Der Staatsstreich der Kontrerevolution | Inhalt | Neuer Bundesgenosse der Kontrerevolution

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 102-124
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959

Die Bourgeoisie und die Kontrerevolution

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 165 vom 10. Dezember 1848]

<102> *Köln, 9. Dezember. Wir haben es nie verheimlicht. Unser Boden ist nicht der Rechtsboden, es ist der revolutionäre Boden. Die Regierung hat nun ihrerseits die Heuchelei des Rechtsbodens aufgegeben. Sie hat sich auf den revolutionären Boden gestellt, denn auch der kontrerevolutionäre Boden ist revolutionär.

In § 6 des Gesetzes vom 6. April 1848 ist bestimmt:

"Den künftigen Vertretern des Volkes soll jedenfalls die Zustimmung zu allen Gesetzen sowie zur Feststellung des Staatshaushaltungsetats und das Steuerbewilligungsrecht zustehn."

In § 13 des Gesetzes vom 8. April 1848 heißt es:

"Die auf Grund des gegenwärtigen Gesetzes zusammentretende Versammlung ist dazu berufen, die künftige Staatsverfassung durch Vereinbarung mit der Krone festzustellen und die seitherigen reichsständischen Befugnisse, namentlich in bezug auf die Bewilligung von Steuern, für die Dauer ihrer Versammlung auszuüben."

Die Regierung jagt die Vereinbarungsversammlung zum Teufel, diktiert dem Lande höchsteigen eine soi-disant <sogenannte> Verfassung und bewilligt sich selbst die Steuern, die ihr von den Volksvertretern versagt worden.

Die preußische Regierung hat der Camphauseniade, einer Art feierlicher Rechts-Jobsiade, ein eklatantes Ende gemacht. Aus Rache tagt der Erfinder dieser Epopöe, der große Camphausen, ruhig in Frankfurt fort als Gesandter derselben preußischen Regierung und intrigiert fort mit den Bassermanns im Dienste derselben preußischen Regierung. Dieser Camphausen, der die <103> Vereinbarungstheorie erfand, um den Rechtsboden zu retten, d.h., um die Revolution zunächst um die ihr gebührenden Honneurs zu prellen, erfand zugleich die Minen, welche später den Rechtsboden samt der Vereinbarungstheorie in die Luft sprengen sollten.

Dieser Mann gab die indirekten Wahlen, welche eine Versammlung ergaben, der die Regierung im Augenblicke einer augenblicklichen Erhebung zudonnern konnte: Trop tard! <Zu spät!> Er rief den Prinzen von Preußen zurück, den Chef der Kontrerevolution, und verschmähte es nicht, dessen Flucht durch eine offizielle Lüge in eine Studienreise zu verwandeln. Er ließ die alte preußische Gesetzgebung über politische Verbrechen und die alten Gerichte in Kraft. Die alte Bürokratie und die alte Armee gewannen unter ihm wieder Zeit, sich von ihrem Schrecken zu erholen und sich vollständig zu rekonstuieren. Sämtliche Führer des alten Regimes blieben unverletzt auf ihren Sitzen. Unter Camphausen führte die Kamarilla den Krieg in Posen, während er selbst den Krieg in Dänemark führte. Der dänische Krieg sollte ein Ableiter für die patriotische Überkraft der deutschen Jugend sein, die nach ihrer Rückkehr auch gebührendermaßen polizeilich gemaßregelt wurde, er sollte dem General Wrangel und seinen berüchtigten Garderegimentern eine gewisse Popularität verleihn und die preußische Soldateska im allgemeinen rehabilitieren. Sobald der Zweck erfüllt war, mußte dieser Scheinkrieg um jeden Preis in einem schmählichen Waffenstillstand erstickt werden, den derselbe Camphausen wieder zu Frankfurt am Main mit der deutschen Nationalversammlung vereinbarte. Das Resultat des dänischen Kriegs war der "Oberbefehlshaber beider Marken" und die Rückkehr der im März vertriebenen Garderegimenter nach Berlin.

Und der Krieg, den die Kamarilla zu Potsdam unter Camphausens Auspizien in Posen führte!

Der Krieg in Posen war mehr als ein Krieg gegen die preußische Revolution. Er war der Fall Wiens, der Fall Italiens, die Niederlage der Junihelden. Er war der erste entscheidende Triumph, den der russische Zar über die europäische Revolution erfocht. Und alles das unter den Auspizien des großen Camphausen, des denkenden Geschichtsfreundes, des Ritters der großen Debatte, des Heroen der Vermittlung.

Unter und durch Camphausen hatte sich so die Kontrerevolution aller entscheidenden Posten bemächtigt, sie hatte sich ihr schlagfertiges Kriegsheer vorbereitet, während die Vereinbarerversammlung debattierte. Unter dem Minister der Tat Hansemann-Pinto wurde die alte Polizei neu eingekleidet <104> und ein ebenso erbitterter als kleinlicher Krieg der Bourgeoisie gegen das Volk geführt. Unter Brandenburg zog man den Schluß aus diesen Vordersätzen. Es gehörte dazu nur noch ein - Schnurrbart und ein Säbel statt eines Kopfes.

Als Camphausen abtrat, riefen wir ihm zu:

Er habe die Reaktion gesät im Sinne der Bourgeoisie, er werde sie ernten im Sinne der Aristokratie und des Absolutismus. <Siehe Band 5, S. 97>

Wir zweifeln nicht, daß Se. Exzellenz, der preuß[ische] Gesandte Camphausen, sich in diesem Augenblicke selbst zu den Feudalherren zählt und sich mit seinem "Mißverständnisse" aufs friedlichste vereinbart haben wird.

Man täusche sich indes nicht; man schreibe einem Camphausen, einem Hansemann, diesen Männern untergeordnetster Größe, keine weltgeschichtliche Initiative zu. Sie waren nichts als die Organe einer Klasse. Ihre Sprache, ihre Handlungen waren nur das offizielle Echo einer Klasse, die sie in den Vordergrund gedrängt hatte. Sie waren nur die große Bourgeoisie - im Vordergrunde.

Die Repräsentanten dieser Klasse bildeten die liberale Opposition auf dem selig entschlafenen, durch Camphausen für einen Augenblick wiedererweckten Vereinigten Landtage.

Man hat den Herrn dieser liberalen Opposition vorgeworfen, ihren Prinzipien nach der Märzrevolution untreu geworden zu sein. Es ist dies ein Irrtum.

Die großen Grundbesitzer und Kapitalisten, die ausschließlich auf dem Vereinigten Landtage vertreten waren, mit einem Worte die Geldbeutel, hatten an Geld und Bildung zugenommen. Mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft in Preußen - d.h. mit der Entwicklung der Industrie, des Handels und des Ackerbaus - hatten einerseits die alten Ständeunterschiede ihre materielle Grundlage verloren.

Der Adel selbst war wesentlich verbürgerlicht. Statt in Treue, Liebe und Glauben machte er nun vor allem in Runkelrüben, Schnaps und Wolle. Sein Hauptturnier war der Wollmarkt geworden. Andrerseits war der absolutistische Staat, dem seine alte gesellschaftliche Grundlage unter den Füßen durch den Gang der Entwickelung weggezaubert war, zur hemmenden Fessel geworden für die neue bürgerliche Gesellschaft mit ihrer veränderten Produktionsweise und ihren veränderten Bedürfnissen. Die Bourgeoisie mußte sich ihren Anteil an der politischen Herrschaft vindizieren, schon ihrer materiellen Interessen wegen. Sie selbst war allein fähig, ihre kommerziellen und industriellen Bedürfnisse gesetzlich zur Geltung zu bringen. Sie mußte einer über- <105> lebten, ebenso unwissenden als arroganten Bürokratie die Verwaltung dieser ihrer "heiligsten Interessen" aus der Hand nehmen. Sie mußte Kontrolle des Staatsvermögens, dessen Schöpfer sie sich dünkte, für sich in Anspruch nehmen. Sie besaß auch den Ehrgeiz, nachdem sie der Bürokratie das Monopol der sogenannten Bildung entwendet hatte und sie an wirklicher Kenntnis der bürgerlichen Gesellschaftsbedürfnisse weit zu überragen sich bewußt war, eine ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechende politische Stellung erzwingen zu wollen. Sie mußte, um ihren Zweck zu erreichen, ihre eigenen Interessen, Ansichten und die Handlungen der Regierung frei debattieren können. Das nannte sie das "Recht der Preßfreiheit". Sie mußte sich ungeniert assoziieren können. Das nannte sie das "Recht der freien Assoziation". Religionsfreiheit u. dgl. mußte ebenfalls als notwendige Folge der freien Konkurrenz von ihr langt werden. Und die preußische Bourgeoisie war vor dem März 1848 auf dem besten Wege, alle ihre Wünsche sich verwirklichen zu sehen.

Der preußische Staat befand sich in Geldnöten. Sein Kredit war versiegt. das war das Geheimnis der Zusammenberufung des Vereinigten Landtags. Die Regierung sträubte sich zwar gegen ihr Schicksal, sie entließ ungnädig den "Vereinigten", aber Geldnot und Kreditlosigkeit hätten sie unfehlbar nach und nach der Bourgeoisie in die Arme geworfen. Wie die Feudalbarone, so haben die Könige von Gottes Gnaden von jeher ihre Privilegien ausgetauscht gegen bares Geld. Die Emanzipation der Leibeigenen war der erste, die konstitutionelle Monarchie der zweite große Akt dieses weltgeschichtlichen Schachers in allen christlich-germamschen Staaten. "L'argent n'a pas de maître <"Das Geld hat keinen Herrn">, aber die maîtres hören auf, maîtres zu sein, sobald sie démonétisés (entmünzt) sind.

Die liberale Opposition auf dem Vereinigten Landtage war also nichts anderes als die Opposition der Bourgeoisie gegen eine Regierungsform, die ihren Interessen und Bedürfnissen nicht mehr entsprach. Um dem Hofe Opposition, mußte sie dem Volke den Hof machen.

Sie bildete sich vielleicht wirklich ein, für das Volk Opposition zu machen.

Die Rechte, die Freiheiten, die sie für sich erstrebte, konnte sie daher natürlich nur unter Firma von Volksrechten und Volksfreiheiten der Regierung gegenüber in Anspruch nehmen.

Diese Opposition befand sich, wie gesagt, auf dem besten Wege. als der Februarsturm losbrach.

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 169 vom 15. Dezember 1848]

<106> *Köln, 11. Dezember. Als die Märzsündflut - eine Sündflut en miniature - sich verlaufen hatte, ließ sie auf der Berliner Erdoberfläche keine Ungeheuer zurück, keine revolutionären Kolosse, sondern Kreaturen alten Stils, bürgerlich untersetzte Gestalten - die Liberalen des Vereinigten Landtags, die Vertreter der bewußten preußischen Bourgeoisie. Die Provinzen, welche die entwickeltste Bourgeoisie besitzen, die Rheinprovinz und Schlesien, lieferten das Hauptkontingent zu den neuen Ministerien. Hinter ihnen ein ganzer Schweif rheinischer Juristen. In demselben Maße, als die Bourgeoisie von den Feudalen in den Hintergrund zurückgedrängt wurde, machten in den Ministerien die Rheinprovinz und Schlesien den urpreußischen Provinzen Platz. Das Ministerium Brandenburg hängt nur noch durch einen Elberfelder Tory mit der Rheinprovinz zusammen. Hansemann und von der Heydt! In diesen beiden Namen liegt für die preußische Bourgeoisie der ganze Unterschied zwischen März und Dezember 1848!

Die preußische Bourgeoisie war auf die Staatshöhn geworfen, aber nicht, wie sie gewünscht hatte, durch eine friedliche Transaktion mit der Krone, sondern durch eine Revolution. Nicht ihre eigenen Interessen, sondern die Volksinteressen sollte sie gegen die Krone, d.h. gegen sich selbst vertreten, denn eine Volksbewegung hatte ihr die Wege bereitet. Die Krone war aber in ihren Augen eben nur der gottesgnadliche Schirm, hinter dem ihre eigenen profanen Interessen sich verbergen sollten. Die Unantastbarkeit ihrer eigenen Interessen und der ihrem Interesse entsprechenden politischen Formen sollte, in die konstitutionelle Sprache übersetzt, lauten: Unantastbarkeit der Krone. Daher die Schwärmerei der deutschen und speziell der preußischen Bourgeoisie für die konstitutionelle Monarchie. War daher die Februarrevolution samt ihren deutschen Nachwehen der preußischen Bourgeoisie willkommen, weil das Staatsruder ihr durch dieselbe in die Hand geworfen wurde, so war sie ebensosehr ein Strich durch ihre Rechnung, weil ihre Herrschaft so an Bedingungen geknüpft wurde, die sie weder erfüllen wollte noch erfüllen konnte.

Die Bourgeoisie hatte keine Hand gerührt. Sie hatte dem Volke erlaubt, sich für sie zu schlagen. Die ihr übertragene Herrschaft war daher nicht die Herrschaft des Feldherrn, der seinen Gegner besiegt, sondern die Herrschaft eines Sicherheitsausschusses, dem das siegreiche Volk die Wahrung seiner eigenen Interessen anvertraut.

Camphausen fühlte noch ganz das Unbequeme dieser Position, und die ganze Schwäche seines Ministeriums datiert aus diesem Gefühle und den <107> Umständen, die es bedingten. Eine Art von Schamröte verklärt daher die schamlosesten Akte seiner Regierung. Die offenherzige Schamlosigkeit und Unverschämtheit waren das Privilegium Hansemanns. Die rote Teinte bildet den einzigen Unterschied zwischen diesen beiden Malern.

Man muß die preußische Märzrevolution weder mit der englischen Revolution von 1648 noch mit der französischen von 1789 verwechseln.

1648 war die Bourgeoisie mit dem modernen Adel gegen das Königtum, gegen den feudalen Adel und gegen die herrschende Kirche verbunden.

1789 war die Bourgeoisie mit dem Volke verbunden gegen Königtum, Adel und herrschende Kirche.

Die Revolution von 1789 hatte zum Vorbilde (wenigstens in Europa) nur die Revolution von 1648, die Revolution von 1648 nur den Aufstand der Niederländer gegen Spanien. Beide Revolutionen waren nicht nur der Zeit, sondern auch dem Gehalte nach um ein Jahrhundert ihren Vorbildern voraus.

In beiden Revolutionen war die Bourgeoisie die Klasse, die sich wirklich an der Spitze der Bewegung befand. Das Proletariat und die nicht der Bourgeoisie angehörigen Fraktionen des Bürgertums hatten entweder noch keine von der Bourgeoisie getrennte Interessen, oder sie bildeten noch keine selbständig entwickelten Klassen oder Klassenabteilungen. Wo sie daher der Bourgeoisie entgegentreten, wie zum Beispiel 1793 bis 1794 in Frankreich, kämpfen sie nur für die Durchsetzung der Interessen der Bourgeoisie, wenn auch nicht in der Weise der Bourgeoisie. Der ganze französische Terrorismus war nichts als eine plebejische Manier, mit den Feinden der Bourgeoisie, dem Absolutismus, dem Feudalismus und dem Spießbürgertum, fertigzuwerden.

Die Revolutionen von 1648 und 1789 waren keine englischen und französischen Revolutionen, sie waren Revolutionen europäischen Stils. Sie waren nicht der Sieg einer bestimmten Klasse der Gesellschaft über die alte politische Ordnung; sie waren die Proklamation der politischen Ordnung für die neue europäische Gesellschaft. Die Bourgeoisie siegte in ihnen; aber der Sieg der Bourgeoisie war damals der Sieg einer neuen Gesellschaftsordnung, der Sieg des bürgerlichen Eigentums über das feudale, der Nationalität über den Provinzialismus, der Konkurrenz über die Zunft, der Teilung über das Majorat, der Herrschaft des Eigentümers des Bodens über die Beherrschung des Eigentümers durch den Boden, der Aufklärung über den Aberglauben, der Familie über den Familiennamen, der Industrie über die heroische Faulheit, des bürgerlichen Rechts über die mittelaltrigen Privilegien. Die Revolution von 1648 war der Sieg <In der "N.Rh.Ztg.": die Revolution> des 17. Jahrhunderts über das 16. Jahrhundert, die Revolution <108> von 1789 der Sieg des 18. Jahrhunderts über das 17. Jahrhundert. Diese Revolutionen drückten mehr noch die Bedürfnisse der damaligen Welt als der Weltausschnitte aus, in denen sie vorfielen, Englands und Frankreichs.

In der preußischen Märzrevolution nichts von alledem.

Die Februarrevolution hatte das konstitutionelle Königtum in der Wirklichkeit und die Bourgeoisherrschaft in der Idee abgeschafft. Die preußische Märzrevolution sollte das konstitutionelle Königtum in des Idee und die Bourgeoisherrschaft in der Wirklichkeit schaffen. Weit entfernt, eine europäische Revolution zu sein, war sie nur die verkümmerte Nachwirkung einer europäischen Revolution in einem zurückgebliebenen Lande. Statt ihrem Jahrhundert voraus, war sie hinter ihrem Jahrhundert um mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Sie war von vornherein sekundär, aber es ist bekannt, daß die sekundären Krankheiten schwerer zu heilen sind und den Körper gleichzeitig mehr verwüsten als die primitiven. Es handelte sich nicht um die Herstellung einer neuen Gesellschaft, sondern um die Berliner Wiedergeburt der zu Paris verstorbenen Gesellschaft. Die preußische Märzrevolution war nicht einmal national, deutsch, sie war von vornherein provinziell-preußisch. Die Wiener, die Kaßler, die Münchener, alle Sorten provinzieller Aufstände rannten neben ihr her und machten ihr den Rang streitig.

Während 1648 und 1789 das unendliche Selbstgefühl hatten, an der Spitze der Schöpfung zu stehn, bestand der Ehrgeiz der Berliner 1848 dann, einen Anachronismus zu bilden. Ihr Licht glich dem Lichte der Sterne, das uns Erdenbewohnern erst zukömmt, nachdem die Körper, die es ausgestrahlt, schon 100.000 von Jahren erloschen sind. Die preußische Märzrevolution war im kleinen, wie sie alles im kleinen war, ein solcher Stern für Europa. Ihr Licht war das Licht eines längst verwesten Gesellschaftsleichnams.

Die deutsche Bourgeoisie hatte sich so träg, feig und langsam entwickelt, daß im Augenblicke, wo sie gefahrdrohend dem Feudalismus und Absolutismus gegenüberstand, sie selbst sich gefahrdrohend gegenüber das Proletariat erblickte und alle Fraktionen des Bürgertums, deren Interessen und Ideen dem Proletariat verwandt sind. Und nicht nur eine Klasse hinter sich, ganz Europa sah sie feindlich vor sich. Die preußische Bourgeoisie war nicht, wie die französische von 1789, die Klasse, welche die ganze moderne Gesellschaft den Repräsentanten der alten Gesellschaft, dem Königtum und dem Adel, gegenüber vertrat. Sie war zu einer Art von Stand herabgesunken, ebenso ausgeprägt gegen die Krone als gegen das Volk, oppositionslustig gegen beide, unentschlossen gegen jeden ihrer Gegner einzeln genommen, weil sie immer beide vor oder hinter sich sah; von vornherein zum Verrat gegen das Volk und zum Kompromiß mit dem gekrönten Vertreter der alten Gesellschaft geneigt, <109> weil sie selbst schon zur alten Gesellschaft gehörte; nicht die Interessen einer neuen Gesellschaft gegen eine alte, sondern erneute Interessen innerhalb einer veralteten Gesellschaft vertretend; nicht an dem Steuerruder der Revolution, weil das Volk hinter ihr stand, sondern weil das Volk sie vor sich herdrängte; nicht an der Spitze, weil sie die Initiative einer neuen, sondern nur weil sie die Ranküne einer alten Gesellschaftsepoche vertrat; eine nicht zum Durchbruch gekommene Schichte des alten Staats durch ein Erdbeben auf die Oberfläche des neuen Staats geworfen; ohne Glauben an sich selbst, ohne Glauben an das Volk, knurrend gegen oben, zitternd gegen unten, egoistisch nach beiden Seiten und sich ihres Egoismus bewußt, revolutionär gegen die Konservativen, konservativ gegen die Revolutionäre, ihren eigenen Stichworten mißtrauend, Phrasen statt Ideen, eingeschüchtert vom Weltsturm, den Weltsturm exploitierend - Energie nach keiner Richtung, Plagiat nach allen Richtungen, gemein, weil sie nicht originell war, originell in der Gemeinheit - schachernd mit ihren eigenen Wünschen, ohne Initiative, ohne Glauben an sich selbst, ohne Glauben an das Volk, ohne weltgeschichtlichen Beruf - ein vermaledeiter Greis, der sich dazu verdammt sah, die ersten Jugendströmungen eines robusten Volks in seinem eigenen altersschwachen Interesse zu leiten und abzuleiten - ohn' Aug! ohn' Ohr! ohn' Zahn, ohn' alles - so fand sich die preußische Bourgeoisie nach der Märzrevolution am Ruder des preußischen Staates.

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 170 vom 16. Dezember 1848]

*Köln, 15. Dezember. Die Vereinbarungstheorie, welche die im Ministerium Camphausen zur Regierung gelangte Bourgeoisie sofort als "breiteste" Grundlage des preußischen contrat social <Gesellschaftsvertrages> proklamierte, war keineswegs eine hohle Theorie; sie war vielmehr gewachsen auf dem Baume des "goldnen" Lebens.

Die Märzrevolution hat den Souverän von Gottes Gnaden keineswegs dem Volkssouveräne unterjocht. Sie hat nur die Krone, den absolutistischen Staat, gezwungen, sich mit der Bourgeoisie zu verständigen, sich mit ihrem alten Rivalen zu vereinbaren.

Die Krone wird der Bourgeoisie den Adel, die Bourgeoisie wird der Krone das Volk opfern. Unter dieser Bedingung wird das Königtum bürgerlich und die Bourgeoisie königlich werden.

Nach dem März gibt es nur noch diese zwei Mächte. Sie dienen sich wechelseitig als Blitzableiter der Revolution. Alles natürlich auf "breitester demokratischer Grundlage".

<110> Das war das Geheimnis der Vereinbarungstheorie.

Die Öl und Wollhändler, welche das erste Ministerium nach der Märzrevolution bildeten, gefielen sich in der Rolle, die bloßgestellte Krone mit ihren plebejischen Fittichen zu decken. Sie schwelgten in dem Hochgenusse, hoffähig zu sein und widerstrebend, von ihrem rauhen Römertum aus reiner Großmut ablassend - von dem Römertum des Vereinigten Landtags -, die Kluft, welche den Thron zu verschlingen drohte, mit dem Leichnam ihrer ehemaligen Popularität zu schließen. Wie spreizte sich der Minister Camphausen als Wehmutter des konstitutionellen Thrones. Der brave Mann war offenbar über sich selbst, über seine eigne Großmut gerührt. Die Krone und ihr Anhang duldete widerstrebend diese demütigende Protektorschaft, sie machte bonne mine à mauvais jeu <gute Miene zum bösen Spiel> in Erwartung beßrer Tage.

Die halb aufgelöste Armee, die für ihre Stellen und Gehalte zitternde Bürokratie, der gedemütigte Feudalstand, dessen Führer sich auf konstitutionellen Studienreisen befand, übertölpelten leicht mit einigen süßen Worten und Knixen den Bourgeois gentilhomme.

Die preußische Bourgeoisie war nomineller Besitzer der Herrschaft, sie zweifelte keinen Augenblick, daß die Mächte des alten Staats ohne Hinterhalt sich ihr zu Gebot gestellt und in ebenso viele devote Ableger ihrer eignen Allmacht verwandelt hätten.

Nicht nur im Ministerium, in dem ganzen Umfang der Monarchie war die Bourgeoisie von diesem Wahn berauscht.

Die einzigen Heldentaten der preußischen Bourgeoisie nach dem März, die oft blutigen Schikanen der Bürgerwehr gegen das unbewaffnete Proletariat, fanden sie nicht in der Armee, in der Bürokratie und selbst in den Feudalherrn willig unterwürfige Helfershelfer? Die einzigen Kraftanstrengungen, wozu sich die lokalen Vertreter der Bourgeoisie aufschwangen, die Gemeinderäte - deren zudringlich servile Gemeinheit von einem Windischgrätz, Jellachich und Weiden später in angemessener Weise befußtrittet wurde -, die einzigen Heldentaten dieser Gemeinderäte nach der Märzrevolution, ihre patriarchalisch ernsten Warnungsworte an das Volk, wurden sie nicht angestaunt von den verstummten Regierungspräsidenten und den in sich gegangenen Divisionsgeneralen? Und die preußische Bourgeoisie hätte noch zweifeln sollen, daß der alte Groll der Armee, der Bürokratie, der Feudalen in ehrfurchtsvoller Ergebenheit vor dem sich selbst und die Anarchie zügelnden großmütigen Sieger, der Bourgeoisie, erstorben sei?

Es war klar. Die preußische Bourgeoisie hatte nur noch eine Aufgabe, die <111> Aufgabe, sich ihre Herrschaft bequem zu machen, die störenden Anarchisten zu beseitigen, "Ruhe und Ordnung" wiederherzustellen und die Zinsen wieder einzubringen, die während des Märzsturms verlorengegangen waren. Es konnte sich nur noch darum handeln, die Produktionskosten ihrer Herrschaft und der sie bedingenden Märzrevolution auf ein Minimum zu beschränken. Die Waffen, welche die preußische Bourgeoisie in ihrem Kampfe gegen die feudale Gesellschaft und deren Krone unter der Firma des Volks in Anspruch zu nehmen sich gezwungen sah, Assoziationsrecht, Preßfreiheit etc., mußten sie nicht zerbrochen werden in den Händen eines betörten Volks, das sie nicht mehr für die Bourgeoisie zu führen brauchte und gegen sie zu führen bedenkliche Gelüste kundgab?

Der Vereinbarung der Bourgeoisie mit der Krone, davon war sie überzeugt, dem Markten der Bourgeoisie mit dem alten, in sein Schicksal ergebenen Staate, stand offenbar nur noch ein Hindernis im Wege, ein einziges Hindernis, das Volk - puer robustus sed malitiosus <ein kräftiger, aber bösartiger Bursche>, wie Hobbes sagt. Das Volk und die Revolution!

Die Revolution war der Rechtstitel des Volkes; auf die Revolution gründete es seine ungestümen Ansprüche. Die Revolution war der Wechsel, den es auf die Bourgeoisie gezogen hatte. Durch die Revolution war die Bourgeoisie zur Herrschaft gelangt. Mit dem Tage ihrer Herrschaft war der Verfalltag dieses Wechsels angebrochen. Die Bourgeoisie mußte gegen den Wechsel Protest einlegen.

Die Revolution - das bedeutete im Munde des Volks: Ihr Bourgeois seid das Comité du salut public, der Wohlfahrtsausschuß, dem wir die Herrschaft in die Hand gegeben, nicht damit ihr euch über eure Interessen mit der Krone vereinbart, sondern damit ihr gegen die Krone unsere Interessen, die Interessen des Volks durchsetzt.

Die Revolution war der Protest des Volkes gegen die Vereinbarung der Bourgeoisie mit der Krone. Die mit der Krone sich vereinbarende Bourgeoisie mußte also protestieren gegen - die Revolution.

Und das geschah unter dem großen Camphausen. Die Märzrevolution wurde nicht anerkannt. Die Berliner Nationalrepräsentation konstituierte sich als Repräsentation der preußischen Bourgeoisie, als Vereinbarerversammlung, indem sie den Antrag auf Anerkennung der Märzrevolution verwarf.

Sie machte das Geschehene ungeschehen. Sie proklamierte es laut vor dem preußischen Volke, daß es sich mit der Bourgeoisie nicht vereinbart, um gegen die Krone zu revolutionieren, sondern daß es revolutioniert, damit sich die Krone mit der Bourgeoisie gegen es selbst vereinbare! So war der Rechtstitel des revolutionären Volkes vernichtet und der Rechtsboden der konservativen Bourgeoisie gewonnen.

<112> Der Rechtsboden!

Brüggemann und durch ihn die "Kölnische Zeitung" haben so viel geplaudert, gefabelt, gewimmert vom "Rechtsboden", sooft den "Rechtsboden" verloren, wiedergewonnen, den Rechtsboden durchlöchert, geflickt, von Berlin nach Frankfurt, von Frankfurt nach Berlin geschleudert, verengt, ausgedehnt, aus einem einfachen Boden in einen getäfelten Boden, aus einem getäfelten Boden in einen Doppelboden - bekanntlich ein Hauptwerkzeug der schauspielernden Eskamoteurs -, aus einem Doppelboden in eine bodenlose Falltüre verwandelt, daß der Rechtsboden sich für unsre Leser mit Recht schließlich in den Boden der "Kölnischen Zeitung" verwandelt hat, daß sie das Schibboleth der preußischen Bourgeoisie mit dem Privatschibboleth des Herrn Joseph Dumont, einen notwendigen Einfall der preußischen Weltgeschichte mit einer willkürlichen Marotte der "Kölnischen Zeitung" verwechseln können und im Rechtsboden nur noch den Boden sehn, auf dem die "Kölnische Zeitung" wächst.

Der Rechtsboden, und zwar der preußische Rechtsboden!

Der Rechtsboden, auf dem sich nach dem März der Ritter der großen Debatte, Camphausen, das wiedererweckte Gespenst des Vereinigten Landtags und die Vereinbarerversammlung bewegen, ist er das Konstitutionsgesetz von 1815 oder das Landtagsgesetz von 1820, oder das Patent von 1847, oder das Wahl- und Vereinbarungsgesetz vom 8. April 1848?

Nichts von alledem.

Der "Rechtsboden" bedeutete einfach, daß die Revolution ihren Boden nicht gewonnen und die alte Gesellschaft ihren Boden nicht verloren habe, daß die Märzrevolution nur ein "Ereignis" sei, welches den "Anstoß" zu der längst innerhalb des alten preußischen Staats vorbereiteten "Verständigung" zwischen dem Throne und der Bourgeoisie gegeben, deren Bedürfnis die Krone selbst in frühern allerhöchsten Erlassen schon ausgesprochen und nur vor dem März für nicht "dringlich" erachtet habe. Der "Rechtsboden" bedeutete mit einem Worte, daß die Bourgeoisie nach dem März mit der Krone auf demselben Fuße unterhandeln wolle wie vor dem März, als ob gar keine Revolution stattgefunden und der Vereinigte Landtag ohne die Revolution sein Ziel erreicht hätte. Der "Rechtsboden" bedeutete, daß der Rechtstitel des Volkes, die Revolution, in dem contrat social zwischen Regierung und Bourgeoisie nicht existiere. Die Bourgeoisie leitete ihre Ansprüche aus der altpreußischen Gesetzgebung her, damit das Volk keine Ansprüche aus der neupreußischen Revolution herleite.

Es versteht sich, daß die ideologischen Kretins der Bourgeoisie, ihre Zeitungsschreiber u. dgl., diese Beschönigung des Bourgeoisinteresses für das <113> eigentliche Interesse der Bourgeoisie ausgeben und als solches sich und anderen einbilden mußten. Im Kopfe eines Brüggemann verwandelte sich die Phrase des Rechtsbodens in eine wirkliche Substanz.

Das Ministerium Camphausen hatte seine Aufgabe gelöst, die Aufgabe der Vermittlung und des Übergangs. Es bildete nämlich die Vermittlung zwischen der auf den Volksschultern emporgehobenen Bourgeoisie und der Bourgeoisie, die nicht mehr der Volksschultern bedurfte; zwischen der Bourgeoisie, welche scheinbar das Volk der Krone, und der Bourgeoisie, die wirklich die Krone dem Volke gegenüber vertrat; zwischen der Bourgeoisie, die sich von der Revolution losschälte, und der Bourgeoisie, die als Kern der Revolution herausgeschält war.

Seiner Rolle gemäß beschränkte sich das Ministerium Camphausen in jungfräulicher Schamhaftigkeit auf den passiven Widerstand gegen die Revolution.

Es verwarf sie zwar in der Theorie, aber in der Praxis sträubte es sich nur gegen ihre Anmutungen und duldete nur die Rekonstituierung der alten Staatsgewalten.

Die Bourgeoisie glaubte unterdes auf dem Punkte angelangt zu sein, wo der passive Widerstand in aktiven Angriff übergehen müsse. Das Ministerium Camphausen trat ab, nicht weil es diesen oder jenen Mißgriff begangen, sondern aus dem einfachen Grunde, weil es das erste Ministerium nach der Märzrevolution, weil es das Ministerium der Märzrevolution war und seinem Ursprung gemäß den Repräsentanten der Bourgeoisie noch unter dem Volksdiktator verstecken mußte. Diese seine zweideutige Entstehung und sein doppelsinniger Charakter legten ihm noch gewisse Convenancen, Rückhalte und Rücksichten gegen das souveräne Volk auf, die der Bourgeoisie lästig wurden, die ein zweites, direkt aus der Vereinbarerversamrnlung hervorgegangenes Ministerium nicht mehr zu beobachten hatte.

Sein Rücktritt war daher ein Rätsel für die Wirtshauspolitiker. Das Ministerium der Tat, das Ministerium Hansemann, folgte ihm, weil die Bourgeoisie aus der Periode des passiven Verrats des Volks an die Krone in die Periode der aktiven Unterwerfung des Volks unter ihre mit der Krone vereinbarte Herrschaft überzugehen gedachte. Das Ministerium der Tat war das zweite Ministerium nach der Märzrevolution. Das war sein ganzes Geheimnis.

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 183 vom 31. Dezember 1848]

*Köln, 29. Dezember.

"Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!

In diesen sechs Worten resümierte Hansemann den ganzen Vereinigten-Landtags-Liberalismus. Dieser Mann war der notwendige Chef des aus der Verein- <114> barerversammlung selbst hervorgegangenen Ministeriums, des Ministeriums, welches den passiven Widerstand gegen das Volk in tätigen Angriff auf das Volk verwandeln sollte, des Ministeriums der Tat.

In keinem preußischen Ministerium so viel bürgerliche Namen! Hansemann, Milde, Märker, Kühlwetter, Gierke! Selbst die hoffähige Etikette dieses Ministeriums, v. Auerswald, gehörte dem liberalen, d.h. der Bourgeoisie huldigenden Adel der Königsberger Opposition an. Roth von Schreckenstein allein vertrat unter der Kanaille den alten bürokratisierten preußischen Feudaladel. Roth von Schreckenstein! Überlebender Titel eines verlorengegangenen Räuber- und Ritterromans des seligen Hildebrandt! Aber Roth von Schreckenstein war nur die feudale Einfassung des bürgerlichen Juwels. Roth von Schreckenstein, mitten in dem bürgerlichen Ministerium, besagte in Riesenbuchstaben: Die preußische Feudalität, Armee, Bürokratie folgen dem neu aufgegangenen Sterne des preußischen Bürgertums. Ihm haben sich diese Gewaltigen zur Verfügung gestellt, und das Bürgertum pflanzt sie vor seinen Thron, wie man auf alten heraldischen Sinnbildern Bären vor die Volksherrscher aufpflanzte. Roth von Schreckenstein soll nur der Bär des bürgerlichen Ministeriums sein.

Am 26. Juni stellte sich das Ministerium Hansemann der Nationalversammlung vor. Mit dem Juli erst beginnt seine ernsthafte Existenz. Die Junirevolution war der Hintergrund des Ministeriums der Tat, wie die Februarrevolution der Hintergrund des Ministeriums der Vermittlung.

Die preußische Bourgeoisie exploitierte gegen das Volk den blutigen Sieg der Pariser Bourgeoisie über das Pariser Proletariat, wie die preußische Krone den blutigen Sieg der Kroaten zu Wien gegen die Bourgeoisie exploitierte. Die Wehn der preußischen Bourgeoisie nach dem östreichischen November sind die Abrechnung für die Wehn des preußischen Volks nach dem französischen Juni. In ihrer kurzsichtigen Engherzigkeit verwechselten sich die deutschen Spießbürger mit der französischen Bourgeoisie. Sie hatten keinen Thron umgeworfen, sie hatten nicht die feudale Gesellschaft, viel weniger ihren letzten Rest beseitigt, sie hatten keine von ihnen selbst geschaffene Gesellschaft zu behaupten. Sie glaubten nach dem Juni wie nach dem Februar, wie seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts, wie im 18. Jahrhundert in ihrer angestammten pfiffig-profitwütigen Weise aus fremder Arbeit drei Viertel Profit ziehen zu können. Sie ahnten nicht, daß hinter dem französischen Juni der östreichische November und hinter dem östreichischen November der preußische Dezember lauerte. Sie ahnten nicht, daß, wenn in Frankreich die Throne zerschmetternde Bourgeoisie nur noch einen einzigen Feind vor sich erblickte, das Proletariat - die preußische, mit der Krone ringende Bourgeoisie <115> nur noch einen einzigen Bundesgenossen besaß - das Volk. Nicht, als wenn beide keine feindlich entgegengesetzten Interessen besäßen. Wohl aber, weil dasselbe Interesse gegen eine dritte, sie gleich niederdrückende Macht beide noch zusammenschmiedete.

Das Ministerium Hansemann betrachtete sich als ein Ministerium der Junirevolution. Und in jeder preußischen Stadt verwandelten sich die Spießbürger den "roten Räubern" gegenüber in "honette Republikaner" - wobei sie nicht aufhörten, ehrbare Royalisten zu sein, und gelegentlich übersahen, daß ihre "Roten" - weißschwarze Kokarden trugen.

In seiner Thronrede vom 26. Juni machte Hansemann kurzen Prozeß mit Camphausens mysteriös-nebelhafter "Monarchie auf breitester demokratischer Grundlage".

"Konstitutionelle Monarchie auf Grundlage des Zweikammersystems und die gemeinschaftliche Ausübung der gesetzgebenden Macht durch beide Kammern und die Krone" - auf diese trockene Formel führte er den ahnungsschweren Spruch seines begeisterten Vorgängers zurück.

"Abänderung der notwendigsten, mit der neuen Staatsverfassung nicht zu vereinbarenden Verhältnisse, Befreiung des Eigentums von den Fesseln, welche dessen vorteilhafte Benutzung in einem großen Teile der Monarchie lähmen, Reorganisation der Rechtspflege, Reformation der Steuergesetzgebung, namentlich Abschaffung der Steuerbefreiungen usw." und vor allem "Stärkung der Staatsgewalt, notwendig zum Schutze der" (von den Bürgern) "erworbenen Freiheit gegen Reaktion" (Ausbeutung der Freiheit im Interesse der Feudalen) "und Anarchie" (Ausbeutung der Freiheit im Volksinteresse) "und zur Wiederherstellung des gestörten Vertrauens" -

das war das ministerielle Programm, das war das Programm der zum Ministerium gelangten preußischen Bourgeoisie, deren klassischer Repräsentant Hansemann ist.

Auf dem Vereinigten Landtage war Hansemann der erbittertste und zynischste Widersacher des Vertrauens, denn - "Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!" Am Ministerium proklamierte Hansemann als erste Notwendigkeit die "Wiederherstellung des gestörten Vertrauens", denn - diesmal wandte er sich zum Volke wie damals zum Thron -, denn

"Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!"

Damals handelte es sich um das Vertrauen, das Geld gibt, diesmal um das Vertrauen, das Geld macht; dort um das feudale Vertrauen, das treuergebene Vertrauen in Gott, König und Vaterland, hier um das bürgerliche Vertrauen, das Vertrauen in den Handel und Wandel, in die Verzinsung des Kapitals, in <116> die Zahlungsfähigkeit der Geschäftsfreunde, um das kommerzielle Vertrauen; nicht um Glaube, Liebe, Hoffnung, sondern um den Kredit.

"Wiederherstellung des gestörten Vertrauens!" In diesen Worten sprach Hansemann die fixe Idee der preußischen Bourgeoisie aus.

Der Kredit beruht auf der Sicherheit, daß die Exploitation der Lohnarbeit durch das Kapital, des Proletariats durch die Bourgeoisie, der Kleinbürger durch die Großbürger in herkömmlicher Weise fortdauert. Jede politische Regung des Proletariats, welcher Natur auch, sie sei denn unmittelbar durch die Bourgeoisie kommandiert, stört also das Vertrauen, den Kredit. "Wiederherstellung des gestörten Vertrauens!" hieß also im Munde Hansemanns:

Unterdrückung jeder politischen Regung im Proletariat und in allen Schichten der Gesellschaft, deren Interesse nicht direkt mit dem Interesse der ihrer Meinung nach am Staatsruder befindlichen Klasse zusammenfallen.

Dicht neben die "Herstellung des gestörten Vertrauens" stellte Hansemann daher die "Stärkung der Staatsmacht". Er irrte sich nur in der Natur dieser "Staatsmacht". Er glaubte die dem Kredit, dem bürgerlichen Vertrauen dienende Staatsmacht zu stärken, und er stärkte nur die Staatsmacht die Vertrauen verlangt und im Notfall mit Kartätschen ertrotzt, weil sie keinen Kredit besitzt. Er wollte mit den Produktionskosten der bürgerlichen Herrschaft knickern und belastete die Bourgeoisie mit den unerschwinglichen Millionen, welche die Restauration der preußischen Feudalherrschaft kostet.

Den Arbeitern gegenüber erklärte sich Hansemann sehr bündig: Er habe ein großes Heilmittel für sie in der Tasche. Ehe er es herausholen könne, müsse aber vor allem das "gestörte Vertrauen" wiederhergestellt sein. Um daß Vertrauen herzustellen, müsse die Arbeiterklasse ihrem Politisieren und Einmischen in Staatsdingen ein Ende machen und in ihre alten Gewohnheiten zurückkehren. Folge sie seinem Rate, sei das Vertrauen wiederhergestellt, so sei das geheimnisvolle große Heilmittel jedenfalls wirksam schon deswegen, weil es nicht mehr nötig und nicht mehr anwendbar sei, denn in diesem Falle war ja die Krankheit, die Störung der bürgerlichen Ordnung beseitigt. Und wozu Heilmittel, wo keine Krankheit? Beharre aber das Volk auf seinem Kopfe - nun gut, so werde er die "Staatsmacht stärken", die Polizei, die Armee, die Gerichte, die Bürokratie, er werde ihm seine Bären auf den Hals hetzen, denn das "Vertrauen" sei zur "Geldfrage" geworden, und:

"Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!"

Sosehr Hansemann darüber lächeln mag, sein Programm war ein ehrliches Programm, ein bravgemeintes Programm.

<117> Er wollte die Staatsmacht stärken, nicht nur gegen die Anarchie, d.h. gegen das Volk, er wollte sie auch stärken gegen die Reaktion, d.h. gegen die Krone und die feudalen Interessen, soweit sie dem Geldsäckel und den "notwendigsten", d.h. den bescheidensten politischen Prätensionen der Bourgeoisie gegenüber sich durchzusetzen versuchen sollten.

Das Ministerium der Tat war seiner ganzen Zusammensetzung nach schon ein Protest gegen diese "Reaktion".

Vor allen früheren preußischen Ministerien zeichnete es sich nämlich dadurch aus, daß sein wirklicher Ministerpräsident der Finanzminister war. Der preußische Staat hatte jahrhundertelang aufs sorgfältigste verheimlicht, daß Krieg und Inneres und auswärtige Angelegenheiten und Kirchen- und Schulsachen und sogar das königl[iche] Hausministerium und Glaube, Liebe und Hoffnung den profanen Finanzen untergeordnet sind. Das Ministerium der Tat stellte diese verdrießlich-bürgerliche Wahrheit an seine Spitze, indem es Herrn Hansemann an seine Spitze stellte, den Mann, dessen ministerielles Programm gleich seinem Oppositionsprogramme sich dahin resümierte:

"Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!"

Die Monarchie war in Preußen zu einer "Geldfrage" geworden.

Gehen wir nun von dem Programme des Ministeriums der Tat zu seinen Taten über.

Mit der Drohung der "verstärkten Staatsmacht" gegen die "Anarchie", d.h. gegen die Arbeiterklasse und alle Fraktionen des Bürgertums, die nicht bei dem Programme des Herrn Hansemann stehenblieben, wurde Ernst gemacht. Man kann sogar sagen, daß, mit Ausnahme der Erhöhung der Rübenzucker- und Branntweinsteuer, diese Reaktion gegen die sogenannte Anarchie, d.h. gegen die revolutionäre Bewegung, die einzige ernsthafte Tat des Ministeriums der Tat war.

Eine Menge von Preßprozessen auf Grund des Landrechts oder, in Ermangelung, des Code pénal, zahlreiche Verhaftungen auf derselben "genügenden Grundlage" (Formel von Auerswald), die Einführung des Konstablerinstituts zu Berlin, wonach auf zwei Häuser ein Konstabler kam, die polizeilichen Eingriffe in die Assoziationsfreiheit, Loslassen der Soldateska auf übermütig gewordene Bürger, Loslassen der Bürgerwehr auf übermütig gewordene Proletarier, beispielsweiser Belagerungszustand, alles das lebt noch von der Olympiade Hansemanns her in frischem Gedächtnis. Es bedarf keiner Details.

Kühlwetter resümierte diese Seite der Bestrebungen des Ministeriums der Tat in seiner Äußerung:

<118> "Ein Staat, der recht frei sein wolle, müsse ein recht großes Polizeipersonal als exekutive Macht haben",

wozu Hansemann selbst die bei ihm stabil gewordene Glosse murmelte:

"Es werde dies auch zur Herstellung des Vertrauens, zur Belebung der darniederliegenden Handelstätigkeit wesentlich beitragen."

Unter dem Ministerium der Tat "stärkten" sich also die altpreußische Polizei, das Parquet, die Bürokratie, die Armee - weil im Solde, auch im Dienste der Bourgeoisie, wähnte Hansemann. Genug, sie "stärkten" sich.

Die Stimmung des Proletariats und der bürgerlichen Demokratie dagegen wird durch ein Faktum charakterisiert. Weil einige Reaktionäre einige Demokraten in Charlottenburg mißhandelten, stürmte das Volk das Hotel des Ministerpräsidiums in Berlin. So populär war das Ministerium der Tat geworden. Am andern Tage schlug Hansemann ein Gesetz gegen die Zusammenrottungen und öffentlichen Versammlungen vor. So schlau intrigierte er gegen die Reaktion.

Die wirkliche, greifbare, populäre Tätigkeit des Ministeriums der Tat war also eine rein polizeiliche. In den Augen des Proletariats und der städtischen Demokratie vertrat dies Ministerium und die Vereinbarerversammlung, deren Majorität im Ministerium vertreten war, und die preußische Bourgeoisie, deren Majorität in der Vereinbarungsversammlung die Majorität bildete, nichts anders als den alten, wieder aufgefrischten Polizei- und Beamtenstaat. Die Erbitterung gegen die Bourgeoisie war hinzugekommen, weil die Bourgeoisie herrschte und in der Bürgerwehr zu einem integrierenden Teil der Polizei sich herangebildet hatte.

Das war die "Märzerrungenschaft" in den Augen des Volks, daß auch die liberalen Herren von der Bourgeoisie - polizeiliche Funktionen übernahmen. Also eine verdoppelte Polizei!

Nicht in den Taten des Ministeriums der Tat, sondern in seinen organischen Gesetzvorschlägen tritt es erst hervor, daß es die "Polizei", den letzten Ausdruck des alten Staats, nur im bürgerlichen Interesse "stärkte" und zu Taten anspornte.

In den von dem Ministerium Hansemann vorgelegten Entwürfen zur Gemeindeordnung, den Geschwornengerichten, dem Bürgerwehrgesetze ist der Besitz in einer oder der andern Form stets die Grenze zwischen dem gesetzlichen und dem ungesetzlichen Lande. In allen diesen Gesetzvorschlägen sind der k[öni]gl[ichen] Macht zwar die servilsten Konzessionen gemacht, denn nach dieser Seite hin glaubte das bürgerliche Ministerium einen unschädlich <119> gewordenen Bundesgenossen zu besitzen, aber zur Entschädigung tritt die Herrschaft des Kapitals über die Arbeit desto rücksichtsloser hervor.

Das Bürgerwehrgesetz, das die Vereinbarungsversammlung sanktioniert hat, ist gegen die Bourgeoisie selbst gekehrt worden und hat den gesetzlichen Vorwand zu ihrer Entwaffnung abgeben müssen. Allerdings sollte es in ihrer Einbildung erst wirksam werden nach Erlaß der Gemeindeordnung und der Promulgation der Verfassung, d.h. nach Befestigung ihrer Herrschaft. Die Erfahrungen, welche die preußische Bourgeoisie mit dem Bürgerwehrgesetze gemacht hat, mögen zu ihrer Aufklärung beitragen; sie mag daraus ersehen, daß sie einstweilen alles, was sie gegen das Volk zu tun meint, nur gegen sich selbst tut.

Für das Volk also resümierte sich das Ministerium Hansemann praktisch in dem altpreußischen Polizeibütteltum, theoretisch in belgisch beleidigenden Unterscheidungen zwischen Bourgeois und Nichtbourgeois.

Gehen wir zum andern Teil des ministeriellen Programms über, zu der Anarchie gegen die Reaktion.

Nach dieser Seite hin hat das Ministerium mehr fromme Wünsche als Taten aufzuweisen.

Zu den frommen bürgerlichen Wünschen gehört der parzellenweise Verkauf der Domänen an Privatbesitzer, die Preisgebung des Bankinstituts an die freie Konkurrenz, die Verwandlung der Seehandlung in ein Privatinstitut usw.

Das Ministerium der Tat hatte das Unglück, daß seine ökonomischen Angriffe gegen die feudale Partei alle unter der Ägide der Zwangsanleihe auftreten und seine reformierenden Versuche überhaupt als bloß finanzielle Notbehelfe zur Füllung der Kasse der erstarkten "Staatsmacht" in den Augen des Volkes erschienen. Hansemann erntete so den Haß der einen Partei, ohne die Anerkennung der andern zu ernten. Und es läßt sich nicht leugnen, daß er nur da einen ernstern Angriff auf die Feudalprivilegien wagte, wo die dem Finanzminister zunächst liegende "Geldfrage", wo die Geldfrage im Sinne des Finanzministeriums sich aufdrängte. In diesem engherzigen Sinne rief er den Feudalen zu.

"Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!"

So trugen selbst seine positiv bürgerlichen Bestrebungen gegen die Feudalen dieselbe polizeiliche Färbung wie seine negativen Maßregeln zur "Belebung der Handelstätigkeit". Die Polizei heißt nämlich in der politischen Ökonomie Fiskus. Die Erhöhung der Rübenzucker- und Branntweinsteuer, die Hansemann bei der Nationalversammlung durchsetzte und zum Gesetz erhob, empörte die Geldbeutel mit Gott für König und Vaterland in <120> Schlesien, in den Marken, in Sachsen, in Ost- und Westpreußen usw. Während diese Maßregel aber den Zorn der industriellen Grundeigentümer in den altpreußischen Provinzen heraufbeschwor, erregte sie nicht minderes Mißvergnügen unter den bürgerlichen Branntweinbrennern der Rheinprovinz, die sich dadurch in noch ungünstigere Konkurrenzbedingungen den altpreußischen Provinzen gegenüber versetzt sahen. Und, um das Maß vollzumachen, verbitterte sie die Arbeiterklasse der alten Provinzen, für die sie nichts bedeutete und nichts bedeuten konnte als: Verteuerung eines unentbehrlichen Lebensmittels. Es blieb also nichts von dieser Maßregel übrig als Füllung der Kasse der "gestärkten Staatsmacht"! Und dies Beispiel genügt, denn - es ist die einzige Tat des Ministeriums der Tat gegen die Feudalen, die wirklich zur Tat, der einzige Gesetzvorschlag in dieser Richtung, der wirklich zum Gesetz wurde.

Hansemanns "Vorschläge" wegen Aufhebung der Klassen- und Grundsteuer-Steuerbefreiungen, wie sein Projekt einer Einkommensteuer, rief Taranteltänze unter den grundherrlichen Schwärmern für "Gott, König und Vaterland" hervor. Sie verschrien ihn als - Kommunisten, und noch heute bekreuzt sich dreimal die preußische Kreuzritterin bei Nennung des Namens - Hansemann. <Siehe "Bekenntnisse einer schönen Seele"> Er klingt ihr wie Fra Diavolo. Die Aufhebung der Grundsteuerbefreiung, die einzige bedeutende Maßregel, die während der Herrlichkeit der Vereinbarerversammlung von einem preußischen Minister vorgeschlagen wurde, sie scheiterte an der prinzipiellen Borniertheit der Linken. Und Hansemann selbst hatte diese Borniertheit berechtigt. Sollte die Linke dem Ministerium der "gestärkten Staatsmacht" neue finanzielle Hülfsquellen eröffnen, bevor die Verfassung fabriziert und beschworen war?

So unglücklich war das bürgerliche Ministerium par excellence <reinsten Wassers>, daß seine radikalste Maßregel durch die radikalen Glieder der Vereinbarerversammlung paralysiert werden mußte. So dürftig war es, daß sein ganzer Kreuzzug gegen die Feudalität sich in eine Steuererhöhung verlief, allen Klassen gleich gehässig, und daß sein ganzer finanzieller Scharfsinn in einer Zwangsanleihe abortierte. Zwei Maßregeln, die schließlich nur Subsidien zu dem Feldzuge der Kontrerevolution gegen die Bourgeoisie selbst verschafften. - Die Feudalen aber hatten sich von den "böswilligen" Absichten des bürgerlichen Ministeriums überzeugt. So bewährte sich selbst in dem finanziellen Kampfe der preußischen Bourgeoisie gegen den Feudalismus, daß sie in ihrer unpopulären Ohnmacht Geld sogar nur gegen sich selbst einzutreiben wußte, und - Meine Herrn! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!

<121> Wie es dem bürgerlichen Ministerium gelungen war, das städtische Proletariat, die bürgerliche Demokratie und die Feudalen gleichmäßig gegen sich zu erbittern, so wußte es selbst die vom Feudalismus unterjochte Bauernklasse sich zu entfremden und zu verfeinden, aufs eifrigste darin unterstützt von der Vereinbarerversammlung. Man vergesse überhaupt nicht, daß während der Hälfte ihrer Lebensfrist diese Versammlung in dem Ministerium Hansemann ihren sachgemäßen Repräsentanten fand und daß die bürgerlichen Märtyrer von heute Hansemanns Schleppträger von gestern waren.

Der unter Hansemann durch Patow vorgelegte Entwurf zur Befreiung von den Feudallasten (siehe unsre frühere Kritik darüber <Siehe Band 5, S. 106-107, 278-283 und 309-314>) war das jämmerlichste Machwerk ohnmächtigsten bürgerlichen Gelüstes, die Feudalprivilegien, diese mit der "neuen Staatsverfassung unverträglichen Verhältnisse" abzuschaffen, und bürgerlicher Angst, sich revolutionär an irgendeiner Sorte des Eigentums zu vergreifen. Der jämmerliche, bange, engherzige Egoismus verblendete die preußische Bourgeoisie in dem Grade, daß sie ihren notwendigen Bundesgenossen - die Bauernklasse - von sich zurückstieß.

Am 3. Juni stellte der Abgeordnete Hanow den Antrag,

"daß alle schwebenden Verhandlungen behufs der Auseinandersetzung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse und behufs der Dienstablösungen bis zum Erlasse eines neuen, auf billigen Grundsätzen gebauten Gesetzes über diese Angelegenheit sogleich auf einseitigen Antrag eingestellt werden möchten".

Und erst Ende September, also vier Monate später, unter dem Ministerium Pfuel, nahm die Vereinbarungsversammlung den Gesetzentwurf wegen Sistierung der obschwebenden gutsherrlich-bäuerlichen Verhandlungen an, nachdem sie alle liberalen Amendements verworfen und es beim "Vorbehalt interimistischer Festsetzungen der laufenden Leistungen" wie der "Beitreibung der streitigen Abgaben und der Rückstände" belassen hatte.

Im August, wenn wir nicht irren, erkannte die Vereinbarerversammlung Nenstiels Antrag auf "sofortige Aufhebung der Robotdienste" für nicht dringlich - und die Bauern hätten es als dringlich erkennen sollen, sich für dieselbe Vereinbarerversammlung zu schlagen, die sie hinter den faktischen Zustand, den sie nach dem März erobert hatten, zurückschleuderte?

Die französische Bourgeoisie begann mit der Befreiung der Bauern. Mit den Bauern eroberte sie Europa. Die preußische Bourgeoisie war so sehr in ihren engsten, nächstliegenden Interessen befangen, daß sie selbst diesen Bundesgenossen verscherzte und zu einem Werkzeuge in der Hand der feudalen Kontrerevolution machte.

<122> Die offizielle Geschichte von der Auflösung des Bürgerministeriums ist bekannt.

Unter seinen Fittichen war die "Staatsmacht" soweit "erstarkt", die Volksenergie so sehr niedergedrückt, daß die Dioskuren Kühlwetter-Hansemann schon am 15. Juli eine Ermahnung an sämtliche Regierungspräsidenten der Monarchie gegen die reaktionären Umtriebe der Verwaltungsbeamten, speziell der Landräte erlassen mußten, daß später eine "Versammlung des Adels und der großen Gutsbesitzer zum Schutze" ihrer Privilegien neben der Vereinbarerversammlung in Berlin tagte, daß endlich der sogenannten Berliner Nationalversammlung gegenüber ein aus dem Mittelalter überkommener "Kommunallandtag zur Wahrung der bedrohten Eigentumsrechte des Grundbesitzes" in der Oberlausitz auf den vierten September sich zusammenberief.

Die Energie, welche Regierung und sogenannte Nationalversammlung gegen diese immer bedrohlicher werdenden kontrerevolutionären Symptome aufbot, äußerte sich angemessen in papiernen Ermahnungen. Bajonette, Kugeln, Gefängnisse und Büttel hatte das Bürgerministerium nur für das Volk "zur Herstellung des gestörten Vertrauens und zur Belebung der Handelstätigkeit".

Die Vorfälle zu Schweidnitz, wo die Soldateska direkt die Bourgeoisie in der Bürgerwehr meuchelmordete, erweckten endlich die Nationalversammlung aus ihrer Apathie. Am 9. August raffte sie sich zu einer Heldentat auf, zu dem Stein-Schultzeschen Armeebefehle, dessen letztes Zwangsmittel das Zartgefühl der preußischen Offiziere war. Welch ein Zwangsmittel! Und verbot die royalistische Ehre den Offizieren nicht, auf die bürgerliche Ehre zu hören?

Einen Monat nachdem die Vereinbarerversammlung den Stein-Schultzeschen Armeebefehl gefaßt hatte, am 7. September, beschloß sie abermals, daß ihr Beschluß ein wirklicher Beschluß sei und von den Ministern ausgeführt werden müsse. Hansemann weigerte sich und dankte ab am 11 September, nachdem er vorher sich selbst zum Bankdirektor mit 6.000 Tlr. jährlichem Gehalt ernannt hatte, denn - Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!

Am 25. September endlich nahm die Vereinbarerversammlung dankbar aus Pfuels Munde die gänzlich abgeschwächte Anerkennungsformel des Stein-Schultzeschen Armeebefehls entgegen, der unterdessen durch den parallel laufenden Wrangelschen Armeebefehl und die um Berlin konzentrierten Truppenmassen zu einem schlechten Witze herabgesunken war.

Man braucht die eben gegebenen Daten und die Geschichte des Stein-Schultzeschen Armeebefehls nur mit einem Blicke zu überfliegen, und man <123> überzeugt sich, daß jener Armeebefehl nicht der wirkliche Grund von Hansemanns Abdankung war. Hansemann, der vor der Anerkennung der Revolution nicht zurückschauderte, hätte vor jener papiernen Proklamation zurückschaudern sollen? Hansemann, der das Portefeuille jedesmal wieder aufhob, sooft es ihm entfallen war, hätte es diesmal aus biedermännischer Gereiztheit auf der Ministerbank zum Ausgebot liegenlassen sollen? Nein, unser Hansemann ist kein Schwärmer! Hansemann wurde einfach düpiert, wie er überhaupt die düpierte Bourgeoisie darstellte. Man ließ ihn glauben, die Krone werde ihn unter keinen Umständen fallenlassen. Man ließ ihn den letzten Schein der Popularität verlieren, um ihn endlich den Rankünen der Krautjunker hinopfern und sich von der bürgerlichen Vormundschaft befreien zu können. Überdem erforderte der mit Rußland und Österreich verabredete Feldzugsplan einen von der Kamarilla außer der Vereinbarerversammlung ernannten General an der Spitze des Kabinetts. Unter dem Bürgerministerium war die alte "Staatsmacht" hinreichend "erstarkt", um diesen Coup wagen zu dürfen.

Man täuschte sich in Pfuel. Der Sieg der Kroaten zu Wien machte selbst einen Brandenburg zu einem brauchbaren Werkzeuge.

Unter dem Ministerium Brandenburg wurde die Vereinbarerversammlung schmählich auseinandergejagt, gefoppt, verhöhnt, gedemütigt, verfolgt, und das Volk blieb gleichgültig im entscheidenden Augenblicke. Ihre Niederlage war die Niederlage der preußischen Bourgeoisie, der Konstitutionellen, also ein Sieg der demokratischen Partei, wie teuer diese den Sieg auch bezahlen mußte.

Aber die oktroyierte Verfassung?

Einst hieß es, nie werde ein "Stück Papier" sich zwischen den König und sein Volk drängen. Jetzt heißt es: Nur ein Stück Papier soll sich zwischen den König und sein Volk drängen. Die wirkliche Verfassung Preußens ist der - Belagerungszustand. Die oktroyierte französische Verfassung enthielt nur einen § 14, der sie aufhob. Jeder Paragraph der oktroyierten preußischen Verfassung ist ein § 14.

Die Krone oktroyiert durch diese Verfassung neue Privilegien - nämlich sich selbst.

Sie gibt sich selbst frei, die Kammern in indefinitum <auf unbestimmte Zeit> aufzulösen. Sie gibt den Ministern frei, in der Zwischenzeit beliebige Gesetze (auch über Eigentum u. dgl.) zu erlassen. Sie gibt den Deputierten frei, die Minister deswegen anzuklagen, auf die Gefahr hin, als "innere Feinde" in Belagerungszustand <124 > erklärt zu werden. Sie gibt endlich sich selbst frei, wenn im Frühling die Aktien der Kontrerevolution hochstehen, an die Stelle dieses in der Luft schwebenden "Stück Papiers" eine aus den mittelaltrigen Ständeunterschieden organisch herauswachsende christlich-germanische Magna Charta zu setzen oder das Verfassungsspiel überhaupt aufzugeben. Selbst in dem letzten Falle würde der konservative Teil der Bourgeoisie die Hände falten und beten:

Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt!

Die Geschichte des preußischen Bürgertums, wie überhaupt des deutschen Bürgertums von März bis Dezember, beweist, daß in Deutschland eine rein bürgerliche Revolution und die Gründung der Bourgeoisherrschaft unter der Form der konstitutionellen Monarchie unmöglich, daß nur die feudale absolutistische Kontrerevolution möglich ist oder die sozial-republikanische Revolution.

Daß aber selbst der lebensfähige Teil der Bourgeoisie wieder aus seiner Apathie erwachen muß, dafür bürgt uns vor allem die Monsterrechnung, wo mit die Kontrerevolution ihn im Frühling überraschen wird und - wie unser Hansemann so sinnig sagt:

Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!

Geschrieben von Karl Marx.