Proudhons Rede gegen Thiers | Inhalt | Der "Musterstaat" Belgien

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 309-314
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971


Debatte über die bisherige Ablösungsgesetzgebung

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 67 vom 6. August 1848]

<309> **Köln, 4. August. Die Berliner Versammlung bringt uns von Zeit zu Zeit allerlei altpreußischen Schmutz ans Tageslicht, und gerade jetzt, wo die schwarz-weiße Ritterschaft täglich unverschämter wird, sind dergleichen Enthüllungen sehr brauchbar.

In der Sitzung vom 21. Juli kam wieder die Rede auf die Feudallasten. Die Zentralabteilung schlug infolge des Antrags eines Abgeordneten vor, die schwebenden Ablösungs- und Gemeinheitsteilungs-Verhandlungen resp. Prozesse teils von Amts wegen, teils auf Antrag eines Interessenten zu sistieren.

Der Abgeordnete Dierschke ging auf die bisherige Weise der Ablösung ein. Er entwickelte zuerst, wie die Ablösungsordnung selbst schon den Bauern übervorteile.

"So hat man z.B. die Entschädigung für Robotdienste" (Frondienste) "sehr einseitig festgestellt. Man hat nicht berücksichtigt, daß das Robotlohn, welches in früheren Jahrhunderten auf 1 oder 2 Silbergroschen stipuliert worden, den damaligen Preisen der Naturalien und den Verhältnissen der Zeit entsprach, mithin als ein angemessenes Äquivalent der übernommenen Arbeit betrachtet werden mußte, so daß weder die Gutsherrschaft noch der Dienstpflichtige einen überwiegenden Vorteil haben sollte. Einem freien Lohnarbeiter aber müssen jetzt statt 2 Silbergroschen 5 bis 6 Silbergroschen täglich gegeben werden. Trägt nun einer von den Interessenten des Dienstverhältnisses auf Ablösung an, so muß nach vorhergängiger Reduktion der Robottage auf Ersatztage ein Differenzquantum von mindestens 3 Silbergroschen pro Tag, mithin für 50 Tage jährlich eine Rente von 4 bis 5 Talern entrichtet werden, welche der arme Stellenbesitzer nicht erschwingen kann, da er oft kaum 1/4 Morgen Landes besitzt und anderwärts keine hinreichende Gelegenheit zur Arbeit findet."

Diese Stelle der Rede des Herrn Dierschke führt zu allerlei Betrachtungen, die für die vielberühmte freisinnige Gesetzgebung von 1807-1811 nicht sehr vorteilhaft sind.

<310> Erstens geht daraus hervor, daß die Frondienste (speziell in Schlesien, wovon Herr Dierschke spricht) keineswegs eine in natura abgetragene Rente oder Erbpacht, keine Entschädigung für den Gebrauch des Bodens sind, sondern - trotz Herrn Patow und Gierke - ein purer "Ausfluß der Lehnsherrlichkeit und Erbuntertänigkeit", und daß sie damit nach den eigenen Prinzipien dieser großen Staatsmänner unentgeltlich abgeschafft werden müßten.

Worin bestand die Verpflichtung des Bauern? Darin, daß er sich während gewisser Tage im Jahre oder zu gewissen Diensten dem Gutsherrn zur Verfügung stellte. Aber keineswegs unentgeltlich; er erhielt dafür einen Lohn, der ursprünglich mit dem Tagelohn der freien Arbeit vollkommen gleich stand. Der Vorteil der Gutsherrn bestand also nicht in der unentgeltlichen oder nur wohlfeilern Arbeit des Bauern, sondern darin, daß er Arbeiter gegen üblichen Lohn zu seiner Verfügung hatte, sooft er sie brauchte, und ohne daß er verpflichtet war, sie zu beschäftigen, wenn er sie nicht brauchte. Der Vorteil des Gutsbesitzers bestand nicht in dem Geldwert der Naturalleistung, sondern im Zwang zur Naturalleistung; er bestand nicht im ökonomischen Nachteil, sondern in der Unfreiheit des Bauern. Und diese Verpflichtung soll kein "Ausfluß der Lehnsherrlichkeit und Erbuntertänigkeit" sein!

Kein Zweifel, nach dem ursprünglichen Charakter der Frondienste müssen sie, wenn Patow, Gierke und Komp. anders konsequent sein wollen, unentgeltlich aufgehoben werden.

Aber wie stellt sich die Sache, wenn wir ihren jetzigen Charakter betrachten?

Die Frondienste blieben während Jahrhunderten dieselben, und der Robotlohn blieb ebenfalls derselbe. Aber die Preise der Lebensmittel stiegen, und mit ihnen der Lohn für freie Arbeit. Der Frondienst, der anfangs beiden Teilen ökonomisch gleich vorteilhaft war, ja, der dem Bauern oft gut bezahlte Arbeit für seine müßigen Tage verschaffte, wurde für ihn allmählich zu einer "wirklichen Reallast", um in der Sprache des Herrn Gierke zu sprechen, und zu einem direkten Geldgewinn für den gnädigen Gutsherrn. Zu der Gewißheit für ihn, immer eine hinreichende Anzahl Arbeiter zu seiner Disposition zu besitzen, kam noch der hübsche Schnitt, den er auf den Lohn dieser Arbeiter machte. Vermittelst einer konsequenten, jahrhundertelangen Prellerei wurden so die Bauern um einen stets wachsenden Teil ihres Lohnes betrogen, so daß sie endlich nur noch ein Drittel oder nur ein Viertel davon erhielten. Nehmen wir an, ein Bauernhof habe die Verpflichtung, nur einen Arbeiter während nur 50 Tagen jährlich zu stellen, und der tägliche Arbeitslohn sei seit 300 Jahren durchschnittlich nur um 2 Silbergroschen gestiegen, so hat der gnädige Herr an diesem einen Arbeiter volle 1.000 Taler verdient, sowie <311> an Zinsen von 500 Talern während 300 Jahren zu 5 Prozent 7.500 Taler, zusammen 8.500 Taler an einem Arbeiter, zu einem Anschlag, der nicht die Hälfte der Wirklichkeit erreicht!

Was folgt daraus? Daß nicht der Bauer dem gnädigen Herrn, sondern der gnädige Herr dem Bauern herausgeben, daß nicht der Bauernhof dem Rittergut, sondern das Rittergut dem Bauernhof eine Rente zahlen müßte.

Aber so urteilen die preußischen Liberalen von 1848 nicht. Im Gegenteil, das preußische Juristengewissen erklärt, nicht der Adlige müsse den Bauern, sondern der Bauer den Adligen für die Differenz zwischen Robotlohn und freiem Arbeitslohn entschädigen. Gerade deswegen, weil der Bauer soundso lange um die Lohndifferenz vom gnädigen Herrn geprellt worden ist, gerade deswegen muß er den gnädigen Herrn für die Prellerei entschädigen. Aber wer da hat, dem wird gegeben, und wer nicht hat, von dem wird genommen, was er hat.

Die Lohndifferenz wird also berechnet, ihr jährlicher Betrag als Grundrente angesehen, und in dieser Form fließt sie in die Tasche des gnädigen Herrn. Will der Bauer sie ablösen, so wird sie zu 4 Prozent (nicht einmal zu 5 Prozent) kapitalisiert, und dies Kapital, der 25fache Betrag der Rente, abgetragen. Man sieht, mit den Bauern wird durchaus kaufmännisch verfahren; unsre obige Berechnung über die Profite des Adels war also ganz berechtigt.

Dabei kommt es denn heraus, daß Bauern für 1/4 Morgen schlechten Landes oft 4 bis 5 Taler Rente zu zahlen haben, während ein ganzer Morgen robotfreien, guten Landes zu drei Taler Jahresrente zu haben ist!

Die Ablösung kann auch durch Abtretung eines Stückes Land von gleichem Werte mit der abzutragenden Kapitalsumme geschehen. Das können natürlich nur größere Bauern. In diesem Falle bekommt der Gutsherr ein Stück Land als Prämie für die Geschicklichkeit und Konsequenz, mit der er und seine Vorfahren die Bauern escroquiert haben.

Das ist die Theorie der Ablösung. Sie bestätigt vollkommen, was in allen andern Ländern, wo die Feudalität allmählich aufgehoben wurde, was namentlich in England und Schottland der Fall war: die Verwandlung des feudalen Eigentums in bürgerliches, der Lehnsherrlichkeit in Kapital ist jedesmal eine neue, grelle Übervorteilung des Unfreien zugunsten des Feudalherrn. Der Unfreie muß seine Freiheit jedesmal erkaufen, teuer erkaufen. Der bürgerliche Staat verfährt nach dem Grundsatz: Umsonst ist der Tod.

Sie beweist aber noch mehr.

Die notwendige Folge von diesen enormen Anforderungen an die Bauern ist nämlich, wie der Abgeordnete Dane bemerkt, daß sie in die Hände von Wucherern fallen. Der Wucher ist der notwendige Begleiter einer Klasse von <312> freien Kleinbauern, wie Frankreich, die Pfalz und die Rheinprovinz beweisen. Die preußische Ablösungswissenschaft hat es zustande gebracht, die Kleinbauern der alten Provinzen an den Freuden des Wucherdrucks teilnehmen zu lassen, schon ehe sie frei waren. Die preußische Regierung hat es überhaupt von jeher verstanden, die unterdrückten Klassen dem Druck der feudalen und dem der modernen bürgerlichen Verhältnisse zu gleicher Zeit zu unterwerfen und so das Joch doppelt schwer zu machen.

Dazu kommt noch ein Punkt, auf den der Abgeordnete Dane ebenfalls aufmerksam macht: die ungeheuren Kosten, die um so höher steigen, je lässiger und ungeschickter der nach Terminen bezahlte Kommissar ist.

"Die Stadt Lichtenau in Westfalen hat für 12.000 Morgen 17.000 Taler bezahlt und die Kosten damit noch nicht gedeckt (!!)"

Folgt die Praxis der Ablösung, die dies noch mehr bestätigt. Die Ökonomiekommissarien, sagt Herr Dierschke weiter, d.h. die Beamten, die die Ablösung vorbereiten,

"erscheinen in dreifacher Eigenschaft. Einmal als Instruktionsbeamte; als solche vernehmen sie die Parteien, stellen die faktischen Grundlagen der Ablösung fest und legen die Entschädigungsberechnung an. Sie gehen oft dabei sehr einseitig zu Werke, berücksichtigen oft nicht die obwaltenden Rechtsverhältnisse, da es ihnen zum Teil an Rechtskenntnissen fehlt. Ferner erscheinen sie zum Teil als Sachverständige und Zeugen, indem sie den Wert der abzulösenden Gegenstände autonomisch selbst taxieren. Zum Schlusse geben sie ihr Gutachten ab, welches fast einem Erkenntnis gleichkommt, da die Generalkommission auf ihre aus der Örtlichkeit hergeleiteten Ansichten in der Regel fußen muß.

Endlich besitzen die Ökonomiekommissarien nicht das Vertrauen der Landleute, denn sie benachteiligen oft die Parteien dadurch, daß sie sie stundenlang warten lassen, während sie es sich am Tisch des Gutsherrn" (der selbst Partei ist) "gutschmecken lassen und dadurch ganz besonders das Mißtrauen der Parteien gegen sich erregen. Wenn endlich die Dreschgärtner nach dreistündigem Warten vorgelassen sind, so werden sie von den Ökonomiekommissarien gar häufig angedonnert und mit ihren Entgegnungen barsch zurückgewiesen. Ich kann hier aus eigener Erfahrung sprechen, ich habe bei Ablösungen als Justizkommissär den bäuerlichen Interessenten assistiert. Also die diktatorische Gewalt der Ökonomiekommissarien muß beseitigt werden. Die Vereinigung der dreifachen Eigenschaft als Instruent, Zeuge und Richter in einer Person läßt sich ebenfalls nicht rechtfertigen."

Der Abgeordnete Moritz verteidigt die Ökonomiekommissarien. Herr Dierschke antwortet: Ich kann sagen, daß es sehr viele unter ihnen gibt, welche die Interessen der Bauern hintenansetzen; ich selbst habe sogar einige zur Untersuchung denunziert und kann, wenn es verlangt wird, hierüber Beweise geben.

<313> Der Minister Gierke tritt natürlich wieder als Verteidiger des altpreußischen Systems und der aus ihm hervorgegangenen Institutionen auf. Die Ökonomiekommissarien müssen natürlich auch wieder gelobt werden:

"Ich muß aber dem Gefühl der Versammlung anheimstellen, ob es gerecht ist, die Tribüne zu solchen, aller Beweise mangelnden, völlig unsubstantiierten Vorwürfen zu benutzen!"

Und Herr Dierschke bietet Beweise an!

Da aber Se. Exzellenz Gierke der Meinung zu sein scheint, notorische Tatsachen ließen sich durch ministerielle Behauptungen niederschlagen, so werden wir nächstens einige "Beweise" dafür bringen, daß Herr Dierschke, statt zu übertreiben, das Verfahren der Ökonomiekommissarien noch lange nicht scharf genug getadelt hat.

Soweit die Debatte. Die eingereichten Amendements waren so zahlreich, daß der Bericht mit denselben an die Zentralabteilung zurückverwiesen werden mußte. Der definitive Beschluß der Versammlung steht also noch zu erwarten.

Unter diesen Amendements befindet sich eins von Herrn Moritz, das auf eine weitere erbauliche Maßregel der alten Regierung aufmerksam macht. Er trägt an, daß alle die Mühlenabgaben betreffenden Verhandlungen sistiert werden.

Als nämlich im Jahre 1810 die Aufhebung der Zwangs- und Bannrechte beschlossen wurde, ernannte man zugleich eine Kommission, um die Müller dafür zu entschädigen, daß sie der freien Konkurrenz ausgesetzt wurden. Schon dies war ein widersinniger Beschluß. Hat man denn die Zunftmeister für Aufhebung ihrer Privilegien entschädigt? Aber die Sache hat ihre besonderen Gründe. Die Mühlen bezahlten außerordentliche Abgaben für den Genuß der Zwangs- und Bannrechte, und statt diese einfach aufzuheben, gab man ihnen eine Entschädigung und ließ die Abgaben bestehen. Die Form ist widersinnig, aber in der Sache bleibt wenigstens ein Schein von Recht.

Nun aber sind in den seit 1815 hinzugekommenen Provinzen die Mühlenabgaben beibehalten, die Zwangs- und Bannrechte aufgehoben, und dennoch keine Entschädigung gegeben worden. Das ist altpreußische Gleichheit vor dem Gesetz. Zwar hebt das Gewerbegesetz alle Gewerbsabgaben auf, aber nach der Gewerbeordnung von 1845 und nach dem Entschädigungsgesetz sind alle Mühlenabgaben in zweifelhaften Fällen nicht als Gewerbe-, sondern als Grundabgaben anzusehen. Aus diesem Wirrwarr und diesen Rechtsverletzungen sind zahllose Prozesse hervorgegangen, die Gerichtshöfe haben sich gegenseitig in ihren Urteilen widersprochen, das Obertribunal selbst <314> hat die widersprechendsten Urteile gefällt. Was für Abgaben die exgesetzgehende Gewalt früher für "Grundabgaben" ansah, geht aus einem von Herrn Moritz zitierten Fall hervor: Eine Mühle in Sachsen, zu der außer den Mühlengebäuden nur noch die Wasserkraft, nicht aber der Grund gehört, ist mit einer "Grundabgabe" von vier Wispeln Korn belastet!

In der Tat, man mag sagen, was man will, Preußen war von jeher der am weisesten, am gerechtesten, am besten verwaltete Staat!

Geschrieben von Friedrich Engels.