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Wladimir Iljitsch Lenin

Ukraine

28.06.1917

Seitenzahlen in diesem Text beziehen sich auf die Veröffentlichung in Lenin Werke, Band 25.
Hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Dietz-Verlag Berlin, 1981. S. 81-82

Das Fiasko der Politik der neuen Provisorischen Regierung, der Koalitionsregierung, zeichnet sich immer klarer ab. Die von der Ukrainischen Zentralrada erlassene und am 11. Juni 1917 vom Gesamtukrainischen Armeekongreß angenommene „Universalakte“ über die staatliche Ordnung der Ukraine entlarvt diese Regierungspolitik und ist ein dokumentarisches Zeugnis ihres Fiaskos.

„Ohne sich vom übrigen Rußland zu trennen, ohne sich vom Russischen Reich loszureißen“, heißt es in dieser Akte, „soll das ukrainische Volk das Recht haben, in seinem Lande sein Leben selbst zu gestalten… Alle Gesetze, die hier, in der Ukraine, die innere Ordnung regeln, kann nur unsere ukrainische Nationalversammlung erlassen; die Gesetze jedoch, die die Staatsordnung des Russischen Reiches in seiner Gesamtheit bestimmen, müssen von einem gesamtrussischen Parlament erlassen werden.“

Das sind völlig klare Worte. Hier wird ganz eindeutig erklärt, daß sich das ukrainische Volk zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht von Rußland loslösen will. Es verlangt Autonomie, bestreitet aber keineswegs die Notwendigkeit eines „gesamtrussischen Parlaments“ und dessen übergeordnete Gewalt. Kein Demokrat, geschweige denn ein Sozialist, wird es wagen, die völlige Berechtigung der ukrainischen Forderungen in Abrede zu stellen. Es kann auch kein Demokrat das Recht der Ukraine auf freie Lostrennung von Rußland bestreiten: Allein die vorbehaltlose Anerkennung dieses Rechts schafft erst die Möglichkeit, für den freien Bund der Ukrainer und Großrussen, für die freiwillige Vereinigung der beiden Völker zu einem Staat zu agitieren. Allein die vorbehaltlose Anerkennung dieses Rechts kann wirklich, unwiderruflich und endgültig mit der <82verfluchten zaristischen Vergangenheit brechen, die alles getan hat, um die ihrer Sprache, ihrem Wohnsitz, ihrem Charakter und ihrer Geschichte nach so nahe verwandten Völker einander zu entfremden. Der verfluchte Zarismus machte die Großrussen zu Henkern des ukrainischen Volkes und nährte in diesem Volk mit allen Mitteln den Haß gegen diejenigen, die selbst den ukrainischen Kindem,verboten, ihre Muttersprache zu sprechen, in ihrer Muttersprache zu lernen.

Die revolutionäre Demokratie Rußlands muß, wenn sie wirklich revolutionär, wirklich demokratisch sein will, mit dieser Vergangenheit Schluß machen, sie muß sich, den Arbeitern und Bauern Rußlands, das brüderliche Vertrauen der Arbeiter und Bauern der Ukraine wiedererringen. Das läßt sich nicht erreichen ohne die vollständige Anerkennung der Rechte der Ukraine, auch des Rechts auf freie Lostrennung.

Wir sind keine Anhänger der Kleinstaaterei. Wir sind für das engste Bündnis der Arbeiter aller Länder gegen die Kapitalisten der „eigenen“ sowie aller Länder überhaupt. Aber gerade damit dieses Bündnis ein freiwilliges sei, tritt der russische Arbeiter, ohne auch nur einen Augenblick lang der russischen oder der ukrainischen Bourgeoisie das geringste Vertrauen zu schenken, jetzt für das Recht der Ukrainer auf Lostrennung ein, wobei er ihnen seine Freundschaft nicht aufzwingt, sondern diese Freundschaft dadurch erringt, daß er sie als Gleichberechtigte, als Bundesgenossen und Brüder im Kampf für den Sozialismus behandelt.

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Die Zeitung der erbosten, vor Wut halb verrückt gewordenen bürgerlichen Konterrevolutionäre, die „Retsch“, fällt wütend über die Ukrainer her wegen ihrer „eigenmächtigen“ Entscheidung. „Das Vorgehen der Ukrainer“ sei eine „offenkundige Verletzung des Gesetzes“ und müsse „sofort mit aller gesetzlichen Strenge geahndet werden“. Jeder Kommentar zu diesem Ausfall der rasend gewordenen bürgerlichen Konterrevolutionäre ist überflüssig. Nieder mit den Konterrevolutionären der Bourgeoisie! Es lebe das freie Bündnis der freien Bauern und Arbeiter der freien Ukraine mit den Arbeitern und Bauern des revolutionären Rußlands!

Nach dem Text der „Prawda“.

.Prawda" Nr. 82. vom 28. (15.) Juni 1917.