Eine Neujahrsgratulation | Inhalt | Die Schweizer Presse
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 165-173Der magyarische Kampf
["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 194 vom 13. Januar 1849]
<165> *Köln, im Januar. Während in Italien bereits der erste Gegenschlag gegen die Kontrerevolution des letzten Sommers und Herbstes eintritt <Siehe "Die revolutionäre Bewegung in Italien">, wird in den ungarischen Ebenen der letzte Unterdrückungskampf gegen die unmittelbar aus der Februarrevolution hervorgegangene Bewegung vollendet. Die neue italienische Bewegung ist das Vorspiel der Bewegung von 1849, der Krieg gegen die Magyaren das Nachspiel der Bewegung von 1848. Wahrscheinlich wird sich dies Nachspiel noch in das neue Drama hinüberziehen, das sich in der Stille vorbereitet.
Heroisch, wie die ersten rasch aufeinanderfolgenden Szenen der 48er Revolutionstragödie, wie der Fall von Paris und Wien, wohltuend heroisch nach den teils matten, teils kleinlichen Zwischenszenen zwischen Juni und Oktober, ist auch das Nachspiel. Der letzte Akt von 1848 spielt hinüber in den ersten von 1849 durch den Terrorismus.
Zum ersten Mal in der revolutionären Bewegung von 1848, zum ersten Mal seit 1793, wagt es eine von der kontrerevolutionären Übermacht umzingelte Nation, der feigen kontrerevolutionären Wut die revolutionäre Leidenschaft, der terreur blanche die terreur rouge <dem weißen Terror den roten Terror> entgegenzustellen. Zum ersten Male seit langer Zelt finden wir einen wirklich revolutionären Charakter, einen Mann, der den Handschuh des Verzweiflungskampfes im Namen seines Volkes aufzunehmen wagt, der für seine Nation Danton und Carnot in einer Person ist - Ludwig Kossuth.
Die Übermacht ist furchtbar. Ganz Österreich, voran 16 Millionen fanatisierte Slawen, gegen 4 Millionen Magyaren.
<166> Der Aufstand in Masse, die nationale Waffenfabrikation, die Assignaten, der kurze Prozeß mit jedem, der die revolutionäre Bewegung hemmt, die Revolution in Permanenz, kurz alle Hauptzüge des glorreichen Jahres 1793 finden wir wieder in dem von Kossuth bewaffneten, organisierten, enthusiasmierten Ungarn. Diese revolutionäre Organisation, die sozusagen binnen 24 Stunden fertig sein muß bei Strafe des Untergangs, sie fehlte in Wien, sonst wäre Windischgrätz nie hineingekommen. Wir wollen sehen, ob er nach Ungarn hineinkommt, trotz dieser revolutionären Organisation.
Sehen wir uns den Kampf und die kämpfenden Parteien näher an.
Die österreichische Monarchie ging hervor aus dem Versuch, Deutschland in derselben Weise zu einer einzigen Monarchie zu vereinigen, wie die franz[ösischen] Könige bis auf Ludwig XI. dies in Frankreich durchführten. Der Versuch scheiterte an der erbärmlichen Lokalborniertheit der Deutschen wie der Österreicher und an dem entsprechenden kleinkrämerhaften Geiste des Hauses Habsburg. Anstatt ganz Deutschlands erhielten die Habsburger nur diejenigen süddeutschen Länder, die im direkten Kampfe mit vereinzelten Slawenstämmen lagen oder in denen ein deutscher Feudaladel und eine deutsche Bürgerschaft vereint unterjochte Slawenstämme beherrschten. In beiden Fällen hatten die Deutschen jeder Provinz Unterstützung von außen nötig. Diese Unterstützung ward ihnen durch die Assoziation gegen die Slawen, und diese Assoziation kam zustande durch die Vereinigung der fraglichen Provinzen unter dem habsburgischen Zepter.
So entstand Deutsch-Österreich. Man braucht nur im ersten besten Kompendium nachzulesen, wie die österreichische Monarchie zustande kam, wie sie sich wieder trennte und abermals zustande kam, alles im Kampfe gegen die Slawen, um zu sehen, wie richtig diese Darstellung ist.
An Deutsch-Österreich stößt Ungarn. In Ungarn führten die Magyaren denselben Kampf wie die Deutschen in Deutsch-Österreich. Der zwischen slawischen Barbaren vorgeschobene deutsche Keil im Erzherzogtume Österreich und Steiermark bot dem ebenfalls zwischen slawischen Barbaren vorgeschobenen magyarischen Keil an der Leitha die Hand. Wie im Süden und Norden, in Böhmen, Mähren, Kärnten und Krain der deutsche Adel slawische Stämme beherrschte, germanisierte und damit in die europäische Bewegung hineinriß, so beherrschte im Süden und Norden, in Kroatien, Slawonien und den Karpatenländern magyarischer Adel ebenfalls slawische Stämme. Die Interessen beider waren dieselben, die Gegner beider waren natürliche Verbündete. Die Allianz der Magyaren und der österreichischen Deutschen war eine Notwendigkeit. Es fehlte nur noch eine große Tatsache, ein gewaltiger Angriff auf beide, um diese Allianz unauflöslich zu machen. Diese Tatsache <167> kam mit der Eroberung des byzantinischen Reichs durch die Türken. Die Türken bedrohten Ungarn und in zweiter Instanz Wien, und Ungarn kam auf Jahrhunderte unauflöslich an das Haus Habsburg.
Aber die gemeinsamen Gegner beider wurden allmählich schwach. Das türkische Reich verfiel in Ohnmacht, und die Slawen verloren die Kraft, sich gegen die Magyaren und Deutschen zu erheben. Ja, ein Teil des in den slawischen Ländern herrschenden deutschen und magyarischen Adels nahm slawische Nationalität an, und damit wurden die slawischen Nationen selbst an der Erhaltung einer Monarchie interessiert, die den Adel mehr und gegen die sich entwickelnde deutsche und magyarische Bürgerschaft zu schützen hatte. Die nationalen Gegensätze verschwanden, und das Haus Habsburg nahm eine andere Politik an. Dasselbe Haus Habsburg, das sich auf den Schultern der deutschen Spießbürgerschaft auf den deutschen Kaiserthron geschwungen hatte, wurde entschiedener als irgendeine andere Dynastie der Vertreter des Feudaladels gegenüber der Bürgerschaft.
In diesem Sinne beteiligte sich Östreich an der Teilung Polens. Die großen galizischen Starosten und Woiwoden, die Potockis, Lubomirskis und Czartoryskis verrieten Polen an Östreich und wurden die treuesten Stützen des Hauses Habsburg, das ihnen dafür ihren Besitz gegen die Angriffe des niedern Adels und der Bürgerschaft garantierte.
Aber die Bürgerschaft der Städte gewann immer mehr Reichtum und Einfluß, und der mit der Industrie fortschreitende Ackerbau gab den Bauern eine veränderte Stellung gegen die Grundherren. Die Bewegung der Bürger und Bauern gegen den Adel wurde immer drohender. Und da die Bewegung der Bauern, die überall die Träger der nationalen und lokalen Borniertheit sind, notwendig eine lokale und nationale ist, so tauchten mit ihr zugleich die alten nationalen Kämpfe wieder auf.
In dieser Lage der Dinge machte Metternich sein Meisterstück. Mit Ausnahme der allermächtigsten Feudalbarone nahm er dem übrigen Adel allen Einfluß auf die Staatsleitung. Der Bourgeoisie nahm er ihre Kraft, indem er die mächtigsten Finanzbarone für sich gewann - er mußte es wohl, die Finanzen zwangen ihn dazu. So gestützt auf die hohe Feudalität und die hohe Finanz, sowie auf die Bürokratie und die Armee, erreichte er am vollständigsten von allen seinen Rivalen das Ideal der absoluten Monarchie. Die Bürger und Bauern jeder Nation hielt er durch den Adel derselben Nation und die Bauern jeder andern Nation, den Adel jeder Nation durch die Furcht vor den Bürgern und Bauern ihrer Nation im Zaume. Die verschiedenen Klasseninteressen, Nationalborniertheiten und Lokalvorurteile, so kompliziert sie waren, hielten sich gegenseitig vollständig im Schach und erlaubten dem alten Gauner <168> Metternich die freieste Bewegung. Wie weit er es in dieser Völkeraneinanderhetzung gebracht, beweisen die galizischen Mordszenen, wo Metternich die demokratische, im Interesse der Bauern begonnene polnische Bewegung durch die religiös und national fanatisierten ruthenischen Bauern selbst unterdrückte.
Das Jahr 1848 brachte zuerst die furchtbarste Verwirrung nach Östreich, indem es alle diese verschiedenen, bisher durch Metternich einander knechtenden Stämme einen Moment freiließ. Deutsche, Magyaren, Tschechen, Polen, Mähren, Slowaken, Kroaten, Ruthenen, Rumänen, Illyrier, Serben gerieten untereinander in Konflikt, während in jeder dieser Nationen die einzelnen Klassen sich ebenfalls bekämpften. Aber bald kam Ordnung in diesen Wirrwarr. Die Streitenden teilten sich in zwei große Heerlager; auf der einen Seite der Revolution die Deutschen, Polen und Magyaren; auf der Seite die Kontrerevolution die übrigen, die sämtlichen Slawen mit Ausnahme der Polen, der Rumänen und die siebenbürgischen Sachsen.
Woher kömmt diese Scheidung nach Nationen, welche Tatsachen liegen ihr zugrunde?
Diese Scheidung entspricht der ganzen bisherigen Geschichte der fraglichen Stämme. Sie ist der Anfang der Entscheidung über das Leben oder den Tod aller dieser großen und kleinen Nationen.
Die ganze frühere Geschichte Östreichs beweist es bis auf diesen Tag, und das Jahr 1848 hat es bestätigt. Unter allen den Nationen und Natiönchen Östreichs sind nur drei, die die Träger des Fortschritts waren, die aktiv in die Geschichte eingegriffen haben, die noch jetzt lebensfähig sind - die Deutschen, die Polen, die Magyaren. Daher sind sie jetzt revolutionär.
Alle andern großen und kleinen Stämme und Völker haben zunächst die Mission, im revolutionären Weltsturm unterzugehen. Daher sind sie jetzt kontrerevolutionär.
Was die Polen betrifft, so verweisen wir auf unsern Artikel über die Polendebatte in Frankfurt <Siehe Band 5, S. 319-363>. Um ihren revolutionären Geist zu bändigen, appelliert, schon Metternich an die Ruthenen, einen durch etwas verschiedenen Dialekt und namentlich durch die griechische Religion sich von den Polen unterscheidenden Stamm, der von jeher zu Polen gehört hatte und erst durch Metternich erfuhr, daß die Polen seine Unterdrücker seien. Als ob nicht im alten Polen die Polen selbst, ebensogut wie die Ruthenen, unterdrückt worden seien, als ob unter östreichischer Herrschaft Metternich nicht ihr gemeinsamer Unterdrücker gewesen sei!
<169> Soviel über Polen und Ruthenen, die durch Geschichte und geographische Lage übrigens so sehr vom eigentlichen Österreich getrennt sind, daß wir vor allen Dingen sie beseitigen mußten, um mit dem übrigen Völkerwirrwarr ins reine zu kommen.
Bemerken wir indes vorher noch, daß es bei den Polen große politische Einsicht und echt revolutionären Sinn verrät, wenn sie jetzt im Bunde mit ihren alten Feinden, den Deutschen und Magyaren, gegen die panslawistische Kontrerevolution auftreten. Ein slawisches Volk, dem die Freiheit lieber ist als das Slawentum, beweist allein dadurch seine Lebensfähigkeit, sichert sich schon dadurch seine Zukunft.
Nun zum eigentlichen Österreich.
Österreich, südlich von Sudeten und Karpaten, das obere Elbtal und das mittlere Donaugebiet, bildet ein im früheren Mittelalter ausschließlich von Slawen bewohntes Land. Diese Slawen gehören nach Sprache und Sitten demselben Stamm an wie die Slawen der Türkei, die Serben, Bosniaken, Bulgaren und thrazischen und mazedonischen Slawen, dem Stamme der, im Gegensatz gegen Polen und Russen, sogenannten Südslawen. Außer diesen verwandten slawischen Stämmen war das ungeheure Gebiet vom Schwarzen Meer bis zum Böhmerwald und den Tiroler Alpen nur noch im Süden des Balkan von einzelnen Griechen, im Unterdonaugebiet von zersprengten, romanisch redenden Walachen bewohnt.
Zwischen diese kompakte slawische Masse schoben sich von Westen die Deutschen, von Osten die Magyaren keilförmig ein. Das deutsche Element eroberte den westlichen Teil von Böhmen und drang zu beiden Seiten der Donau bis über die Leitha vor. Das Erzherzogtum Östreich, ein Teil von Mähren, der größte Teil von Steiermark wurden germanisiert und trennte so die Tschechen und Mähren von den Kärntnern und Krainern. Ebenso wurde Siebenbürgen und das mittlere Ungarn bis an die deutsche Grenze ganz von Slawen gereinigt und von den Magyaren besetzt, die hier die Slowaken und einige ruthenische Gegenden (im Norden) von den Serben, Kroaten und Slawoniern trennten und sich alle diese Völker unterwarfen. Die Türken endlich unterjochten, nach dem Vorgange der Byzantiner, die Slawen südlich von Donau und Save, und die historische Rolle der Südslawen war für immer ausgespielt.
Der letzte Versuch der Südslawen, selbständig in die Geschichte einzugreifen, war der Hussitenkrieg, ein tschechisch-nationaler Bauernkrieg religiöser Fahne gegen deutschen Adel und deutsche kaiserliche Oberherrschaft. Der Versuch scheiterte, und die Tschechen blieben seitdem ununterbrochen ans Schlepptau des deutschen Reichs gefesselt.
<170> Dagegen übernahmen ihre Besieger, die Deutschen und Magyaren, die geschichtliche Initiative in den Donaugegenden. Ohne die Deutschen und namentlich ohne die Magyaren wären die Südslawen türkisch geworden, wie ein Teil es wirklich wurde - ja mohammedanisch, wie die slawischen Bosniaken noch heute sind. Und das ist ein Dienst, den die österreichischen Südslawen selbst mit der Vertauschung ihrer Nationalität gegen die deutsche oder magyarische nicht zu teuer bezahlen.
Die türkische Invasion des 15. und 16. Jahrhunderts war die zweite Auflage der arabischen aus dem 8. Jahrhundert. Der Sieg Karl Martells ward unter den Mauern Wiens und in den ungarischen Ebenen aber und abermals erfochten. Wie damals bei Poitiers, wie nachher bei Wahlstatt beim Mongoleneinfall, war hier wieder die ganze europäische Entwicklung bedroht. Und wo es galt, diese zu retten, da sollte es auf ein paar längst zerfallene, ohnmächtig gewordene Nationalitäten ankommen, wie die österreichischen Slawen, die obendrein ja mitgerettet wurden?
Wie nach außen, so nach innen. Die treibende Klasse, die Trägerin der Bewegung, die Bürgerschaft, war überall deutsch oder magyarisch. Die Slawen haben es schwer, die Südslawen aber nur ganz stellenweise zu einer nationalen Bürgerschaft bringen können. Und mit der Bürgerschaft war die industrielle Macht, war das Kapital in deutschen resp. magyarischen Händen, entwickelte sich deutsche Bildung, kamen die Slawen auch intellektuell unter die Botmäßigkeit der Deutschen, selbst bis nach Kroatien hinein. Dasselbe geschah, nur später und deshalb in geringerem Maße in Ungarn, wo die Magyaren gemeinsam mit den Deutschen die intellektuelle und kommerzielle Leitung übernahmen. Die ungarischen Deutschen sind aber, trotz der beibehaltenen deutschen Sprache, nach Gesinnung, Charakter und Sitte echte Magyaren geworden. Nur die neueingeführten Bauernkolonisten, die Juden und die Sachsen in Siebenbürgen, machen eine Ausnahme und steifen sich auf die Beibehaltung einer absurden Nationalität mitten in fremdem Lande.
Und wenn die Magyaren in der Zivilisation etwas hinter den Deutschösterreichern zurückgeblieben waren, so haben sie in der neueren Zeit durch ihre politische Tätigkeit dies glänzend nachgeholt. Von 1830-1848 existierte in Ungarn allein mehr politisches Leben als in ganz Deutschland, wurden die feudalen Formen der alten ungarischen Verfassung im demokratischen Interesse besser ausgebeutet als die modernen Formen der süddeutschen Konstitutionen. Und wer stand hier an der Spitze der Bewegung? Die Magyaren. Wer unterstützte die österreichische Reaktion? Die Kroaten und Slawonier.
Dieser magyarischen Bewegung sowie der wiedererwachenden politischen <171> Bewegung in Deutschland gegenüber stifteten die österreichischen Slawen einen Sonderbund: den Panslawismus.
Der Panslawismus ist entstanden nicht in Rußland oder in Polen, sondern in Prag und in Agram. Der Panslawismus ist die Allianz aller kleinen slawischen Nationen und Natiönchen Österreichs und in zweiter Linie der Türkei zum Kampf gegen die österreichischen Deutschen, die Magyaren und eventuell die Türken. Die Türken kommen nur zufällig herein und können, als ebenfalls ganz heruntergekommene Nation, ganz außer Frage bleiben. Der Panslawismus ist, seiner Grundtendenz nach, gegen die revolutionären Elemente Österreichs gerichtet und daher von vornherein reaktionär.
Der Panslawismus bewies diese reaktionäre Tendenz sofort durch einen doppelten Verrat: indem er die einzige slawische Nation, die bis jetzt revolutionär auftrat, die Polen, seinen kleinlichen Nationalberniertheiten opferte und sich und Polen an den russischen Zaren verkaufte.
Der direkte Zweck des Panslawismus ist die Herstellung eines slawischen Reichs vom Erzgebirge und den Karpaten bis ans Schwarze, Ägäische und Adriatische Meer unter russischer Botmäßigkeit, eines Reichs, das außer der deutschen, italienischen, magyarischen, walachischen, türkischen, griechischen und albanesischen Sprache noch ungefähr ein Dutzend slawischer Sprachen und Hauptdialekte umfassen würde. Das ganze zusammengehalten nicht durch die Elemente, die bisher Östreich zusammenhielten und entwickelten, sondern durch die abstrakte Eigenschaft des Slawentums und die sogenannte slawische Sprache, die allerdings der Mehrzahl der Einwohner gemeinsam. Aber wo existiert dies Slawentum als in den Köpfen einiger Ideologen, wo die "slawische Sprache" als in der Phantasie der Herren Palacky, Gaj und Konsorten und annähernd in der altslawischen Litanei der russischen Kirche, die kein Slawe mehr versteht? In der Wirklichkeit haben alle diese Völker die verschiedensten Zivilisationsstufen, von der (durch Deutsche) auf einen ziemlich hohen Grad entwickelten modernen Industrie und Bildung Böhmens bis herab zu der fast nomadischen Barbarei der Kroaten und Bulgaren, und in der Wirklichkeit haben alle diese Nationen daher die entgegengesetztesten Interessen. In der Wirklichkeit besteht die slawische Sprache dieser zehn bis zwölf Nationen aus ebensoviel meist einander unverständlichen Dialekten, die sich sogar auf verschiedene Hauptstämme (tschechisch, illyrisch, serbisch, bulgarisch) reduzieren lassen, die durch die gänzliche Vernachlässigung aller Literatur und die Roheit der meisten Völker zu reinem Patois geworden sind und die mit wenig Ausnahmen stets eine fremde nichtslawische Sprache als Schriftsprache über sich hatten. Die panslawistische Einheit ist also entweder eine reine Schwärmerei oder aber - die russische Knute.
<172> Und welche Nationen sollen an die Spitze dieses großen Slawenreiches treten? Gerade dieselben, die seit tausend Jahren zersprengt, zersplittert, von andern, nichtslawischen Völkern ihre Zufuhr an lebens- und entwicklungsfähigen Elementen aufgedrängt bekamen, die durch die siegreichen Waffen nichtslawischer Völker vor dem Untergange in türkischer Barbarei gerettet wurden, kleine, überall voneinander getrennte, ohnmächtige, ihrer Nationalkraft beraubte Stämme von ein paar Tausend bis zu nicht zwei Millionen! So schwach sind sie geworden, daß z.B. der Stamm, der im Mittelalter der kräftigste und furchtbarste war, die Bulgaren, jetzt in der Türkei nur noch wegen ihrer Sanftmut und Schwachherzigkeit bekannt sind und ihren Ruhm darin setzen, sich dobre chrisztian, guter Christ, zu nennen! Wo ist ein einziger dieser Stämme, die Tschechen und Serben nicht ausgenommen, der eine nationale geschichtliche Tradition besitzt, die im Volke lebt und über kleinsten Lokalkämpfe hinausgeht?
Die Zeit des Panslawismus war im 8. und 9. Jahrhundert, als die Südslawen noch ganz Ungarn und Ostreich innehatten und Byzanz bedrohten. Konnten sie da der deutschen und magyarischen Invasion nicht widerstehen, konnten sie die Unabhängigkeit nicht gewinnen und ein haltbares Reich bilden, selbst als ihre beiden Feinde, die Magyaren und Deutschen, sich gegenseitig zerfleischten, wie wollen sie es jetzt, nach tausendjähriger Unterjochung und Entnationalisierung?
Es ist kein Land in Europa, das nicht in irgendeinem Winkel eine oder mehrere Völkerruinen besitzt, Überbleibsel einer früheren Bewohnerschaft, zurückgedrängt und unterjocht von der Nation, welche später Trägerin der geschichtlichen Entwicklung wurde. Diese Reste einer von dem Gang der Geschichte, wie Hegel sagt, unbarmherzig zertretenen Nation, diese Völkerabfälle werden jedesmal und bleiben bis zu ihrer gänzlichen Vertilgung oder Entnationalisierung die fanatischen Träger der Kontrerevolution, wie ihre ganze Existenz überhaupt schon ein Protest gegen eine große geschichtliche Revolution ist.
So in Schottland die Gälen, die Stützen der Stuarts von 1640 bis 1745.
So in Frankreich die Bretonen, die Stützen der Bourbonen von 1792 bis 1800.
So in Spanien die Basken, die Stützen des Don Carlos.
So in Östreich die panslawistischen Südslawen, die weiter nichts sind als der Völkerabfall einer höchst verworrenen tausendjährigen Entwicklung. Daß dieser ebenfalls höchst verworrene Völkerabfall sein Heil nur in der Umkehr der ganzen europäischen Bewegung sieht, die für ihn nicht von Westen nach Osten, sondern von Osten nach Westen gehen sollte, daß die befreiende Waffe, <173> das Band der Einheit für ihn die russische Knute ist - das ist das Natürlichste von der Welt.
Die Südslawen hatten also ihren reaktionären Charakter schon vor 1848 deutlich ausgesprochen. Das Jahr 1848 hat ihn offen an den Tag gelegt.
Als der Februarsturm losbrach, wer machte die östreichische Revolution? Wien oder Prag? Budapest oder Agram? Die Deutschen und Magyaren oder die Slawen?
Es ist wahr: Unter den gebildeteren Südslawen existierte eine kleine demokratische Partei, die zwar ihre Nationalität nicht aufgeben, aber sie doch zur Verfügung der Freiheit stellen wollte. Diese Illusion, der es gelang, auch unter den westeuropäischen Demokraten Sympathien zu erwecken, Sympathien, die vollständig berechtigt waren, solange die slawischen Demokraten gegen den gemeinsamen Feind mitkämpften - diese Illusion wurde gebrochen durch das Bombardement von Prag. Von diesem Ereignis an stellten sich sämtliche südslawischen Stämme, nach dem Vorgang der Kroaten, zur Verfügung der österreichischen Reaktion. Diejenigen Chefs der südslawischen Bewegung, welche noch ferner von Gleichberechtigung der Nationen, von demokratischem Österreich usw. fabeln, sind entweder vernagelte Schwärmer, wie z.B. viele Zeitungsschreiber, oder Schurken, wie Jellachich. Ihre demokratischen Beteuerungen bedeuten nichts mehr als die demokratischen Beteuerungen der österreichischen offiziellen Kontrerevolution. Genug, in der Praxis fängt die Wiederherstellung der südslawischen Nationalität mit dem brutalsten Wüten gegen die österreichische und rnagyarische Revolution an, mit einem ersten großen Liebesdienst, den sie dem russischen Zar erweisen.
Die österreichische Kamarilla fand, außer dem hohen Adel, der Bürokratie und der Soldateska, nur Unterstützung bei den Slawen. Die Slawen haben den Fall Italiens entschieden, die Slawen haben Wien gestürmt, die Slawen sind es, die jetzt über die Magyaren von allen Seiten herfallen. An ihrer Spitze als Wortführer die Tschechen unter Palacky, als Schwertführer die Kroaten unter Jellachich.
Das ist der Dank dafür, daß die deutsche demokratische Presse im Juni überall mit den tschechischen Demokraten sympathisierte, als sie von Windischgrätz niederkartätscht wurden, von demselben Windischgrätz, der jetzt ihr Held ist.
Resumieren wir:
In Österreich, abgesehen von Polen und Italien, haben die Deutschen und die Magyaren im Jahre 1848, wie seit tausend Jahren schon, die geschichtliche Initiative übernommen. Sie vertreten die Revolution.
<174> Die Südslawen, seit tausend Jahren von Deutschen und Magyaren ins Schlepptau genommen, haben sich 1848 nur darum zur Herstellung ihrer nationalen Selbständigkeit erhoben, um dadurch zugleich die deutsch-magyarische Revolution zu unterdrücken. Sie vertreten die Kontrerevolution. Ihnen haben sich zwei ebenfalls längst verkommene Nationen ohne alle geschichtliche Aktionskraft angeschlossen: die Sachsen und Rumänen Siebenbürgens.
Das Haus Habsburg, das seine Macht durch die Vereinigung der Deutschen und Magyaren im Kampf gegen die Südslawen begründete, fristet die letzten Momente seiner Existenz jetzt durch die Vereinigung der Südslawen im Kampf gegen die Deutschen und Magyaren.
Das ist die politische Seite der Frage. Nun zur militärischen.
Das von den Magyaren ausschließlich bewohnte Gebiet macht noch nicht den dritten Teil von ganz Ungarn und Siebenbürgen aus. Von Preßburg an, nördlich von der Donau und Theiß, bis an den Rücken der Karpaten hin, wohnen mehrere Millionen Slowaken und einige Ruthenen. Im Süden, zwischen Save, Donau und Drau, wohnen Kroaten und Slawonier; weiter östlich, längs der Donau, eine serbische Kolonie von über einer halben Million. Diese beiden slawischen Striche werden verbunden durch die Walachen und Sachsen Siebenbürgens.
Von drei Seiten her sind die Magyaren also von natürlichen Feinden umringt. Die Slowaken, die die Gebirgspässe innehaben, würden bei ihren zum Parteigängerkriege vortrefflichen Gegenden gefährliche Gegner sein, wenn sie weniger gleichgültig gestimmt wären.
So aber haben die Magyaren von Norden her bloß die Angriffe der aus Galizien und Mähren hereingebrochenen Armeen auszuhalten. Im Osten dagegen standen die Rumänen und Sachsen in Masse auf und schlossen sich an das dortige östreich[ische] Armeekorps an. Ihre Stellung ist vortreffliche teils wegen der gebirgigen Natur des Landes, teils weil sie die meisten Städte und Festungen innehaben.
Im Süden endlich sind die Serben des Banats, von deutschen Kolonisten, von Walachen und ebenfalls von einem östreichischen Korps unterstützt, durch den ungeheuren Morast von Alibunar gedeckt und fast unangreifbar.
Die Kroaten sind durch Drau und Donau gedeckt, und da ihnen ein starkes östreich[isches] Heeer mit allen Hülfsmitteln zu Gebote steht, so rückten sie schon vor dem Oktober auf magyarisches Gebiet vor und halten jetzt ihre Verteidigungslinie an der untern Drau mit leichter Mühe.
Und von der vierten Seite endlich, von Östreich her, rücken jetzt Windischgrätz und Jellachich in geschlossener Kolonne vor. Die Magyaren sind von allen Seiten umzingelt, von einer enormen Übermacht umzingelt.
<175> Der Kampf erinnert an den Kampf gegen Frankreich im Jahre 1793. Nur mit dem Unterschied, daß dem dünnbevölkerten und nur halbzivilisierten Magyarenlande bei weitem nicht die Hülfsmittel zu Gebete stehen wie damals der französischen Republik.
Die in Ungarn fabrizierten Waffen und Munitionen müssen notwendig von sehr schlechter Beschaffenheit sein; die Fabrikation besonders der Artillerie kann unmöglich rasch vonstatten gehen. Das Land ist lange nicht so groß als Frankreich und jeder Zoll verlornes Terrain ist daher ein viel größerer Verlust. Es bleibt den Magyaren nichts als ihr revolutionärer Enthusiasmus, ihre Tapferkeit und die energische, schnelle Organisation, die ihnen Kossuth geben konnte.
Aber darum hat Östreich noch nicht gewonnen.
"Wenn wir die Kaiserlichen nicht an der Leitha schlagen, so schlagen wir sie an der Rabnitz; wenn nicht an der Rabnitz, schlagen wir sie bei Pesth; wenn nicht bei Pesth, so schlagen wir sie an der Theiß, aber wir schlagen sie jedenfalls."
So sagte Kossuth, und er tut sein möglichstes, um Wort zu halten.
Selbst mit dem Falle Budapests bleibt den Magyaren noch die große niederungarische Heide, ein Terrain, das für einen Kavallerie-Parteigängerkrieg wie gemacht ist und das zahlreiche fast uneinnehmbare Punkte zwischen den Sümpfen bietet, wo die Magyaren sich festsetzen können. Und die Magyaren, die fast alle beritten sind, besitzen alle Eigenschaften, um diesen Krieg zu führen. Wagt sich die kaiserliche Armee in diese wüste Gegend hinein, wo sie all ihren Proviant aus Galizien oder Östreich beziehen muß, weil sie nichts, gar nichts vorfindet, so ist nicht abzusehen, wie sie sich halten will. In geschlossenen Korps richtet sie nichts aus, und löst sie sich in fliegende Scharen auf, so ist sie verloren. Ihre Schwerfälligkeit würde sie den raschen magyarischen Reiterscharen unrettbar in die Hände liefern, selbst ohne Möglichkeit der Verfolgung, da, wo sie siegen sollte; und jeder versprengte Kaiserliche fände in jedem Bauern, jedem Hirten einen Todfeind. Der Krieg in diesen Steppen gleicht dem algierischen Kriege, und die plumpe östreichische Armee würde Jahre gebrauchen, um ihn zu beenden. Und die Magyaren sind gerettet, wenn sie sich nur ein paar Monate halten.
Die Sache der Magyaren steht lange nicht so schlecht, als der bezahlte schwarzgelbe Enthusiasmus glauben machen möchte. Sie sind noch nicht besiegt. Fallen sie aber, so fallen sie rühmlich als die letzten Helden der Revolution von 1848, und nur auf kurze Zelt. Dann wird einen Augenblick die slawische Kontrerevolution mit ihrer ganzen Barbarei die östreich[ische] Monarchie überfluten, und die Kamarilla wird sehen, was sie an ihren Bundes- <176> genossen hat. Aber bei dem ersten siegreichen Aufstand des französischen Proletariats, den Louis-Napoleon mit aller Gewalt heraufzubeschwören bemüht ist, werden die östreichischen Deutschen und Magyaren frei werden und an den slawischen Barbaren blutige Rache nehmen. Der allgemeine Krieg, der dann ausbricht, wird diesen slawischen Sonderbund zersprengen und alle diese kleinen stierköpfigen Nationen bis auf ihren Namen vernichten.
Der nächste Weltkrieg wird nicht nur reaktionäre Klassen und Dynastien, er wird auch ganze reaktionäre Völker vom Erdboden verschwinden machen. Und das ist auch ein Fortschritt.
Geschrieben von Friedrich Engels.