Die Vereinbarungsversammlung vom 15. Juni | Inhalt | Valdenaires Haft - Sebaldt

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 80-82
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971


Der Prager Aufstand

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 18 vom 18. Juni 1848]

<80> **Köln, 17. Juni. Ein neues posensches Blutbad bereitet sich in Böhmen vor. Die österreichische Soldateska hat die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenbleibens von Böhmen und Deutschland im tschechischen Blute erstickt.

Der Fürst Windischgrätz läßt auf dem Wyschehrad und Hradschin Kanonen gegen Prag auffahren. Militär wird konzentriert und ein Handstreich gegen den Slawenkongreß und die Tschechen vorbereitet.

Das Volk erfährt diese Rüstungen. Es strömt vor die Wohnung des Fürsten und verlangt Waffen. Sie werden ihm verweigert. Die Aufregung steigt, die bewaffneten und unbewaffneten Massen wachsen. Da fällt ein Schuß aus einem dem Palast des Kommandanten gegenüberliegenden Gasthof, und die Fürstin Windischgrätz sinkt tödlich verwundet nieder. Auf der Stelle wird Befehl zum Angriff erteilt, die Grenadiere rücken vor, das Volk wird zurückgedrängt. Aber überall erheben sich Barrikaden und halten das Militär auf. Kanonen werden vorgefahren, mit Kartätschen werden die Barrikaden zerschmettert. Das Blut fließt in Strömen. Die ganze Nacht vom 12. auf den 13. und noch am 13. wird gekämpft. Endlich gelingt es den Soldaten, die breiten Straßen zu nehmen und das Volk in die engeren Stadtteile zurückzudrängen, wo keine Artillerie angewandt werden kann.

Soweit unsre neuesten Nachrichten. Es wird hinzugefügt, daß viele Mitglieder des Slawenkongresses unter starker Bedeckung aus der Stadt gewiesen seien. Hiernach hätte das Militär wenigstens teilweise gesiegt.

Der Aufstand mag endigen wie er will, ein Vernichtungskrieg der Deutschen gegen die Tschechen bleibt jetzt die einzige mögliche Lösung.

Die Deutschen haben in ihrer Revolution die Sünden ihrer ganzen Vergangenheit zu büßen. Sie haben sie gebüßt in Italien. Sie haben sich in Posen <81> abermals den Fluch von ganz Polen aufgeladen. Und jetzt kommt noch Böhmen dazu.

Die Franzosen haben sich, selbst da, wo sie als Feinde kamen, Anerkennung und Sympathien zu erhalten gewußt. Die Deutschen werden nirgends anerkannt, finden nirgends Sympathien. Selbst wo sie als großherzige Freiheitsapostel auftreten, stößt man sie mit bitterm Hohn zurück.

Und man hat recht. Eine Nation, die sich in ihrer ganzen Vergangenheit zum Werkzeug der Unterdrückung gegen alle andern Nationen hat gebrauchen lassen, eine solche Nation muß erst beweisen, daß sie wirklich revolutioniert ist. Sie muß es anders beweisen als durch ein paar halbe Revolutionen, die kein anderes Resultat haben, als unter andern Gestalten die alte Unentschiedenheit, Schwäche und Uneinigkeit fortbestehen zu lassen; Revolutionen, bei denen ein Radeztky in Mailand, ein Colomb und Steinäcker in Posen, ein Windischgrätz in Prag, ein Hüser in Mainz bleibt, ganz als ob nichts vorgefallen.

Das revolutionierte Deutschland mußte sich, namentlich in Beziehung auf die Nachbarvölker, von seiner ganzen Vergangenheit lossagen. Es mußte zugleich mit seiner eigenen Freiheit die Freiheit der Völker proklamieren, die es bisher unterdrückt hatte.

Und was hat das revolutionierte Deutschland getan? Es hat die alte Unterdrückung Italiens, Polens und nun auch Böhmens durch die deutsche Soldateska vollständig ratifiziert. Kaunitz und Metternich sind vollständig gerechtfertigt.

Und da verlangen die Deutschen, die Tschechen sollen ihnen vertrauen? Und man verdenkt den Tschechen, daß sie sich nicht an eine Nation anschließen wollen, die, während sie sich selbst befreit, andere Nationen unterdrückt und mißhandelt?

Man verdenkt es ihnen, daß sie eine Versammlung nicht beschicken wollen, wie unsere trübselige, mattherzige, vor ihrer eignen Souveränität zitternde Frankfurter "Nationalversammlung"?

Man verdenkt es ihnen, daß sie sich von der impotenten österreichischen Regierung lossagen, die in ihrer Ratlosigkeit und Lahmheit nur da zu sein scheint, um das Auseinanderfallen Österreichs nicht zu verhindern oder wenigstens zu organisieren, sondern zu konstatieren? Einer Regierung, die selbst zu schwach ist, Prag von den Kanonen und Soldaten eines Windischgrätz zu befreien?

Wer aber am meisten zu bedauern ist, das sind die tapfern Tschechen selbst. Mögen sie siegen oder geschlagen werden, ihr Untergang ist gewiß. Durch die vierhundertjährige Unterdrückung von seiten der Deutschen, die <82> jetzt in dem Prager Straßenkampf fortgesetzt wird, sind sie den Russen in die Arme gejagt. In dem großen Kampfe zwischen dem Westen und dem Osten Europas, der in sehr kurzer Zeit - vielleicht in einigen Wochen - hereinbrechen wird, stellt ein unglückliches Verhängnis die Tschechen auf die Seite der Russen, auf die Seite des Despotismus gegen die Revolution. Die Revolution wird siegen, und die Tschechen werden die Ersten sein, die von ihr erdrückt werden.

Die Schuld für diesen Untergang der Tschechen tragen wieder die Deutschen. Es sind die Deutschen, die sie an Rußland verraten haben.

Geschrieben von Friedrich Engels.