Der erste Preßprozeß der "Neuen Rheinischen Zeitung" | Inhalt | Der Steuerverweigerungsprozeß

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 240-257
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959

Der Prozeß gegen den Rheinischen Kreisausschuß der Demokraten

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 231 vom 25. Februar 1849]

[Verteidigungsrede von Karl Marx]

<240> Meine Herrn Geschwornen! Wenn der schwebende Prozeß vor dem 5. Dezember anhängig gemacht worden wäre, würde ich die Anklage des öffentlichen Ministeriums begreifen. Jetzt, nach dem 5. Dezember, begreife ich nicht, wie das öffentliche Ministerium noch Gesetze gegen uns anzurufen wagt, welche die Krone selbst mit Füßen getreten hat.

Worauf hat das öffentliche Ministerium seine Kritik der Nationalversammlung, seine Kritik des Steuerverweigerungsbeschlusses <Siehe "Keine Steuern mehr!!!"> begründet? Auf die Gesetze vom 6. und 8. April 1848. Und was tat die Regierung, als sie am 5. Dezember eigenmächtig eine Verfassung oktroyierte und dem Lande ein neues Wahlgesetz aufdrang? Sie zerriß die Gesetze vorn 6. und 8. April 1848. Diese Gesetze bestehen nicht mehr für die Anhänger der Regierung, sollen sie noch für ihre Gegner bestehen? Die Regierung stellte sich am 5. Dezember auf revolutionären Boden, nämlich auf kontrerevolutionären. Ihr gegenüber gibt es nur noch Revolutionäre oder Mitschuldige. Sie selbst verwandelte sogar die Masse der Bürger, die auf dem Boden der vorhandenen Gesetze sich bewegt, die gegenüber der Gesetzesverletzung das bestehende Gesetz behauptet, in Aufrührer. Vor dem 5. Dezember konnte man verschiedener Ansicht sein über die Verlegung, über die Auseinandersprengung der Nationalversammlung, über den Belagerungszustand von Berlin. Nach dem 5. Dezember ist es eine authentische Tatsache, daß diese Maßregeln die Kontrerevolution einleiten sollten, daß daher jedes Mittel gestattet war gegen eine Fraktion, welche die Bedingungen, unter denen sie Regierung war, selbst nicht mehr an- <241> erkannte, also auch von dem Lande nicht mehr als Regierung anerkannt werden konnte. Meine Herren! Die Krone konnte wenigstens den Schein der Gesetzlichkeit retten, sie hat es verschmäht. Sie konnte die Nationalversammlung auseinanderjagen und dann das Ministerium vor das Land treten und sagen lassen: "Wir haben einen Staatsstreich gewagt, die Verhältnisse zwangen uns dazu. Wir haben uns formell über das Gesetz hinweggesetzt, aber es gibt Momente der Krise, wo das Bestehen des Staates selbst auf dem Spiele steht. In solchen Momenten gibt es nur ein unverletzliches Gesetz, das Bestehen des Staates. Als wir die Versammlung auflösten, existierte keine Konstitution. Wir konnten daher die Konstitution nicht verletzen. Zwei organische Gesetze existieren dagegen, das Gesetz vom 6. und 8. April 1848. Ja, es existiert in Wahrheit nur ein einziges organisches Gesetz, das Wahlgesetz. Wir fordern das Land auf, nach diesem Gesetze zu neuen Wahlen zusammenzutreten. Vor die Versammlung, die aus diesen Urwahlen hervorgeht, werden wir hintreten, wir, das verantwortliche Ministerium. Diese Versammlung, wir erwarten es, wird den Staatsstreich anerkennen als rettende Tat, die durch die Notwendigkeit der Umstände geboten war. Sie wird nachträglich diesen Staatsstreich sanktionieren. Sie wird es aussprechen, daß wir eine gesetzliche Formel verletzt, um das Vaterland zu retten. Sie mag die Würfel über uns werfen."

Wenn das Ministerium so gehandelt, könnte es uns mit einigem Scheine vor Ihren Richterstuhl verweisen. Die Krone hätte den Schein der Gesetzlichkeit gerettet. Sie konnte es nicht, sie wollte es nicht.

In den Augen der Krone war die Märzrevolution eine brutale Tatsache. Die eine brutale Tatsache kann nur durch die andre ausgemerzt werden. Indem das Ministerium die Neuwahlen auf Grund des Gesetzes vom April 1848 kassierte, verleugnete es seine Verantwortlichkeit, kassierte es das Gericht selbst, vor dem es verantwortlich war. Den Appell von der Nationalversammlung an das Volk verwandelte es so von vornherein in reinen Schein, in Fiktion, in Betrug. Indem das Ministerium eine erste auf dem Zensus beruhende Kammer als integrierenden Teil der gesetzgebenden Versammlung erfand, zerriß es die organischen Gesetze, verließ es den Rechtsboden, verfälschte es die Volkswahlen, schnitt es dem Volke jedes Urteil ab über die "rettende Tat" der Krone.

Also, meine Herren, die Tatsache läßt sich nicht leugnen, kein späterer Geschichtschreiber wird sie leugnen: Die Krone hat eine Revolution gemacht, sie hat den bestehenden Rechtszustand über den Haufen geworfen, sie kann nicht an die Gesetze appellieren, die sie selbst so schändlich umgestoßen hat. Wenn man eine Revolution glücklich vollbringt, kann man seine Gegner hängen, aber nicht verurteilen. Man kann sie als besiegte Feinde aus <242> dem Wege räumen, man kann sie nicht als Verbrecher richten. Nach vollendeter Revolution oder Kontrerevolution kann man die umgestoßenen Gesetze gegen die Verteidiger derselben Gesetze nicht in Anwendung bringen. Es ist dies eine feige Heuchelei der Gesetzlichkeit, die Sie, meine Herren, nicht durch Ihren Urteilsspruch sanktionieren werden.

Ich habe Ihnen gesagt, meine Herren, daß die Regierung das Urteil des Volkes über die "rettende Tat der Krone" verfälscht hat. Und dennoch hat das Volk schon gegen die Krone entschieden für die Nationalversammlung. Die Wahlen zur zweiten Kammer sind die einzig gesetzlichen, weil sie allein auf Grundlage des Gesetzes vom 8. April 1848 stattgefunden haben. Und fast alle Steuerverweigerer sind zur zweiten Kammer wiedergewählt worden, viele zwei-, dreimal. Mein Mitangeklagter selbst, Schneider II, ist Deputierter von Köln. Die Frage über das Recht der Nationalversammlung, die Steuerverweigerung zu beschließen, ist also schon faktisch durch das Volk entschieden.

Von diesem höchsten Urteilsspruche abgesehen, Sie alle werden mir zugeben, meine Herren, daß hier kein Verbrechen im gewöhnlichen Sinne vorliegt, daß hier überhaupt kein Konflikt mit dem Gesetze vorliegt, der vor Ihr Forum gehört. In gewöhnlichen Zuständen ist die öffentliche Gewalt die Vollzieherin der bestehenden Gesetze; Verbrecher ist, wer diese Gesetze bricht oder der öffentlichen Gewalt in Ausübung derselben gewaltsam entgegentritt. In unserm Falle hat die eine öffentliche Gewalt das Gesetz gebrochen, die andere öffentliche Gewalt, gleichgültig welche, hat es behauptet. Der Kampf zwischen zwei Staatsgewalten liegt weder im Bereiche des Privatrechts noch im Bereiche des Kriminalrechts. Die Frage, wer im Rechte war, die Krone oder die Nationalversammlung, sie ist eine geschichtliche Frage. Alle Jurys, alle Gerichte in Preußen zusammengenommen können sie nicht entscheiden. Es gibt nur eine Macht, die sie lösen wird, die Geschichte. Ich begreife daher nicht, wie man uns auf Grund des Code pénal auf die Anklagebank verweisen konnte.

Daß es sich hier um einen Kampf zwischen zwei Gewalten handelte, und zwischen zwei Gewalten kann nur die Gewalt entscheiden, das, meine Herren, hat die revolutionäre und kontrerevolutionäre Presse gleichmäßig ausgesprochen. Ein Organ der Regierung selbst hat es kurz vor der Entscheidung des Kampfes proklamiert. Die "Neue Preußische Zeitung", das Organ des jetzigen Ministeriums, hatte das wohl erkannt. Einige Tage vor der Krise sagte sie ungefähr: Es kommt jetzt nicht mehr auf das Recht, sondern auf die Gewalt an, und es wird sich zeigen, daß das alte gottbegnadete Königtum noch die Gewalt hat. Die "Neue Preußische Zeitung" hatte die Sachlage richtig aufgefaßt. Gewalt gegen Gewalt. Der Sieg mußte zwischen beiden entscheiden. <243> Die Kontrerevolution hat gesiegt, aber nur der erste Akt des Dramas ist beendet. In England hat der Kampf über 20 Jahre gedauert. Karl I. war wiederholt Sieger, er bestieg schließlich das Schafott. Und wer bürgt Ihnen dafür, meine Herren, daß nicht das jetzige Ministerium, daß nicht diese Beamte, die sich zu seinem Werkzeug machten und machen, als Hochverräter von der jetzigen Kammer verurteilt werden oder von ihren Nachfolgern?

Meine Herrn! Das öffentliche Ministerium hat seine Anklage auf die Gesetze vom 6. und 8. April zu begründen gesucht. Ich war gezwungen, Ihnen nachzuweisen, daß eben diese Gesetze uns freisprechen. Aber ich verheimliche es Ihnen nicht, ich habe diese Gesetze nie anerkannt, ich werde sie nie anerkennen. Sie hatten nie eine Geltung für die aus der Wahl des Volkes hervorgegangenen Deputierten; noch weniger konnten sie der Revolution des Märzes ihre Bahn vorschreiben.

Wie sind die Gesetze vom 6. und 8. April entstanden? Durch Vereinbarung der Regierung mit dem Vereinigten Landtage. Man wollte auf diesem Wege an den alten gesetzlichen Zustand anknüpfen und die Revolution vertünchen, welche eben diesen Zustand beseitigt hatte. Männer wie Camphausen u. dgl. hielten es für wichtig, den Schein des gesetzlichen Fortschritts zu retten. Und wie retteten sie diesen Schein? Durch eine Reihe augenfälliger und abgeschmackter Widersprüche. Bleiben Sie, meine Herren, einen Augenblick auf dem alten gesetzlichen Standpunkt stehen! Das bloße Dasein des Ministers Camphausen, eines verantwortlichen Ministers, eines Ministers ohne Beamtenkarriere, war es nicht eine Ungesetzlichkeit? Camphausens, des verantwortlichen Ministerpräsidenten, Stellung war eine ungesetzliche. Dieser gesetzlich nicht existierende Beamte ruft den Vereinigten Landtag zusammen, um Gesetze durch ihn beschließen zu lassen, zu deren Beschlußnahme dieser selbe Landtag gesetzlich nicht befugt war. Und dies sich selbst aufhebende und ins Gesicht schlagende Formenspiel nannte man gesetzlichen Fortschritt, Behauptung des Rechtsbodens!

Aber sehen wir ab von dem Formellen, meine Herren! Was war der Vereinigte Landtag? Der Vertreter alter, verkommner gesellschaftlicher Verhältnisse. Die Revolution, sie hatte eben stattgefunden gegen diese Verhältnisse. Und den Vertretern der besiegten Gesellschaft legt man organische Gesetze vor, welche die Revolution gegen diese alte Gesellschaft anerkennen, regeln, organisieren sollen? Welch ein abgeschmackter Widerspruch! Der Landtag war gestürzt mit dem alten Königtum.

Bei dieser Gelegenheit, meine Herren, sehen wir Aug in Auge dem sogenannten Rechtsboden. Ich bin um so mehr gezwungen, auf diesen Punkt mich einzulassen, als wir mit Recht für Feinde des Rechtsbodens gelten, als die <244> Gesetze vom 6. und 8. April bloß der formellen Anerkennung des Rechtsbodens ihr Dasein verdanken.

Der Landtag vertrat vor allem das große Grundeigentum. Das große Grundeigentum war wirklich die Grundlage der mittelaltrigen, der feudalen Gesellschaft. Die moderne bürgerliche Gesellschaft, unsre Gesellschaft, beruht dagegen auf der Industrie und dem Handel. Das Grundeigentum selbst hat alle seine ehemaligen Existenzbedingungen verloren, es ist abhängig geworden von dem Handel und der Industrie. Die Agrikultur wird daher heutzutage industriell betrieben, und die alten Feudalherrn sind herabgesunken zu Fabrikanten von Vieh, Wolle, Korn, Runkelrüben, Schnaps u. dgl., zu Leuten, die mit Industrieprodukten Handel treiben wie jeder andre Handelsmann! Sosehr sie an ihren alten Vorurteilen festhalten mögen, in der Praxis verwandeln sie sich in Bürger, die zu wenigst möglichen Kosten möglichst viel produzieren, die einkaufen, wo am wohlfeilsten einzukaufen, und verkaufen, wo am teuersten zu verkaufen ist. Die Lebens-, die Produktions-, die Erwerbweise dieser Herrn zeiht also schon ihre überkommenen hochtrabenden Einbildungen der Lüge. Das Grundeigentum, als das herrschende gesellschaftliche Element, setzt die mittelaltrige Produktions- und Verkehrsweise voraus. Der Vereinigte Landtag vertrat diese mittelaltrige Produktions- und Verkehrsweise, die längst aufgehört hatte zu existieren, und deren Repräsentanten, so sehr sie an den alten Privilegien festhalten, ebensosehr die Vorteile der neuen Gesellschaft mitgenießen und ausbeuten. Die neue, bürgerliche, auf ganz andern Grundlagen, auf einer veränderten Produktionsweise beruhende Gesellschaft mußte auch die politische Macht an sich reißen; sie mußte sie den Händen entreißen, welche die Interessen der untergehenden Gesellschaft vertraten, eine politische Macht, deren ganze Organisation aus ganz verschiedenen materiellen Gesellschaftsverhältnissen hervorgegangen war. Daher die Revolution. Die Revolution war daher ebensosehr gegen das absolute Königtum gerichtet, den höchsten politischen Ausdruck der alten Gesellschaft, als gegen die ständische Vertretung, die eine längst durch die moderne Industrie vernichtete gesellschaftliche Ordnung oder höchstens noch anmaßliche Trümmer der täglich mehr von der bürgerlichen Gesellschaft überflügelten, in den Hintergrund gedrängten, aufgelösten Stände repräsentierte. Wie kam man also auf den Einfall, den Vereinigten Landtag, den Vertreter der alten Gesellschaft, der neuen, in der Revolution sich zu ihrem Rechte bringenden Gesellschaft Gesetze diktieren zu lassen?

Angeblich, um den Rechtsboden zu behaupten. Aber, meine Herren, was verstehen Sie denn unter Behauptung des Rechtsbodens? Die Behauptung von Gesetzen, die einer vergangenen Gesellschaftsepoche angehören, die von <245> Vertretern untergegangener oder untergehender gesellschaftlicher Interessen gemacht sind, also auch nur diese im Widerspruch mit den allgemeinen Bedürfnissen befindlichen Interessen zum Gesetz erheben. Die Gesellschaft beruht aber nicht auf dem Gesetze. Es ist das eine juristische Einbildung. Das Gesetz muß vielmehr auf der Gesellschaft beruhn, es muß Ausdruck ihrer gemeinschaftlichen, aus der jedesmaligen materiellen Produktionsweise hervorgehenden Interessen und Bedürfnisse gegen die Willkür des einzelnen Individuums sein. Hier, der Code Napoleon, den ich in der Hand habe, er hat nicht die moderne bürgerliche Gesellschaft erzeugt. Die im 18. Jahrhundert entstandene, im 19. fortentwickelte bürgerliche Gesellschaft findet vielmehr im Code nur einen gesetzlichen Ausdruck. Sobald er den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mehr entspricht, ist er nur noch ein Ballen Papier. Sie können die alten Gesetze nicht zur Grundlage der neuen gesellschaftlichen Entwicklung machen, so wenig, als diese alten Gesetze die alten gesellschaftlichen Zustände gemacht haben.

Aus diesen alten Zuständen sind sie hervorgegangen, mit ihnen müssen sie untergehn. Sie verändern sich notwendig mit den wechselnden Lebensverhältnissen. Die Behauptung der alten Gesetze gegen die neuen Bedürfnisse und Ansprüche der gesellschaftlichen Entwicklung ist im Grund nichts anders als die scheinheilige Behauptung unzeitgemäßer Sonderinteressen gegen das zeitgemäße Gesamtinteresse. Diese Behauptung des Rechtsbodens will solche Sonderinteressen als herrschende geltend machen, während sie nicht mehr herrschen; sie will der Gesellschaft Gesetze aufdringen, die durch die Lebensverhältnisse dieser Gesellschaft, durch ihre Erwerbsweise, ihren Verkehr, ihre materielle Produktion selbst verurteilt sind, sie will Gesetzgeber in Funktion halten, die nur noch Sonderinteressen verfolgen, sie will die Staatsmacht mißbrauchen, um gewaltsam die Interessen der Minorität den Interessen der Majorität überzuordnen. Sie tritt also jeden Augenblick in Widerspruch mit den vorhandenen Bedürfnissen, sie hemmt den Verkehr, die Industrie, sie bereitet gesellschaftliche Krisen vor, die in politischen Revolutionen zum Ausbruch kommen.

Das ist der wahre Sinn der Anhänglichkeit an den Rechtshoden und der Behauptung des Rechtsbodens. Und. auf diese Phrase vom Rechtsboden hin, die entweder auf bewußtem Betrug oder auf bewußtloser Selbsttäuschung beruht, stützte man die Zusammenberufung des Vereinigten Landtags, ließ man diesen Landtag organische Gesetze für die durch die Revolution notwendig gewordene und durch sie erzeugte Nationalversammlung fabrizieren. Und nach diesen Gesetzen will man die Nationalversammlung richten!

Die Nationalversammlung repräsentierte. die moderne bürgerliche Gesell- <246> schaft gegenüber der im Vereinigten Landtage vertretenen feudalen Gesellschaft. Sie war vom Volke gewählt, um selbständig eine Verfassung festzusetzen, die den mit der bisherigen politischen Organisation und den bisherigen Gesetzen in Konflikt getretenen Lebensverhältnissen entspreche. Sie war daher von vornherein souverän, konstituierend. Wenn sie sich gleichwohl auf den Vereinbarerstandpunkt herabließ, so war das rein formelle Höflichkeit gegen die Krone, reine Zeremonie. Ich brauche hier nicht zu untersuchen, ob die Versammlung dem Volke gegenüber das Recht hatte, sich auf den Vereinbarungsstandpunkt zu stellen. Nach ihrer Meinung sollte die Kollision mit der Krone durch den guten Willen beider Teile verhindert werden.

Soviel steht aber fest: Die mit dem Vereinigten Landtage vereinbarten Gesetze vom 6. und 8. April waren formell ungültig. Sie haben materiell bloß insoweit Bedeutung, als sie die Bedingungen aussprechen und festsetzen, unter denen die Nationalversammlung wirklicher Ausdruck der Volkssouveränetät sein konnte. Die Vereinigte-Landtags-Gesetzgebung war nur eine Form, die der Krone die Demütigung ersparte zu proklamieren: Ich bin besiegt!

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 232 vom 27. Februar 1849]

Ich gehe jetzt, meine Herrn Geschwornen, über zur nähern Beleuchtung des Vortrags des öffentlichen Ministeriums.

Das öffentliche Ministerium hat gesagt:

"Die Krone hat sich eines Teils der Macht, die voll in ihrer Hand lag, entäußert. Selbst im gewöhnlichen Leben geht meine Verzichtungsurkunde nicht über die klaren Worte hinaus, in denen ich verzichte. Das Gesetz vom 8. April 1848 räumt der Nationalversammlung aber weder ein Steuerverweigerungsrecht ein, noch setzt es Berlin als notwendige Residenz der Nationalversammlung fest."

Meine Herren! Die Macht lag zerbrochen in der Hand der Krone; sie begab sich der Macht, um ihre Bruchstücke zu retten. Sie erinnern sich, meine Herren, wie der König gleich nach seiner Thronbesteigung in Königsberg und Berlin förmlich sein Ehrenwort verpfändete gegen das Zugeständnis einer konstitutionellen Verfassung. Sie erinnern sich, wie der König 1847 bei Eröffnung des Vereinigten Landtags hoch und teuer schwur, er würde kein Stück Papier zwischen sich und seinem Volke dulden. Der König hat sich nach dem März 1848, hat sich selbst in der oktroyierten Verfassung als konstitutionellen König proklamiert. Er hat diesen abstrakten welschen Tand, das Stück Papier, zwischen sich und sein Volk geschoben. Wird das öffentliche <247> Ministerium die Behauptung wagen, der König habe freiwillig seinen feierlichen Versicherungen ein so augenfälliges Dementi gegeben, er habe freiwillig vor ganz Europa sich der unerträglichen Inkonsequenz schuldig gemacht, die Vereinbarung oder die Verfassung zu bewilligen! Der König machte die Zugeständnisse, wozu ihn die Revolution zwang. Nicht mehr, nicht minder!

Das populäre Gleichnis des öffentlichen Ministeriums beweist leider nichts. Allerdings! Wenn ich verzichte, verzichte ich auf nichts mehr, als worauf ich ausdrücklich verzichte. Wenn ich Ihnen ein Geschenk mache, es wäre wirklich unverschämt von Ihnen, auf Grund meiner Schenkungsurkunde hin weitere Leistungen von mir erzwingen zu wollen. Aber eben das Volk war es, das nach dem März schenkte; die Krone war es, die das Geschenk empfing. Es versteht sich von selbst, daß das Geschenk im Sinne des Gebers und nicht des Empfängers, im Sinne des Volks und nicht der Krone, ausgelegt werden muß.

Die absolute Macht der Krone war gebrochen. Das Volk hatte gesiegt. Beide schlossen einen Waffenstillstand, und das Volk wurde getäuscht. Daß es getäuscht wurde, meine Herren, das öffentliche Ministerium selbst hat sich die Mühe genommen, es Ihnen ausführlich zu beweisen. Um das Steuerverweigerungsrecht der Nationalversammlung abzustreiten, hat das öffentliche Ministerium Ihnen weitläufig auseinandergesetzt, daß, wenn etwas der Art im Gesetze vom 6. April 1848 enthalten war, es keinenfalls mehr im Gesetze vom 8. April 1848 zu finden ist. Also diese Zwischenzelt hatte man benutzt, um den Volksvertretern zwei Tage später die Rechte zu entziehen, die man ihnen zwei Tage vorher eingeräumt hatte. Konnte das öffentliche Ministerium glänzender die Ehrlichkeit der Krone kompromittieren, konnte es unwiderleglicher beweisen, daß man das Volk täuschen wollte?

Das öffentliche Ministerium sagt ferner:

"Das Recht der Verlegung und Vertagung der Nationalversammlung sei ein Ausfluß der Exekutivgewalt und in allen konstitutionellen Ländern anerkannt."

Was das Recht der Exekutivgewalt betrifft, die gesetzgebenden Kammern zu verlegen, so fordere ich das öffentliche Ministerium auf, mir für diese Behauptung auch nur ein einziges Gesetz oder Beispiel anzuführen. In England z.B. könnte der König nach altem historischem Rechte das Parlament an jeden ihm beliebigen Ort hinberufen. Es existiert kein Gesetz, wodurch London als legale Residenz des Parlaments bestimmt würde. Sie wissen, meine Herren, daß in England überhaupt die größten politischen Freiheiten sanktioniert sind durch das Gewohnheitsrecht, nicht durch geschriebenes Recht, so z.B. die Preßfreiheit. Aber der Einfall eines englischen Ministeriums, das <248> Parlament von London nach Windsor oder Richmond zu verlegen - es genügt, ihn auszusprechen, um seine Unmöglichkeit einzusehen.

Allerdings! In konstitutionellen Ländern hat die Krone das Recht, die Kammern zu vertagen. Vergessen Sie aber nicht, daß andererseits in allen Konstitutionen bestimmt ist, auf wie lange die Kammern vertagt werden dürfen, nach welcher Frist sie wieder einberufen werden müssen. In Preußen existiert keine Konstitution, sie sollte erst gemacht werden; es existierte kein gesetzlicher Termin der Einberufung für die vertagte Kammer, es existierte also auch kein Vertagungsrecht für die Krone. Die Krone konnte sonst die Kammern vertagen auf 10 Tage, auf 10 Jahre, auf ewig. Wo lag die Garantie, daß die Kammern je zusammenberufen wurden oder je zusammenblieben? Das bestehen der Kammern neben der Krone war dem Gutdünken der Krone anheimgestellt, die gesetzgebende Gewalt zur Fiktion geworden, wenn hier einmal von gesetzgebender Gewalt die Rede sein soll.

Meine Herren! Sie sehen hier an einem Beispiele, wohin es führt, den Konflikt zwischen der preußischen Krone und der preußischen Nationalversammlung an den Verhältnissen konstitutioneller Länder messen zu wollen. Es führt zur Behauptung des absoluten Königtums. Von der einen Seite vindiziert man der Krone die Rechte einer konstitutionellen Exekutivgewalt, von der andern besteht kein Gesetz, keine Gewohnheit, keine organische Institution, welche ihr die Beschränkungen der konstitutionellen Exekutivgewalt auferlegt. Man stellt die Forderung an die Volksrepräsentation: einem absoluten Könige gegenüber spielst du die Rolle einer konstitutionellen Kammer!

Bedarf es noch der Ausführung, daß in dem vorliegenden Falle keine Exekutivgewalt einer legislativen Gewalt gegenüberstand, daß die konstitutionelle Teilung der Gewalten keine Anwendung finden kann auf die preußische Nationalversammlung und die preußische Krone? Sehen Sie ab von der Revolution, halten Sie sich nur an der offiziellen Vereinbarungstheorie. Nach dieser Theorie selbst standen sich zwei souveräne Gewalten gegenüber. Kein Zweifel! Von diesen zwei Gewalten mußte die eine die andere sprengen. Zwei souveräne Gewalten können nicht gleichzeitig, nicht nebeneinander funktionieren in einem Staat. Es ist dies ein Widersinn, wie die Quadratur des Zirkels. Die materielle Macht mußte zwischen den beiden Souveränetäten entscheiden. Aber wir, wir haben die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Vereinbarung hier nicht zu untersuchen. Genug! Zwei Mächte traten in Beziehung zueinander, um einen Vertrag zu schließen. Camphausen selbst unterstellte die Möglichkeit, daß der Vertrag nicht zustande komme. Von der Tribüne herab zeigte er den Vereinbarern hin auf die Gefahr, die dem Lande bevorstehe, wenn der Vergleich nicht zustande komme. In dem ursprünglichen <249> Verhältnisse der vereinbarenden Nationalversammlung zur Krone lag die Gefahr, und hinterher will man die Nationalversammlung verantwortlich machen für diese Gefahr, indem man dies ursprüngliche Verhältnis verleugnet, indem man sie in eine konstitutionelle Kammer verwandelt! Man will die Schwierigkeit lösen, indem man von ihr abstrahiert!

Ich glaube Ihnen bewiesen zu haben, meine Herren, die Krone hatte nicht das Recht, weder die Vereinbarerversammlung zu verlegen noch sie zu vertagen.

Aber das öffentliche Ministerium hat sich nicht beschränkt auf die Untersuchung, ob die Krone ein Recht zur Verlegung der Nationalversammlung hatte; es sucht die Zweckmäßigkeit dieser Verlegung nachzuweisen. "Wäre es nicht zweckmäßig gewesen", ruft es aus, "wenn die Nationalversammlung der Krone Folge geleistet und nach Brandenburg gegangen wäre?" Das öffentliche Ministerium findet diese Zweckmäßigkeit begründet in der Lage der Kammer selbst. Sie war unfrei in Berlin u. dgl.

Liegt indessen die Absicht der Krone bei dieser Verlegung nicht klar am Tage? Hat sie alle offiziell angeführten Motive dieser Verlegung nicht selbst jeden Scheins entkleidet? Es handelte sich nicht um die Freiheit der Beratung, es handelte sich darum, entweder die Versammlung nach Hause zu schicken und eine Verfassung zu oktroyieren oder durch Einberufung von gefügigen Stellvertretern eine Scheinrepräsentation zu schaffen. Als sich wider Erwarten eine beschlußfähige Anzahl von Deputierten in Brandenburg einfand, da gab man die Heuchelei auf, da erklärte man die Nationalversammlung für aufgelöst.

Übrigens, es versteht sich von selbst, die Krone hatte nicht das Recht, die Nationalversammlung für frei oder für unfrei zu erklären. Niemand als die Versammlung selbst konnte entscheiden, ob sie die notwendige Freiheit der Beratung genieße oder nicht genieße. Nichts bequemer für die Krone, als bei jedem ihr mißliebigen Beschlusse der Nationalversammlung sie für unfrei zu erklären, für unzurechnungsfähig und sie zu interdizieren!

Das öffentliche Ministerium hat auch von der Pflicht der Regierung gesprochen, die Würde der Nationalversammlung zu schützen gegen den Terrorismus der Berliner Bevölkerung.

Es klingt dies Argument wie eine Satire auf die Regierung. Von dem Benehmen gegen die Personen will ich nicht sprechen, und diese Personen waren immerhin die erwählten Vertreter des Volkes. Auf jede Weise hat man sie zu demütigen gesucht, auf die allerinfamste Weise hat man sie verfolgt, man hat gleichsam eine wilde Jagd auf sie angestellt. Lassen wir die Personen. Wie hat man die Würde der Nationalversammlung in ihren Arbeiten gewahrt? Ihre <250> Archive sind der Soldateska preisgegeben worden, welche die Dokumente der Abteilungen, die k[öniglichen] Botschaften, die Gesetzentwürfe, die Vorarbeiten in Fidibus verwandelte, den Ofen damit heizte, sie mit Füßen zerstampfte.

Man beobachtete nicht einmal die Formen einer gerichtlichen Exekution, man bemächtigte sich des Archivs, ohne ein Inventar darüber aufzunehmen.

Es lag im Plane, diese dem Volke so kostspieligen Arbeiten zu vernichten, um die Nationalversammlung besser verleumden zu können, um der Regierung und den Aristokraten gehässige Reformpläne aus der Welt zu schaffen. Und nach allem diesem, ist es nicht geradezu lächerlich, zu behaupten, die Regierung habe die Nationalversammlung, aus zarter Sorgfalt für ihre Würde, von Berlin nach Brandenburg verlegt?

Ich komme jetzt zur Ausführung des öffentlichen Ministeriums über die formelle Gültigkeit des Steuerverweigerungsbeschlusses.

Um den Steuerverweigerungsbeschluß zum formell-gültigen Beschlusse zu erheben, sagt das Ministerium, mußte die Versammlung ihren Beschluß der Sanktion der Krone unterwerfen.

Aber, meine Herren, die Krone stand der Versammlung nicht in eigener Person gegenüber, sie stand ihr gegenüber in der Person des Ministeriums Brandenburg. Mit dem Ministerium Brandenburg also, diesen Unsinn verlangt der öffentliche Ankläger, hätte sich die Versammlung vereinbaren sollen, um dies Ministerium als hochverräterisch zu proklamieren, um ihm die Steuern zu verweigern! Was heißt eine solche Zumutung anders, als die Nationalversammlung sollte sich entschließen zu bedingungsloser Unterwürfigkeit unter jede Forderung des Ministeriums Brandenburg?

Der Steuerverweigerungsbeschluß war auch formell ungültig, so sagt das öffentliche Ministerium, da erst bei der zweiten Verlesung ein Antrag zum Gesetze erhoben werden kann.

Von der einen Seite setzt man sich über die wesentlichen Formen hinaus, an die man gegenüber der Nationalversammlung gebunden war; von der andern mutet man der Nationalversammlung die Beobachtung der unwesentlichsten Formalitäten zu. Nichts einfacher! Ein der Krone mißliebiger Antrag geht in erster Lesung durch, die zweite wird verhindert durch Waffengewalt, das Gesetz ist und bleibt ungültig, weil es der zweiten Verlesung ermangelt. Das öffentliche Ministerium übersieht den exzeptionellen Zustand, welcher herrschte, als die Volksvertreter, durch Bajonette in ihrem Sitzungssaale bedroht, jenen Beschluß faßten. Die Regierung begeht Gewaltstreich über Gewaltstreich. Sie verletzte rücksichtslos die wichtigsten Gesetze, die Habeas-Corpus-Akte, das Bürgerwehrgesetz. Sie führt willkürlich den unbeschränkten Militärdespotismus ein unter der Firma des Belagerungszustandes. <251> Sie jagt die Volksvertreter selbst zum Teufel. Und während man auf der einen Seite alle Gesetze schamlos verletzt, verlangt man auf der anderen Seite zarteste Beobachtung sogar eines Reglements?

Ich weiß nicht, meine Herren, ist es absichtliche Verfälschung - ich bin weit entfernt, sie von seiten des öffentlichen Ministeriums vorauszusetzen - oder ist es Unwissenheit, wenn es sagt: "Die Nationalversammlung habe keine Vermittlung gewollt", sie "habe keine Vermittlung versucht."

Wenn das Volk der Berliner Nationalversammlung irgendeinen Vorwurf macht, sind es ihre Vermittlungsgelüste. Wenn Mitglieder dieser Versammlung selbst eine Reue empfinden, es ist die Reue über ihre Vereinbarungssucht. Die Vereinbarungssucht war es, die ihr das Volk allmählich entfremdete, die sie alle Positionen verlieren ließ, die sie schließlich den Angriffen der Krone aussetzte, ohne daß eine Nation in ihrem Rücken stand. Als sie endlich einen Willen behaupten wollte, stand sie vereinsamt da, ohnmächtig, eben weil sie zur rechten Zelt keinen Willen zu haben und zu behaupten wußte. Sie bekundete zuerst diese Vereinbarungssucht, als sie die Revolution verleugnete und die Vereinbarungstheorie sanktionierte, als sie sich herabwürdigte von einer revolutionären Nationalversammlung zu einer zweideutigen Gesellschaft von Vereinbarern. Sie trieb die Vermittlungsschwäche zum Extreme, als sie von Pfuel eine Scheinanerkennung des Steinschen Armeebefehls für vollgültig akzeptierte. Die Verkündung dieses Armeebefehls selbst war zur Farce geworden, als er nur mehr komisches Echo des Wrangelschen Armeebefehls sein konnte. Und dennoch, statt über ihn hinauszugehen, griff die Versammlung mit beiden Händen nach der abschwächenden, ihn auf völlige Inhaltslosigkeit reduzierenden Verdolmetschung desselben durch das Ministerium Pfuel. Um jeden ernsten Konflikt mit der Krone zu vermeiden, nahm sie den Scheinschatten einer Demonstration gegen die alte reaktionäre Armee als eine wirkliche Demonstration hin. Etwas, was auch nicht mehr eine Scheinlösung des Konflikts war, heuchelte sie ernsthaft, für die wirkliche Lösung des Konflikts zu halten. So wenig kampfbegierig, so sehr vermittlungslustig war diese Versammlung, die das öffentliche Ministerium als mutwilligen Händelsucher darstellt.

Soll ich noch auf ein Symptom der vermittlungssüchtigen Natur dieser Kammer hinweisen? Erinnern Sie sich, meine Herren, an die Vereinbarung der Nationalversammlung über das Sistierungsgesetz der Ablösungen mit Pfuel. Wenn die Versammlung den Feind in der Armee nicht zu ecrasieren wußte, so galt es vor allem, den Freund im Bauernstande zu gewinnen. Auch darauf verzichtete sie. Es galt ihr vor allem, es galt ihr vor den Interessen ihrer eignen Selbsterhaltung zu vermitteln, den Konflikt mit der Krone zu ver- <252> meiden, unter allen Bedingungen zu vermeiden. Und man wirft dieser Versammlung vor, sie habe keine Vermittlung gewollt, sie habe keine Vermittlung versucht?

Sie versuchte die Vermittlung noch, während der Konflikt schon ausgebrochen war. Sie kennen, meine Herrn, die Broschüre von Unruh, eines Mannes des Zentrums. Sie haben daraus ersehen, was man alles versuchte, um den Bruch zu vermeiden, wie man Deputationen an die Krone schickte, die nicht vorgelassen wurden, wie einzelne Deputierte die Minister zu überreden suchten, die sie vornehm-hochmütig zurückwiesen, wie man Konzessionen machen wollte, die verlacht wurden. Selbst in dem Augenblicke noch wollte die Versammlung Frieden schließen, als es sich nur noch darum handeln konnte, zum Kriege zu rüsten. Und diese Versammlung klagt das öffentliche Ministerium an, sie habe keine Vermittlung gewollt, keine Vermittlung versucht!

Die Berliner Nationalversammlung gab sich offenbar der größten Illusion hin, verstand ihre eigne Stellung, ihre eignen Existenzbedingungen nicht, als sie vor dem Konflikte, während des Konfliktes noch eine gütliche Verständigung, eine Vermittlung mit der Krone für möglich hielt und zu bewerkstelligen suchte.

Die Krone wollte keine Vermittlung, sie konnte keine Vermittlung wollen. Täuschen wir uns nicht, meine Herrn Geschworenen, über die Natur des Kampfes, der im März zum Ausbruche kam, der später zwischen der Nationalversammlung und der Krone geführt wurde. Es handelt sich hier nicht um einen gewöhnlichen Konflikt zwischen einem Ministerium und einer parlamentarischen Opposition, es handelte sich nicht um den Konflikt zwischen Leuten, die Minister waren, und Leuten, die Minister werden wollten, es handelt sich nicht um den Parteikampf zweier politischer Fraktionen in einer gesetzgebenden Kammer. Es ist möglich, daß Mitglieder der Nationalversammlung, der Minorität oder der Majorität angehörig, sich alles dies einbildeten. Nicht die Meinung der Vereinbarer, die wirkliche historische Stellung der Nationalversammlung, wie sie aus der europäischen Revolution und der durch sie bedingten Märzrevolution hervorging, sie allein entscheidet. Was hier vorlag, das war kein politischer Konflikt zweier Fraktionen auf dem Boden einer Gesellschaft, das war der Konflikt zweier Gesellschaften selbst, ein sozialer Konflikt, der eine politische Gestalt angenommen hatte, es war der Kampf der alten feudal-bürokratischen mit der modernen bürgerlichen Gesellschaft, der Kampf zwischen der Gesellschaft der freien Konkurrenz und der Gesellschaft des Zunftwesens, zwischen der Gesellschaft des Grundbesitzes mit der Gesellschaft der Industrie, zwischen der Gesellschaft des Glaubens mit der Gesell- <253> Schaft des Wissens. Der entsprechende politische Ausdruck der alten Gesellschaft, das war die Krone von Gottes Gnaden, die bevormundende Bürokratie, die selbständige Armee. Die entsprechende soziale Grundlage dieser alten politischen Macht, das war der privilegierte adlige Grundbesitz mit seinen leibeignen oder halbleibeignen Bauern, die kleine patriarchalische oder zünftig organisierte Industrie, die voneinander abgeschlossenen Stände, der brutale Gegensatz von Stadt und Land, und vor allem die Herrschaft des Landes über die Stadt. Die alte politische Macht - gottbegnadete Krone, bevormundende Bürokratie, selbständige Armee - sah ihre eigentliche materielle Grundlage unter den Füßen hinschwinden, sobald die Grundlage der alten Gesellschaft, der privilegierte adlige Grundbesitz, der Adel selbst, die Herrschaft des Landes über die Stadt, die Abhängigkeit des Landvolkes und die allen diesen Lebensverhältnissen entsprechende Gesetzgebung, wie Gemeindeordnung, Kriminalgesetzgebung u. dgl. angetastet wurden. Die Nationalversammlung verübte dies Attentat. Andrerseits sah jene alte Gesellschaft die politische Macht ihren Händen entrissen, sobald die Krone, die Bürokratie und die Armee ihre feudalen Privilegien einbüßten. Und die Nationalversammlung wollte diese Privilegien kassieren. Kein Wunder also, daß Armee, Bürokratie, Adel vereint die Krone zu einem Gewaltstreich hindrängten, kein Wunder, daß die Krone, die ihr eignes Interesse im innigsten Zusammenhang mit dem der alten feudal-bürokratischen Gesellschaft wußte, sich zum Staatsstreich hindrängen ließ. Die Krone war eben der Repräsentant der feudal-aristokratischen Gesellschaft, wie die Nationalversammlung der Repräsentant der modern-bürgerlichen Gesellschaft war. Es liegt in den Lebensbedingungen der letztern, daß Bürokratie und Armee aus Beherrschern des Handels und der Industrie zu ihren Werkzeugen erniedrigt, zu bloßen Organen des bürgerlichen Verkehrs gemacht werden. Sie kann nicht dulden, daß die Agrikultur durch feudale Privilegien, die Industrie durch bürokratische Bevormundung beschränkt wird. Es widerstrebt dies ihrem Lebensprinzipe der freien Konkurrenz. Sie kann nicht dulden, daß die auswärtigen Handelsverhältnisse, statt durch die Interessen der Nationalproduktion, vielmehr nach den Rücksichten einer internationalen Hofpolitik geregelt werden. Sie muß die Finanzverwaltung den Produktionsbedürfnissen unterordnen, während der alte Staat die Produktion den Bedürfnissen der Krone von Gottes Gnaden und der Ausflickung der Königsmauern, der sozialen Stützen dieser Krone, unterordnen muß. Wie die moderne Industrie tatsächlich nivelliert, so muß die moderne Gesellschaft jede gesetzliche und politische Schranke zwischen Stadt und Land einreißen. In ihr gibt es noch Klassen, aber keine Stände mehr. Ihre Entwicklung besteht in dem Kampfe dieser Klassen, aber <254> diese sind vereinigt gegenüber den Ständen und ihrem gottbegnadeten Königtum.

Das Königtum von Gottes Gnaden, der höchste politische Ausdruck, der höchste politische Repräsentant der alten feudal-bürokratischen Gesellschaft, kann daher der modernen bürgerlichen Gesellschaft keine aufrichtigen Zugeständnisse machen. Der eigne Erhaltungstrieb, die Gesellschaft, die hinter ihm steht, auf die es sich stützt, werden es stets von neuem dahin treiben, die gemachten Zugeständnisse zurückzunehmen, den feudalen Charakter zu behaupten, die Kontrerevolution zu riskieren. Nach einer Revolution ist die Kontrerevolution die stets sich erneuernde Lebensbedingung der Krone.

Andrerseits kann auch die moderne Gesellschaft nicht rasten, bis sie die offizielle überlieferte Macht, wodurch sich die alte Gesellschaft noch gewaltsam behauptet, bis sie die Staatsgewalt derselben zertrümmert und beseitigt hat. Die Herrschaft der Krone von Gottes Gnaden ist eben die Herrschaft der veralteten Gesellschaftselemente.

Also kein Frieden zwischen diesen beiden Gesellschaften. Ihre materiellen Interessen und Bedürfnisse bedingen einen Kampf auf Leben und Tod, die eine muß Siegen, die andre unterliegen. Das ist die einzig mögliche Vermittlung zwischen beiden. Also auch kein Frieden zwischen den höchsten politischen Repräsentanten dieser beiden Gesellschaften, zwischen der Krone und der Volksvertretung. Die Nationalversammlung hatte daher nur die Wahl, der alten Gesellschaft nachzugeben oder als selbständige Macht der Krone gegenüber aufzutreten.

Meine Herrn! Das öffentliche Ministerium hat die Steuerverweigerung als eine Maßregel bezeichnet, "welche die Grundvesten der Gesellschaft erschüttre". Die Steuerverweigerung hat mit den Grundvesten der Gesellschaft nichts zu tun.

Woher kömmt es überhaupt, meine Herrn, daß die Steuern, die Verwilligung und die Verweigerung der Steuern eine so große Rolle spielen in der Geschichte des Konstitutionalismus? Es erklärt sich dies sehr einfach. Wie die Leibeignen mit barem Gelde ihre Privilegien erkauften von den Feudalbaronen, so ganze Völker von den Feudalkönigen. Die Könige bedurften Geld in den Kriegen mit den auswärtigen Völkern und namentlich in ihren Kämpfen gegen die Feudalherrn. Je mehr sich der Handel und die Industrie entwickelte, desto mehr bedurften sie des Geldes. In demselben Maße entwickelte sich aber der dritte Stand, der Bürgerstand, in demselben Maße hatte er über größere Geldmittel zu verfügen. In demselben Maße kaufte er vermittelst der Steuern den Königen mehr Freiheiten ab. Um sich diese Freiheiten zu versichern, behielt er sich das Recht vor, die Geldleistungen in gewissen <255> Terminen zu erneuern - das Steuerbewilligungs- und Verweigerungsrecht. In der englischen Geschichte namentlich können Sie diese Entwicklung bis ins Detail verfolgen.

In der mittelaltrigen Gesellschaft also waren die Steuern das einzige Band zwischen der aufkommenden bürgerlichen Gesellschaft und dem herrschenden feudalen Staate, das Band, wodurch dieser gezwungen wurde, jener Konzessionen zu machen, der Entwicklung derselben nachzugeben und sich ihren Bedürfnissen anzupassen. In den modernen Staaten hat sich dies Steuerbewilligungs- und Verweigerungsrecht in eine Kontrolle der bürgerlichen Gesellschaft über den Verwaltungsausschuß ihrer allgemeinen Interessen, die Regierung, verwandelt.

Partielle Steuerverweigerung finden Sie daher vor als integrierenden Teil jedes konstitutionellen Mechanismus. Diese Art Steuerverweigerung hat statt, sooft das Budget verworfen wird. Das laufende Budget ist nur für einen bestimmten Zeitraum verwilligt; die Kammern müssen außerdem, sobald sie vertagt sind, nach sehr kurzen Zwischenräumen wieder einberufen werden. Eine Unabhängigkeitsmachung der Krone ist daher unmöglich. Die Steuern sind durch Verwerfung eines Budgets definitiv verweigert, sobald die neue Kammer dem Ministerium keine Majorität zubringt oder die Krone nicht ein Ministerium im Sinne der neuen Kammer ernennt. Die Verwerfung des Budgets ist also eine Steuerverweigerung in parlamentarischer Form. Diese Form war im vorliegenden Konflikte nicht anwendbar, weil die Konstitution noch nicht existierte, sondern erst zu schaffen war.

Aber die Steuerverweigerung, wie sie hier vorliegt, eine Steuerverweigerung, die nicht nur das neue Budget verwirft, sondern selbst die Bezahlung der laufenden Steuern verbietet, auch sie ist nichts Unerhörtes. Sie war eine sehr häufige Tatsache im Mittelalter. Selbst der alte deutsche Reichstag und die alten feudalen brandenburgischen Stände haben Steuerverweigerungsbeschlüsse gefaßt. Und in modernen konstitutionellen Ländern fehlt es nicht an Beispielen. 1832 führte die Steuerverweigerung in England den Sturz des Ministeriums Wellington herbei. Und bedenken Sie wohl, meine Herren! Nicht das Parlament hatte in England die Steuerverweigerung beschlossen, das Volk proklamierte und vollzog sie aus eigner Machtvollkommenheit. England aber ist das historische Land des Konstitutionalismus.

Ich bin weit entfernt, es zu leugnen: Die englische Revolution, die Karl I. auf das Schafott brachte, begann mit der Steuerverweigerung. Die nordamerikanische Revolution, welche mit der Unabhängigkeitserklärung Nordamerikas von England endete, begann mit der Steuerverweigerung. Die Steuerverweigerung kann auch in Preußen die Vorläuferin sehr schlimmer Dinge <256> sein. Aber John Hampden brachte Karl I. nicht auf das Schafott, sondern nur sein Eigensinn, seine Abhängigkeit von den feudalen Ständen, sein Dünkel, unabweisliche Forderungen der neuentstehenden Gesellschaft mit Gewalt niederherrschen zu wollen. Die Steuerverweigerung ist nur ein Symptom des Zwiespalts zwischen Krone und Volk, nur ein Beweis, daß der Konflikt zwischen Regierung und Volk schon einen hohen, gefahrdrohenden Grad erreicht hat. Sie bringt den Zwiespalt, den Konflikt nicht hervor. Sie drückt nur das Vorhandensein dieser Tatsache aus. Im schlimmsten Falle folgt auf sie der Sturz der bestehenden Regierung, der vorhandenen Staatsform. Die Grundvesten der Gesellschaft werden nicht davon berührt. Im vorliegenden Falle nun gar war die Steuerverweigerung eine Notwehr eben der Gesellschaft gegen die Regierung, von der sie in ihren Grundvesten bedroht war.

Das öffentliche Ministerium wirft uns schließlich vor, wir wären in dem inkriminierten Aufrufe <Siehe "[Aufforderung des Rheinischen Kreisausschusses der Demokraten zur Steuerverweigerung]" weiter gegangen als die Nationalversammlung selbst: "Einmal habe die Nationalversammlung ihren Beschluß nicht publiziert." Soll ich ernsthaft darauf antworten, meine Herren, daß der Steuerverweigerungsbeschluß nicht einmal von der Gesetzsammlung publiziert wurde?

Dann habe die Nationalversammlung nicht, wie wir, zur Gewalt aufgefordert, überhaupt nicht, wie wir, den revolutionären Boden betreten, sondern sich auf gesetzlichem Boden halten wollen.

Vorhin stellte das öffentliche Ministerium die Nationalversammlung als ungesetzlich dar, jetzt als gesetzlich, jedesmal, um uns als Verbrecher darzustellen. Wenn die Eintreibung der Steuern einmal für ungesetzlich erklärt ist, muß ich die gewaltsame Ausübung der Ungesetzlichkeit nicht gewaltsam zurückweisen? Selbst von diesem Standpunkte aus waren wir daher berechtigt, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Übrigens, es ist ganz richtig, die Nationalversammlung wollte sich auf rein gesetzlichem Boden halten, auf dem Boden des passiven Widerstandes. Es standen ihr zwei Wege offen: der revolutionäre - sie schlug ihn nicht ein, die Herren wollten ihre Köpfe nicht riskieren - oder die Steuerverweigerung, die bei passivem Widerstand stehenblieb. Sie betrat diesen Weg. Das Volk aber mußte sich zur Ausübung der Steuerverweigerung auf revolutionären Boden stellen. Das Verhalten der Nationalversammlung war für das Volk keineswegs maßgebend. Die Nationalversammlung hat keine Rechte für sich, das Volk hat ihr nur die Behauptung seiner eigenen Rechte übertragen. Vollführt sie ihr Mandat nicht, so ist es erloschen. Das Volk selbst tritt dann in eigener Person auf die Bühne und handelt aus eigener Machtvollkommenheit. Wäre z.B. eine Nationalversammlung <257> an eine verräterische Regierung verkauft, so müßte das Volk beide fortjagen, Regierung und Nationalversammlung. Wenn die Krone eine Kontrerevoluton macht, so antwortet das Voll: mit Recht durch eine Revolution. Es bedarf dazu der Genehmigung keiner Nationalversammlung. Daß die preußische Regierung aber ein hochverräterisches Attentat versucht, das hat die Nationalversammlung selbst ausgesprochen.

Ich resümiere mich kurz, meine Herrn Geschwornen. Die Gesetze vom 6. und 8. April 1848 kann das öffentliche Ministerium nicht gegen uns anrufen, nachdem die Krone selbst sie zerrissen hat. Diese Gesetze entscheiden an und für sich nicht, weil sie willkürliche Machwerke des Vereinigten Landtags sind. Der Steuerverweigerungsbeschluß der Nationalversammlung war formell und materiell gültig. Wir sind in unserm Aufrufe weiter gegangen als die Nationalversammlung. Es war dies unser Recht und unsere Pflicht.

Ich wiederhole schließlich, daß erst der erste Akt des Dramas beendet ist. Der Kampf der beiden Gesellschaften, der mittelaltrigen und der bürgerlichen, wird von neuem in politischen Formen geführt werden. Dieselben Konflikte werden wieder beginnen, sobald die Versammlung zusammengekommen sein wird. Schon prophezeit das Organ des Ministeriums, die "Neue Preußische Zeitung": Dieselben Leute haben wieder gewählt, es wird nötig sein, die Versammlung zum zweiten Male auseinanderzujagen.

Welchen neuen Weg aber auch die neue Nationalversammlung einschlagen mag, das notwendige Resultat kann kein anderes sein als: vollständiger Sieg der Kontrerevolution oder neue siegreiche Revolution. Vielleicht ist der Sieg der Revolution erst möglich nach vollendeter Kontrerevolution.