mittel sind unendlich wirksamere, mehr Erfolg versprechende Waffen als alle menschlichen Tugenden zusammengenommen. Und eine auf solcher Basis aufgebaute Gesellschaft als eine Gesellschaft "der Fähigsten und Besten" anzusehen, das kann nur jemand, dessen Kenntnis von dem Wesen und der Natur dieser Gesellschaft gleich Null ist oder der, von bürgerlichen Vorurteilen beherrscht, in bezug auf sie das Denken und das Schlüsseziehen verlernt hat. Der Kampf ums Dasein ist bei allen Organismen vorhanden, ohne Einsicht in die Umstände, die sie dazu nötigen, er vollzieht sich ihnen unbewußt. Dieser Kampf ums Dasein ist auch in der Menschenwelt, unter den Gliedern jeder Gesellschaft vorhanden, in der die Solidarität verschwand oder noch nicht zur Geltung kam. Dieser Kampf ums Dasein ändert sich nach den Formen, welche im Laufe der Entwicklung die sozialen Beziehungen der Menschen untereinander nehmen; er nimmt den Charakter von Klassenkämpfen an, die sich auf immer höherer Stufenleiter abspielen. Aber diese Kämpfe führen - und darin unterscheiden sich die Menschen von allen anderen Wesen - zu immer höherer Einsicht in das Wesen der Gesellschaft und schließlich zur Erkenntnis der Gesetze, welche ihre Entwicklung beherrschen und bedingen. Schließlich haben die Menschen nur nötig, diese Erkenntnis auf ihre politischen und sozialen Einrichtungen anzuwenden und diese entsprechend umzuformen. Der Unterschied zwischen Mensch und Tier ist also, daß der Mensch ein denkendes Tier genannt werden kann, das Tier aber kein denkender Mensch ist. Das begreift ein großer Teil unserer Darwinianer in ihrer Einseitigkeit nicht. Daher der falsche Zirkelschluß, den sie machen.(20)

|294| Professor Haeckel und seine Anhänger bestreiten auch, daß der Darwinismus zum Atheismus führe, und so machen sie, nachdem sie durch alle ihre wissenschaftlichen Ausführungen und Beweise den "Schöpfer" beseitigt haben, krampfhafte Versuche, ihn durch die Hintertür hereinzuschmuggeln. Zu diesem Zwecke bildet man sich seine eigene Art von "Religion", die man "höhere Sittlichkeit", "sittliche Prinzipien" usw. nennt. Professor Haeckel machte 1882 auf der Naturforscherversammlung in Eisenach in Gegenwart der großherzoglich Weimarschen Familie den Versuch, nicht nur die Religion zu retten, sondern auch seinen Meister Darwin als religiös hinzustellen. Der Versuch scheiterte, wie jeder, der jenen Vortrag und den dabei zitierten Brief Darwins gelesen, bestätigen wird.(21) Der Brief Darwins besagte das Gegenteil von dem, allerdings in vorsichtigen Ausdrücken, was er nach Professor Haeckel besagen sollte. Darwin mußte Rücksicht auf die "Frömmigkeit" seiner Landsleute, der Engländer, nehmen, deshalb wagte er nie, öffentlich über die Religion seine wahre |295| Meinung zu sagen. Aber privatim tat er dieses, wie kurz nach der Weimarer Versammlung bekannt wurde, gegenüber Dr. L. Büchner, dem er mitteilte, daß er seit seinem vierzigsten Lebensjahr - also seit 1849 - nichts mehr glaube, weil er keine Beweise für den Glauben habe erlangen können. Darwin unterstützte auch in den letzten Jahren seines Lebens eine in New York erscheinende atheistische Zeitung.

5. Die Frau und die freien Berufe

Die Frauen sollen auch auf geistigem Gebiet den Wettkampf mit dem Manne aufnehmen; sie haben nicht zu warten, bis es den Männern beliebt, ihre Gehirnfunktionen zu entwickeln und ihnen freie Bahn zu schaffen. Diese Bewegung ist in vollem Fluß. Schon haben die Frauen viele Hindernisse hinweggeräumt und sich in die geistige Arena begeben - in einer Reihe von Ländern mit besonderem Erfolg. Die Bewegung, die sich unter ihnen für die Zulassung zum Studium auf Universitäten und Hochschulen und zu den diesem Studium entsprechenden Wirkungskreisen immer mehr bemerkbar macht, ist nach der Natur unserer Verhältnisse auf die bürgerlichen Frauenkreise beschränkt. Die proletarischen sind dabei nicht direkt interessiert, denn ihnen sind vorläufig diese Studien und die auf Grund derselben zugängigen Stellungen verschlossen. Gleichwohl ist diese Bewegung und ihr Erfolg von allgemeinem Interesse. Einmal handelt es sich um eine prinzipielle Forderung, welche die Stellung der Frau im allgemeinen gegenüber der Männerwelt betrifft, dann soll bewiesen werden, was die Frauen schon gegenwärtig, unter im ganzen für ihre Entwicklung höchst ungünstigen Verhältnissen, zu leisten vermögen. Weiter haben die Frauen ein Interesse, zum Beispiel in Krankheitsfällen von Ärzten ihres Geschlechtes, welchen sie sich ungenierter anvertrauen als männlichen, behandelt zu werden, falls sie dies für notwendig erachten. Für einen großen Teil unserer Frauen sind weibliche Ärzte eine Wohltat, denn der Umstand, daß sie sich in Krankheitsfällen und in ihren so verschiedenartigen, mit dem Geschlechtszweck zusammenhängenden körperlichen Störungen Männern anvertrauen sollen, hindert sie häufig, rechtzeitig oder überhaupt ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Daraus entstehen eine Menge von Unannehmlichkeiten und die schlimmsten Folgen nicht bloß für die Frauen, sondern auch für ihre |296| Männer. Es gibt kaum einen Arzt, der über diese manchmal verbrecherische Zurückhaltung der Frauen und ihre Abneigung, ihre Übel einzugestehen, nicht zu klagen hätte. Das ist begreiflich, unvernünftig ist, daß die Männer, und namentlich auch viele Ärzte, nicht einsehen wollen, wie berechtigt und notwendig deshalb auch das Studium der Medizin für Frauen ist.

Weibliche Ärzte sind keine neue Erscheinung. Bei den meisten alten Völkern, insbesondere auch den alten Deutschen, waren es Frauen, die dem Beruf der Heilpflege oblagen. Ärztinnen und Operateurinnen von großem Rufe gab es im neunten und zehnten Jahrhundert im Araberreich, insbesondere unter der Herrschaft der Araber (Mauren) in Spanien, wo sie an der Universität Cordoba studierten. Dem Einfluß der Mauren war auch das Studium der Frauen auf verschiedenen italienischen Universitäten, wie zu Bologna und Palermo, geschuldet. Als später der "heidnische" Einfluß in Italien schwand, ging man zum Verbot dieser Studien über. So dekretierte 1377 das Universitätskollegium zu Bologna:

"Und weil das Weib das Haupt der Sünde, die Waffe des Teufels, die Ursache der Vertreibung aus dem Paradies und das Verderbnis des alten Gesetzes ist, und weil deswegen jede Unterhaltung mit demselben eifrigst zu vermeiden ist, so untersagen und verbieten wir ausdrücklich, daß irgendeiner sich unterfange, irgendein Weib, und sei dasselbe auch noch so ehrbar, in das genannte Kollegium einzuführen. Und wenn solches einer dennoch tut, so soll er vom Rektor schwer bestraft werden."

Die Zulassung der Frauen zum Studium hat vor allen Dingen den Erfolg, daß die weibliche Konkurrenz sehr vorteilhaft auf den Lerneifer unserer männlichen Jugend wirkt, der viel zu wünschen übrig läßt, wie von den verschiedensten Seiten bestätigt wird. Das allein ist schon ein großer Gewinn. Auch würden dadurch ihre Sitten wesentlich verbessert; die Trunk- und Händelsucht, das Kneipleben unserer studierenden Jugend erhielte einen derben Stoß; an den Stätten, von denen unsere Staatslenker, Richter, Staatsanwälte, höheren Polizeibeamten, Geistlichen und Volksvertreter usw. hauptsächlich ausgehen, würde sich ein Ton einbürgern, der mehr den Aufgaben entspricht, für die sie gegründet wurden und unterhalten werden. Und nach dem einstimmigen Urteil unparteiischer Sachverständiger ist eine Verbesserung dieses Tones dringend geboten.

|297| Die Zahl der Staaten, die Frauen zum Studium auf ihren Universitäten und Hochschulen zulassen, ist in den letzten Jahrzehnten in rascher Zunahme begriffen. Keiner, der Anspruch darauf macht, ein Kulturstaat zu sein, kann sich auf die Dauer diesem Verlangen verschließen. Allen voran gingen die Vereinigten Staaten, ihnen folgte Rußland, zwei Staatswesen, die in jeder Beziehung die schroffsten Gegensätze darstellen. In der Nordamerikanischen Union sind die Frauen in allen Staaten zum Studium zugelassen; in Utah seit 1850, in Iowa seit 1860, in Kansas seit 1866, in Wisconsin seit 1868, in Minnesota seit 1869, in Kalifornien und Missouri seit 1870, in Ohio, Illinois und Nebraska seit 1871, und seitdem folgten alle übrigen Staaten nach. Entsprechend dieser Ausdehnung des Frauenstudiums haben sich in den Vereinigten Staaten auch die Frauen ihre Stellungen erobert. Nach dem Zensus von 1900 gab es 7.399 weibliche Ärzte und Wundärzte, 5.989 Schriftstellerinnen, 1.041 weibliche Architekten, 3.405 weibliche Geistliche, 1.010 weibliche Rechtsanwälte, 327.905 Lehrerinnen.

In Europa war es vorzugsweise die Schweiz, die ihre Universitäten dem Studium der Frauen öffnete. Die Gesamtheit der Studierenden einschließlich der Hörer und Hörerinnen betrug:

Darunter Studentinnen

Einschließlich der Hörerinnen

1896/97

4.181

391

728

1900/01

5.301

854

1.429

1905/06

7.676

1.502

2.757

1906/07

8.521

1.904

3.156

Auf die verschiedenen Fakultäten verteilten sich die Studentinnen im Wintersemester 1906/07: Rechtswissenschaft 75, Medizin 1.181, Philosophie 648. Nach der Nationalität waren 172 Schweizerinnen und 1.732 Ausländerinnen. Die Zahl der studierenden weiblichen Deutschen hat abgenommen, weil diese nunmehr auf den deutschen Universitäten, wenn auch unter gewissen Beschränkungen, zugelassen werden. Im Jahre 1906/07 betrug die Zahl der regelrecht immatrikulierten Studentinnen zirka 30 Prozent aller immatrikulierten Studenten und einschließlich der Hörerinnen 37 Prozent aller Studierenden und Hörer. In England sind die Frauen zu den Universitätsvorlesungen zugelassen, aber in Oxford und Cambridge bleibt ihnen die Zulassung zu den Graden verwehrt. In Frankreich gab es im Jahre |298| 1905 33.168 Studierende, darunter 1.922 Studentinnen (774 Ausländerinnen). Sie verteilten sich folgendermaßen: Rechtswissenschaft 57, Medizin 386, Naturwissenschaften 259, Literatur 838, Sonstige 382. Staaten, in denen die Frauen zum Studium zugelassen werden, sind die Vereinigten Staaten, England, Holland, Belgien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Rußland, Deutschland, Österreich-Ungarn, Italien, Schweiz, Frankreich, Türkei und Australien. Weibliche Ärzte sind zugelassen in Indien, Abessinien, Persien, Marokko, China usw. Insbesondere finden in den orientalischen Staaten weibliche Ärzte immer mehr Boden. Die Beschränkungen, die in diesen Ländern Religion und Sitte der Frau auferlegen, lassen hier weibliche Ärzte als eine große Wohltat erscheinen.

Nach langen Kämpfen und großen Anstrengungen ist endlich auch Deutschland, wenn auch erst zaghaft, in neue Bahnen eingelenkt. Durch Beschluß des Bundesrats vom 24. April 1899 sind den Frauen die medizinischen und zahnärztlichen Prüfungen sowie die Prüfung zum Apothekerberuf unter den gleichen Bedingungen wie den Männern freigegeben. Durch einen zweiten Beschluß des Bundesrats vom 28. Juli 1900 wurden die im Ausland approbierten Ärztinnen im Deutschen Reiche, wenn sie Reichsangehörige sind, zugelassen, auch werden Ärztinnen ihre im Ausland begonnenen Studien angerechnet. Schon vor dem Jahre 1898 war an einzelnen deutschen Universitäten, so in Heidelberg und Göttingen, Frauen das Studium gestattet worden. Im Wintersemester 1901/02 wurden bereits in den Universitätsverzeichnissen 1.270 Hörerinnen aufgeführt. Auch wurden von einer Reihe deutscher Städte Mädchengymnasien und Realgymnasien gegründet, so in Karlsruhe, Stuttgart, Hannover, Königsberg, Hamburg, Frankfurt a.M., Breslau, Berlin, Schöneberg, Mannheim usw. Erst im Frühjahr 1902 war wiederum das Gesuch um Immatrikulation weiblicher Studierender, wenn sie das Reifezeugnis eines deutschen Gymnasiums haben, vom Senat der Berliner Universität abgelehnt worden. Der Widerstand sehr einflußreicher Kreise in Deutschland gegen das Frauenstudium war noch nicht gebrochen. So hielt der preußische Kultusminister im März 1902 im preußischen Landtag eine Rede, in der er unter anderem ausführte: Die Mädchengymnasien seien ein Experiment, das die Unterrichtsverwaltung ablehnen müsse; er fürchte, daß die durch die Natur gegebenen und durch die Kultur entwickelten Unterschiede zwischen Mann und Frau durch den Gym- |299| nasiums- und Universitätsbesuch leiden könnten. Der deutschen Familie müsse die Eigentümlichkeit der deutschen Frau nach Möglichkeiten erhalten werden. Das ist ganz nach der alten Schablone gedacht. Auch ein großer Teil der deutschen Professoren war nach wie vor dem weiblichen Studium abgeneigt, obgleich andere zugaben, daß viele der zum Studium zugelassenen Frauen den an sie gestellten Ansprüchen im vollsten Maße entsprechen, manche sogar in ausgezeichneter Weise. Und wie ein Teil der Studentenschaft - wahrscheinlich die sehr große Mehrheit - über das Frauenstudium dachte, davon legt ein Protest der Klinikerschaft zu Halle aus dem März 1902 Zeugnis ab, den diese zur Unterstützung an die Kliniker Deutschlands veröffentlichte. Nachdem darin auseinandergesetzt worden war, daß die Agitation des Vereins "Frauenbildung - Frauenstudium" in Berlin für Zulassung der Frauen zum medizinischen Studium ihren Protest veranlaßt habe, heißt es: "Nachdem durch diesen Schritt die Frage vor das Forum der Öffentlichkeit gezogen ist, wendet sich die Hallenser Klinikerschaft an die Kreise, für welche die Entscheidung in dieser Frage in erster Linie Interesse und Bedeutung hat, an die Kliniker der deutschen Universitäten, weil sie entweder die erwähnten Unerträglichkeiten aus eigener Erfahrung kennen oder sich doch vorstellen können, welche peinlichen und jeder Schamhaftigkeit spottenden Situationen dieser gemeinsame klinische Unterricht hier und da herbeiführen muß, Situationen, welche zu widerwärtig sind, als daß man sie, ohne Anstoß zu erregen, hier genauer präzisieren könnte. Die medizinische Fakultät der Universität Halle hat als eine der ersten im Deutschen Reiche den Versuch gemacht, Frauen zum medizinischen Studium zuzulassen, und dieser Versuch ist als durchaus mißglückt zu bezeichnen. In den Stätten ehrlichen Strebens ist mit den Frauen der Zynismus eingezogen, und Szenen, für Lehrer und Schüler wie für die Patienten in gleichem Maße anstoßerregend, sind an der Tagesordnung. Hier wird die Emanzipation der Frau zur Kalamität, hier gerät sie mit der Sittlichkeit in Konflikt, und deshalb muß ihr hier ein Riegel vorgeschoben werden. Kollegen! Wer könnte es wagen, angesichts dieser Tatsachen noch Stellung zu nehmen gegen unsere berechtigten Forderungen! Wir fordern die Ausschließung der Frauen vom klinischen Unterricht, weil uns die Erfahrung gelehrt hat, daß ein gemeinsamer klinischer Unterricht der männlichen und weiblichen Zuhörer sich mit dem Interesse eines gründlichen medizinischen Studiums ebensowenig ver- |300| trägt als mit den Grundsätzen der Schicklichkeit und Moral. Die von uns angeregte Frage hat jetzt ihren lokalen Charakter verloren. Schon hat man höheren Ortes von einer definitiven Zulassung der Frauen zum medizinischen Studium etwas verlauten lassen. Ihr alle seid jetzt in gleicher Weise an unserer Sache interessiert, und deshalb fordern wir euch auf: Nehmt Stellung zu dieser Frage und vereinigt euch mit uns zum gemeinsamen Protest."

Dieser "Protest" ist ein schlagender Beweis für die Beschränktheit, aber auch für den Konkurrenzneid der studierenden Kliniker, denn auf diesen sind die moralischen Bedenken zurückzuführen. Was in den meisten Kulturstaaten ohne jeden Schaden für Moral und Schicklichkeitsgefühl der Studierenden, zum Teil seit Jahrzehnten, zulässig ist, sollte für Deutschland eine Gefahr sein. Die deutschen Studenten stehen nicht im Rufe besonderer Tugendboldigkeit und sollten solche Scherze unterlassen.(22) Verschlägt es der Schicklichkeit und Moral nichts, daß Pflegerinnen in Gegenwart der Ärzte allen möglichen Operationen an männlichen und weiblichen Kranken beiwohnen und dabei die ausgiebigste Hilfe leisten, ist es schicklich und moralisch, daß Dutzende junger Männer Studienzwecke halber als Zuschauer am Bette einer Kreißenden oder bei Operationen weiblicher Kranken teilnehmen, dann ist es lächerlich, weiblichen Studenten nicht das gleiche Recht einräumen zu wollen.

Einen ganz anderen Grund wie die Hallenser Kliniker führte der verstorbene Professor Bischoff gegen die Zulassung der Frauen zum medizinischen Studium an, nämlich: die Rohheit der Studenten!, worüber er wohl am besten urteilen konnte. Doch wie immer man sich von seiten beschränkter oder konkurrenzneidischer Männerkreise zum Studium der Frauen stellte, die Frage ist zugunsten des weiblichen Geschlechts entschieden. Am 18. August 1908 erschien ein Erlaß, betreffend die Zulassung der Frauen zum Universitätsstudium in Preußen, das bisher Frauen nur als Hörerinnen zuließ. Die Vorschriften für die Studierenden der Landesuniversitäten finden auf Frauen mit der Maßgabe Anwendung, daß Reichsinländerinnen in einem Falle und Ausländerinnen in allen Fällen zur Immatrikulation der Geneh- |301| migung des Ministers bedürfen.(23) Die Gesamtzahl der im Wintersemester 1908/09 an den deutschen Universitäten immatrikulierten studierenden Frauen betrug 1.077 gegenüber 377 im Sommer 1908 und 254 in 1906. Davon studierten in Berlin 400, in Bonn 69, in Breslau 50, in Erlangen 11, in Freiburg 67, in Gießen 23, in Göttingen 71, in Greifswald 5, in Halle 22, in Heidelberg 109, in Jena 13, in Kiel 2, in Königsberg 17, in Leipzig 44, in Marburg 27, in München 134, in Tübingen 6, in Würzburg 7. Nur an den Universitäten Straßburg, Rostock und Münster ist das noch nicht der Fall. Die Zahl der Hörerinnen betrug im Sommersemester 1908 1.787 und im Wintersemester 1908/09 1.767, davon in Berlin 313, Straßburg 249, Breslau 168, München 131, Bonn 120, Königsberg 116, Leipzig 95, Gießen 93, Göttingen 73, Tübingen 67, Halle 54, Freiburg 50 und in allen anderen weniger als 50. Von den immatrikulierten Frauen studierten Theologie 3, Jurisprudenz 31, Medizin 334, Philosophie 709.

Die Zulassung der Frauen zum Universitätsstudium machte eine durchgreifende Reform des höheren Mädchenschulwesens notwendig. Die Bestimmungen vom 31 . März 1899 hatten eine Schulzeit von neun Jahren für die höhere Mädchenschule als Regel vorgesehen und eine zehnjährige Dauer als Ausnahme hingestellt. Demgegenüber drängte die Entwicklung immer stärker auf die feste Einfügung einer zehnten Klasse in den Lehrplan der höheren Mädchenschule. Während nach der Statistik vom Jahre 1901 unter den 213 öffentlichen höheren Mädchenschulen 90 mit neun und 54 mit zehn aufsteigenden Klassen waren, war im Oktober 1907 die Zahl der neunklassigen Schulen von 90 auf 69 gesunken, die Zahl der zehnklassigen dagegen von 54 auf 132 gestiegen. Und auch unter den privaten höheren Mädchenschulen waren im Oktober 1907 neben 110 neunklassigen schon 138 zehnklassige vorhanden. Es blieb nichts übrig, als dieser tatsächlichen Entwicklung das bürokratische Siegel zu geben und soviel als möglich "die Eigentümlichkeit der deutschen Frau" zu retten. Nach der Reform vom 18. August 1908 soll fortan die höhere Mädchenschule aus zehn aufsteigenden Klassenstufen bestehen. Für "eine Ergänzung ihrer Bildung in der Richtung der künftigen Lebensaufgabe einer deutschen Frau" ist der Aufbau eines zweijährigen oder einjährigen |302| Lyzeums in Aussicht genommen. Und um die Vorbereitung der jungen Mädchen der höheren Stände auch für akademische Berufe zu ermöglichen, sind Studienanstalten geplant, die mit der höheren Mädchenschule unter einer Leitung zu vereinigen sind.

Damit wird ein Experiment, das die Unterrichtsverwaltung noch im März 1902 ablehnte, jetzt von demselben Ministerium nach sechs Jahren, unter dem Drucke der ökonomischen Entwicklung, in einem nationalen Maßstab durchgeführt. Hören wir die offizielle Begründung:

"Die rasche Entwicklung unserer Kultur und die damit gegebene Verschiebung der Gesellschafts-, Erwerbs- und Bildungsverhältnisse der Gegenwart haben es mit sich gebracht, daß gerade in den mittleren und höheren Ständen viele Mädchen unversorgt bleiben und viele für die Gesamtheit wertvolle Frauenkraft brachliegt. Der Überschuß der weiblichen über die männliche Bevölkerung und die zunehmende Ehelosigkeit der Männer in den höheren Ständen zwingen einen größeren Prozentsatz der Mädchen gebildeter Kreise zum Verzicht auf ihren natürlichen Beruf als Gattin und Mutter. Ihnen sind die Wege zu einem ihrer Erziehung angemessenen Berufe zu bahnen, bei den meisten auch zwecks Erwerbung der nötigen Mittel zum Lebensunterhalt, nicht allein in der Oberlehrerinnenlaufbahn, sondern auch in anderen, auf Universitätsstudien begründeten Lebensstellungen, soweit sie für Frauen in Betracht kommen." Man könnte fast glauben, daß man einen Auszug aus meinem Buche lese!

Wie dem auch sei, das Frauenstudium ist nicht mehr rückgängig zu machen. Weibliche Ärzte sind bereits in allen Kulturländern der Erde und sogar in Ländern, die noch nicht als Kulturstaaten gelten, in mehr oder weniger großer Zahl beschäftigt. Der verstorbene Li Hung-chang hatte eine chinesische Ärztin, die im Frauenhospital ihrer Vaterstadt Futschang praktizierte, zu seinem Hausarzt ernannt. Die verstorbene Frau v. Kowalewska, die berühmte Mathematikerin, war von 1889 an bis zu ihrem Tode im Jahre 1891 Professor der Mathematik in Stockholm. Weibliche Professoren gibt es in den Vereinigten Staaten eine große Anzahl, vereinzelt auch in Italien, in der Schweiz, in England, Frankreich, wo die berühmte Physikerin Marie Curie, die mit ihrem Manne die radioaktiven Elemente Radium und Polonium entdeckte, jetzt nach dem Tode ihres Mannes (1906) seine Nachfolgerin an der Universität wurde. Wir sehen Frauen als Ärzte, Zahnärzte, |303| Juristen, Richter, Chemiker, Physiker, Geologen, Botaniker, höhere Lehrerinnen usw. in öffentlichen oder in Privatstellungen tätig, und es ist einzig Sache der Frauen, selbst durch ihre Tätigkeit zu beweisen, daß sie die ihnen anvertrauten Posten ebensogut und gewissenhaft wie die Männer auszufüllen vermögen. Im Sommer 1899 hat sogar die Mehrheit der Wähler im Kanton Zürich bei der Volksabstimmung sich dafür ausgesprochen, Frauen zur Ausübung der Advokatur zuzulassen. Der betreffende Beschluß wurde mit 21.717 gegen 20.046 Stimmen gefaßt. In Amerika sind die Frauen in 34 Staaten als Advokatinnen zugelassen, außerdem in Frankreich, Holland, Schweden, Dänemark, Finnland, Rußland, Kanada und Australien.

Was viele Männer, namentlich auch in gelehrten Kreisen, gegen das Studium der Frauen einnimmt, ist, daß sie dadurch eine Herabwürdigung der Wissenschaft befürchten, deren Ansehen im allgemeinen leiden müsse, wenn sogar auch Frauen wissenschaftliche Studien betreiben könnten. Sie sehen im wissenschaftlichen Studium eine besondere Bevorzugung, das nur für Auserwählte des männlichen Geschlechts zugängig sein solle.

Leider befindet sich unser Universitätswesen wie das gesamte Bildungswesen noch in einer mangelhaften Verfassung. Wie in der Volksschule dem Kinde die kostbarste Zeit geraubt wird, um sein Hirn mit Dingen anzufüllen, die weder mit der Vernunft noch wissenschaftlicher Erkenntnis im Einklang stehen, wie ihm eine Masse Ballast aufgebürdet wird, den es im Leben nicht verwenden kann, der es vielmehr in seinem Fortkommen und seiner Entwicklung hemmt, so auch in unseren höheren Schulen. In den Vorbereitungsanstalten zu den Universitäten wird den Schülern eine Masse trockenen, unbrauchbaren Lehr- und Memorierstoffs eingepaukt, der ihre meiste Zeit, ihre kostbarsten Gehirnkräfte in Anspruch nimmt, und auf der Universität wird meist in derselben Richtung fortgewirkt. Eine Masse von Althergebrachtem, Überlebtem und Überflüssigem wird ihnen neben Nützlichem und Gutem gelehrt. Die einmal geschriebenen Kollegienhefte werden von den meisten Professoren Semester für Semester bis auf die eingestreuten Witze heruntergeleiert. Das hohe Lehramt wird bei vielen zum gewöhnlichen Handwerk, und für die Lernenden bedarf es keines Scharfsinns, das herauszufühlen. Auch sorgen die überkommenen Begriffe vom Universitätsleben dafür, daß die jungen Leute die Studienjahre nicht zu ernst nehmen, und mancher, der sie |304| ernst nehmen will, wird durch die pedantische und ungenießbare Lehrweise vieler Professoren abgeschreckt. Die Abnahme des Lern- und Studieneifers ist eine auf unseren Universitäten und höheren Schulen allgemein beobachtete Tatsache, die selbst in maßgebenden Kreisen Bedenken erweckt. Damit steht in engster Beziehung das Streber- und Gönnertum, das in unserer charakterarmen Zeit die größten Fortschritte macht und die Hochschulen immer mehr überwuchert. Gute Familienbeziehungen, "gute Gesinnung" treten an Stelle des Wissens und Könnens und machen sich breit; ein Patriot zu sein, das heißt ein Mann, der keine eigene Meinung hat, sondern sich sorgsam nach oben richtet, sieht, wie dort der Wind weht, und kriecht und sich schmiegt, gilt mehr als ein Charakter und ein Mann von Können und Wissen. Kommt für diese Streber die Examenszeit, so wird rasch in ein paar Monaten eingepaukt, was unumgänglich notwendig erscheint, um notdürftig bestehen zu können. Ist schließlich das Examen glücklich vorüber und eine amtliche oder berufliche Stellung erlangt, so arbeiten die meisten dieser Studierten nur rein mechanisch und handwerksmäßig fort, sie nehmen es aber sehr übel, wenn ein "Nichtstudierter" ihnen nicht mit der größten Hochachtung begegnet und sie nicht als eine höhere Menschenrasse ansieht und behandelt. Die Mehrzahl der Angehörigen unserer höheren Berufe, der Rechtsanwälte, Richter, Mediziner, Professoren, Beamten, Künstler usw., sind nichts als Handwerker in ihrem Fache, die froh sind, an der Krippe zu stehen. Nur der strebsame Mann entdeckt später erst, wieviel Unnützes er gelernt, oft gerade das nicht lernte, was er am nötigsten braucht, und fängt nun erst an zu lernen. Während des besten Teils seines Lebens hat man ihn mit viel Unnützem oder Schädlichem gequält; einen zweiten Teil des Lebens braucht er, um das Unnütze und Schädliche abzustreifen und sich zur Höhe der Zeitanschauung durchzuarbeiten, und nun erst kann er ein nützliches Glied der Gesellschaft werden. Viele kommen über das erste Stadium nicht hinaus, andere bleiben im zweiten stecken, und wenige haben die Energie, sich zum dritten emporzuarbeiten.

Aber das Dekorum erfordert, daß der mittelalterliche Plunder und der unnütze Lernstoff beibehalten bleibe, und da bisher die Frauen, infolge ihres Geschlechts, von vornherein von den Vorschulen und Präparieranstalten ausgeschlossen waren und vielfach noch sind, so bildet dieser Umstand den bequemen Vorwand, ihnen die Türen zum |305| Hörsaal zu verschließen. In Leipzig machte in den siebziger Jahren einer der berühmtesten Professoren der Medizin einer Dame gegenüber unverhohlen das Geständnis: "Die Gymnasialbildung ist zwar nicht notwendig zum Verständnis der Medizin, aber man muß sie zur Vorbedingung des Eintritts machen, damit das Ansehen der Wissenschaft nicht leidet."

Allmählich machte sich auch in Deutschland die Opposition gegen die Notwendigkeit der klassischen Bildung für das Studium der Medizin bemerkbar. Die ungeheuren Fortschritte in den Naturwissenschaften und ihre Bedeutung für das gesamte Leben bedingen das Einweihen in dieselben; die gymnasiale Erziehung mit ihrer Bevorzugung der klassischen Sprachen, Griechisch und Latein, betrachtet aber die Naturwissenschaften als minderwertig und vernachlässigt sie, und so kommt es, daß die angehenden Studenten häufig nicht die nötigen naturwissenschaftlichen Vorkenntnisse besitzen, die für gewisse Studienfächer, wie zum Beispiel die Medizin, von entscheidender Bedeutung sind.

Gegen diese einseitige Art der Bildung hat sich endlich die Opposition selbst in den Lehrerkreisen erhoben. Im Ausland, zum Beispiel in der Schweiz, hat man längst dem naturwissenschaftlichen Studium das Hauptgewicht beigelegt und läßt jeden, auch ohne die sogenannte klassische Vorbildung, zum Studium der Medizin zu, der ausreichende Vorkenntnisse in den Naturwissenschaften und der Mathematik besitzt.

Im gleichen Sinne handelt man in Rußland, in den Vereinigten Staaten usw.

In Rußland, in dem die Verfolgung und Rechtloshaltung der Juden zu den Staatsmaximen gehört, ist durch einen kaiserlichen Ukas vom Jahre 1897 vorgeschrieben worden, daß in das damals neu zu eröffnende medizinische Fraueninstitut nur 5 Prozent Hörerinnen nichtchristlicher Konfession aufgenommen werden dürfen. Und zwar sollen von diesen nur 3 Prozent von Jüdinnen gestellt werden dürfen, während die übrigen 2 Prozent Hörerinnen muselmännischer Abstammung vorbehalten bleiben sollen. Das ist einer der Rückschritte, die in Rußland an der Tagesordnung sind. Die russische Regierung hätte um so weniger Ursache zu solchen Bestimmungen, weil es einesteils in dem ungeheuren Reiche noch sehr an Ärzten fehlt und andererseits die russischen Ärztinnen ohne Unterschied des Religionsbekenntnisses |306| oder der Abstammung sich das Zeugnis größter Aufopferung in ihrem Beruf erworben haben. So teilt Prof. Dr. Erismann, der viele Jahre in Rußland tätig war, in einem Vortrag, den er auf der 54. Versammlung des ärztlichen Zentralvereins in Olten hielt, folgendes mit: "Sehr günstige Erfahrungen hatte man in diesen ersten Jahren auch in bezug auf die Tätigkeit der weiblichen Ärzte gemacht. Dieselben verstanden es von Anfang an, sich das Zutrauen der Bevölkerung zu erwerben; in dem edlen Wettstreit mit ihren männlichen Kollegen trugen sie sogar den Sieg davon; es stellte sich bald heraus, daß auf jeden weiblichen Arzt im Jahresdurchschnitt mehr Patienten kamen als auf die männlichen Ärzte, obgleich auch die letzteren mit großer Hingabe und Selbstaufopferung ihres Amtes walteten, namentlich wandten sich die kranken Frauen massenhaft um ärztlichen Beistand an die weiblichen Äskulapen."(24)

Auf der anderen Seite hat sich die von der interessierten Männerwelt vielfach befürchtete Konkurrenz der Frauen, namentlich bei der ärztlichen Praxis, nirgends nachteilig bemerkbar gemacht. Einmal scheint es, daß weibliche Ärzte einen Patientenkreis aus ihrem eigenen Geschlecht erhalten, der selten und nur im äußersten Notfall einen männlichen Arzt zu Rate zieht, dann aber hat sich auch die Tatsache herausgestellt, daß ein erheblicher Teil der Frauen, die sich dem Studium widmeten, sobald sie später in die Ehe traten, entweder eine Praxis überhaupt nicht eröffneten oder sie in kurzer Zeit aufgaben. Es zeigt sich, daß die in der bürgerlichen Welt an die Ehefrau gestellten häuslichen Pflichten, namentlich wenn auch noch Kinder in Betracht kommen, so große sind, daß es vielen Frauen unmöglich ist, zwei Herren zugleich zu dienen. Insbesondere muß die Ärztin jede Stunde, bei Tag und bei Nacht, für die Ausübung ihres Berufs bereit sein. Und das ist nicht vielen möglich.(25)

|307| Nachdem England (26) nebst den Vereinigten Staaten und Frankreich damit vorangegangen waren, Frauen auch für die Gewerbeinspektion zu verwenden, wofür das Bedürfnis um so größer ist, da, wie gezeigt, die Zahl der Arbeiterinnen mit jedem Jahre wächst und auch die Zahl der Betriebe sich vermehrt, in denen Arbeiterinnen ausschließlich oder überwiegend beschäftigt werden, sind auch eine Reihe deutscher Staaten diesem Beispiel gefolgt. Baden, Bayern, Hessen, das Königreich Sachsen, Weimar, Württemberg usw. haben weibliche Hilfsbeamte den Gewerbeinspektoren beigegeben, und einige derselben haben sich bereits durch ihre Tätigkeit große Anerkennung erworben. In Preußen stehen der Gewerbeaufsicht zur Verfügung in Berlin drei Beamtinnen, in Düsseldorf, Breslau und Wiesbaden je eine. Diese Tatsache beweist, daß Preußen auch in dieser Beziehung sehr weit hinter dem zurückgeblieben ist, was unbedingt notwendig wäre. Gibt es doch keine einzige weibliche Hilfskraft selbst in Bezirken wie Potsdam (mit 32.229 Arbeiterinnen), Frankfurt a.O. (mit 31.971) und Liegnitz (mit 31.798) und anderen mehr, wo sie unbedingt notwendig sind. Es zeigt sich auch hier, daß die Arbeiterin zu einer Vertreterin ihres Geschlechts größeres Vertrauen besitzt und die weiblichen Inspektionsbeamten manche Aufschlüsse erhalten, die ihren männlichen Kollegen versagt bleiben. Ein Mangel der Einrichtung ist noch, daß diese Hilfsbeamten nicht überall die selbständige Stellung besitzen, die für ihre Tätigkeit notwendig ist, und auch die Bezahlung läßt zu wünschen übrig. Man ging seitens der meisten Regierungen nur tastend und zagend mit der neuen Einrichtung vor.(27)

In Deutschland ist das Mißtrauen und die Konkurrenzfeindschaft gegen die Anwendung von Frauen in öffentlichen Berufsstellungen besonders stark, weil der Militärstand alljährlich so viele ausrangierte Offiziere und ausgediente Unteroffiziere zu Anwärtern für alle möglichen Stellungen im Staats- und Gemeindedienst schafft, daß für Arbeitskräfte aus anderen Kreisen kaum Platz vorhanden ist. Stellt man |308| aber dennoch Frauen an, so nur mit erheblich geringerem Gehalt, wodurch sie von vornherein der mißgünstigen Männerwelt einmal als unterwertig, dann aber auch als Lohn- und Gehaltsdrücker erscheinen.

Die Vielseitigkeit weiblicher Befähigung kam besonders auf der Weltausstellung zu Chikago im Jahre 1895 zur Geltung. Nicht nur war der Prachtbau für die Ausstellung für weibliche Kunst- und Gewerbeerzeugnisse von weiblichen Architekten erstellt worden, auch die Ausstellungserzeugnisse, die nur von Frauen herrührten, wurden vielfach wegen ihres Geschmacks und ihrer künstlerischen Ausführung bewundert. Auch auf dem Gebiet der Erfindungen haben die Frauen schon Erkleckliches geleistet und werden in Zukunft mehr leisten. So veröffentlichte ein amerikanisches Fachblatt eine Liste von Erfindungen, die Frauen zu Urhebern haben, die sich auf folgende Gegenstände beziehen: eine verbesserte Spinnmaschine; ein rotierender Webstuhl (rotary loom), der dreimal soviel leistet als ein gewöhnlicher; ein Kettenelevator; eine Kurbel für Schraubendampfer; ein Rettungsapparat für Feuersgefahr; ein Apparat zum Wiegen der Wolle, eine der empfindlichsten Maschinen, die je erfunden wurden und von unschätzbarem Werte für die Wollindustrie; ein tragbares Wasserreservoir zum Löschen von Schadenfeuern; ein Verfahren zur Anwendung von Petroleum an Stelle von Holz und Kohlen als Brennmaterial bei Dampfmaschinen; ein verbesserter Funkenfänger für Lokomotiven; ein Signal für Straßenübersetzungen an Eisenbahnen; ein System der Waggonheizung ohne Feuer; ein ölender Filz (lubricating felt) zur Verminderung der Reibung (im Eisenbahnbetrieb); eine Schreibmaschine; eine Signalrakete für die Marine; ein Tiefseeteleskop: ein System zur Dämpfung des Lärms bei Hochbahnen; Rauchverzehrer; eine Maschine zum Falzen von Papiersäcken usw. Namentlich sind viele Verbesserungen an Nähmaschinen von Frauen gemacht worden, so zum Beispiel ein Behelf zum Nähen von Segeln und schweren Tüchern, ein Apparat zum Einfädeln während des Ganges der Maschine, eine Verbesserung der Maschine zum Nähen von Leder usw. Letztere Erfindung ist von einer Frau gemacht, die seit Jahren eine Sattlerei in New York betreibt. Das Tiefseeteleskop, erfunden von Frau Mather und verbessert von deren Tochter, ist eine Erfindung von höchster Wichtigkeit, indem sie es ermöglicht, den Kiel des größten Schiffes zu besichten, ohne daß dieses in das Trockendock gebracht werden muß. Mit Hilfe dieses Fernrohrs kann man vom Schiffsbord |309| aus versunkene Wracks besichtigen, Schiffahrtshindernisse und Torpedos aufsuchen usw.

Zu den Maschinen, die wegen ihrer außerordentlichen Kompliziertheit und genialen Konstruktion in Amerika wie in Europa Aufsehen erregten, ist eine zur Fabrikation von Papiersäcken zu zählen. Viele Männer, darunter hervorragende Mechaniker, hatten bisher ohne Erfolg eine solche Maschine herzustellen versucht. Eine Frau, Miß Maggi Knight, erfand dieselbe; seitdem hat die Dame wieder eine Maschine zum Falzen von Papiersäcken konstruiert, welche die Arbeit von dreißig Personen verrichtet; sie selbst leitete die Aufstellung dieser Maschine zu Amherst in Massachusetts.


Fußnoten von August Bebel

(1) Das Ureigentum. Kapitel 20, Hausgemeinschaft, Leipzig 1879. <=

(2) Bau und Leben des sozialen Körpers. 1. Band. Tübingen 1878. <=

(3) Dr. Havelock Ellis, Mann und Weib. Autorisierte deutsche Ausgabe von Dr. Hans Kurella. S. 201. Leipzig 1894, Georg H. Wigands Verlag. <=

(4) Es wiegt im Durchschnitt nach

männliches Gehirn

weibliches Gehirn

Bischoff (Bayern)

1.362

1.219

Boyd (England)

1.325

1.183

Marchand (Hessen)

1.399

1.248

Retzius (Schweden)

1.588

1.252

<=

(5) "Geniale Männer sind in der Regel von kleiner Statur und massigem Gehirn, das sind auch die beiden Hauptmerkmale des Kindes, und ihr allgemeiner Gesichtsausdruck wie ihr Temperament erinnern an das Kind." Havelock Eilis, Mann und Weib. S. 392. 1894. <=

(6) J. Blakeman, Alice Lee und K. Pearson, A Study of the biometric constants of english Brainweights. Biometrika 1905. Vol. IV. <=

(7) Privatdozent Dr. Otto Grosser, Der Körperbau des Weibes in "Mann und Weib". Herausgegeben von Professor Dr. Koßmann in Berlin und Dr. S. Waliß in Wien. S. 40. Stuttgart 1907. <=

(8) Nach fünf verschiedenen Autoren 838, 864, 878, 883, 897. Für Preußen (Kupfer) 918, für Bayern (Rause) 893. <=

(9) Raymond Pearl, Variation or Correlation in brainweight. Biometrika. Vol. IV, June 1905, S. 83. <=

(10) W. Duckworth, Morphology and Anthropology, S. 421 bis 422. Cambridge 1904. <=

(11) Kohlbrügge, Untersuchungen über Großhirnfurchen der Menschenrassen. Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie. 1. Band, 3. Heft, S. 598. Stuttgart 1908. <=

(12) L. Stieda, Das Gehirn eines Sprachkundigen. Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie 1907. 11, Band, 1. Heft, S. 135. <=

(13) Duckworth, a.a.O., S. 422. <=

(14) K. Pearson, Variation in Man and Woman in Chances of death. 1. Band, S. 376. London 1897. <=

(15) Die neuere Schöpfungsgeschichte. <=

(16) Belege hierfür gibt, wie schon erwähnt, Dr. Havelock Ellis in seinem mehrfach zitierten Buche. Danach ist die Frau bei vielen wilden und halbwilden Völkerschaften an physischer Kraft und Körpergröße dem Manne nicht nur gleich, sondern zum Teil überlegen. Dagegen stimmt Ellis auch darin mit anderen überein, daß infolge unserer Kulturentwicklung sich der Unterschied in dem Schädelinhalt beider Geschlechter fortschreitend gesteigert habe. <=

(17) "Die Halle der Wissenschaft ist der Tempel der Demokratie." Buckle, Geschichte der Zivilisation in England. 2. Band, 2, Teil, 4. Auflage. Übersetzt von A. Ruge. Leipzig und Heidelberg 1870. <=

(18) Ziegler, a.a.O., S. 11 und 12, bestreitet, daß dies der Sinn der Virchowschen Ausführungen sei. Aber seine eigene Angabe der Ausführungen Virchows bestätigt es. Virchow sagte: "Man stellen Sie sich einmal vor, wie sich die Deszendenztheorie heute schon im Kopfe eines Sozialisten darstellt! (Heiterkeit.) Ja, meine Herren, das mag manchem lächerlich erscheinen, aber es ist sehr ernst, und ich will hoffen, daß die Deszendenztheorie für uns nicht alle die Schrecken bringen möge, die ähnliche Theorien wirklich im Nachbarlande angerichtet haben. Immerhin hat auch diese Theorie, wenn sie konsequent durchgeführt wird, ihre ungemein bedenkliche Seite, und daß der Sozialismus mit ihr Fühlung genommen hat, wird Ihnen hoffentlich nicht entgangen sein. Wir müssen uns das ganz klarmachen." Nun, wir haben getan, was Virchow fürchtete, wir haben die Konsequenzen der Darwinschen Theorien gezogen, die Darwin selbst und ein großer Teil seiner Anhänger entweder nicht oder falsch gezogen haben. Und Virchow warnt vor der Bedenklichkeit dieser Lehren, weil er voraussah, daß der Sozialismus Konsequenzen daraus ziehen werde und müsse, die in denselben liegen. <=

(19) Du Bois-Reymond hat, mit Hinweis auf frühere Angriffe gegen ihn, den zitierten Satz im Februar 1883, bei der Geburtstagsfeier Friedrichs des Großen, wiederholt. <=

(20) Aus der Feder des Professors Enrico Ferri rührt eine Schrift, betitelt "Sozialismus und moderne Wissenschaft, Darwin-Spencer-Marx" (übersetzt und ergänzt von Dr. Hans Kurella. Leipzig 1895, Georg H. Wigands Verlag), in welcher er speziell Haeckel gegenüber nachweist, daß Darwinismus und Sozialismus in vollkommener Harmonie sich befinden und es ein Grundirrtum Haeckels ist - wie er das bis in die neueste Zeit getan -, den Darwinismus als aristokratisch zu charakterisieren. Wir sind mit Ferris Schrift nicht allenthalben einverstanden und teilen insbesondere nicht seinen Standpunkt in Beurteilung der Eigenschaften der Frau, indem er wesentlich auf dem Standpunkt von Lombroso und Ferrero steht. Ellis hat in seinem "Mann und Weib" nachgewiesen, daß, wenn die Eigenschaften von Mann und Frau verschiedenartige sind, sie doch gleichwertige seien - eine Bestätigung des Kantschen Ausspruchs, daß Mann und Frau zusammen erst den Menschen bilden. Nichtsdestoweniger kommt die Ferrische Schrift ganz apropos, nur hätte sich ihr Übersetzer ersparen können, in einer Note auf S. 10 bei der Erwähnung Zieglers "von den leichtfertigen Behauptungen Bebels" zu sprechen. Diese "Leichtfertigkeit" nachzuweisen, dürfte Herrn Kurella schwerfallen, und recht leichtfertig angebracht ist diese Note bei Sätzen Ferris, mit welchen wir vollkommen übereinstimmen. <=

(21) Professor Haeckel veröffentlichte in Nr. 8 der "Zukunft" (Berlin 1895) einen Artikel über die dem Reichstag vorliegende Umsturzvorlage, an dessen Schluß er unter anderem bemerkt: "Ich bin gewiß kein Freund des Herrn Bebel, der mich wiederholt angegriffen und unter anderem in seinem Buche über die Frau geradezu verleumdet hat." Der Vorwurf, den Herr Haechel mir hier macht, ist der stärkste, den man jemand machen kann, er bedeutet - was Professor Haeckel nicht zu wissen scheint -, man habe wider besseres Wissen Angriffe gemacht. Ich bin mir nicht bewußt, das getan zu haben, und muß abwarten, daß Professor Haeckel seine Behauptung beweist; solange er das nicht tut, weise ich sie als leichtfertig zurück.

Der Verfasser <=

(22) Eine von Blaschko zusammengestellte Statistik gibt folgende Auskunft über die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten in den einzelnen Berufsarten. Zuerst kommen die geheim Prostituierten mit 30 Prozent, dann folgen die Studenten mit 25 Prozent, Kaufleute mit 16 und Arbeiter mit 9 Prozent. <=

(23) Aus besonderen Gründen können mit Genehmigung des Ministers Frauen von der Teilnahme an einzelnen Vorlesungen ausgeschlossen werden. <=

(24) "Die Organisation der unentgeltlichen polyklinischen Krankenpflege in den großen Städten Rußlands. (St. Petersburg und Moskau.)" Deutsche Vierteljahresschrift für öffentliche Gesundheitspflege. Braunschweig. <=

(25) Über die Schwierigkeiten, die es für Frauen hat, die eine Familie besitzen und zugleich eine erwerbende Stellung ausfüllen wollen beziehungsweise müssen, enthält das Buch von Adele Gerhard und Helene Simon "Mutterschaft und geistige Arbeit" (Berlin 1901, Georg Reimer) eine Fülle interessanten Materials. Es sind Schriftstellerinnen, Künstlerinnen, Sängerinnen, Schauspielerinnen usw., die darin zu Worte kommen und auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen ihre Urteile abgeben. Und diese Urteile sprechen dafür, daß die Gesellschaft ihre sozialen Beziehungen erst von Grund aus umgestalten muß, soll die große Fülle weiblicher Intelligenz, die vorhanden ist und nach Betätigung ringt, zur vollen Betätigung kommen, was im höchsten Interesse der Gesellschaft selbst liegt. <=

(26) Nach dem letzten Bericht für 1908 gibt es in England 16 weibliche Gewerbeinspektoren, darunter Miß A. M. Anderson als Chef und 15 Gehilfinnen. <=

(27) Von 1897, als in Bayern die erste Fabrikinspektorin ernannt wurde, stieg bis 1909 die Zahl der weiblichen Beamten auf 26. Vierzehn Bundesstaaten stellten überhaupt noch keine an. <=