Die Unterdrückung der Klubs in Stuttgart und Heidelberg | Inhalt | Der Bürgerwehrgesetzentwurf

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 240-242
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971


Der preußische Preßgesetzentwurf

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 50 vom 20. Juli 1848]

<240> **Köln, 19. Juli. Wir dachten, unsre Leser heute wieder mit den Vereinbarungsdebatten erheitern und ihnen namentlich eine brillante Rede des Abgeordneten Baumstark vorlegen zu können, aber die Ereignisse verhindern uns daran.

Jeder ist sich selbst der Nächste. Wenn die Existenz der Presse bedroht ist, läßt man selbst den Abgeordneten Baumstark fahren.

Herr Hansemann hat der Vereinbarungsversammlung ein interimistisches Preßgesetz vorgelegt. Die väterliche Sorgfalt des Herrn Hansemann für die Presse verlangt sofortige Berücksichtigung.

Früher verschönerte man den Code Napoléon durch die erbaulichsten Titel des Landrechts. Jetzt, nach der Revolution, ist das anders geworden; jetzt bereichert man das allgemeine Landrecht durch die duftigsten Blüten des Code und der Septembergesetzgebung. Duchâtel ist natürlich kein Bodelschwingh.

Wir haben bereits vor mehreren Tagen die Hauptbestimmungen dieses Preßgesetzentwurfs mitgeteilt. Kaum hatte man uns durch einen Verleumdungsprozeß <Siehe "Gerichtliche Untersuchung gegen die 'Neue Rheinische Zeitung'"> Gelegenheit gegeben zu beweisen, daß die Artikel 367 und 368 des Code pénal mit der Preßfreiheit im schreiendsten Widerspruch stehen, so trägt Herr Hansemann darauf an, nicht nur sie auf die ganze Monarchie auszudehnen, sondern auch sie noch dreifach zu verschärfen. Wir finden alles in dem neuen Entwurf wieder, was uns bereits durch die praktische Erfahrung so lieb und teuer geworden ist:

Wir finden das Verbot, bei drei Monaten bis zu drei Jahren Strafe, jemanden einer Tatsache zu beschuldigen, die gesetzlich strafbar ist oder ihn nur <241> "der öffentlichen Verachtung aussetzt"; wir finden das Verbot, die Wahrheit der Tatsache anders als durch eine "vollgültige Beweisurkunde" zu führen, kurz, wir finden die klassischsten Denkmäler napoleonischer Preßdespotie wieder.

In der Tat, Herr Hansemann hält sein Versprechen, die alten Provinzen der Vorteile der rheinischen Gesetzgebung teilhaftig zu machen!

Der § 10 des Gesetzentwurfs setzt diesen Bestimmungen die Krone auf: Geschah die Verleumdung gegen Staatsbeamte in bezug auf ihre Staatsverrichtungen, so kann die ordentliche Strafe um die Hälfte erhöht werden.

Artikel 222 des Strafgesetzbuches bestraft mit einmonatlicher bis zweijähriger Gefängnisstrafe, wenn ein Beamter in Ausübung oder gelegentlich (à l'occasion) der Ausübung seines Amtes eine Beleidigung durch Worte (outrage par parole) erhalten hat. Dieser Artikel war trotz der wohlwollenden Anstrengungen der Parquets bisher auf die Presse nicht anzuwenden, und aus guten Gründen. Um diesem Übelstande abzuhelfen, hat ihn Herr Hansemann in obigen § 10 verwandelt. Erstens ist das "gelegentlich" in das bequemere "in bezug auf ihre Amtsverrichtungen" verwandelt; zweitens ist das lästige par parole <durch Worte> in par écrit <durch Schriften> verwandelt; drittens ist die Strafe verdreifacht.

Von dem Tage an, wo dies Gesetz in Kraft tritt, können die preußischen Beamten ruhig schlafen. Brennt Herr Pfuel den Polen die Hände und Ohren mit Höllenstein, und die Presse veröffentlicht das - viereinhalb Monat bis viereinhalb Jahr Gefängnis! Werden Bürger aus Versehen ins Gefängnis geworfen, obwohl man weiß, daß sie nicht die rechten sind, und die Presse teilt das mit - viereinhalb Monat bis viereinhalb Jahr Gefängnis! Machen sich Landräte zu reaktionären Kommis-Voyageurs <Handlungsreisenden> und Unterschriftensammlern für royalistische Adressen <Siehe "Vereinbarungsdebatten" S. 170>, und die Presse enthüllt die Herren - viereinhalb Monat bis viereinhalb Jahr Gefängnis!

Von dem Tage an, wo dies Gesetz in Kraft tritt, können die Beamten ungestraft jede Willkürlichkeit, jede Tyrannei, jede Ungesetzlichkeit begehen; sie können ruhig prügeln und prügeln lassen, verhaften, ohne Verhör festhalten; die einzig wirksame Kontrolle, die Presse, ist unwirksam gemacht. An dem Tage, wo dies Gesetz in Kraft tritt, kann die Bürokratie ein Freudenfest feiern: sie wird mächtiger, ungehinderter, stärker als sie es vor dem März war.

In der Tat, was bleibt von der Preßfreiheit, wenn man das, was die öffentliche Verachtung verdient, nicht mehr der öffentlichen Verachtung preisgeben darf?

<242> Nach den bisherigen Gesetzen konnte die Presse wenigstens Tatsachen als Beweise ihrer allgemeinen Behauptungen und Anklagen anführen. Das wird jetzt ein Ende nehmen. Sie wird nicht mehr berichten, sie wird nur noch allgemeine Phrasen machen dürfen, damit die Wohlmeinenden, vom Herrn Hansemann abwärts bis zum Weißbierbürger, das Recht haben zu sagen, die Presse schimpfe bloß, sie beweise nichts! Gerade deswegen verbietet man ihr das Beweisen.

Wir empfehlen übrigens Herrn Hansemann einen Zusatz zu seinem wohlwollenden Entwurf. Er möge es auch für strafbar erklären, die Herren Beamten nicht nur der öffentlichen Verachtung, sondern auch dem öffentlichen Gelächter auszusetzen. Diese Lücke dürfte sonst schmerzlich empfunden werden.

Auf den Unzüchtigkeitsparagraphen, auf die Konfiskationsvorschriften usw. gehen wir nicht näher ein. Sie übertreffen die crème der Louis-Philippistischen und Restaurations-Preßgesetzgebung. Nur eine Bestimmung: Der Staatsanwalt kann nach § 21 die Beschlagnahme nicht nur der fertigen Druckschrift beantragen, er kann selbst die eben erst zum Druck abgegebene Handschrift konfiszieren lassen, wenn der Inhalt ein von Amts wegen verfolgbares Verbrechen oder Vergehen begründet! Welch ein weites Feld für menschenfreundliche Prokuratoren! Welch eine angenehme Zerstreuung, zu jeder beliebigen Zeit auf Zeitungsbüros zu gehen und sich die "zum Druck abgegebene Handschrift" zur Begutachtung vorlegen zu lassen, da es doch möglich wäre, daß sie ein Verbrechen oder Vergehen begründen könnte!

Wie possierlich nimmt sich daneben der feierliche Ernst jenes Paragraphen des Verfassungsentwurfs und der "Grundrechte des deutschen Volks" aus, nach dem es heißt: Die Zensur kann nie wieder hergestellt werden!

Geschrieben von Karl Marx.