Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 4, S. 423 - 425
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1972

[Friedrich Engels]

Die "Réforme" und der "National"

Geschrieben Ende Dezember 1847.

["Deutsche-Brüsseler-Zeitung" Nr. 104 vom 30. Dezember 1847]

<423> Aus dem Bankett von Lille hat sich eine Debatte zwischen der "Réforme" und dem "National" entsponnen, die jetzt zu einer entschiedenen Trennung beider Journale geführt hat.

Die Tatsachen sind folgende:

Seit dem Beginn der Reformbanketts hat sich der "National" noch offner als bisher der dynastischen Opposition angeschlossen. Bei dem Bankett von Lille zog sich Herr Degeorge, vom "National", mit Odilon Barrot zurück. Der "National" selbst sprach sich mehr als zweifelhaft über das Liller Bankett aus. Aufgefordert von der "Réforme", sich näher zu erklären, lehnte er dies ab unter dem Vorwande" mit diesem Journal keine Polemik anfangen zu wollen. Dies war durchaus kein Grund, sich nicht über das Faktum auszusprechen. Genug, die "Réforme" ließ die Sache nicht fallen und griff zuletzt den Herrn Garnier-Pagès vom "National" wegen einer Rede an, in der er die Existenz der Klasse leugnete und Bourgeoisie und Proletariat in der allgemeinen Phrase von Citoyens français <französischen Bürger> verschwinden ließ. Jetzt endlich erklärte der "National", er werde seine Freunde gegen ein Journal verteidigen, welches alle braven Patrioten wie Carnot, Garnier-Pagès usw. verdächtige.

Der "National", sehr bald auf allen Punkten geschlagen, wußte zuletzt keinen andern Ausweg mehr, als die "Réforme" des Kommunismus anzuklagen.

"Ihr sprecht von unbestimmten Bestrebungen, von Theorien und Systemen, die im Volke entstehen, ihr tadelt uns, daß wir diese, gerade herausgesagt, kommunistischen Bestrebungen offen angreifen. Nun wohl, erklärt euch direkt, entweder für oder gegen den Kommunismus. Wir erklären es laut, wir haben nichts mit den Kommu- <424> nisten, mit diesen Leuten gemein, die das Eigentum, die Familie, das Vaterland leugnen. Wir werden am Tage des Kampfes nicht mit, sondern gegen diese abscheulichen Bestrebungen fechten. Wir haben keinen Frieden, keine Toleranz für diese gehässigen Träumereien, für dieses absurde und rohe (sauvage) System, das den Menschen bestialisiert, ihn zum wilden Tier herabdrückt (se réduit a l'état de brute). Und ihr glaubt, das Volk würde mit euch sein? Das Volk würde das wenige Eigentum, das es sich im Schweiße seines Angesichts erworben, es würde die Familie, das Vaterland aufgeben? Ihr glaubt, das Volk würde sich jemals überreden lassen, es sei gleichgültig, ob Österreich uns unter seinem Despotismus unterjoche, ob die Mächte Frankreich zerstückeln?"

Solchen Gründen gegen den Kommunismus fügt der "National" seine Pläne zur Hebung der Lage der Arbeiter hinzu: Postreform, Finanzreform, Luxussteuern, Staatsunterstützungen, Aufhebung der Oktrois, freie Konkurrenz.

Man wird sich nicht die Mühe gehen, dem "National" seine lächerlichen Vorstellungen vom Kommunismus zu berichtigen. Komisch ist nur, daß der "National" noch immer die schreckhafte Vorstellung von einer stets drohenden Invasion der "Großmächte" zur Schau trägt, daß er noch immer glaubt, jenseits des Rheins und des Kanals seien Millionen Bajonette auf Frankreich gezückt, Hunderttausende von Feuerschlünden auf Paris gerichtet. Die "Réforme" hat ganz richtig darauf geantwortet: Im Fall einer Invasion der Könige werden uns nicht die Befestigungen von Paris, sondern die Völker selbst zum Wall dienen.

Die "Réforme" erklärt auf den oben zitierten Artikel des "National":

"Wir sind nicht kommunistisch, und zwar aus dem Grunde, weil der Kommunismus nicht die Gesetze der Produktion berücksichtigt, weil er sich nicht darum kümmert, daß auch hinreichend für die ganze Gesellschaft produziert wird. Aber die ökonomischen Vorschläge der Kommunisten stehen uns näher als die des "National", der ohne weiteres die heutige bürgerliche Ökonomie akzeptiert. Wir werden die Kommunisten auch fernerhin gegen die Polizei und den "National" verteidigen, weil wir ihnen mindestens das Recht der Diskussion zuerkennen und weil die von den Arbeitern selbst ausgehenden Doktrinen stets Berücksichtigung verdienen."

Wir danken der "Réforme" für die energische Weise, in der sie die wirkliche Demokratie gegenüber dem "National" vertreten hat. Wir danken der "Réforme", daß sie ihm gegenüber den Kommunismus verteidigt. Wir erkennen gern an, daß sie zu jeder Zeit die Kommunisten verteidigte, wenn sie von der Regierung verfolgt wurden. Die "Réforme" allein von allen Pariser Journalen hat die materialistischen Kommunisten verteidigt, als sie von Herrn Delangle vor Gericht geschleppt wurden; Herr Cabet gab zu <425> gleicher Zeit der Regierung fast recht gegen die Materialisten. Es freut uns, daß die "Réforme" selbst in den mehr oder weniger unentwickelten Formen des Kommunismus, in denen er bisher auftrat, einen Kern entdeckt hat, dem sie nähersteht als den Vertretern der bürgerlichen Ökonomie. Wir dagegen hoffen, binnen kurzem der "Réforme" beweisen zu können, daß der Kommunismus, wie wir ihn verteidigen, den Prinzipien der "Réforme" noch verwandter ist als dem Kommunismus selbst, wie er bisher in Frankreich geltend gemacht wurde und wie er jetzt teilweise auswandert.

In ihrem Verwerfungsurteil über den "National" spricht die "Réforme" übrigens nur das Urteil aus, welches die deutsche, englische und belgische Demokratie, überhaupt alle, außer französische Demokratie längst gefällt hat.