MLWerke | 1842 | Marx/Engels

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 1. Berlin/DDR. 1976. S. 109-147.
1,5. Korrektur
Erstellt am 30.08.1999

Karl Marx

Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz

Von einen Rheinländer

[»Rheinische Zeitung« Nr. 298 vom 25. Oktober 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 300 vom 27. Oktober 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 303 vom 30. Oktober 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 305 vom 1. November 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 307 vom 3. November 1842]


[»Rheinische Zeitung« Nr. 300 vom 27. Oktober 1842]

|116|*** Die vornehmen Gewohnheitsrechte sträuben sich durch ihren Inhalt wider die Form des allgemeinen Gesetzes. Sie können nicht in Gesetze geformt werden, weil sie Formationen der Gesetzlosigkeit sind. Indem diese Gewohnheitsrechte durch ihren Inhalt der Form des Gesetzes, der Allgemeinheit und Notwendigkeit widerstreben, beweisen sie eben dadurch, daß sie Gewohnheitsunrechte und nicht im Gegensatz gegen das Gesetz geltend zu machen, sondern als Gegensatz gegen dasselbe zu abrogieren und selbst nach Gelegenheit zu bestrafen sind, denn keiner hört auf, unrechtlich zu handeln, weil diese Handlungsweise seine Gewohnheit ist, wie man den räuberischen Sohn eines Räubers nicht mit seinen Familien-Idiosynkrasien entschuldigt. Handelt ein Mensch mit Absicht wider das Recht, so strafe man seine Absicht, wenn aus Gewohnheit, so strafe man seine Gewohnheit als eine schlechte Gewohnheit. Das vernünftige Gewohnheitsrecht ist in der Zeit allgemeiner Gesetze nichts anders als die Gewohnheit des gesetzlichen Rechts, denn das Recht hat nicht aufgehört, Gewohnheit zu sein, weil es sich als Gesetz konstituiert hat, aber es hat aufgehört, nur Gewohnheit zu sein. Dem Rechtlichen wird es zu seiner eigenen Gewohnheit, gegen den Unrechtlichen wird es durchgesetzt, obgleich es nicht seine Gewohnheit ist. Das Recht hängt nicht mehr von dem Zufall ab, ob die Gewohnheit vernünftig, sondern die Gewohnheit wird vernünftig, weil das Recht gesetzlich, weil die Gewohnheit zur Staatsgewohnheit geworden ist.

Das Gewohnheitsrecht als eine aparte Domäne neben dem gesetzlichen Recht ist daher nur da vernünftig, wo das Recht neben und außer dem Gesetz existiert, wo die Gewohnheit die Antizipation eines gesetzlichen Rechts ist. Von Gewohnheitsrechten der privilegierten Stände kann daher gar nicht gesprochen werden. Sie haben im Gesetz nicht nur die Anerkennung ihres vernünftigen Rechts, sondern oft sogar die Anerkennung ihrer unvernünftigen Anmaßungen gefunden. Sie haben kein Recht, gegen das Gesetz zu antizipieren, |117| denn das Gesetz hat alle möglichen Konsequenzen ihres Rechts antizipiert. Sie werden daher auch nur verlangt als Domänen für die menus plaisirs |kleine Vergnügungen (die mit Nebenausgaben verbunden sind)|, damit derselbe Inhalt, der im Gesetz nach seinen vernünftigen Grenzen behandelt ist, in der Gewohnheit einen Spielraum für die Grillen und Anmaßungen wider seine vernünftigen Grenzen finde.

Wenn aber diese vornehmen Gewohnheitsrechte Gewohnheiten wider den Begriff des vernünftigen Rechts, so sind die Gewohnheitsrechte der Armut Rechte wider die Gewohnheit des positiven Rechts. Ihr Inhalt sträubt sich nicht gegen die gesetzliche Form, er sträubt sich vielmehr gegen seine eigene Formlosigkeit. Die Form des Gesetzes steht ihm nicht gegenüber, sondern er hat sie noch nicht erreicht. Es bedarf nur weniger Reflexionen, um einzusehen, wie einseitig die aufgeklärten Gesetzgebungen die Gewohnheitsrechte der Armut, als deren ergiebigste Quelle man die verschiedenen germanischen Rechte betrachten kann, behandelt haben und behandeln mußten.

Die liberalsten Gesetzgebungen haben sich in privatrechtlicher Hinsicht darauf beschränkt, die Rechte, welche sie vorfanden, zu formulieren und ins Allgemeine zu erheben. Wo sie keine Rechte vorfanden, gaben sie keine. Die partikularen Gewohnheiten schafften sie ab, aber sie vergaßen dabei, daß, wenn das Unrecht der Stände in der Form willkürlicher Anmaßung, das Recht der Standeslosen in der Form zufälliger Konzessionen erschien. Ihr Verfahren war richtig gegen die, welche Gewohnheiten außer dem Recht, aber es war unrichtig gegen die, welche Gewohnheiten ohne das Recht hatten. Wie sie die willkürlichen Anmaßungen, soweit ein vernünftiger Rechtsinhalt in ihnen zu finden, in gesetzliche Ansprüche, so hätten sie auch die zufälligen Konzessionen in notwendige verwandeln müssen. Wir können an einem Beispiel, an den Klöstern, dies klarmachen. Man hat die Klöster aufgehoben, man hat ihr Eigentum säkularisiert, und man hat recht daran getan. Man hat aber die zufällige Unterstützung, welche die Armen in den Klöstern fanden, keineswegs in eine andere positive Besitzquelle verwandelt. Indem man das Klostereigentum zum Privateigentum machte und etwa die Klöster entschädigte, hat man nicht die Armen entschädigt, die von den Klöstern lebten. Man hat ihnen vielmehr eine neue Grenze gezogen und sie von einem alten Recht abgeschnitten. Dies fand bei allen Verwandlungen der Vorrechte in Rechte statt. Eine positive Seite dieser Mißbräuche, welche insofern auch ein Mißbrauch war, als sie das Recht der einen Seite zu einem Zufall machte, hat man nicht so entfernt, daß man den Zufall in eine Notwendigkeit umschuf, sondern so, daß man von ihm abstrahierte.

|118| Die Einseitigkeit dieser Gesetzgebungen war eine notwendige, denn alle Gewohnheitsrechte der Armen basierten darauf, daß gewisses Eigentum einen schwankenden Charakter trug, der es nicht entschieden zum Privateigentum, aber auch nicht entschieden zum Gemeineigentum stempelte, eine Mischung von Privatrecht und öffentlichem Recht, wie sie uns in allen Institutionen des Mittelalters begegnet. Das Organ, mit welchem die Gesetzgebungen solche zweideutigen Gestaltungen auffaßten, war der Verstand, und der Verstand ist nicht nur einseitig, sondern es ist sein wesentliches Geschäft, die Welt einseitig zu machen, eine große und bewunderungswürdige Arbeit, denn nur die Einseitigkeit formiert und reißt das Besondere aus dem unorganischen Schleim des Ganzen. Der Charakter der Dinge ist ein Produkt des Verstandes. Jedes Ding muß sich isolieren und isoliert werden, um etwas zu sein. Indem der Verstand jeden Inhalt der Welt in eine feste Bestimmtheit bannt und das flüssige Wesen gleichsam versteinert, bringt er die Mannigfaltigkeit der Welt hervor, denn die Welt wäre nicht vielseitig ohne die vielen Einseitigkeiten.

Der Verstand hob also die zwitterhaften, schwankenden Formationen des Eigentums auf, indem er die vorhandenen Kategorien des abstrakten Privatrechts, deren Schema sich im römischen Recht vorfand, anwandte. Um so mehr glaubte der gesetzgebende Verstand berechtigt zu sein, die Verpflichtungen dieses schwankenden Eigentums gegen die ärmere Klasse aufzuheben, als er auch seine staatlichen Privilegien aufhob; allein er vergaß, daß, selbst rein privatrechtlich betrachtet, hier ein doppeltes Privatrecht vorlag, ein Privatrecht des Besitzers und ein Privatrecht des Nichtbesitzers, abgesehen davon, daß keine Gesetzgebung die staatsrechtlichen Privilegien des Eigentums abgeschafft, sondern sie nur ihres abenteuerlichen Charakters entkleidet und ihnen einen bürgerlichen Charakter erteilt hat. Wenn aber jede mittelalterliche Gestalt des Rechts, also auch das Eigentum, von allen Seiten zwitterartigen, dualistischen, zwiespältigen Wesens war und der Verstand seinen Grundsatz der Einheit gegen diesen Widerspruch der Bestimmung mit Recht geltend machte, so übersah er, daß es Gegenstände des Eigentums gibt, die ihrer Natur nach nie den Charakter des vorherbestimmten Privateigentums erlangen können, die durch ihr elementarisches Wesen und ihr zufälliges Dasein dem Okkupationsrecht anheimfallen, also dem Okkupationsrecht der Klasse anheimfallen, welche eben durch das Okkupationsrecht von allem andern Eigentum ausgeschlossen ist, welche in der bürgerlichen Gesellschaft dieselbe Stellung einnimmt wie jene Gegenstände in der Natur.

Man wird finden, daß die Gewohnheiten, welche Gewohnheiten der ganzen armen Klasse sind, mit sicherm Instinkt das Eigentum an seiner unentschiedenen Seite zu fassen wissen, man wird nicht nur finden, daß diese Klasse |119| den Trieb fühlt, ein natürliches Bedürfnis, sondern ebensosehr, daß sie das Bedürfnis fühlt, einen rechtlichen Trieb zu befriedigen. Das Raffholz dient uns als Beispiel. Es steht so wenig in einem organischen Zusammenhang mit dem lebendigen Baum, als die abgestreifte Haut mit der Schlange. Die Natur selbst stellt in den dürren, vom organischen Leben getrennten, geknickten Reisern und Zweigen im Gegensatz zu den festwurzelnden, vollsaftigen, organisch Luft, Licht, Wasser und Erde zu eigener Gestalt und individuellem Leben sich assimilierenden Bäumen und Stämmen gleichsam den Gegensatz der Armut und des Reichtums dar. Es ist eine physische Vorstellung von Armut und Reichtum. Die menschliche Armut fühlt diese Verwandtschaft und leitet aus diesem Verwandtschaftsgefühl ihr Eigentumsrecht ab, und wenn sie daher den physisch-organischen Reichtum dem prämeditierenden Eigentümer, so vindiziert sie die physische Armut dem Bedürfnis und seinem Zufall. Sie empfindet in diesem Treiben der elementarischen Mächte eine befreundete Macht, die humaner ist als die menschliche. An die Stelle der zufälligen Willkür der Privilegierten ist der Zufall der Elemente getreten, die von dem Privateigentum abreißen, was es nicht mehr von sich abläßt. So wenig den Reichen Almosen, die auf die Straße geworfen werden, gebühren, so wenig diese Almosen der Natur. Aber auch in ihrer Tätigkeit findet die Armut schon ihr Recht. Im Sammeln stellt sich die elementarische Klasse der menschlichen Gesellschaft ordnend den Produkten der elementarischen Naturmacht gegenüber. Ähnlich verhält es sich mit Produkten, die in wildem Wachstum ein ganz zufälliges Akzidens des Besitzes und schon wegen ihrer Unbedeutendheit keinen Gegenstand für die Tätigkeit des eigentlichen Eigentümers bilden; ähnlich verhält es sich mit dem Nachlesen, Nachernten und dergleichen Gewohnheitsrechten.

Es lebt also in diesen Gewohnheiten der armen Klasse ein instinktmäßiger Rechtssinn, ihre Wurzel ist positiv und legitim, und die Form des Gewohnheitsrechts ist hier um so naturgemäßer, als das Dasein der armen Klasse selbst bisher eine bloße Gewohnheit der bürgerlichen Gesellschaft ist, die in dem Kreis der bewußten Staatsgliederung noch keine angemessene Stelle gefunden hat.

Die vorliegende Debatte bietet sogleich ein Beispiel, wie man diese Gewohnheitsrechte behandelt, ein Beispiel, worin die Methode und der Geist des ganzen Verfahrens erschöpft ist.

Ein Deputierter der Städte opponiert gegen die Bestimmung, wodurch auch das Sammeln von Waldbeeren und Preiselbeeren als Diebstahl behandelt wird. Er spricht vorzugsweise für die Kinder armer Leute, welche jene Früchte sammeln, um damit für ihre Eltern eine Kleinigkeit zu verdienen, |120| welches seit unvordenklichen Zeiten von den Eigentümern gestattet und wodurch für die Kleinen ein Gewohnheitsrecht entstand. Dies Faktum wird widerlegt durch die Notiz eines andern Abgeordneten: »in seiner Gegend seien diese Früchte schon Handelsartikel und würden faßweise nach Holland geschickt«.

Man hat es wirklich schon an einem Ort so weit gebracht, aus einem Gewohnheitsrecht der Armen ein Monopol der Reichen zu machen. Der erschöpfende Beweis ist geliefert, daß man ein Gemeingut monopolisieren kann; es folgt daher von selbst, daß man es monopolisieren muß. Die Natur des Gegenstandes verlangt das Monopol, weil das Interesse des Privateigentums es erfunden hat. Der moderne Einfall einiger geldfuchsenden Handelskrämer wird unwiderleglich, sobald er Abfälle dem urteutonischen Interesse von Grund und Boden liefert.

Der weise Gesetzgeber wird das Verbrechen verhindern, um es nicht bestrafen zu müssen, aber er wird es nicht dadurch verhindern, daß er die Sphäre des Rechts verhindert, sondern dadurch, daß er jedem Rechtstrieb sein negatives Wesen raubt, indem er ihr eine positive Sphäre der Handlung einräumt. Er wird sich nicht darauf beschränken, den Teilnehmern einer Klasse die Unmöglichkeit wegzuräumen, einer höheren berechtigten Sphäre anzugehören, sondern er wird ihre eigene Klasse zu einer realen Möglichkeit von Rechten erheben, aber wenn der Staat hierzu nicht human, nicht reich und nicht großsinnig genug ist, so ist es wenigstens seine unbedingte Pflicht, nicht in ein Verbrechen zu verwandeln, was erst Umstände zu einem Vergehen machen. Er muß mit der höchsten Milde als eine soziale Unordnung korrigieren, was er nur mit dem höchsten Unrecht als ein antisoziales Verbrechen bestrafen darf. Er bekämpft sonst den sozialen Trieb, indem er die unsoziale Form desselben zu bekämpfen meint. Mit einem Worte, wenn man volkstümliche Gewohnheitsrechte unterdrückt, so kann deren Ausübung nur als einfache Polizeikontravention behandelt, aber nimmer als ein Verbrechen bestraft werden. Die Polizeistrafe ist der Ausweg gegen eine Tat, welche Umstände zu einer äußern Unordnung stempeln, ohne daß sie eine Verletzung der ewigen Rechtsordnung wäre. Die Strafe darf nicht mehr Abscheu einflößen als das Vergehen, die Schmach des Verbrechens darf sich nicht verwandeln in die Schmach des Gesetzes; der Boden des Staats ist unterminiert, wenn das Unglück zu einem Verbrechen oder das Verbrechen zu einem Unglück wird. Weit entfernt von diesem Gesichtspunkt, beobachtet der Landtag nicht einmal die ersten Regeln der Gesetzgebung.

Die kleine, hölzerne, geistlose und selbstsüchtige Seele des Interesses sieht nur einen Punkt, den Punkt, wo sie verletzt wird, gleich dem rohen |121| Menschen, der etwa einen Vorübergehenden für die infamste, verworfenste Kreatur unter der Sonne hält, weil diese Kreatur ihm auf seine Hühneraugen getreten hat. Er macht seine Hühneraugen zu den Augen, mit denen er sieht und urteilt; er macht den einen Punkt, in welchem ihn der Vorübergehende tangiert, zu dem einzigen Punkt, worin das Wesen dieses Menschen die Welt tangiert. Nun kann ein Mensch aber doch wohl mir auf die Hühneraugen treten, ohne deswegen aufzuhören, ein ehrlicher, ja ein ausgezeichneter Mensch zu sein. So wenig ihr nun die Menschen mit euern Hühneraugen, so wenig müßt ihr sie mit den Augen eures Privatinteresses beurteilen. Das Privatinteresse macht die eine Sphäre, worin ein Mensch feindlich mit ihm zusammentrifft, zur Lebenssphäre dieses Menschen. Es macht das Gesetz zum Rattenfänger, der das Ungeziefer vertilgen will, denn er ist kein Naturforscher und sieht deshalb in den Ratten nur Ungeziefer; aber der Staat muß in einem Holzfrevler mehr sehen als den Frevler am Holz, mehr als den Holzfeind. Hängt nicht jeder seiner Bürger durch tausend Lebensnerven mit ihm zusammen, und darf er alle diese Nerven zerschneiden, weil jener Bürger selbst einen Nerv eigenmächtig zerschnitten hat? Der Staat wird also auch in einem Holzfrevler einen Menschen sehen, ein lebendiges Glied, in dem sein Herzblut rollt, einen Soldaten, der das Vaterland verteidigen, einen Zeugen, dessen Stimme vor Gericht gelten, ein Gemeindemitglied, das öffentliche Funktionen bekleiden soll, einen Familienvater, dessen Dasein geheiligt, vor allem einen Staatsbürger, und der Staat wird nicht leichtsinnig eins seiner Glieder von all diesen Bestimmungen ausschließen, denn der Staat amputiert sich selbst, so oft er aus einem Bürger einen Verbrecher macht. Vor allem aber wird es der sittliche Gesetzgeber als die ernsteste, schmerzlichste und gefährlichste Arbeit betrachten, eine bisher unbescholtene Handlung unter die Sphäre der verbrecherischen Handlungen zu subsumieren.

Das Interesse aber ist praktisch, und nichts praktischer auf der Welt, als daß ich meinen Feind niederstoße! »Wer haßt ein Ding und brächt' es nicht gern um!« lehrt schon Shylock. Der wahre Gesetzgeber darf nichts fürchten als das Unrecht, aber das gesetzgebende Interesse kennt nur die Furcht vor den Konsequenzen des Rechts, die Furcht vor den Bösewichten, gegen die es Gesetze gibt. Die Grausamkeit ist der Charakter der Gesetze, welche die Feigheit diktiert, denn die Feigheit vermag nur energisch zu sein, indem sie grausam ist. Das Privatinteresse ist aber immer feig, denn sein Herz, seine Seele ist ein äußerlicher Gegenstand, der immer entrissen und beschädigt werden kann, und wer zitterte nicht vor der Gefahr, Herz und Seele zu verlieren? Wie sollte der eigennützige Gesetzgeber menschlich sein, da das Unmenschliche, ein fremdes materielles Wesen, sein höchstes Wesen ist? Quand il a |122| peur, il est terrible |Wenn er Angst hat, ist er schrecklich|, sagt der »National« von Guizot. Diese Devise kann man über alle Gesetzgebungen des Eigennutzes, also der Feigheit schreiben.

Wenn die Samojeden ein Tier töten, beteuern sie demselben, ehe sie ihm das Fell abziehen, aufs ernstlichste, daß bloß die Russen dies Übel verursachen, daß ein russisches Messer es zerlege und daß also an den Russen allein Rache zu üben sei. Man kann das Gesetz in ein russisches Messer verwandeln, auch wenn man kein Samojede zu sein die Prätension hat. Sehen wir zu!

Bei § 4 schlug der Ausschuß vor:

»Bei einer weitern Entfernung als zwei Meilen bestimmt der denunzierende Schutzbeamte den Wert nach dem bestehenden Lokalpreise.«

Hiegegen protestierte ein Deputierter der Städte:

»Der Vorschlag, die Taxe des entwendeten Holzes durch den Förster, welcher die Anzeige mache, festsetzen zu lassen, wäre sehr bedenklich. Allerdings stehe diesem anzeigenden Beamten fides zu. Aber doch nur in bezug auf das Faktum, keineswegs in bezug auf den Wert. Dieser solle nach einer von den Lokalbehörden proponierten und von dem Landrat festzusetzenden Taxe bestimmt werden. Es werde nun zwar vorgeschlagen, daß der § 14, wonach der Waldeigentümer die Strafe beziehen solle, nicht angenommen werde« etc. »Würde man den § 14 beibehalten, dann sei die vorliegende Bestimmung doppelt gefährlich. Denn der in den Diensten des Waldeigentümers stehende und von ihm bezahlte Förster müsse wohl, das liege in der Natur der Verhältnisse, den Wert des entwendeten Holzes so hoch als möglich stellen.«

Der Landtag genehmigte den Vorschlag des Ausschusses.

Wir finden hier Konstituierung der Patrimonialgerichtsbarkeit. Der Patrimonialschutzbediente ist zugleich partieller Urteilssprecher. Die Wertbestimmung bildet einen Teil des Urteils. Das Urteil ist also schon teilweise im denunzierenden Protokoll antizipiert. Der denunzierende Schutzbeamte sitzt im Richterkollegium, er ist der Experte, an dessen Urteil das Gericht gebunden, er vollzieht eine Funktion, von der er die übrigen Richter ausschließt. Es ist töricht, gegen das inquisitorische Verfahren zu opponieren, wenn es sogar Patrimonialgendarmen und Denunzianten gibt, die zugleich richten.

Wie wenig, abgesehen von dieser Grundverletzung unserer Institutionen, der denunzierende Schutzbeamte die objektive Fähigkeit besitzt, zugleich Taxator des entwendeten Holzes zu sein, ergibt sich von selbst, wenn wir seine Qualitäten betrachten.

Als Schutzbeamter ist er der personifizierte Schutzgenius des Holzes. Der Schutz, nun gar der persönliche, der leibliche Schutz, erfordert ein effektvolles, tatkräftiges Liebesverhältnis des Waldhüters zu seinem Schützling |123|*, ein Verhältnis, in welchem er gleichsam mit dem Holze verwächst. Es muß ihm alles, es muß ihm von absolutem Werte sein. Der Taxator dagegen verhält sich mit skeptischem Mißtrauen zum entwendeten Holze, er mißt es mit scharfem prosaischem Auge an einem profanen Maß und sagt euch auf Heller und Pfennig, wieviel dran sei. Ein Beschützer und ein Schätzer sind so verschiedene Dinge als ein Mineraloge und ein Mineralienhändler. Der Schutzbeamte kann den Wert des entwendeten Holzes nicht schätzen, denn in jedem Protokoll, worin er den Wert des Gestohlenen taxiert, taxiert er seinen eigenen Wert, weil den Wert seiner eigenen Tätigkeit, und glaubt ihr, er werde den Wert seines Gegenstandes nicht ebensogut beschützen als dessen Substanz?

Die Tätigkeiten, die man einem Menschen überträgt, dessen Amtspflicht die Brutalität ist, widersprechen sich nicht nur in bezug auf den Gegenstand des Schutzes, sie widersprechen sich ebensosehr in bezug auf die Personen.

Als Schutzbeamter des Holzes soll der Waldhüter das Interesse des Privateigentümers, aber als Taxator soll er ebensosehr das Interesse des Forstfrevlers gegen die extravaganten Forderungen des Privateigentümers beschützen. Während er vielleicht eben mit der Faust im Interesse des Waldes, soll er gleich darauf mit dem Kopf im Interesse des Waldfeindes operieren. Das verkörperte Interesse des Waldeigentümers, soll er eine Garantie gegen das Interesse des Waldeigentümers sein.

Der Schutzbeamte ist ferner Denunziant. Das Protokoll ist eine Denunziation. Der Wert des Gegenstandes wird also zum Gegenstand der Denunziation; er verliert seinen richterlichen Anstand, und die Funktion des Richters wird auf das Tiefste herabgewürdigt, indem sie sich einen Augenblick von der Funktion des Denunzianten nicht mehr unterscheidet.

Endlich steht dieser denunzierende Schutzbeamte, der weder als Denunziant noch als Schutzbeamter zum Experten geeignet ist, in Sold und Dienst des Waldeigentümers. Mit demselben Rechte konnte man dem Waldeigentümer selbst auf einen Eid die Taxation überlassen, da er tatsächlich in seinem Schutzbedienten nur die Gestalt einer dritten Person angenommen hat.

Statt aber diese Stellung des denunzierenden Schutzbeamten auch nur bedenklich zu finden, findet der Landtag im Gegenteil die einzige Bestimmung bedenklich, die noch den letzten Schein des Staats innerhalb der Waldherrlichkeit bildet, die lebenslängliche Anstellung des denunzierenden Schutzbeamten. Gegen diese Bestimmung erhebt sich der heftigste Widerspruch, und kaum scheint der Sturm beschwichtigt zu werden durch die Erklärung des Referenten:

|124| »daß schon frühere Landtage die Verzichtleistung auf lebenslängliche Anstellung bevorwortet hätten, daß die Staatsregierung aber sich nur dagegen erklärt und die lebenslängliche Anstellung als einen Schutz für die Untertanen angesehen habe«.

Der Landtag bat also schon früher mit der Regierung um Verzichtleistung auf den Schutz ihrer Untertanen gemarktet, und der Landtag ist beim Markten geblieben. Prüfen wir die ebenso großherzigen als unwiderleglichen Gründe, welche gegen die lebenslängliche Anstellung geltend gemacht werden.

Ein Abgeordneter der Landgemeinden

»findet in der Bedingung der Glaubwürdigkeit durch lebenslängliche Anstellung die kleinen Waldbesitzer sehr gefährdet, und ein anderer besteht darauf, daß der Schutz gleich wirksam für kleine wie für große Waldeigentümer sein müsse«.

Ein Mitglied des Fürstenstandes bemerkt,

»daß die lebenslänglichen Anstellungen bei Privaten sehr unrätlich seien und in Frankreich gar nicht erforderlich, um den Protokollen der Schutzbeamten Glauben zu verschaffen, daß aber notwendig etwas geschehen müsse, um dem Überhandnehmen der Frevel zu steuern«.

Ein Abgeordneter der Städte:

»allen Anzeigen von gehörig angestellten und beeidigten Forstbeamten müsse Glauben beigemessen werden. Die Anstellung auf Lebenszeit sei vielen Gemeinden und insbesondere den Eigentümern von kleinen Parzellen sozusagen unmöglich. Durch die Verfügung, daß nur jene Forstbeamten, welche auf Lebenszeit angestellt sind, fides haben sollen, würde diesen Waldbesitzern aller Forstschutz entzogen. In einem großen Teile der Provinz hätten die Gemeinden und Privatbesitzer den Feldhütern auch die Hut ihrer Waldungen übertragen und übertragen müssen, weil ihr Waldeigentum nicht groß genug sei, um eigene Förster dafür anzustellen. Es würde nun sonderbar sein, wenn diese Feldhüter, welche auch auf die Waldhut vereidet seien, keinen vollen Glauben haben sollten, wenn sie eine Holzentwendung konstatierten, während sie fides genössen, wenn sie Anzeigen über entdeckte Holzfrevel machten.«


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