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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 175-177
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971


Gerichtliche Untersuchung gegen die "Neue Rheinische Zeitung"

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 37 vom 7. Juli 1848]

<175> *Köln, 6. Juli. Wir erhalten soeben folgende Entgegnung auf den in der gestrigen "[Neuen] Rheinischen Zeitung" abgedruckten Artikel, de dato "Köln, 4. Juli", betreffend die Verhaftung der Herren Dr. Gottschalk und Anneke <Siehe "Verhaftungen">.

"Ich erkläre es für eine Unwahrheit, daß ich auf die Beschwerde der Frau Anneke über die ohne Gegenwart einer Magistratsperson vorgenommene Verhaftung ihres Mannes erwidert habe:

ich habe keinen Befehl zu Brutalitäten gegeben.

Ich habe vielmehr nur geäußert, daß ich es bedauern müsse, wenn sich die Gendarmen ungebührlich benommen haben sollten.

ich erkläre es ferner für eine Unwahrheit, daß ich mich des Ausdrucks bedient habe:

die Gendarmen seien zu der Verhaftung richterlich kommandiert worden,

und habe nur bemerkt, daß die Verhaftung kraft eines Vorführungsbefehls des Herrn Instruktionsrichters vollzogen worden sei.

Vorführungsbefehle werden nach dem Gesetz durch Gerichtsvollzieher oder Agenten der bewaffneten Macht vollstreckt. Die Anwesenheit eines Beamten der gerichtlichen Polizei ist nirgend vorgeschrieben.

Die in dem Artikel enthaltenen Verleumdungen resp. Beleidigungen gegen den Herrn Oberprokurator Zweiffel und die Gendarmen, welche die Verhaftung vollzogen haben, werden in der gerichtlichen Untersuchung, die deshalb eingeleitet werden wird, ihre Würdigung finden.

Köln, den 5. Juli 1848

Der Staatsprokurator:
Hecker"

<176> Unsere werten Leser ersehn aus dem Vorstehenden, daß die "Neue Rhein[ische] Z[ei]t[un]g" einen neuen, vielversprechenden Mitarbeiter gewonnen hat - das Parquet.

Wir haben geirrt in einem juristischen Punkt. Bei der Verhaftung bedarf es keines "Beamten der gerichtlichen Polizei", sondern nur eines Agenten der öffentlichen Gewalt. Mit welch sorglichen Garantien der Code die persönliche Sicherheit umgibt!

Es bleibt übrigens nach wie vor ungesetzlich, daß die Herrn Gendarmen ihren Verhaftungsbefehl nicht vorgezeigt haben. Es bleibt ungesetzlich, daß sie, wie uns nachträglich versichert wird, schon vor dem Erscheinen des Herrn Hecker und seines Herrn Begleiters Briefschaften durchmustert haben. Vor allem aber bleiben die Brutalitäten ungesetzlich, die Herr Hecker bedauert hat. Wir sind erstaunt, eine gerichtliche Untersuchung nicht gegen die Herrn Gendarmen, sondern gegen die Zeitung verhängt zu sehn, welche die Ungebühr der Herrn Gendarmen denunziert.

Die Beleidigung könnte sich nur auf den einen der Herrn Gendarmen beziehn, von dem versichert wurde, er habe zu guter Stunde "gewankt" aus mehr oder minder spirituellen oder spirituosen Gründen. Ergibt aber die Untersuchung, wie wir keinen Augenblick zweifeln, die Richtigkeit des Tatbestandes - der von den Herren Agenten der öffentlichen Gewalt verübten Brutalitäten -, so glauben wir nur den einzig "mildernden Umstand" mit der ganzen Unparteilichkeit, welche der Presse geziemt, im eigensten Interesse der von uns beschuldigten Herren sorglichst hervorgehoben zu haben, und die menschenfreundliche Angabe des einzig mildernden Umstandes verwandelt das Parquet in eine "Beleidigung"!

Und nun die Beleidigung, resp. Verleumdung des Herrn Oberprokurator Zweiffel!

Wir haben einfach berichtet und, wie wir selbst im Bericht andeuteten, Gerüchte berichtet, Gerüchte, die uns aus guter Quelle zukamen. Die Presse, sie hat aber nicht nur das Recht, sie hat die Pflicht, die Herren Volksrepräsentanten aufs genaueste zu überwachen. Wir haben zugleich angedeutet, daß die bisherige parlamentarische Wirksamkeit des Herrn Zweiffel jene ihm zugeschriebenen volksfeindlichen Äußerungen nicht unwahrscheinlich macht - und will man der Presse das Recht abschneiden, die parlamentarische Wirksamkeit eines Volksrepräsentanten zu beurteilen? Wozu dann die Presse?

Oder hat die Presse nicht das Recht, in dem Volksrepräsentanten Zweiffel zuviel von dem Oberprokurator und in dem Oberprokurator zuviel von dem Volksrepräsentanten zu finden? Wozu dann in Belgien, in Frankreich usw. die Debatten über die Inkompatibilitäten?

<177> Was den konstitutionellen Usus betrifft, so lese man nach, wie der "Constitutionnel", der "Siécle", die "Presse" unter Louis-Philippe die parlamentarische Wirksamkeit der Herren Hébert, Plougoulm usw. beurteilten, zur Zeit, wo diese Herren die obersten Chefs des Parquets und zugleich Deputierte waren. Man lese die belgischen Blätter nach, und zwar die engkonstitutionellen, den "Observateur", die "Politique", die "Emancipation", wie sie die parlamentarische Wirksamkeit des Herrn Bavay noch vor kaum einem Jahre beurteilten, als Herr Bavay in einer Person den Deputierten und den Generalprokurator vereinigte.

Und was unter dem Ministerium Guizot, unter dem Ministerium Rogier stets erlaubt war, sollte nicht erlaubt sein in der Monarchie auf breitester demokratischer Grundlage? Ein Recht, was kein Ministerium der französischen Restauration bestritt, wird zum Unrecht unter dem Ministerium der Tat, das die Revolution im Prinzip anerkennt?

Übrigens hat sich das Publikum durch unsere Extrabeilage von heute morgen überzeugt, wie richtig wir den Gang der Ereignisse beurteilt. Rodbertus ist aus dem Ministerium aus- und Ladenberg ist in das Ministerium eingetreten. Das Ministerium des linken Zentrums hat sich nach einigen Tagen in ein entschieden altpreußisch-reaktionäres Ministerium verwandelt. Die Rechte hat einen Staatsstreich gewagt, die Linke hat sich drohend zurüchgezogen.

Und es wäre nicht mit Händen zu greifen, daß die jüngsten Taten zu Köln in dem großen Feldzugsplan des Ministeriums der Tat verzeichnet standen?

Soeben wird uns berichtet, daß der "Neuen Rheinischen Zeitung" der Zugang ins Arresthaus versperrt ist. Berechtigt die Gefängnisordnung zu diesem Verbot? Oder sind politisch Angeschuldigte zur Strafe verurteilt, ausschließlich die "Kölnische Zeitung" zu lesen?

Geschrieben von Karl Marx.