Preußischer Steckbrief gegen Kossuth | Inhalt | Zustände in Paris

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 199-208
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959

Die Berliner "National-Zeitung" an die Urwähler

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 205 vom 26. Januar 1849]

<199> *Köln, 25. Januar. Selten, aber doch von Zeit zu Zeit hat man den Genuß, aus dem Niederschlag, den die doppelte Sündflut der Revolution und Kontrerevolution hinterlassen hat, einen Wegweiser aus der guten alten vormärzlichen Zeit emporragen zu sehen. Berge sind versetzt, Täler ausgefüllt, Wälder zu Boden gestreckt worden, aber der Wegweiser steht noch auf der alten Stelle, angestrichen mit den alten Farben, und trägt noch immer die alte Inschrift: "Nach Schilda!"

Ein solcher Wegweiser streckt uns aus Nr. 21 der Berliner "National-Zeitung" seinen hölzernen Arm entgegen mit der Inschrift: "An die Urwähler. Nach Schilda!"

Der wohl gemeinte Rat der "National-Zeitung" an die Urwähler erklärt ihnen zuerst:

"Es ist die Stunde gekommen, wo zum zweiten Male das preußische Volk darangeht, das schwer errungene allgemeine Wahlrecht auszuüben" (als ob das oktroyierte sogenannte allgemeine Wahlrecht mit seiner in jedem Dorf verschiedenen Interpretation noch dasselbe Wahlrecht sei wie das vom 8. April), "aus dem die Männer hervorgehen sollen, die zum zweiten Male auszusprechen haben, welches der Sinn (!), die Meinung (!!) und der Wille (!!!) nicht einzelner Stände und Klassen, sondern des ganzen Volkes ist."

Schweigen wir von dem fettwanstig-unbehülflichen Stil dieses langsam von einem Wort zum andern fortkeuchenden Satzes. Das allgemeine Wahlrecht, heißt es, soll uns enthüllen, was der Wille nicht einzelner Stände und Klassen, sondern des ganzen Volkes ist.

Schön! Und woraus besteht "das ganze Volk"?

Aus "einzelnen Ständen und Klassen".

Und woraus besteht "der Wille des ganzen Volkes"?

<200> Aus den einzelnen sich widersprechenden "Willen" der "einzelnen Stände und Klassen", also gerade aus dem Willen, den die "National-Zeitung" als das direkte Gegenteil des "Willens des ganzen Volkes" hinstellt.

Großer Logiker der "National-Zeitung"!

Aber für die "National-Zeitung" existiert ein Wille des ganzen Volkes, der keine Summe widersprechender Willen, sondern ein einiger, bestimmter Wille ist. Wie das?

Das ist - der Wille der Majorität.

Und was ist der Wille der Majorität?

Es ist der Wille, der aus den Interessen, der Lebensstellung, den Existenzbedingungen der Majorität hervorgeht.

Um also einen und denselben Willen zu haben, müssen die Glieder der Majorität dieselben Interessen, dieselbe Lebensstellung, dieselben Existenzbedingungen haben oder in ihren Interessen, ihrer Lebensstellung, ihren Existenzbedingungen einstweilen noch verkettet sein.

Auf deutsch: Der Wille des Volks, der Wille der Majorität, ist der Wille nicht einzelner Stände und Klassen, sondern einer einzigen Klasse und derjenigen andern Klassen und Klassenabteilungen, die dieser einen herrschenden Klasse gesellschaftlich, d.h. industriell und kommerziell unterworfen sind.

"Was sollen wir aber dazu sagen?" Der Wille des ganzen Volkes ist der Wille einer herrschenden Klasse?

Allerdings, und gerade das allgemeine Stimmrecht ist nun die Magnetnadel, die, wenn auch erst nach verschiedenen Schwankungen, schließlich doch diese zur Herrschaft berufene Klasse anzeigt.

Und diese gute "National-Zeitung" faselt noch immer, wie dies Anno 1847 geschah, von einem imaginären "Willen des ganzen Volkes"!

Weiter. Nach diesem erhebenden Exordium setzt sie uns in Erstaunen durch die vielsagende Bemerkung:

"Im Januar 1849 ist der Stand der Dinge ein anderer als in den an Hoffnung und Erhebung (warum nicht auch an Andacht?) "so reichen Maitagen des Jahres 1848."

Damals stand alles im Blütenschmuck,
Und die Sonnenlichter lachten,
Und die Vöglein sangen so hoffnungsvoll,
Und die Menschen hofften und dachten -
Sie dachten:
<H. Heine, "Deutschland. Ein Wintermärchen", Kaput VIII>

"Damals schien alles einig, daß die großen Reformen, die in Preußen schon längst hätten vorgenommen werden sollen, wenn auf den im Jahre 1807-[18]14 gelegten <201> Grundlagen, in dem damaligen Geiste und entsprechend der seitdem gestiegenen Bildung und Einsicht, weiter fortgebaut worden wäre - nun vollständig und ungesäumt zur Ausführung kommen müßten."

"Damals schien alles einig"! Große, göttliche Naivetät der "National-Zeitung"! Damals, als die Garden wutknirschend aus Berlin zurückzogen, als der Prinz von Preußen in einer Postillionsjacke eilends davonlaufen mußte, als der hohe Adel und die hohe Bourgeoisie ihren Zorn in sich fraßen ob der Schmach, die dem Könige im Schloßhof angetan, als ihn das Volk zwang, die Mütze abzuziehen vor den Märzleichen - "damals schien alles einig"!

Weiß der Himmel, es ist schon stark, so etwas sich eingebildet zu haben, aber jetzt, nachdem man sich selbst als geprellt anerkennen muß, seine geprellte Leichtgläubigkeit noch an die große Glocke zu hängen - wahrhaftig, c'est par trop bonhmme! <das ist doch zu einfältig!>

Und worüber "schien alles einig"?

Darüber, "daß die großen Reformen, welche ... hätten vorgenommen werden sollen, wenn ... fortgebaut worden wäre, nun ... zur Ausführung kommen müßten".

Darüber war, nein schien alles einig.

Große Märzerrungenschaft, in würdiger Sprache ausgedrückt!

Und welche "Reformen" waren dies?

Die Entwicklung der "Grundlagen von 1807-1814, in dem damaligen Geist und entsprechend der seitdem gestiegenen Bildung und Einsicht".

Das heißt in dem Geist von 1807-[l 8]14 und zugleich in einem ganz andern Geist.

Der "damalige Geist" bestand ganz einfach in dem höchst materiellen Druck der damaligen Franzosen auf die damalige preußische Junkermonarchie sowie in dem damaligen ebenfalls wenig günstigen Finanzdefizit des Königreichs Preußen. Um den Bürger und Bauer steuerzahlungsfähig zu machen, um wenigstens dem Scheine nach einige der Reformen bei den königl[ich]-preuß[ischen] Untertanen einzuführen, mit denen die Franzosen die eroberten Teile Deutschlands überschütteten; kurz, um die in allen Fugen krachende, verrottete Monarchie der Hohenzollern wieder einigermaßen zu flicken, deswegen wurden einige knauserige sogenannte Städteordnungen, Ablösungsordnungen, Militärinstitutionen etc. gemacht. Alle diese Reformen zeichneten sich durch nichts aus, als daß sie volle hundert Jahre hinter der französischen Revolution von 1789, ja hinter der englischen von 1640 zurückblieben. Und das sollen die Grundlagen für das revolutionierte Preußen sein?

<202> Aber die altpreußische Einbildung sieht immer Preußen im Mittelpunkt der Weltgeschichte, während der Staat der Intelligenz in Wirklichkeit stets von ihr durch den Kot nachgeschleift worden ist. Diese altpreußische Einbildung muß natürlich ignorieren, daß Preußen, solange es von den Franzosen keine Fußtritte bekam, ruhig auf den unentwickelten Grundlagen von 1807 bis 1814 hockenblieb und kein Glied rührte. Sie muß ignorieren, daß diese Grundlagen längst vergessen waren, als die glorreiche bürokratisch-junkertümliche k[öni]gl[ich]-preußische Monarchie letzten Februar von den Franzosen einen neuen so gewaltigen Stoß erhielt, daß sie von ihren "Grundlagen von 1807-1814" glorreichst herunterpurzelte. Sie muß ignorieren, daß es sich für die königlich-preußische Monarchie keineswegs um diese Grundlagen, sondern bloß um Abwendung der weiteren Folgen des von Frankreich erhaltenen Anstoßes handelte. Das alles aber ignoriert die preußische Einbildung und als sie den Stoß plötzlich erhält, schreit sie, wie ein Kind nach der Amme, nach den verrotteten Grundlagen von 1807-1814!

Als ob nicht das Preußen von 1848 nach Gebiet, Industrie, Handel, Verkehrsmitteln, Bildung und Klassenverhältnissen ein ganz andres Land sei wie das Preußen der "Grundlagen von 1807-1814"!

Als ob nicht seit jener Zeit zwei ganz neue Klassen, das industrielle Proletariat und die freie Bauernklasse, in seine Geschichte eingegriffen hätten, als ob die preußische Bourgeoisie von 1848 nicht eine ganz andre sei als die schüchterne, demütige und dankbare Kleinbürgerschaft aus der Zeit der "Grundlagen"!

Aber das hilft alles nichts. Ein braver Preuße darf nichts kennen als seine "Grundlagen von 1807-1814". Das sind einmal die Grundlagen, darauf wird fortgebaut und damit basta.

Der Anfang einer der kolossalsten geschichtlichen Umwälzungen wird zusammengetrocknet zum Ende einer der winzigsten Scheinreformprellereien so versteht man die Revolution in Altpreußen!

Und in dieser selbstgefällig-bornierten Schwärmerei aus der vaterländischen Geschichte "schien alles einig" - freilich, gottlob, nur in Berlin!

Weiter.

"Diejenigen Stände und Klassen, welche Privilegien und Vorrechte aufzugeben ... hatten, an denen es war, in Zukunft nur in gleichem Recht mit allen ihren Mitbürgern zu stehn, ... schienen bereit dazu - erfüllt von der Überzeugung, daß der alte Zustand unhaltbar geworden sei, daß es in ihrem eignen wohlverstandnen Interesse liege ..."

Seht den sanftmütigen und von Herzen demütigen Bürgersmann, wie er die Revolution abermals eskamotiert! Der Adel, die Pfaffen, die Bürokraten, <203> die Offiziere "schienen bereit", ihre Privilegien aufzugeben, nicht weil das bewaffnete Volk sie dazu zwang, weil die, im ersten Schrecken vor der europäischen Revolution, unaufhaltsam eingerissene Demoralisation und Desorganisation in ihren eigenen Reihen sie widerstandslos machte - nein! Die friedlichen, wohlwollenden und für beide Teile vorteilhaften "Transaktionen", um mit Herrn Camphausen zu sprechen, vom 24. Februar und 18. März hatten sie mit der "Überzeugung erfüllt", daß dies "in ihrem eignen wohlverstandenen Interesse liege"!

Die Märzrevolution und vollends der 24 Februar im wohlverstandenen Interesse der Herren Krautjunker, Konsistonalräte, Regierungsräte und Gardelieutenants - das ist doch wahrhaftig ein pyramidaler Einfall!

Aber leider!

"Heut ist es nicht mehr so. Die Nutznießer und Anhänger des alten Zustandes wollen, weit davon entfernt, ihrer Pflicht gemäß (!) selbst zu helfen, daß der alte Schutt abgeräumt und das neue Haus gebaut werde, nur die alten Trümmer, unter denen der Boden so bedenklich gewankt hat, stützen und mit einigen anscheinend der neuen Zelt sich anschmiegenden Formen ausputzen."

"Heut ist es nicht mehr so - als es im Mai zu sein schien, d.h., es ist nicht mehr so, wie es im Mai nicht war, oder es ist gerade so, wie es im Mai war.

Solches Deutsch schreibt man in der Berliner "National-Zeitung" und ist noch stolz darauf obendrein.

Mit einem Wort: Der Mai 1848 und der Januar 1849 unterscheiden sich durch den Schein. Früher schienen die Kontrerevolutionäre ihre Pflicht einzusehen, heute sehen sie sie wirklich und unverhohlen nicht ein, und darüber jammert der ruhige Bürger. Es ist ja doch die Pflicht der Kontrerevolutionäre, ihre Interessen in ihrem eignen wohlverstandenen Interesse aufzugeben! Es ist ihre Pflicht, sich selbst ihre Lebensadern aufzuschneiden - und doch tun sie's nicht - so jammert der Mann des wohlverstandenen Interesses!

Und warum tun eure Feinde jetzt das nicht, was, wie ihr sagt, doch ihre Pflicht ist?

Weil ihr selbst im Frühjahr eure "Pflicht" nicht getan - weil ihr damals, als ihr stark waret, euch wie Memmen benommen und vor der Revolution gezittert habt, die euch groß und gewaltig machen sollte; weil ihr selbst den alten Schutt habt liegenlassen und euch selbstgefällig bespiegelt habt in der Aureole eines halben Erfolgs! Und nun, da die Kontrerevolution stark geworden über Nacht und euch den Fuß auf den Nacken setzt, nun, da unter euren Füßen der Boden bedenklich wankt, nun verlangt ihr, die Kontrerevolution soll eure <204> Dienerin werden, soll den Schutt wegräumen, den ihr wegzuräumen zu schwach und zu feig waret, sie, die Mächtige, soll sich euch Schwachen opfern?

Kindische Toren ihr! Aber wartet eine kurze Zeit, und das Volk wird sich erheben und mit einem mächtigen Stoß euch zu Boden strecken mitsamt der Kontrerevolution, gegen die ihr jetzt so ohnmächtig anbellt!

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 207 vom 28. Januar 1849, Zweite Ausgabe]

*Köln, 27. Januar. Wir haben in unserm ersten Artikel einen Umstand nicht berücksichtigt, der der "Nat[ional]-Z[ei]t[un]g" allerdings scheinbar zur Entschuldigung gereichen könnte: Die "Nat.-Ztg." schreibt nicht frei, sie steht unter dem Belagerungszustand. Und unter dem Belagerungszustand muß sie allerdings singen:

Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen,
Denn mein Geheimnis ist mir Pflicht;
Ich möchte dir mein ganzes Innre zeigen,
Allein das Schicksal will es nicht!!!
<Goethe, "Wilhelm Meisters Lehrjahre", 5. Buch, 16. Kapitel>

Inzwischen erscheinen die Zeitungen nicht, selbst unter dem Belagerungszustande nicht, um das Gegenteil von ihrer Meinung zu sagen, und dann findet auf die erste, bisher von uns in Betracht gezogene Hälfte des fraglichen Artikels der Belagerungszustand keine Anwendung.

Der Belagerungszustand ist nicht schuld an dem wulstigen, unklaren Stil der "N.-Z.".

Der Belagerungszustand ist nicht schuld daran, daß die "N.-Z." sich nach dem März allerlei biedermännische Illusionen machte.

Der Belagerungszustand zwingt die "N.-Z." keineswegs, die Revolution von 1848 zum Schleppenträger der Reformen von 1807 bis 1814 zu machen.

Der Belagerungszustand, mit einem Wort, zwingt die "N.-Z." keineswegs, über den Entwicklungsgang der Revolution und Kontrerevolution von 1848 so absurde Vorstellungen zu haben, wie wir sie ihr vor zwei Tagen nachwiesen. Nicht die Vergangenheit, nur die Gegenwart fällt dem Belagerungszustand anheim.

Deshalb trugen wir bei der Kritik der ersten Hälfte des fraglichen Artikels dem Belagerungszustand keine Rechnung, und eben deshalb werden wir ihm heute Rechnung tragen.

<205> Die "N.-Z.", nach Beendigung ihrer historischen Einleitung, wendet sich nun folgendermaßen an die Urwähler:

"Es gilt den angebahnten Fortschritt zu sichern, die Errungenschaften festzuhalten."

Welchen "Fortschritt"? Welche "Errungenschaften"? Den "Fortschritt", daß es "heute nicht mehr so ist", wie es im Mai "schien"? Die "Errungenschaft", daß "die Nutznießer des alten Zustandes weit entfernt sind, ihrer Pflicht gemäß selbst zu helfen, daß der alte Schutt aufgeräumt werde"? Oder die oktroyierten "Errungenschaften", die "die alten Trümmer stützen und mit einigen der neuen Zelt anscheinend sich anschmiegenden Formen ausputzen"?

Der Belagerungszustand, meine Herren von der "National-Zeitung", ist keine Entschuldigung für Gedankenlosigkeit und Konfusion.

Der "Fortschritt", der vorderhand am besten "angebahnt" ist, ist der Rückschritt zum alten System, und auf dieser Fortschrittsbahn schreiten wir täglich weiter.

Die einzige "Errungenschaft", die uns geblieben ist - und das ist keine spezifisch-preußische, keine "März"-Errungenschaft, sondern das Resultat der europäischen Revolution von 1848 - ist die allgemeinste, entschiedenste, blutigste, gewaltsamste Kontrerevolution, die aber selbst nur eine Phase der europäischen Revolution und daher nur die Erzeugerin eines neuen, allgemeinen und siegreichen revolutionären Gegenschlags ist.

Aber die "National-Zeitung" weiß das vielleicht so gut wie wir und darf es nur nicht sagen wegen des Belagerungszustandes? Man höre:

"Wir wollen nicht eine Fortdauer der Revolution; wir sind Feinde aller Anarchie, jeder Gewalttat und Willkür; wir wollen Gesetz, Ruhe und Ordnung."

Der Belagerungszustand, meine Herren, zwingt Sie höchstens zum Schweigen, nie zum Reden. Diesen letztzitierten Satz nehmen wir daher zu Protokoll: Sprechen Sie aus ihm, um so besser; spricht der Belagerungszustand aus ihm, so brauchen Sie sich nicht zu seinem Organ herzugeben. Entweder sind Sie revolutionär, oder Sie sind es nicht. Sind Sie es nicht, so sind wir von vornherein Gegner; sind Sie es, so mußten Sie schweigen.

Aber Sie sprechen mit solcher Überzeugung, Sie haben so honette Antezedenzien, daß wir ruhig annehmen können: der Belagerungszustand ist dieser Beteurung gänzlich fremd.

"Wir wollen nicht eine Fortdauer der Revolution." Das heißt: wir wollen die Fortdauer der Kontrerevolution. Denn aus der gewaltsamen Kontre- <206> revolution, das ist eine historische Tatsache, kommt man entweder gar nicht heraus oder nur durch die Revolution.

"Wir wollen nicht eine Fortdauer der Revolution," das heißt: wir erkennen die Revolution als geschlossen an, als zu ihrem Ziel gelangt. Und das Ziel, an dem die Revolution am 21 Januar 1849, als der fragliche Artikel verfaßt wurde, angelangt war, dies Ziel war eben - die Kontrerevolution.

"Wir sind Feinde aller Anarchie, jeder Gewalttat und Willkür."

Also auch Feinde der "Anarchie", die nach jeder Revolution bis zur Konsolidierung der neuen Verhältnisse eintritt, Feinde der "Gewalttaten" vom 24. Februar und 18. März, Feinde der "Willkür", die einen verrotteten Zustand und seine morschen gesetzlichen Stützpfeiler rücksichtslos zertrümmert!

"Wir wollen Gesetz, Ruhe und Ordnung"!

In der Tat, der Moment ist gut gewählt, vor "Gesetz, Ruhe und Ordnung" niederzuknieen, gegen die Revolution zu protestieren und in das triviale Zeter gegen Anarchie, Gewalttat und Willkür einzustimmen. Gut gewählt, gerade in dem Augenblick, wo die Revolution unter dem Schutz der Bajonette und Kanonen offiziell zu einem gemeinen Verbrechen umgestempelt, wo "Anarchie, Gewalttat und Willkür" durch königliche kontrasignierte Ordonnanzen unverhohlen in Praxis gesetzt, wo das "Gesetz", das die Kamarilla uns aufoktroyiert, stets gegen uns, nie für uns angewandt wird, wo "Ruhe und Ordnung" darin bestehen, daß man die Kontrerevolution in "Ruhe" läßt, damit sie ihre altpreußische "Ordnung" der Dinge herstellen kann.

Nein, meine Herren, aus Ihnen spricht kein Belagerungszustand, aus Ihnen spricht der unverfälschteste, ins Berlinische übersetzte Odilon Barrot mit all seiner Borniertheit, all seiner Impotenz, all seinen frommen Wünschen.

Kein Revolutionär ist so taktlos, so verkindet, so feig, daß er die Revolution gerade dann verleugnet, wenn die Kontrerevolution ihre glänzendsten Triumphe feiert. Wenn er nicht sprechen kann, so handelt er, und wenn er nicht handeln kann, so schweigt er lieber ganz.

Aber verfolgen die Herren von der "National-Zeitung" nicht vielleicht eine schlaue Politik? Treten sie vielleicht deshalb so zahm auf, um noch einen Teil der sogenannten Gemäßigten am Vorabend der Wahlen für die Opposition zu gewinnen?

Wir haben es gesagt, vom ersten Tage an, als die Kontrerevolution über uns hereinbrach, von jetzt an gibt es nur noch zwei Parteien: die "Revolutionäre" und die "Kontrerevolutionäre"; nur noch zwei Parolen: "die demokratische Republik" oder "die absolute Monarchie" <Siehe "Die Bourgeoisie und die Kontrerevolution", S. 124>. Alles, was dazwischen <207> liegt, ist keine Partei mehr, ist bloße Fraktion. Die Kontrerevolution hat alles getan, unsern Ausspruch wahr zu machen. Die Wahlen sind seine glänzendste Bestätigung.

Und zu einer solchen Zeit, wo die Parteien einander so schroff entgegenstehen, wo der Kampf mit der größten Erbitterung geführt wird, wo nur die erdrückende Übermacht der organisierten Soldateska verhindert, daß der Kampf mit den Waffen in der Hand ausgefochten wird - zu einer solchen Zeit hört alle Vermittlungspolitik auf. Man muß selbst Odilon Barrot sein, um dann den Odilon Barrot spielen zu können.

Aber unsere Berliner Barrots haben ihre Vorbehalte, ihre Bedingungen, ihre Interpretationen. Heuler sind sie, aber durchaus keine Heuler schlechtweg sie sind Heuler mit einem "Das heißt", Heuler von der leisen Opposition:

"Aber wir vollen neue Gesetze, wie sie der erwachte freie Volksgeist und der Grundsatz der Gleichberechtigung fordert; wir wollen eine wahrhaft demokratisch-konstitutionelle Ordnung (d.h. ein wahrhaftes Unding); "wir wollen Ruhe, die auf mehr sich stützt als auf Bajonette und Belagerungszustände; die eine politisch und sittlich (!) begründete Beruhigung der Gemüter ist, hervorgerufen durch die durch Taten und Einrichtungen gewährleistete Überzeugung, daß jeder Klasse des Volks ihr Recht" etc. etc.

Wir können uns die Arbeit ersparen, diesen belagerungszuständlichen Satz zu Ende zu schreiben. Genug, die Herren "wollen" nicht die Revolution, sondern nur eine kleine Blumenlese aus den Resultaten der Revolution; etwas Demokratie, aber auch etwas Konstitutionalismus, einige neue Gesetze, Entfernung der feudalen Institutionen, bürgerliche Gleichheit etc. etc.

Mit andern Worten, die Herren von der "National-Zeitung" und die von der Berliner Ex-Linken, deren Organ sie ist, wollen akkurat dasselbe von der Kontrerevolution erlangen, weshalb die Kontrerevolution sie auseinandergejagt.

Nichts gelernt und nichts vergessen!

Die Herren "wollen" lauter Dinge, die sie nie erlangen werden, außer durch eine neue Revolution. Und eine neue Revolution wollen sie nicht.

Eine neue Revolution würde ihnen aber auch ganz andere Dinge bringen, als die oben aufgestellten bescheiden-bürgerlichen Forderungen enthalten. Und darum haben die Herren ganz recht, keine Revolution zu wollen.

Das Beste aber ist, daß sich die geschichtliche Entwickelung wenig darum kümmert, was die Barrots "wollen" oder nicht "wollen". Der Pariser Original-Barrot "wollte" auch am 24. Februar nur ganz bescheidene Reformen und namentlich ein Portefeuille für sich durchsetzen; und kaum hatte er beides erhascht, so schlugen die Wogen über ihm zusammen, und er verschwand mit <208> seinem ganzen tugendhaften, kleinbürgerlichen Anhang in der revolutionären Sündflut. Auch jetzt, wo er endlich wieder ein Ministerium erhascht hat, "will" er wieder gar mancherlei aber nichts von dem, was er will, geschieht. Das ist von jeher das Schicksal der Barrots gewesen. Und so wird es den Berliner Barrots auch gehen.

Sie werden mit oder ohne Belagerungszustand fortfahren, das Publikum mit ihren frommen Wünschen zu ennuyieren, sie werden allerhöchstens einige wenige dieser Wünsche auf dem Papier durchsetzen und zuletzt entweder von der Krone oder vom Volke in Ruhestand versetzt werden. Aber in Ruhestand versetzt werden sie jedenfalls.

Geschrieben von Karl Marx.