Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 4, S. 296 - 298
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1972

[Karl Marx]

Die Schutzzöllner, die Freihandelsmänner und die arbeitende Klasse 

Geschrieben in der zweiten Septemberhälfte 1847.
Nach: "Zwei Reden über die Freihandels- und Schutzzollfrage von Karl Marx. Aus dem Französischen übersetzt ... von J. Weydemeyer". Hamm 1848.


<296> Die Schutzzöllner haben niemals die kleine Industrie, die eigentliche Handarbeit protegiert. Haben etwa in Deutschland der Dr. List und seine Schule für die kleine Leinenindustrie, für die Handweberei, für das Handwerk Schutzzölle verlangt? Nein, wenn sie um Schutzzölle baten, taten sie es nur, um die Handarbeit durch die Maschinen, die patriarchalische Industrie durch die moderne Industrie zu verdrängen. Mit einem Worte, sie wollen die Herrschaft der Bourgeoisie, besonders der großen industriellen Kapitalisten verbreiten. Sie gingen so weit, den Verfall und Untergang der kleinen Industrie, der kleinen Bourgeoisie, des kleinen Ackerbaues, der kleinen Bauern laut als ein trauriges, aber unvermeidliches und für die industrielle Entwicklung Deutschlands notwendiges Ereignis auszurufen.

Neben der Schule des Dr. List gibt es in Deutschland, dem Lande der Schulen, noch eine andere Schule, welche nicht allein ein Schutzzollsystem, sondern ein eigentliches Prohibitivsystem verlangt. Der Führer dieser Schule, Herr v. Gülich, hat eine sehr wissenschaftliche Geschichte der Industrie und des Handels geschrieben, die auch ins Französische übersetzt ist. Herr v. Gülich ist ein aufrichtiger Philanthrop; es ist ihm ernst mit dem Schutze der Handarbeit, der Nationalarbeit. Nun gut! Was tat er? Er begann mit der Widerlegung des Dr. List, bewies, daß in dem Listschen System das Wohl der arbeitenden Klasse nur falscher Schein, eine hohle und klingende Phrase sei, und machte dann seinerseits folgende Vorschläge:

  1. Die Einfuhr der fremden Manufakturprodukte zu verbieten;
  2. die Rohstoffe, welche aus dem Ausland kommen, wie Baumwolle, Seide usw. usw., mit sehr hohen Eingangszöllen zu belasten, um die Wolle und die nationale Leinwand zu schützen;
  3. ebenso die Kolonialwaren, um durch inländische Produkte den Zucker, <297> Kaffee, Indigo, Cochenille, die kostbaren Hölzer usw. usw. zu verdrängen;
  4. die inländischen Maschinen hoch zu besteuern, um die Handarbeit gegen die Maschine zu schützen.

Man sieht, Herr v. Gülich ist ein Mann, der das System mit allen seinen Konsequenzen annimmt. Und wohin ist es dadurch geführt? Nicht allein den Eingang ausländischer Industrieprodukte, sondern selbst den Fortschritt der nationalen Industrie zu verhindern.

Herr List und Herr v. Gülich bilden die Grenzen, zwischen denen sich das System bewegt. Will es den Fortschritt der Industrie schützen, so opfert es geradezu die Handarbeit, die Arbeit; will es die Arbeit schützen, ist der industrielle Fortschritt das Opfer.

Kehren wir zurück zu den eigentlichen Schutzzöllnern, welche die Illusionen des Herrn v. Gülich nicht teilen.

Sprechen sie wissentlich und frei zu der arbeitenden Klasse, so fassen sie ihre Philanthropie in folgenden Worten zusammen: Es ist besser, von seinen Landsleuten, als von Fremden ausgebeutet zu werden.

Ich denke, die arbeitende Klasse wird sich nicht für immer mit dieser Lösung begnügen, welche, man muß es gestehen, zwar sehr patriotisch, aber doch ein wenig zu asketisch und spiritualistisch ist für Leute, deren einzige Beschäftigung in Produktion der Reichtümer, des materiellen Wohles besteht.

Aber die Schutzzöllner werden sagen: "So erhalten wir nach alledem doch wenigstens den jetzigen Zustand der Gesellschaft. Gut oder schlecht sichern wir dem Arbeiter Beschäftigung seiner Hände und verhindern, daß er durch die fremde Konkurrenz aufs Pflaster geworfen wird." Ich will diese Behauptung nicht bekämpfen, ich nehme sie an. Die Erhaltung, die Konservierung des jetzigen Zustandes ist also das beste Resultat, wozu die Schutzzöllner im günstigsten Falle gelangen werden. Gut, aber für die arbeitende Klasse handelt es sich nicht darum, den jetzigen Zustand zu erhalten, sondern denselben in sein Gegenteil zu verwandeln.

Noch eine letzte Zuflucht bleibt den Schutzzöllnern: sie sagen, ihr System mache gar keinen Anspruch darauf, ein Mittel zu sozialen Reformen zu sein, aber es sei doch notwendig, mit den sozialen Reformen im Innern des Landes zu beginnen, ehe man bei ökonomischen Reformen in internationaler Beziehung anlangen könne. Nachdem das Schutzsystem anfangs reaktionär, dann konservativ gewesen, wird es zuletzt konservativ-progressistisch. Es wird genügen, den Widerspruch hervorzuheben, der sich unter dieser Theorie birgt, die auf den ersten Blick etwas Verführerisches, Praktisches, Rationelles zu haben scheint. Ein befremdender Widerspruch! Das Schutzzollsystem <298> gibt dem Kapital des einen Landes Waffen in die Hand, um den Kapitalen der anderen Länder trotzen zu können; es verstärkt die Kraft jenes Kapitals gegenüber dem fremden und bildet sich zugleich ein, durch dieselben Mittel dasselbe Kapital klein und schwach zu machen gegenüber der arbeitenden Klasse. Das hieße doch zuletzt an die Philanthropie des Kapitals appellieren, als ob das Kapital als solches Philanthrop sein könnte. Im allgemeinen können die sozialen Reformen aber auch niemals durch die Schwäche des Starken bewirkt werden; sie müssen und werden ins Leben gerufen werden durch die Stärke des Schwachen.

Übrigens brauchen wir uns hierbei nicht aufzuhalten. Von dem Augenblick, wo die Schutzzöllner zugeben, daß die sozialen Reformen nicht in den Bereich ihres Systems gehören, kein Ausfluß desselben sind, daß sie eine besondere Frage bilden: haben sie sich schon von der sozialen Frage entfernt. Ich werde daher die Schutzzöllner beiseite lassen und von dem Freihandel reden in seiner Beziehung zu der Lage der arbeitenden Klasse.