Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 2, S. 536 - 557
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1972

Friedrich Engels

Zwei Reden in Elberfeld

Vorgetragen in Elberfeld am 8. und 15. Februar 1845
aus: "Rheinische Jahrbücher zur gesellschaftlichen Reform", 1845. Erster Band, S. 45-62 und 71-81

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[I]

Meine Herren!

Wir leben, wie Sie eben gehört haben und wie ich es ohnehin als all gemein bekannt voraussetzen darf, in einer Welt der freien Konkurrenz. Sehen wir uns denn diese freie Konkurrenz und die von ihr erzeugte Weltordnung etwas näher an. In unserer heutigen Gesellschaft arbeitet jeder auf seine eigne Hand, jeder sucht sich für seinen Kopf zu bereichern und kümmert sich nicht im geringsten um das, was die andern tun; von einer vernünftigen Organisation, von einer Verteilung der Arbeiten ist keine Rede, sondern im Gegenteil, jeder sucht dem andern den Rang abzulaufen, sucht die günstige Gelegenheit für seinen Privatvorteil auszubeuten und hat weder Zeit noch Lust, daran zu denken, daß sein eigenes Interesse im Grunde doch mit dem aller übrigen Menschen zusammenfällt. Der einzelne Kapitalist steht im Kampfe mit allen übrigen Kapitalisten, der einzelne Arbeiter mit allen übrigen Arbeitern; alle Kapitalisten kämpfen gegen alle Arbeiter, wie die Masse der Arbeiter notwendig wieder gegen die Masse der Kapitalisten zu kämpfen hat. In diesem Kriege Aller gegen Alle, in dieser allgemeinen Unordnung und gegenseitigen Ausbeutung besteht das Wesen der heutigen bürgerlichen Gesellschaft. Eine solche ungeregelte Wirtschaft, m[eine] H[erren], muß aber notwendig auf die Dauer für die Gesellschaft die unheilvollsten Resultate erzielen; die ihr zum Grunde liegende Unordnung, die Vernachlässigung des wahren, allgemeinen Wohls muß über kurz oder lang in einer eklatanten Weise zutage kommen. Der Ruin der kleinen Mittelklasse, des Standes, der die Hauptgrundlage der Staaten des vorigen Jahrhunderts bildete, ist die erste Folge dieses Kampfes. Wir sehen es ja täglich, wie diese Klasse der Gesellschaft durch die Macht des Kapitals erdrückt wird, wie z. B. die einzelnen Schneidermeister durch die Läden fertiger Kleider, die Möbelschreiner durch die Möbelmagazine ihre besten Kunden verlieren und aus kleinen Kapitalisten, aus Mitgliedern der besitzenden Klasse, in abhän- <537> gige, für Rechnung anderer arbeitende Proletarier, in Mitglieder der besitzlosen Klasse verwandelt werden. Der Ruin der Mittelklasse ist eine vielbeklagte Folge unserer vielgepriesenen Gewerbefreiheit, er ist ein notwendiges Resultat der Vorteile, die der große Kapitalist über seinen weniger besitzenden Konkurrenten hat, er ist das energischste Lebenszeichen der Tendenz des Kapitals, sich in wenig Händen zu konzentrieren. Diese Tendenz des Kapitals ist ebenfalls von vielen Seiten anerkannt; es wird allgemein darüber geklagt, daß sich der Besitz täglich mehr und mehr in den Händen Weniger anhäufe, und dagegen die große Mehrzahl der Nation mehr und mehr verarme. So entsteht dann der schroffe Gegensatz von wenigen Reichen auf der einen und vielen Armen auf der anderen Seite; ein Gegensatz, der in England und Frankreich bereits auf eine drohende Spitze gesteigert ist und auch bei uns sich mit jedem Tage zu größerer Schärfe entwickelt. Und solange die jetzige Basis der Gesellschaft beibehalten wird, solange wird es unmöglich sein, diesem Fortschritt der Bereicherung weniger Einzelnen und der Verarmung der großen Masse Einhalt zu tun; der Gegensatz wird sich schärfer und schärfer ausbilden, bis endlich die Not die Gesellschaft zu einer Reorganisation nach vernünftigeren Prinzipien zwingt.

Das, m[eine] H[erren], sind aber noch lange nicht alle Folgen der freien Konkurrenz. Da ein jeder auf seine eigne Hand produziert und konsumiert, ohne sich um die Produktion und Konsumtion der anderen viel zu kümmern, so muß notwendigerweise sehr bald ein schreiendes Mißverhältnis zwischen der Produktion und der Konsumtion eintreten. Da die heutige Gesellschaft den Kaufleuten, Spekulanten und Krämern die Verteilung der produzierten Güter anvertraut, von denen jeder einzelne wieder nur seinen eigenen Vorteil im Auge hat, so wird in der Austeilung - auch abgesehen von der Unmöglichkeit für den Besitzlosen, sich den genügenden Anteil zu verschaffen -, so wird in der Austeilung der Produkte dasselbe Mißverhältnis eintreten. Wo hat der Fabrikant die Mittel, zu erfahren, wieviel von seinem Fabrikat auf diesem und jenem Markte gebraucht, und wenn er dies erfahren könnte, wieviel dann von seinen Konkurrenten nach jedem dieser Märkte geschickt wird? Wie soll er, der in den meisten Fällen gar nicht einmal weiß, wohin die Ware gehen wird, die er eben fabriziert -, wie soll er nun gar wissen können, wieviel seine auswärtigen Konkurrenten nach jedem der betreffenden Märkte liefern werden? Er weiß von dem allem nichts, er fabriziert wie seine Konkurrenten ins Blaue hinein und tröstet sich damit, daß die anderen dies eben auch tun müssen. Er hat keine andere Richtschnur als den ewig schwankenden Stand der Preise, der bei entfernten Märkten im Augenblicke, wo er seine Ware absendet, schon ein ganz anderer ist als in dem Augenblicke, in <538> dem der ihn darüber unterrichtende Brief geschrieben wurde, und der im Augenblicke, wo die Ware ankommt, wieder anders ist als im Augenblicke, wo sie abgesandt wurde. Bei einer solchen Regellosigkeit der Produktion ist es denn auch ganz natürlich, wenn jeden Augenblick Stockungen des Verkehrs eintreten, die natürlich um so bedeutender sein müssen, je fortgeschrittener die Industrie und der Handel eines Landes ist. Das Land der ausgebildetsten Industrie, England, bietet uns daher hier die schlagendsten Beispiele. Durch die Ausbildung des Verkehrs, durch die vielen Spekulanten und Kommissionäre, die sich hier zwischen den produzierenden Fabrikanten und die wirklichen Konsumenten eingedrängt haben, wird es dem englischen Fabrikanten noch viel schwieriger gemacht als dem deutschen, auch nur das geringste über das Verhältnis der Vorräte und der Produktion zur Konsumtion zu erfahren; er hat dazu fast alle Märkte der Welt zu versorgen - er erfährt fast in keinem einzigen Falle, wohin seine Ware geht, und so findet es sich bei der ungeheuren Produktionskraft der englischen Industrie sehr häufig, daß alle Märkte plötzlich überfüllt sind. Der Verkehr stockt, die Fabriken arbeiten halbe Zeit oder gar nicht, eine Reihe von Fallissementen tritt ein, die Vorräte müssen zu Spottpreisen losgeschlagen werden, und ein großer Teil des Kapitals, das mit Mühe gesammelt war, geht so durch eine solche Handelskrisis wieder verloren. Solcher Handelskrisen haben wir in England seit dem Anfange dieses Jahrhunderts eine ganze Reihe und in den letzten zwanzig Jahren alle fünf oder sechs Jahre eine gehabt. Die letzten, die von 1837 und 1842, werden den meisten von Ihnen, m[eine] H[erren], noch deutlich in der Erinnerung sein. Und wenn unsere Industrie auch so großartig, unser Absatz so weitverzweigt wäre wie die Industrie und der Handel Englands, so würden wir dieselben Resultate erleben, während jetzt bei uns die Wirkung der Konkurrenz in der Industrie und im Verkehr in einer allgemeinen, dauernden Depression aller Geschäftszweige, in einem unglückseligen Mittelzustande zwischen entschiedener Blüte und gänzlichem Verkommen, in einem Zustande der gelinden Stockung, d.h. der Stabilität, sich fühlbar macht.

M[eine] H[erren], was ist der eigentliche Grund dieser Übelstände? Woraus entspringt der Ruin der Mittelklasse, der schroffe Gegensatz von arm und reich, die Stockungen des Verkehrs und die daraus entstehende Verschwendung von Kapital? Aus keiner anderen Ursache als aus der Zersplitterung der Interessen. Wir arbeiten alle, ein jeder für seinen eigenen Vorteil, unbekümmert um das Wohl der anderen, und es ist doch eine augenscheinliche, eine sich von selbst verstehende Wahrheit, daß das Interesse, das Wohl, das Lebensglück jedes einzelnen mit dem seiner Mitmenschen <539> unzertrennlich zusammenhängt. Wir müssen uns alle gestehen, daß keiner von uns seine Mitmenschen entbehren kann, daß schon das Interesse uns alle aneinander fesselt, und doch schlagen wir dieser Wahrheit mit unseren Handlungen geradezu ins Gesicht, und doch richten wir unsere Gesellschaft so ein, als ob unsere Interessen nicht dieselben, sondern einander ganz und gar entgegengesetzt wären. Wir haben gesehen, was die Folgen dieses Grundirrtums waren; wollen wir diese schlimmen Folgen beseitigen, so müssen wir den Grundirrtum reformieren, und das beabsichtigt eben der Kommunismus.

In der kommunistischen Gesellschaft, wo die Interessen der einzelnen nicht einander entgegengesetzt, sondern vereinigt sind, ist die Konkurrenz aufgehoben. Von einem Ruin einzelner Klassen, von Klassen überhaupt, wie heutzutage Reiche und Arme, kann, wie sich von selbst versteht, keine Rede mehr sein. Sowie bei der Produktion und Austeilung der zum Leben nötigen Güter der Privaterwerb, der Zweck des einzelnen sich auf eigne Faust zu bereichern, wegfällt, fallen auch die Krisen des Verkehrs von selbst weg. In der kommunistischen Gesellschaft wird es ein leichtes sein, sowohl die Produktion wie die Konsumtion zu kennen. Da man weiß, wieviel ein einzelner im Durchschnitt braucht, so ist es leicht zu berechnen, wieviel von einer gewissen Anzahl Individuen gebraucht wird, und da die Produktion alsdann nicht mehr in den Händen einzelner Privaterwerber, sondern in den Händen der Gemeinde und ihrer Verwaltung ist, so ist es eine Kleinigkeit, die Produktion nach den Bedürfnissen zu regeln.

Wir sehen also, wie in der kommunistischen Organisation die Hauptübel des jetzigen sozialen Zustandes wegfallen. Wenn wir indes etwas mehr ins Detail gehen, so werden wir finden, daß die Vorteile einer solchen Organisation hierbei nicht stehenbleiben, sondern sich auch auf die Beseitigung einer Menge anderer Übelstände erstrecken, von denen ich heute nur einige ökonomische erwähnen will. Die jetzige Einrichtung der Gesellschaft ist in ökonomischer Beziehung gewiß die unvernünftigste und unpraktischste, die wir uns denken können. Die Entgegensetzung der Interessen bringt es mit sich, daß eine große Menge Arbeitskraft auf eine Weise verwendet wird, von der die Gesellschaft keinen Nutzen hat, daß ein bedeutendes Quantum Kapital unnötigerweise verlorengeht, ohne sich zu reproduzieren. Wir sehen dies schon bei den Handelskrisen; wir sehen, wie Massen von Produkten, die doch alle von Menschen mühsam erarbeitet waren, zu Preisen weggeschleudert werden, die dem Verkäufer Verlust lassen; wir sehen, wie durch Bankerotte Massen von Kapitalien, die doch mühsam angehäuft waren, den Besitzern unter den Händen verschwinden. Gehen wir indes etwas mehr ins <540> Detail des jetzigen Verkehrs. Bedenken Sie, durch wie viele Hände jedes Produkt gehen muß, bis es in die des wirklichen Konsumenten gerät -, bedenken Sie, m[eine] H[erren], wie viele spekulierende und überflüssige Zwischenschieber sich jetzt zwischen den Produzenten und den Konsumenten eingedrängt haben! Nehmen wir ein Beispiel, etwa einen Baumwollballen, der in Nordamerika fabriziert wird. Der Ballen geht aus den Händen des Pflanzers in die des Faktors an irgendeiner beliebigen Station des Mississippi über, er wandert den Fluß hinunter nach New Orleans. Hier wird er verkauft - zum zweiten Male, da ihn der Faktor schon vom Pflanzer kaufte - verkauft, meinetwegen an den Spekulanten, der ihn wieder an den Exporteur verkauft. Der Ballen geht nun etwa nach Liverpool, wo wieder ein gieriger Spekulant seine Hände nach ihm ausstreckt und ihn an sich reißt. Dieser verhandelt ihn wieder an einen Kommissionär, der für Rechnung - wir wollen sagen, eines deutschen Hauses - kauft. So wandert der Ballen nach Rotterdam, den Rhein herauf, durch noch ein Dutzend Hände von Spediteuren, nachdem er ein dutzendmal aus- und eingeladen worden ist -, und dann erst ist er in den Händen, nicht des Konsumenten, sondern des Fabrikanten, der ihn erst konsumierbar macht, sein Garn vielleicht dem Weber, dieser das Gewebe dem Drucker, der dem Grossisten und dieser wieder dem Detaillisten verhandelt, der dann endlich die Ware dem Konsumenten liefert. Und alle diese Millionen Zwischenschieber, Spekulanten, Faktoren, Exporteurs, Kommissionäre, Spediteure, Grossisten und Detaillisten, die doch an der Ware selbst nichts tun, sie wollen alle leben und ihren Profit dabei machen - und machen ihn auch im Durchschnitt, denn sonst könnten sie nicht bestehen. M[eine] H[erren], gibt es keinen einfacheren, wohlfeileren Weg, einen Baumwollballen von Amerika nach Deutschland und das aus demselben verfertigte Fabrikat in die Hände des wirklichen Konsumenten zu liefern als diesen weitläuftigen des zehnmaligen Verkaufens, des hundertmaligen Umladens und Transportierens aus einem Magazin ins andere? Ist dies nicht ein schlagender Beweis der vielen Verschwendung von Arbeitskraft, die durch die Zersplitterung der Interessen herbeigeführt wird? In der vernünftig organisierten Gesellschaft ist von einem solchen umständlichen Transporte keine Rede. Ebenso leicht wie man wissen kann, wieviel eine einzelne Kolonie an Baumwolle oder Baumwollfabrikaten gebraucht, um bei dem Beispiele stehenzubleiben - ebenso leicht wird es der Zentralverwaltung sein, zu erfahren, wieviel sämtliche Ortschaften und Gemeinden des Landes gebrauchen. Ist eine solche Statistik einmal organisiert, was in einem oder zwei Jahren leicht geschehen kann, so wird sich der Durchschnitt des jährlichen Konsums nur im Verhältnis der <541> steigenden Bevölkerung verändern; es ist also ein leichtes, zur gehörigen Zeit vorauszubestimmen, welches Quantum von jedem einzelnen Artikel das Bedürfnis des Volkes erfordern wird -, man wird die ganze, große Quantität sich direkt an der Quelle bestellen, man wird sie direkt, ohne Zwischenschieber, ohne mehr Aufenthalt und Umladungen, als wirklich in der Natur der Kommunikation begründet sind, also mit einer großen Ersparnis von Arbeitskraft, beziehen können; man wird nicht nötig haben, den Spekulanten, Groß- und Kleinhändlern ihren Nutzen zu bezahlen. Aber das ist noch nicht alles - diese Zwischenschieber werden nicht nur auf diese Weise der Gesellschaft unschädlich, sie werden ihr sogar vorteilhaft gemacht. Während sie jetzt zum Nachteil aller anderen eine Arbeit tun, die im besten Falle überflüssig ist und ihnen doch den Lebensunterhalt, ja in vielen Fällen große Reichtümer einbringt, während sie also jetzt dem allgemeinen Besten direkt nachteilig sind, werden sie dann die Hände zu nützlicher Tätigkeit frei bekommen und eine Beschäftigung ergreifen können, worin sie sich als wirkliche, nicht nur scheinbare, erheuchelte Mitglieder der menschlichen Gesellschaft und Teilnehmer an ihrer Gesamttätigkeit erweisen.

Die jetzige Gesellschaft, welche den einzelnen Menschen mit allen übrigen in Feindschaft bringt, erzeugt auf diese Weise einen sozialen Krieg All er gegen Alle, der notwendigerweise bei einzelnen, namentlich Ungebildeten, eine brutale, barbarisch-gewaltsame Form annehmen muß - die Form des Verbrechens. Um sich gegen das Verbrechen, gegen die offene Gewalttat zu schützen, bedarf die Gesellschaft eines weitläuftigen, verwickelten Organismus von Verwaltungs- und Gerichtsbehörden, der eine unendliche Menge von Arbeitskräften in Anspruch nimmt. In der kommunistischen Gesellschaft würde sich auch dies unendlich vereinfachen, und gerade deshalb - so bizarr es auch klingen mag - gerade deshalb, weil in dieser Gesellschaft die Verwaltung nicht nur einzelne Seiten des sozialen Lebens, sondern das ganze soziale Leben in allen seinen einzelnen Tätigkeiten, nach allen seinen Seiten hin, zu administrieren haben würde. Wir heben den Gegensatz des einzelnen Menschen gegen alle andern auf - wir setzen dem sozialen Krieg den sozialen Frieden entgegen, wir legen die Axt an die Wurzel des Verbrechens und machen dadurch den größten, bei weitem größten Teil der jetzigen Tätigkeit der Verwaltungs- und Justizbehörden überflüssig. Schon jetzt verschwinden die Verbrechen der Leidenschaft immer mehr gegen die Verbrechen der Berechnung, des Interesses - die Verbrechen gegen Personen nehmen ab, die Verbrechen gegen das Eigentum nehmen zu. Die fortschreitende Zivilisation mildert die gewaltsamen Ausbrüche der Leidenschaft schon in der jetzigen, auf dem Kriegsfuß stehenden, wieviel mehr in der <542> kommunistischen, friedlichen Gesellschaft! Die Verbrechen gegen das Eigentum fallen von selbst da weg, wo jeder erhält, was er zur Befriedigung seiner natürlichen und geistigen Triebe bedarf, wo die sozialen Abstufungen und Unterschiede wegfallen. Die Kriminaljustiz hört von selbst auf, die Ziviljustiz, die doch fast lauter Eigentumsverhältnisse oder wenigstens solche Verhältnisse, die den sozialen Kriegszustand zur Voraussetzung haben, behandelt, fällt ebenfalls weg; Streitigkeiten können dann nur seltne Ausnahmen sein, wo sie jetzt die natürliche Folge der allgemeinen Feindschaft sind, und werden leicht sich durch Schiedsrichter schlichten lassen. Die Verwaltungsbehörden haben jetzt ebenfalls in dem fortwährenden Kriegszustand die Quelle ihrer Beschäftigung - die Polizei und die ganze Administration tut weiter nichts, als daß sie dafür sorgt, daß der Krieg ein verdeckter, indirekter bleibe, daß er nicht in offne Gewalt, in Verbrechen ausarte. Wenn es aber unendlich leichter ist, den Frieden zu erhalten, als den Krieg in gewisse Schranken zu bannen, so ist es auch unendlich leichter, eine kommunistische als eine konkurrierende Gemeinde zu verwalten. Und wenn schon jetzt die Zivilisation die Menschen gelehrt hat, ihr Interesse in der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, des öffentlichen Interesses zu suchen, also die Polizei, Verwaltung und Justiz möglichst überflüssig zu machen, um wieviel mehr wird dies der Fall sein in einer Gesellschaft, in der die Gemeinschaft der Interessen zum Grundprinzip erhoben ist, in dem das öffentliche Interesse sich nicht mehr von dem jedes einzelnen unterscheidet! Was jetzt schon trotz der sozialen Einrichtung besteht, wieviel mehr wird das geschehen, wenn es nicht mehr durch die sozialen Einrichtungen gehindert, sondern unterstützt wird! Wir dürfen also auch von dieser Seite her auf einen beträchtlichen Zuwachs von Arbeitskräften rechnen, welche der jetzige soziale Zustand der Gesellschaft entzieht.

Eine der kostspieligsten Einrichtungen, deren die jetzige Gesellschaft nicht entbehren kann, sind die stehenden Heere, welche der Nation den kräftigsten, brauchbarsten Teil der Bevölkerung entziehen und sie zwingen, diesen dadurch unproduktiv gewordenen Teil zu ernähren. Wir wissen es an unserem eignen Staatsbudget, was uns das stehende Heer kostet - vierundzwanzig Millionen jährlich und die Entziehung von zweimalhunderttausend der kräftigsten Arme aus der Produktion. In der kommunistischen Gesellschaft würde es keinem Menschen einfallen, an ein stehendes Heer zu denken. Wozu auch? Zur Bewahrung der inneren Ruhe des Landes? Es wird, wie wir oben sahen, keinem einzigen einfallen, diese innere Ruhe zu stören. Die Furcht vor Revolutionen ist ja nur die Folge der Opposition der Interessen; wo die Interessen aller zusammenfallen, kann von einer solchen <543> Furcht keine Rede sein. - Zu einem Angriffskriege? Wie sollte eine kommunistische Gesellschaft dazu kommen, einen Angriffskrieg zu unternehmen - sie, die sehr gut weiß, daß sie im Kriege nur Menschen und Kapital verliert, während sie höchstens ein paar widerwillige, also eine Störung in die soziale Ordnung bringende Provinzen erlangen kann! - Zu einem Verteidigungskriege? Dazu bedarf es keines stehenden Heeres, da es ein leichtes sein wird, jedes fähige Mitglied der Gesellschaft auch neben seinen übrigen Beschäftigungen so weit in der wirklichen, nicht parademäßigen Waffengewandtheit üben, als zur Verteidigung des Landes nötig ist. Und bedenken Sie dabei, m[eine] H[erren], daß das Mitglied einer solchen Gesellschaft im Falle eines Krieges, der ohnehin nur gegen antikommunistische Nationen vorkommen könnte, ein wirkliches Vaterland, einen wirklichen Herd zu verteidigen hat, daß er also mit einer Begeisterung, mit einer Ausdauer, mit einer Tapferkeit kämpfen wird, vor der die maschinenmäßige Geschultheit einer modernen Armee wie Spreu auseinanderfliegen muß; bedenken Sie, welche Wunder der Enthusiasmus der revolutionären Armeen von 1792 bis 1799 getan hat, die doch nur für eine Illusion, für ein Scheinvaterland kämpften, und Sie werden einsehen müssen, von welcher Kraft ein Heer sein muß, das für keine Illusion, sondern für eine handgreifliche Wirklichkeit sich schlägt. Diese unzähligen Massen von Arbeitskräften also, welche jetzt den zivilisierten Völkern durch die Armeen entzogen werden, würden in einer kommunistischen Organisation sonach der Arbeit zurückgegeben werden; sie würden nicht nur soviel erzeugen, wie sie verbrauchen, sondern noch weit sehr Produkte, als zu ihrem Unterhalt nötig sind, an die öffentlichen Vorratshäuser abliefern können.

Eine noch viel schlimmere Verschwendung von Arbeitskräften findet sich in der bestehenden Gesellschaft in der Art, wie die Reichen ihre soziale Stellung ausbeuten. Ich will von dem vielen unnützen und geradezu lächerlichen Luxus, der seine Quelle nur in der Sucht, sich auszuzeichnen, hat und eine Menge Arbeitskräfte in Anspruch nimmt, gar nicht sprechen. Aber gehen Sie, m[eine] H[erren] einmal geradezu in das Haus, das innerste Heiligtum eines Reichen, und sagen Sie mir, ob es nicht die tollste Vergeudung von Arbeitskraft ist, wenn hier eine Menge von Menschen zur Bedienung eines einzigen in Anspruch genommen und mit Faulenzen, oder wenn es hoch kommt, nur mit solchen Arbeiten beschäftigt werden, die ihre Quelle in der Isolierung jedes Menschen auf seine vier Wände haben? Diese Menge Dienstmädchen, Köchinnen, Lakaien, Kutscher, Hausknechte, Gärtner und wie sie alle heißen, was tun sie denn eigentlich? Wie wenig Augenblicke sind sie des Tages beschäftigt, um ihrer Herrschaft das Leben wirklich angenehm <544> zu machen, um der Herrschaft die freie Ausbildung und Ausübung ihrer menschlichen Natur und ihrer angebornen Kräfte zu erleichtern -, und wie viele Stunden des Tages sind sie mit Arbeiten beschäftigt, die nur in der schlechten Einrichtung unsrer gesellschaftlichen Verhältnisse ihre Ursache haben -, hinten auf dem Wagen stehen, den Marotten der Herrschaft zu Diensten sein, Schoßhunde nachtragen und andre Lächerlichkeiten. In der vernünftig organisierten Gesellschaft, wo jeder in die Lage versetzt wird, leben zu können, auch ohne den Marotten der Reichen zu frönen und ohne auf solche Marotten zu verfallen -, in dieser Gesellschaft kann natürlich auch die jetzt so vergeudete Arbeitskraft der Luxusbedienung zum Vorteil aller und zu ihrem eignen Vorteil verwandt werden.

Eine weitere Verschwendung von Arbeitskraft findet in der heutigen Gesellschaft ganz direkt durch den Einfluß der Konkurrenz statt, indem diese eine große Anzahl brotloser Arbeiter schafft, die gern arbeiten möchten, aber keine Arbeit erhalten können. Da nämlich die Gesellschaft gar nicht darauf eingerichtet ist, von der wirklichen Verwendung der Arbeitskräfte Notiz nehmen zu können, da es jedem einzelnen überlassen ist, sich eine Erwerbsquelle zu suchen, so ist es ganz natürlich, daß bei der Verteilung der wirklich oder scheinbar nützlichen Arbeiten eine Anzahl Arbeiter leer ausgehen. Dies ist um so eher der Fall, als der Kampf der Konkurrenz jeden einzelnen antreibt, seine Kräfte aufs höchste anzustrengen, alle Vorteile zu benutzen, die sich ihm bieten, teure Arbeitskräfte durch wohlfeilere zu ersetzen, wozu die steigende Zivilisation täglich mehr und mehr Mittel bietet - oder, mit andern Worten, ein jeder muß daran arbeiten, andre brotlos zu machen, die Arbeit andrer auf die eine oder die andre Weise zu verdrängen. So findet sich denn in jeder zivilisierten Gesellschaft eine große Anzahl arbeitsloser Leute, die gern arbeiten möchten, aber keine Arbeit finden, und diese Anzahl ist größer, als man gewöhnlich glaubt. Da finden wir diese Leute denn, wie sie sich auf die eine oder andre Weise prostituieren, betteln, Straßen kehren, an den Ecken stehen, von gelegentlichen kleinen Diensten mit Mühe und Not Leib und Seele zusammenhalten, mit allen erdenklichen kleinen Waren hökern und herumhausieren - oder, wie wir es heute abend an ein paar armen Mädchen gesehen haben, mit der Guitarre von Ort zu Ort ziehen, für Geld spielen und singen, genötigt, sich jede unverschämte Ansprache, jede beleidigende Zumutung gefallen zu lassen, um nur ein paar Groschen zu verdienen. Wie viele endlich gibt es, die der eigentlichen Prostitution als Opfer verfallen! M[eine] H[erren], die Anzahl dieser Brotlosen, denen nichts übrigbleibt, als auf die eine oder andre Weise sich zu prostituieren, ist sehr groß - unsre Armenverwaltungen wissen davon zu erzählen, und vergessen <545> Sie nicht, daß die Gesellschaft diese Leute trotz ihrer Nutzlosigkeit auf die eine oder die andre Art dennoch ernährt. Wenn also die Gesellschaft die Kosten für ihren Unterhalt zu tragen hat, so sollte sie auch dafür sorgen daß diese Arbeitslosen ihren Unterhalt ehrbar verdienten. Das aber kann die jetzige, konkurrierende Gesellschaft nicht.

Wenn Sie, m[eine] H[erren], dies alles bedenken - und ich hätte noch eine Menge anderer Beispiele anführen können, wie die jetzige Gesellschaft ihre Arbeitskräfte vergeudet -, wenn Sie dies bedenken, so werden Sie finden, daß der menschlichen Gesellschaft ein Überfluß an Produktionskräften zu Gebote steht, der nur auf eine vernünftige Organisation, auf eine geordnete Verteilung wartet, um mit dem größten Vorteil für alle in Tätigkeit zu treten. Sie werden hiernach, m[eine] H[erren], beurteilen können, wie wenig die Befürchtung gegründet ist, als müßte bei einer gerechten Verteilung der gesellschaftlichen Tätigkeit dem einzelnen eine solche Last von Arbeit zufallen, daß sie ihm alle Beschäftigung mit anderen Dingen unmöglich mache. Im Gegenteil können wir annehmen, daß bei einer solchen Organisation die jetzt übliche Arbeitszeit des einzelnen schon durch die Benutzung der jetzt gar nicht oder unvorteilhaft angewandten Arbeitskräfte auf die Hälfte reduziert werden wird.

 Die Vorteile indes, welche die kommunistische Einrichtung durch Benutzung verschwendeter Arbeitskräfte bietet, sind noch nicht die bedeutendsten. Die größte Ersparnis von Arbeitskraft liegt in der Vereinigung der einzelnen Kräfte zur sozialen Kollektivkraft und in der Einrichtung, welche auf diese Konzentration der bis jetzt einander gegenüberstehenden Kräfte beruht. Ich will mich hier an die Vorschläge des englischen Sozialisten Robert Owen anschließen, da diese die praktischsten und am meisten ausgearbeiteten sind. Owen schlägt vor, an die Stelle der jetzigen Städte und Dörfer mit ihren vereinzelten, einander im Wege stehenden Wohnhäusern große Paläste aufzuführen, die, in einem Quadrat von etwa 1 650 Fuß Länge und Breite gebaut, einen großen Garten einschließen und etwa zwei- bis dreitausend Menschen bequem beherbergen können. Daß ein solches Gebäude, während es den Einwohnern die Bequemlichkeiten der besten jetzigen Wohnungen bietet, dennoch weit wohlfeiler und leichter zu errichten ist, als die nach dem jetzigen System für ebensoviele Leute benötigten, größtenteils schlechteren Einzelwohnungen, liegt auf der Hand. Die vielen Zimmer, die jetzt fast in jedem anständigen Hause leer stehen oder ein bis zweimal des Jahres gebraucht werden, fallen ohne alle Unbequemlichkeit weg; die Ersparnis an Raum für Vorratskammern, Keller etc. ist ebenfalls sehr groß. - Gehen wir aber auf das Detail der Hauswirtschaft ein, so werden wir erst recht die <546> Vorteile der Gemeinschaft einsehen. Welch eine Menge von Arbeit und Material wird nicht bei der jetzigen, zersplitterten Wirtschaft verschwendet - z.B. bei der Heizung! Sie müssen für jedes Zimmer einen besonderen Ofen haben; ein jeder Ofen will besonders geheizt, in Brand gehalten, beaufsichtigt werden; das Brennmaterial muß nach allen diesen verschiedenen Orten hingebracht, die Asche weggeholt werden; wieviel einfacher und wohlfeiler ist es nicht, an die Stelle dieser vereinzelten Heizung eine großartige Gesamtheizung, z.B. mit Dampfröhren und einem einzigen Heizungszentrum zu setzen, wie dies schon jetzt in großen Gesellschaftslokalen, Fabriken, Kirchen etc. geschieht! Ferner die Beleuchtung durch Gas, die jetzt noch dadurch kostspielig wird, daß selbst die dünneren Röhren unter der Erde liegen müssen, und die Röhren überhaupt wegen des großen Raumes der in unseren Städten zu beleuchten ist, von unverhältnismäßiger Länge sein müssen, während bei der vorgeschlagenen Einrichtung alles auf einem Raume von 1650 Fuß im Quadrat konzentriert und die Menge der brennenden Gasflammen dennoch ebenso groß, das Resultat also mindestens ebenso lohnend ist wie in einer mäßigen Stadt. Dann die Bereitung der Mahlzeiten - welche Verschwendung von Raum, Material und Arbeitskraft bei der jetzigen zersplitterten Wirtschaft, wo jede Familie ihr bißchen Essen besonders kocht, ihr apartes Geschirr hat, ihre aparte Köchin anstellt, ihre Speisen apart vom Markte, aus dem Garten, vom Fleischer und Bäcker holen muß! Man kann ruhig annehmen, daß bei einer gemeinschaftlichen Speisebereitung und Aufwartung zwei Drittel der jetzt bei dieser Arbeit beschäftigten Arbeitskräfte erspart und das übrige Drittel dennoch seine Arbeit besser und aufmerksamer wird verrichten können, als dies jetzt geschieht. Und endlich die Hausarbeiten selbst! Wird sich ein solches Gebäude nicht unendlich viel leichter reinigen und in gutem Stande halten lassen, wenn, wie es hier möglich ist, diese Art der Arbeit gleichfalls organisiert und regelmäßig verteilt ist, als die zwei- bis dreihundert getrennten Häuser, welche bei der jetzigen Einrichtung die Wohnungen einer gleichen Zahl sein würden?

Dies, m[eine] H[erren], sind einige wenige von den unendlichen Vorteilen, welche in ökonomischer Beziehung aus der kommunistischen Organisation der menschlichen Gesellschaft hervorgehen müssen. Es ist uns nicht möglich, in einigen Stunden und mit wenigen Worten unser Prinzip Ihnen klarzumachen und gehörig nach allen Seiten hin zu begründen. Dies ist auch keineswegs unsere Absicht. Wir können und wollen nichts, als über einige Punkte Aufklärung geben und diejenigen, denen die Sache noch fremd ist, zum Studium derselben veranlassen. Und soviel wenigstens hoffen wir, Ihnen heute abend klargemacht zu haben, daß der Kommunismus weder der <547> menschlichen Natur, dem Verstand und dem Herzen widerstrebt, noch daß er eine Theorie ist, die, ohne irgend Rücksicht auf die Wirklichkeit zu nehmen, bloß in der Phantasie ihre Wurzel hat.

Man fragt, wie denn diese Theorie in die Wirklichkeit einzuführen sei, welche Maßregeln wir vorzuschlagen haben, um ihre Einführung vorzubereiten. Es gibt verschiedene Wege zu diesem Ziele; die Engländer werden wahrscheinlich damit beginnen, daß sie einzelne Kolonien errichten und es jedem überlassen, ob er beitreten will oder nicht; die Franzosen dagegen werden wohl den Kommunismus auf nationalem Wege vorbereiten und durchfuhren. Wie die Deutschen es anfangen werden, darüber läßt sich bei der Neuheit der sozialen Bewegung in Deutschland wenig sagen. Einstweilen will ich unter den vielen möglichen Wegen der Vorbereitung nur einen einzigen erwähnen, von dem in der letzten Zeit mehrfach die Rede gewesen ist -, nämlich die Durchführung dreier Maßregeln, welche notwendig den praktischen Kommunismus zur Folge haben müssen.

Die erste würde eine allgemeine Erziehung aller Kinder ohne Ausnahme auf Staatskosten sein -, eine Erziehung, welche für alle gleich ist und bis zu dem Zeitpunkte fortdauert, in dem das Individuum fähig ist, als selbständiges Mitglied der Gesellschaft aufzutreten. Diese Maßregel würde nur ein Akt der Gerechtigkeit gegen unsere mittellosen Mitbrüder sein, da offenbar jeder Mensch ein Anrecht auf die vollständige Entwickelung seiner Fähigkeiten besitzt, und die Gesellschaft sich doppelt an den einzelnen vergeht, wenn sie die Unwissenheit zu einer notwendigen Folge der Armut macht. Daß die Gesellschaft mehr Vorteil von gebildeten als von unwissenden rohen Mitgliedern hat, liegt auf der Hand, und wenn ein gebildetes Proletariat, wie das wohl zu erwarten steht, nicht gesonnen sein würde, in der unterdrückten Stellung zu bleiben, in der unser heutiges Proletariat sich befindet so ist doch ebenfalls nur von einer gebildeten Arbeitsklasse die Ruhe und Besonnenheit zu erwarten, welche zu einer friedlichen Umbildung der Gesellschaft nötig ist. Daß das ungebildete Proletariat aber ebenfalls keine Lust hat, in seiner Lage zu bleiben, das beweisen uns die schlesischen und böhmischen Unruhen auch für Deutschland - von anderen Völkern gar nicht zusprechen.

Die zweite Maßregel wäre eine totale Reorganisation des Armenwesens, derart, daß die sämtlichen brotlosen Bürger in Kolonien untergebracht würden, in welchen sie mit Agrikultur- und Industriearbeit beschäftigt und ihre Arbeit zum Nutzen der ganzen Kolonie organisiert würde. Bis jetzt hat man die Kapitalien der Armenverwaltung auf Zinsen ausgeliehen und so den Reichen neue Mittel gegeben, die Besitzlosen auszubeuten. Man lasse endlich einmal <548> diese Kapitalien wirklich zum Nutzen der Armen arbeiten, man verwende den ganzen Ertrag dieser Kapitalien, nicht bloß ihre drei Prozent Zinsen, für die Armen, man gebe ein großartiges Beispiel der Assoziation von Kapital und Arbeit! Auf diese Weise würde die Arbeitskraft aller Brotlosen zum Nutzen der Gesellschaft verwendet, sie selbst aus demoralisierten, gedrückten Paupers in sittliche, unabhängige, tätige Menschen verwandelt und in eine Lage versetzt, die sehr bald den vereinzelten Arbeitern beneidenswert erscheinen und die durchgreifende Reorganisation der Gesellschaft vorbereiten würde.

Zu diesen beiden Maßregeln gehört Geld. Um dies aufzubringen und um zugleich die sämtlichen bisherigen, ungerecht verteilten Steuern zu ersetzen, wird in dem vorliegenden Reformplane eine allgemeine, progressive Kapitalsteuer vorgeschlagen, deren Prozentsatz mit der Größe des Kapitals steigt. Auf diese Weise würde die Last der öffentlichen Verwaltung von einem jeden nach seiner Fähigkeit getragen werden und nicht mehr, wie bisher in allen Ländern, hauptsächlich auf die Schultern derer fallen, die am wenigsten imstande sind, sie zu erschwingen. Ist doch im Grunde das Prinzip der Besteuerung ein rein kommunistisches, da das Recht der Steuererhebung in allen Ländern aus dem sogenannten Nationaleigentum abgeleitet wird. Denn entweder ist das Privateigentum heilig, so gibt es kein Nationaleigentum, und der Staat hat nicht das Recht, Steuern zu erheben; oder der Staat hat dies Recht, dann ist das Privateigentum nicht heilig, dann steht das Nationaleigentum über dem Privateigentume, und der Staat ist der wahre Eigentümer. Dies letztere Prinzip ist das allgemein anerkannte -, nun gut, m[eine] H[erren], wir verlangen vorderhand ja nur, daß einmal Ernst mit diesem Prinzip gemacht werde, daß der Staat sich zum allgemeinen Eigentümer erkläre und als solcher das öffentliche Eigentum zum öffentlichen Besten verwalte - und daß er als ersten Schritt hierzu einen Modus der Besteuerung einführe, der sich nur nach der Fähigkeit eines jeden zur Steuerzahlung und nach dem wirklichen öffentlichen Besten richte.

Sie sehen also, m[eine] H[erren], daß es nicht darauf abgesehen ist, die Gütergemeinschaft über Nacht und wider den Willen der Nation einzuführen, sondern daß es sich vor allem nur um die Feststellung des Zweckes und der Mittel und Wege handelt, wie wir diesem Ziele entgegengehen können. Daß aber das kommunistische Prinzip das der Zukunft sein wird, dafür spricht der Entwickelungsgang aller zivilisierten Nationen, dafür spricht die rasch fortschreitende Auflösung aller bisherigen sozialen Institutionen, dafür spricht die gesunde menschliche Vernunft und vor allem das menschliche Herz.

[II]

M[eine Herren]

Bei unserer letzten Zusammenkunft ist mir vorgeworfen worden, daß ich meine Beispiele und Belege fast nur aus fremden Ländern, namentlich aus England, genommen habe. Man hat gesagt, Frankreich und England gehe uns nichts an, wir lebten in Deutschland, und es sei unsere Sache, die Notwendigkeit und Vortrefflichkeit des Kommunismus für Deutschland zu beweisen. Man hat zugleich uns vorgeworfen, die historische Notwendigkeit des Kommunismus überhaupt keineswegs genügend dargetan zu haben. Dies ist ganz richtig und war auch nicht anders möglich. Eine historische Notwendigkeit läßt sich nicht in so kurzer Zeit beweisen wie die Kongruenz zweier Dreiecke, sie kann nur durch Studium und Eingehen auf weitläufige Voraussetzungen bewiesen werden. Ich will indes heute das meinige tun, um diese beiden Vorwürfe zu beseitigen, ich werde zu beweisen suchen, daß der Kommunismus für Deutschland - wenn keine historische, doch eine ökonomische Notwendigkeit ist.

Betrachten wir zuerst die gegenwärtige soziale Lage Deutschlands. Daß viel Armut unter uns existiert, ist bekannt. Schlesien und Böhmen haben selbst gesprochen. Von der Armut der Mosel- und Eifelgegenden wußte die "Rheinische Zeitung" viel zu erzählen. Im Erzgebirge herrscht seit undenklicher Zeit fortwährendes großes Elend. Nicht besser sieht es in der Senne und den westfälischen Leinendistrikten aus. Von allen Gegenden Deutschlands her wird geklagt, und es ist auch nicht anders zu erwarten. Unser Proletariat ist zahlreich und muß es sein, wie wir bei der oberflächlichsten Betrachtung unserer sozialen Lage einsehen müssen. Daß in den Industriebezirken ein zahlreiches Proletariat sein muß, liegt in der Natur der Sache. Die Industrie kann nicht ohne eine große Anzahl von Arbeitern existieren, die ihr gänzlich zu Gebote stehen, nur für sie arbeiten und auf jeden anderen Erwerb verzichten, die industrielle Beschäftigung macht bei dem Bestehen der Konkurrenz jede andere Beschäftigung unmöglich. Daher finden wir in allen Industriedistrikten ein Proletariat, das zu zahlreich, zu augenscheinlich ist, als daß es geleugnet werden könnte. - In den Ackerbaudistrikten dagegen soll kein Proletariat existieren, wie von vielen Seiten her behauptet wird. Aber ist dies möglich? In den Gegenden, wo großer Grundbesitz vorherrscht, ist ein solches Proletariat notwendig, die großen Wirtschaften haben Knechte und Mägde nötig, können nicht ohne Proletarier existieren. In den Gegenden, wo der Grundbesitz parzelliert ist, läßt sich das Aufkommen einer besitzlosen <550> Klasse ebenfalls nicht vermeiden; man teilt die Güter bis zu einem gewissen Grade, und dann hört das Teilen auf; und da dann nur einer aus der Familie das Gut übernehmen kann, so müssen die anderen wohl Proletarier, besitzlose Arbeiter werden. Dabei geht das Teilen denn gewöhnlich solange voran, bis das Gut zu klein ist, um eine Familie ernähren zu können, und es bildet sich eine Klasse von Leuten, die wie die kleine Mittelklasse der Städte, einen Übergang aus der besitzenden in die besitzlose Klasse bildet, durch ihren Besitz von anderer Beschäftigung zurückgehalten und doch nicht befähigt ist, von ihm zu leben. Auch unter dieser Klasse herrscht großes Elend.

Daß dieses Proletariat an Zahl stets zunehmen muß, dafür bürgt uns die zunehmende Verarmung der Mittelklassen, von der ich heute vor acht Tagen ausführlich sprach, und die Tendenz des Kapitals, sich in wenigen Händen zu konzentrieren. Ich brauche heute wohl auf diese Punkte nicht zurückzukommen und bemerke nur, daß diese Ursachen, welche das Proletariat fortwährend erzeugen und vermehren, dieselben bleiben und dieselben Folgen haben werden, solange die Konkurrenz besteht. Unter allen Umständen muß das Proletariat nicht nur fortexistieren, sondern auch sich fortwährend ausdehnen, eine immer drohendere Macht in unserer Gesellschaft werden, solange wir fortfahren, jeder auf seine eigne Faust und im Gegensatz zu allen anderen zu produzieren. Das Proletariat wird aber einmal eine Stufe der Macht und Einsicht erreichen, bei der es sich den Druck des ganzen sozialen Gebäudes, das fortwährend auf seinen Schultern ruht, nicht mehr wird gefallen lassen, wo es eine gleichmäßigere Verteilung der sozialen Lasten und Rechte verlangen wird; und dann wird - wenn sich die menschliche Natur bis dahin nicht ändert - eine soziale Revolution nicht zu vermeiden sein.

Dies ist eine Frage, auf die unsere Ökonomen bis jetzt noch gar nicht eingegangen sind. Sie kümmern sich nicht um die Verteilung, sondern bloß um die Erzeugung des Nationalreichtums. Wir wollen indes für einen Augenblick davon abstrahieren, daß, wie eben bewiesen, eine soziale Revolution überhaupt schon die Folge der Konkurrenz ist; wir wollen einmal die einzelnen Formen, unter denen die Konkurrenz auftritt, die verschiedenen ökonomischen Möglichkeiten für Deutschland betrachten und sehen, was die Folge einer jeden sein muß.

Deutschland -, oder genauer zu sprechen, der deutsche Zollverein, hat für den Augenblick einen Juste-milieu-Zolltarif. Unsere Zölle sind zu wirklichen Schutzzöllen zu niedrig, zur Handelsfreiheit zu hoch. So sind drei Dinge möglich: Entweder gehen wir zur vollständigen Handelsfreiheit über, <551> oder wir schützen unsere Industrie durch hinreichende Zölle, oder wir bleiben bei dem jetzigen System. Sehen wir die einzelnen Fälle an.

Wenn wir die Handelsfreiheit proklamieren und unsere Zölle aufheben, so ist unsere gesamte Industrie mit Ausnahme weniger Zweige ruiniert. Von Baumwollspinnerei, von mechanischer Weberei, von den meisten Zweigen der Baumwollen- und Wollenindustrie, von bedeutenden Branchen der Seidenindustrie, von beinahe der ganzen Eisengewinnung und Eisenverarbeitung kann dann keine Rede mehr sein. Die in allen diesen Zweigen plötzlich brotlos gewordenen Arbeiter würden in Masse auf den Ackerbau und die Trümmer der Industrie geworfen werden, der Pauperismus würde überall aus dem Boden wachsen, die Zentralisation des Besitzes in den Händen weniger würde durch eine solche Krisis beschleunigt werden, und nach den Vorgängen in Schlesien zu urteilen, wäre die Folge dieser Krisis notwendig eine soziale Revolution.

Oder wir verschaffen uns Schutzzölle. Diese sind neuerdings die Schoßkinder unserer meisten Industriellen geworden und verdienen daher nähere Betrachtung. Herr List hat die Wünsche unserer Kapitalisten in ein System gebracht, und an dieses von ihnen ziemlich allgemein als Credo anerkannte System will ich mich halten. Herr List schlägt allmählich steigende Schutzzölle vor, die endlich hoch genug werden sollen, daß sie den Fabrikanten den inländischen Markt sichern; dann sollen sie eine Zeitlang auf dieser Höhe bleiben und dann allmählich wieder erniedrigt werden, so daß endlich, nach einer Reihe von Jahren, aller Schutz aufhört. Nehmen wir einmal an, dieser Plan werde ausgeführt, die steigenden Schutzzölle seien dekretiert. Die Industrie wird sich heben, das noch müßige Kapital wird sich auf industrielle Unternehmungen werfen, die Nachfrage nach Arbeitern und mit ihr der Lohn wird steigen, die Armenhäuser leeren sich, es tritt ein allem Anscheine nach höchst blühender Zustand ein. Dies dauert solange, bis unsre Industrie ausgedehnt genug ist, um den heimischen Markt zu versorgen. Weiter kann sie sich nicht ausdehnen, denn da sie den heimischen Markt ohne Schutz nicht behaupten kann, so wird sie noch viel weniger auf neutralen Märkten gegen die auswärtige Konkurrenz etwas ausrichten. Jetzt, meint Herr List, würde indes die inländische Industrie schon stark genug sein, um weniger Schutz zu bedürfen, und die Herabsetzung könne anfangen. Geben wir dies für einen Augenblick zu. Die Zölle werden erniedrigt. Wenn nicht bei der ersten, so tritt doch ganz gewiß bei der zweiten oder dritten Zollherabsetzung eine solche Verringerung des Schutzes ein, daß die auswärtige - sagen wir geradezu die englische Industrie auf dem deutschen Markte mit unsrer eignen konkurrieren kann. Herr List wünscht dies selbst. <552> Was werden aber die Folgen davon sein? Die deutsche Industrie hat von diesem Augenblicke an alle Schwankungen, alle Krisen der englischen mit auszuhalten. Sobald die überseeischen Märkte mit englischen Waren überfüllt sind, werden die Engländer, gerade wie sie es jetzt tun, und wie Herr List es mit vieler Rührung schildert, ihre sämtlichen Vorräte auf den deutschen Markt, den nächsten zugänglichen, werfen und so den Zollverein wieder zu ihrem "Trödelmagazin" machen. Dann wird die englische Industrie sich bald wieder erheben, weil sie die ganze Welt zum Markte hat, weil die ganze Welt ihrer nicht entbehren kann, während die deutsche nicht einmal für ihren eignen Markt unentbehrlich ist, während sie in ihrem eignen Hause die Konkurrenz der Engländer fürchten muß und an dem Überfluß der während der Krisis ihren Abnehmern zugeworfenen englischen Waren laboriert. Dann wird unsre Industrie alle schlechten Perioden der englischen bis auf die Hefen zu kosten haben, während sie an den Glanzperioden dieser letzteren nur bescheidenen Anteil nehmen kann - kurz, dann werden wir gerade so weit sein, wie wir jetzt sind. Und damit wir gleich das Endresultat bekommen, dann wird derselbe gedrückte Zustand eintreten, in welchem jetzt die halbgeschützten Zweige sich befinden, dann wird ein Etablissement nach dem andern eingehen, ohne daß neue entstehen, dann werden unsre Maschinen veralten, ohne daß wir imstande sein werden, sie durch neue, verbesserte zu ersetzen, dann wird der Stillstand in einen Rückschritt sich verwandeln und nach Herrn Lists eigner Behauptung ein Industriezweig nach dem andern verkommen und endlich ganz eingehen. Dann aber haben wir ein zahlreiches Proletariat, das durch die Industrie geschaffen wurde und nun keine Lebensmittel, keine Arbeit hat; und dann, m[eine] H[erren], wird dies Proletariat mit der Forderung an die besitzende Klasse treten, beschäftigt und ernährt zu werden.

Das wird der Fall sein, wenn die Schutzzölle herabgesetzt werden. Nehmen wir nun an, sie würden nicht herabgesetzt, sie blieben stehen, und man wollte abwarten, daß die Konkurrenz der inländischen Fabrikanten unter sich sie illusorisch mache, um sie dann herabzusetzen. Die Folge hiervon wird sein, daß die deutsche Industrie, sobald sie imstande ist, den heimischen Markt vollständig zu versorgen, stillsteht. Neue Etablissements sind nicht nötig, da die bestehenden für den Markt ausreichen und an neue Märkte, wie schon oben gesagt, nicht zu denken ist, solange man überhaupt des Schutzes bedarf. Aber eine Industrie, deren Ausdehnung nicht fortschreitet, kann sich auch nicht vervollkommnen. Wie nach außen, wird sie nach innen stationär. Die Verbesserung der Maschinerie existiert für sie nicht. Die alten Maschinen kann man doch nicht wegwerfen, und für die neuen finden sich keine <553> neuen Etablissements, in denen sie Anwendung finden könnten. Andre Nationen schreiten indes voran, und der Stillstand unsrer Industrie wird wieder ein Rückschritt. Bald werden die Engländer durch ihren Fortschritt befähigt sein, so wohlfeil zu produzieren, daß sie mit unsrer zurückgebliebenen Industrie trotz des Schutzzolls auf unsrem eignen Markte konkurrieren können, und da im Kampf der Konkurrenz, wie in jedem andern Kampf, der Stärkere siegt, so ist unsre endliche Niederlage gewiß. Dann tritt derselbe Fall ein, von dem ich eben sprach: das künstlich erzeugte Proletariat wird von den Besitzenden etwas verlangen, was sie, solange sie exklusiv Besitzende bleiben wollen, nicht leisten können, und die soziale Revolution tritt ein.

Jetzt ist noch ein Fall möglich, nämlich der sehr unwahrscheinliche, daß es uns Deutschen durch die Schutzzölle gelingen werde, unsre Industrie dahin zu bringen, daß sie ohne Schutz gegen die Engländer konkurrieren könne. Nehmen wir an, dies sei der Fall; was wird die Folge davon sein? Sobald wir anfangen, den Engländern auf auswärtigen, neutralen Märkten Konkurrenz zu machen, so wird sich ein Kampf auf Tod und Leben zwischen unsrer und der englischen Industrie erheben. Die Engländer werden alle ihre Kräfte aufbieten, um uns aus den bisher von ihnen versorgten Märkten entfernt zu halten, sie müssen es, weil sie hier an ihrer Lebensquelle, an dem gefährlichsten Punkt angegriffen werden. Und mit all den Mitteln, die ihnen zu Gebote stehen, mit all den Vorteilen einer hundertjährigen Industrie, wird es ihnen gelingen, uns zu schlagen. Sie werden unsre Industrie auf unsren eignen Markt beschränkt halten und sie dadurch stationär machen - und dann tritt derselbe Fall ein, der eben entwickelt wurde, wir bleiben stehen, die Engländer schreiten vorwärts, und unsre Industrie ist bei ihrem unvermeidlichen Verfall nicht imstande, das durch sie künstlich erzeugte Proletariat zu ernähren -, die soziale Revolution tritt ein.

Gesetzt aber, wir besiegten die Engländer auch auf neutralen Märkten, wir rissen einen ihrer Abzugskanäle nach dem andern an uns -, was hätten wir in diesem so gut wie unmöglichen Fall gewonnen? Im glücklichsten Fall wurden wir dann die industrielle Karriere, die England uns vorgemacht hat, noch einmal durchmachen und über kurz oder lang da ankommen - wo England jetzt steht - nämlich am Vorabende einer sozialen Revolution. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde es aber solange gar nicht dauern. Durch die fortwährenden Siege der deutschen Industrie würde die englische notwendig ruiniert und die ohnehin den Engländern bevorstehende massenhafte Erhebung des Proletariats gegen die besitzenden Klassen nur beschleunigt. Die schnell eintretende Brotlosigkeit würde die englischen Arbeiter zur Revolution treiben, und wie die Dinge jetzt stehen, würde eine solche soziale <554> Revolution auf die Länder des Kontinents, namentlich Frankreich und Deutschland, eine ungeheure Rückwirkung ausüben, die um so stärker werden müßte, je mehr durch die forcierte Industrie in Deutschland ein künstliches Proletariat erzeugt worden wäre. Eine solche Umwälzung würde sogleich europäisch werden und die Träume unsrer Fabrikanten von einem industriellen Monopol Deutschlands sehr unsanft stören. Daß aber eine englische und eine deutsche Industrie friedlich nebeneinander bestehen könnten, das macht schon die Konkurrenz unmöglich. Eine jede Industrie muß, ich wiederhole es, fortschreiten, um nicht zurückzubleiben und unterzugehen, sie muß sich ausdehnen, neue Märkte erobern, fortwährend durch neue Etablissements vergrößert werden, um fortschreiten zu können. Da aber, seitdem China offen steht, keine neuen Märkte mehr erobert werden, sondern nur die bestehenden besser ausgebeutet werden können, da also die Ausdehnung der Industrie in Zukunft langsamer gehen wird als bisher, so kann England jetzt noch viel weniger einen Konkurrenten dulden, als dies bisher der Fall war. Es muß, um seine Industrie vor dem Untergange zu schützen, die Industrie aller andern Länder darniederhalten; die Behauptung des industriellen Monopols ist für England nicht mehr eine bloße Frage des größeren oder geringeren Gewinns, sie ist eine Lebensfrage geworden. Der Kampf der Konkurrenz zwischen Nationen ist ohnehin schon viel heftiger, viel entscheidender als der zwischen Individuen, weil es ein konzentrierterer Kampf, ein Kampf von Massen ist, den nur der entschiedene Sieg des einen und die entschiedene Niederlage des andern Teils endigen kann. Und darum würde auch ein solcher Kampf zwischen uns und den Engländern, mag sein Resultat sein, wie es will, weder für unsre, noch für die englischen Industriellen von Vorteil sein, sondern nur, wie ich eben entwickelte, eine soziale Revolution nach sich ziehen.

Wir haben demnach gesehen, m[eine] H[erren], was Deutschland sowohl von der Handelsfreiheit wie von dem Schutzsystem in allen möglichen Fällen zu erwarten hat. Wir hätten nur noch eine ökonomische Möglichkeit vor uns, nämlich den Fall, daß wir bei den jetzt bestehenden Juste-milieu-Zöllen blieben. Wir haben aber schon oben gesehen, was die Folgen davon sein würden. Unsere Industrie müßte, ein Zweig nach dem andern, zugrunde gehen, die Industriearbeiter würden brotlos werden, und wenn die Brotlosigkeit bis auf einen gewissen Grad gediehen, in einer Revolution gegen die besitzenden Klassen losbrechen.

Sie sehen also, m[eine] H[erren], auch im einzelnen das bestätigt, was ich im Anfange allgemein, von der Konkurrenz überhaupt ausgehend, entwickelte -, nämlich, daß die unvermeidliche Folge unserer bestehenden <555> sozialen Verhältnisse unter allen Bedingungen und in allen Fällen eine soziale Revolution sein wird. Mit derselben Sicherheit, mit der wir aus gegebenen mathematischen Grundsätzen einen neuen Satz entwickeln können, mit derselben Sicherheit können wir aus den bestehenden ökonomischen Verhältnissen und den Prinzipien der Nationalökonomie auf eine bevorstehende soziale Revolution schließen. Sehen wir uns indes diese Umwälzung einmal etwas näher an; in welcher Gestalt wird sie auftreten, was werden ihre Resultate sein, worin wird sie sich von den bisherigen gewaltsamen Umwälzungen unterscheiden? Eine soziale Revolution, m[eine] H[erren], ist ganz etwas anderes als die bisherigen politischen Revolutionen; sie geht nicht, wie diese, gegen das Eigentum des Monopols, sondern gegen das Monopol des Eigentums; eine soziale Revolution, m[einel H[erren], das ist der offene Krieg der Armen gegen die Reichen. Und solch ein Kampf, in dem alle die Triebfedern und Ursachen unverhohlen und offen zu ihrer Wirkung kommen, die in den bisherigen historischen Konflikten dunkel und versteckt zum Grunde lagen, solch ein Kampf droht allerdings heftiger und blutiger werden zu wollen als alle seine Vorgänger. Das Resultat dieses Kampfes kann ein zweifaches sein. Entweder greift die sich empörende Partei nur die Erscheinung, nicht das Wesen, nur die Form, nicht die Sache selbst an, oder sie geht auf die Sache selbst ein und faßt das Übel bei der Wurzel selbst an. Im ersten Falle wird man das Privateigentum bestehen lassen und nur anders verteilen, so daß die Ursachen bestehen bleiben, welche den jetzigen Zustand herbeigeführt haben und über kurz oder lang wieder einen ähnlichen Zustand und eine neue Revolution herbeiführen müssen. Aber, m[eine] H[erren], ist dies möglich? Wo finden wir eine Revolution, die das nicht wirklich durchgesetzt hätte, wovon sie ausging? Die englische Revolution setzte sowohl die religiösen wie die politischen Grundsätze durch, deren Bekämpfung von seiten Karls I. sie hervorrief; die französische Bourgeoisie hat in ihrem Kampfe mit dem Adel und der alten Monarchie alles erobert, was sie wünschte, alle die Mißbräuche abgestellt, die sie zum Aufstande trieben. Und der Aufstand der Armen sollte eher ruhen, bis er die Armut und ihre Ursachen abgeschafft hätte? Es ist nicht möglich, m[eine] H[erren], es würde gegen alle geschichtliche Erfahrung streiten, so etwas anzunehmen. Auch der Bildungsstand der Arbeiter, besonders in England und Frankreich, erlaubt uns nicht, dies für möglich zu halten. Es bleibt also nichts übrig als die andere Alternative, nämlich, daß die zukünftige soziale Revolution auch auf die wirklichen Ursachen der Not und Armut, der Unwissenheit und des Verbrechens eingehen, daß sie also eine wirkliche soziale Reform durchsetzen werde. Und dies kann nur durch die Proklamation des kommunistischen Prinzips geschehen. Betrachten Sie nur, <556> m[eine] H[erren], die Gedanken, welche den Arbeiter in den Ländern, wo auch der Arbeiter denkt, bewegen; sehen Sie in Frankreich die verschiedenen Fraktionen der Arbeiterbewegung, ob sie nicht alle kommunistisch sind; gehen Sie nach England und hören Sie, was für Vorschläge den Arbeitern zur Verbesserung ihrer Lage gemacht werden - ob sie nicht alle auf dem Prinzip des gemeinschaftlichen Eigentums beruhen; studieren Sie die verschiedenen Systeme der sozialen Reform, wie viele von ihnen Sie finden werden, die nicht kommunistisch sind? Von allen Systemen, die heutzutage noch von Bedeutung sind, ist das einzige nicht kommunistische das von Fourier, der seine Aufmerksamkeit mehr auf die soziale Organisation der menschlichen Tätigkeit als auf die Verteilung ihrer Erzeugnisse richtete. Alle diese Tatsachen rechtfertigen den Schluß, daß eine zukünftige soziale Revolution mit der Durchführung des kommunistischen Prinzips endigen werde, und lassen kaum eine andere Möglichkeit zu.

Sind diese Folgerungen richtig, m[eine] H[erren], ist die soziale Revolution und der praktische Kommunismus das notwendige Resultat unserer bestehenden Verhältnisse -, so werden wir uns vor allen Dingen mit den Maßregeln zu beschäftigen haben, wodurch wir einer gewaltsamen und blutigen Umwälzung der sozialen Zustände vorbeugen können. Und da gibt es nur ein Mittel, nämlich die friedliche Einführung oder wenigstens Vorbereitung des Kommunismus. Wollen wir also nicht die blutige Lösung des sozialen Problems, wollen wir nicht den täglich größer werdenden Widerspruch zwischen der Bildung und der Lebenslage unserer Proletarier sich bis zu der Spitze steigern lassen, wo nach allen unseren Erfahrungen über die menschliche Natur die brutale Gewalt, die Verzweiflung und Rachgier diesen Widerspruch lösen wird, dann, m[eine] H[erren], müssen wir uns ernstlich und unbefangen mit der sozialen Frage beschäftigen; dann müssen wir es uns angelegen sein lassen, das unsrige zur Vermenschlichung der Lage der modernen Heloten beizutragen. Und wenn vielleicht manchem von Ihnen es scheinen möchte, als ob die Hebung der bis jetzt erniedrigten Klassen nicht ohne eine Erniedrigung seiner eigenen Lebenslage geschehen könnte, so ist doch zu bedenken, daß es sich darum handelt, eine solche Lebenslage für alle Menschen zu schaffen, daß ein jeder seine menschliche Natur frei entwickeln, mit seinen Nächsten in einem menschlichen Verhältnisse leben kann und vor keinen gewaltsamen Erschütterungen seiner Lebenslage sich zu fürchten braucht; so ist zu bedenken, daß dasjenige, was einzelne aufopfern sollen, nicht ihr wahrhaft menschlicher Lebensgenuß, sondern nur der durch unsere schlechten Zustände erzeugte Schein des Lebensgenusses ist, etwas, was wider die eigne Vernunft und das eigne Herz derer geht, die sich jetzt dieser scheinbaren <557> Vorzüge erfreuen. Das wahrhaft menschliche Leben mit allen seinen Bedingungen und Bedürfnissen wollen wir so wenig zerstören, daß wir es im Gegenteil erst recht herzustellen wünschen. Und wenn Sie, auch abgesehen davon, nur einmal recht bedenken wollen, auf was unser jetziger Zustand in seinen Folgen hinauslaufen muß, in welches Labyrinth von Widersprüchen und Unordnungen er uns führt -, dann, m[eine] H[erren], werden Sie es gewiß der Mühe wert finden, die soziale Frage ernsthaft und gründlich zu studieren. Und wenn ich Sie dazu veranlassen kann, so ist der Zweck meines Vortrags vollständig erreicht.