Neue Teilung Polens | Inhalt | Köln in Gefahr

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 57-58
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971


Das Schild der Dynastie

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 10 vom 10. Juni 1848]

<57> **Köln, 9. Juni. Wie deutsche Blätter melden, hat Herr Camphausen vor seinen Vereinbarern am 6. d. [Mts.] sein überströmendes Herz ausgeschüttet. Er hielt

"eine nicht sowohl glänzende als vielmehr dem innersten Herzquell entströmende Rede, die an Paulus erinnert, wo er sagt: 'Und wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz'! Seine Rede war reich an jener heiligen Bewegung, die wir Liebe nennen ... sie sprach begeisternd zu Begeisterten, der Beifall wollte nicht enden ... und eine längere Pause war nötig, um ihrem ganzen Eindruck sich hinzugeben und ihn in sich aufzunehmen."

Und wer war der Held dieser herzquellentströmenden, liebevollen Rede? Wer war das Thema, das Herrn Camphausen so begeisterte, daß er begeisternd zu Begeisterten sprach? Wer der Äneas dieser Äneide vom 6. Juni?

Wer anders als der Prinz von Preußen!

Man lese nach in dem stenographischen Bericht, wie der dichterische Konseilpräsident die Fahrten des modernen Anchisessohnes schildert; wie er, als der Tag gekommen,

- wo die heilige Ilias hinsank,
Priamos auch und das Volk des lanzenkundigen Königs!
<Homer, "Ilias">,

wie er nach dem Fall des junkertümlichen Troja nach langen Irrfahrten zu Wasser und zu Lande endlich an den Strand des modernen Karthago geschlagen und von der Königin Dido freundschaftlichst empfangen wurde; wie es ihm besser erging als Äneas 1., indem sich ein Camphausen fand, der Troja möglichst wiederherstellte und den heiligen "Rechtsboden" wieder entdeckte; wie Camphausen seinen Aneas endlich zu seinen Penaten heimkehren ließ und wie nun wieder Freude herrscht in Trojas Hallen. Alles das und <58> zahllose dichterische Ausschmückungen muß man lesen, um zu empfinden, was es heißt, wenn ein Begeisternder zu Begeisterten spricht.

Dies ganze Epos dient übrigens dem Herrn Camphausen nur zum Vorwand für einen Dithyrambus auf sich selbst und sein eigenes Ministerium.

"Ja" - ruft er aus - "wir haben geglaubt, es entspreche dem Geiste der konstitutionellen Verfassung, daß wir uns an die Stelle einer hohen Persönlichkeit setzten, daß wir uns als die Persönlichkeiten hinstellten, gegen die alle Angriffe zu richten seien ... So ist es geschehen. Wir haben uns als Schild vor die Dynastie gestellt und alle Gefahren und Angriffe auf uns geleitet!"

Welch ein Kompliment für die "hohe Persönlichkeit", welch ein Kompliment für die "Dynastie"! Ohne Herrn Camphausen und seine sechs Paladine war die Dynastie verloren. Für welch eine kräftige, welch eine "tief im Volk wurzelnde Dynastie" muß Herr Camphausen das Haus Hohenzollern halten, um so zu sprechen! Wahrlich, hätte Herr Camphausen weniger "begeisternd zu Begeisterten" gesprochen, wäre er weniger "reich an jener heiligen Bewegung gewesen, die wir Liebe nennen", oder hätte er nur seinen Hansemann sprechen lassen, der sich mit dem "tönenden Erz" begnügt, es wäre besser gewesen für die Dynastie!

"Allein, meine Herren, ich spreche dies nicht mit herausforderndem Stolze, sondern mit der Demut, die aus dem Bewußtsein entspringt, daß die hohe Aufgabe, die Ihnen und uns gestellt ist, nur gelöst werden kann, wenn der Geist der Milde und Versöhnung sich auch auf diese Versammlung herabsenkt, wenn wir neben Ihrer Gerechtigkeit auch Ihre Nachsicht finden!"

Herr Camphausen hat recht, Milde und Nachsicht für sich von einer Versammlung zu erbitten, die der Milde und Nachsicht des Publikums selbst so sehr bedarf!