Saedt | Inhalt | Die Proklamation der Republik in Rom

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 303-307
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959

Die "Kölnische Zeitung" über den magyarischen Kampf

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 225 vom 18. Februar 1849]

<303> *Köln, 17. Februar.

"Ich habe nun den Grund gefunden,
Worin mein Anker ewig hält" -

singt der tapfere Schwanbeck mit dem protestantischen Gesangbuch. Der entrüstete Tugendheld tritt, trotz der "östreichischen Note" und dem "Gefühl tiefster Entrüstung ", endlich auch auf der ersten Seite der "Köln[ischen] Z[ei]t[un]g" für Windischgrätz auf.

Man höre:

"Die sogenannte demokratische Presse in Deutschland hat in dem östreichisch-ungarischen Kampfe Partei für die Magyaren genommen ... Seltsam genug allerdings! Die deutschen Demokraten auf der Seite jener hochadligen Kaste, für welche ihre eigene Nation, trotz des 19. Jahrhunderts, nie aufhörte, die misera contribuena plebs <arme steuerzahlende Bevölkerung (vor allem Bauern)> zu sein, die deutschen Demokraten auf Seiten der anmaßendsten Volksunterdrücker!"

Wir erinnern uns nicht genau, ob wir das Publikum bereits auf eine eigentümliche Eigenschaft des tapfern Schwanbeck aufmerksam gemacht haben, nämlich darauf, daß er gewohnt ist, lauter Nachsätze ohne Vordersätze zu machen. Der obige Satz ist einer dieser Nachsätze, deren Vordersatz das Licht der Welt nicht erblickt hat.

Und wären die Magyaren eine "hochadlige Kaste" der "anmaßendsten Volksunterdrücker", was bewiese das? Ist Windischgrätz, der Mörder Robert Blums, darum ein Haarbreit besser? Wollen die Ritter der "Gesamtmonarchie", die speziellen Feinde Deutschlands und Freunde Schwanbecks, die <304> Windischgrätz, Jellachich, Schlick usw., etwa die "hochadlige Kaste" unterdrücken, die Freiheit des bäuerlichen Grundeigentums einführen? Kämpfen die Kroaten und Tschechen etwa für die rheinische Parzellierung und den Code Napoléon?

Als im Jahr 1830 die Polen gegen Rußland sich erhoben, war da die Rede davon, ob hier bloß eine "hochadlige Kaste" an der Spitze stand? Es handelte sich damals zuerst um die Vertreibung der Fremden. Ganz Europa sympathisierte mit der "hochadligen Kaste", die allerdings die Bewegung eröffnete; denn die polnische Adelsrepublik war immer ein Riesenfortschritt gegen die russische Despotie. Und war nicht der französische Zensus, das Monopol der 250.000 Wähler von 1830, der Sache nach eine ebenso große politische Knechtung der misera contribuens plebs wie die polnische Adelsherrschaft?

Nehmen wir an, die ungarische Märzrevolution sei eine reine Adelsrevolution gewesen. Hat darum die östreichische "Gesamt"-Monarchie das Recht, den ungarischen Adel und dadurch die ungarischen Bauern so zu unterdrücken, wie sie den galizischen Adel und durch ihn (vgl. die Lemberger Landtagsverhandlungen von 1818) die galizischen Bauern unterdrückt hat? Aber freilich, der große Schwanbeck ist nicht gezwungen zu wissen, daß der größte Teil des ungarischen Adels, gerade wie der größte Teil des polnischen Adels, aus bloßen Proletariern besteht, deren aristokratisches Privilegium sich darauf beschränkt, daß man ihnen keine Stockprügel applizieren darf.

Der große Schwanbeck ist aber noch viel weniger gezwungen zu wissen, daß Ungarn das einzige Land ist, in dem die Feudallasten für den Bauern seit der Märzrevolution gesetzlich und faktisch gänzlich aufgehört haben zu existieren. Der große Schwanbeck erklärt die Magyaren für eine "hochadlige Kaste", für "anmaßendste Volksunterdrücker", für "Aristokraten" - und derselbe große Schwanbeck weiß nicht oder will nicht wissen, daß die magyarischen Magnaten, die Esterhazys usw., gleich bei Beginn des Krieges desertierten und nach Olmütz zur Huldigung kamen und daß gerade die "hochadligen" Offiziere der magyarischen Armee vom Anfang des Kampfes bis heute täglich neuen Verrat an der Sache ihrer Nation geübt haben! Oder warum ist die Majorität des Repräsentantenhauses noch heute bei Kossuth in Debreczin, während nur elf Magnaten sich dort befinden?

Soweit der Schwanbeck der ersten Seite, der Leitdithyrambiker Schwanbeck. Aber der Mann der dritten Seite, der Mann, der Leopoldstadt sechsmal gestürmt, Eszek viermal genommen und die Theiß verschiedene Male überschritten hat, der Strategiker Schwanbeck mußte doch auch seine Revanche nehmen.

<305> "Aber nun nahm der Krieg einen kläglichen, wahrhaft jammervollen Fortgang. Unaufhaltsam, fast ohne Kampf wichen die Magyaren aus allen ihren Positionen; ohne Widerstand räumten sie selbst ihre feste Königsstadt, wichen vor Jellachichs Kroaten bis hinter die Theiß zurück."

"Fast ohne Kampf" - d.h., nachdem sie die Östreicher von der Leitha bis zur Theiß zwei volle Monate aufgehalten, wichen sie "fast ohne Kampf" zu rück. Der gute Schwanbeck, der die Größe eines Feldherrn nicht nach seinen materiellen Resultaten, sondern danach beurteilt, wieviel Mann er sich hat totschlagen lassen!

"Ohne Widerstand räumten sie ihre feste Königsstadt!" Nun muß man wissen, daß Ofen allerdings nach der Westseite hin befestigt ist, [nach] der Ostseite aber nicht. Die Donau war gefroren, so daß die Östreicher mit Roß und Wagen hinübermarschieren, Pesth besetzen und von da aus das wehrlose Ofen zusammenschießen konnten.

Wenn Deutz nicht befestigt und der Rhein gefroren wäre, wenn demnach eine französische Armee bei Wesseling und Worringen über den Rhein marschierte und bei Deutz 100 Kanonen gegen Köln aufpflanzte, so würde der kühne Schwanbeck dem Oberst Engels also den Rat geben, Köln bis auf den letzten Mann zu verteidigen. Tapfrer Schwanbeck!

Die Magyaren "wichen vor Jellachichs Kroaten bis hinter die Theiß zurück". Und wird uns der große Schwanbeck bestreiten, daß diese "Kroaten" aus 250.000-300.000 Mann bestehn, die Korps von Windischgrätz, Jellachich, Götz, Csorich, Simunich, Nugent, Todorovich, Puchner etc. etc., die unregelmäßigen Truppen an der Drau und im Banat eingerechnet? Und alles das sind "Jellachichs Kroaten"? Daß übrigens ein Schwanbeck, der selbst ein Stammverwandter der Kroaten und in der Geschichte und Geographie wenig zu Hause ist, für die Kroaten schwärmt, ist leicht begreiflich.

Aber freilich: " ... auch wir sind weit entfernt, in den offiziellen Berichten aus dem östreich[ischen] Hauptquartier gerade ein Evangelium zu sehn". Im Gegenteil, Schwanbeck findet von Zeit zu Zeit in den Berichten z.B. Schlicks

"eine Lücke, welche der Leser sich durch allerlei Vermutungen ausfüllen muß, und es ist am Ende kein Wunder (!!), wenn diese Vermutungen bedenklicher ausfallen, als sie es sollten (!!!) Auch Puchner haben wir in dem Verdacht, daß er seine Bulletins etwas zu rosenfarben zu halten pflegt. Nach ihnen wäre er im schönsten Siegeslauf gegen den 'Rebellengeneral'. Da plötzlich lesen wir zu unsrer größten Verwunderung (!) einen Aufruf von ihm, worin er Sachsen und Walachen um alles in der Welt beschwört, doch noch Mut zu haben, da finden wir den geschlagenen Bem plötzlich vor Hermannstadt, mitten im Sachsenlande, und die armen Deutschen (!!) wissen sich endlich nicht anders zu helfen, als Schutz bei den Russen zu suchen. Hier ist ein kleiner Konflikt zwischen den <306> offiziellen Berichten und den Ereignissen, welcher nur der Ungenauigkeit (!!) der erstern zur Last fallen kann."

Der Bürger Schwanbeck gesteht, daß die östreich[ischen] Bulletins und nach ihnen die "Kölnische Zeitung" aufs Unverschämteste über die angeblichen Fortschritte der Östreicher gelogen haben; wenn die Lüge nachher nicht mehr wegzuleugnen ist, so nennt der Wahrheitsfreund Schwanbeck das: "einen kleinen Konflikt zwischen den offiziellen Berichten und den Ereignissen"!

"Wenn wir aber die österreichischen Armeeberichte keineswegs als Orakel betrachten, so haben damit die magyarischen Siegesbulletins noch nicht das mindeste in unsern" (mit den obigen "kleinen Konflikten" beschäftigten) "Augen gewonnen. Sie sind von der Phantasie diktiert und würden sich recht angenehm lesen, wenn sie nur nicht so entsetzlich lächerlich wären."

Diese "Bulletins" sind so "entsetzlich lächerlich", daß sie bis jetzt nichts behauptet haben, als was der große Schwanbeck der Sache nach selbst zugeben muß. Oder ist Tokaj in den Händen Schlicks? Ist ein einziger Östreicher bei Szolnok über die Theiß gekommen? Sind die Kaiserlichen seit 14 Tagen auch nur einen Schritt weitergekommen?

Das 22. östreichische Bulletin, das uns soeben zukommt (s. unten), wird dem Bürger Schwanbeck die Mühe ersparen zu antworten. Es klärt uns darüber auf, daß die Östreicher noch nicht einmal soweit sind, wie das 20. und 21 Bulletin behauptete.

"Es ist einmal nicht anders: Der Krieg in Ungarn geht mit Riesenschritten seinem Ende zu." Das ist klar. Schwanbeck hat es schon einmal vor 14 Tagen gesagt: "Der Krieg in Ungarn geht zu Ende. Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus. <Die Berge kreißen, und geboren wird eine lächerliche Maus.>" Es war dies an demselben Tage, als er die Östreicher zum ersten Male siegreich in Debreczin einrücken ließ. Seitdem sind 14 Tage verflossen, und trotzdem daß die Magyaren "furchtbar aufgeschnitten haben", sind die Österreicher noch immer nicht über die Theiß, geschweige in Debreczin.

"Daß Bems Haufen durch die von allen Seiten herandringenden flüchtigen Scharen der Ungarn zu einem Heere angeschwollen sind, dem die geringen kaiserlichen Streitkräfte in Siebenbürgen nicht gewachsen sind, kann niemanden befremden."

Durchaus nicht. Aber das kann uns befremden, wie von "von allen Seiten herandringenden flüchtigen Scharen der Ungarn" die Rede sein kann, solange die Ungarn die Linie der Theiß und der Marosz besetzt haben und der Bürger <307> Schwanbeck trotz dem inbrünstigsten Gebete nicht einen einzigen Kaiserlichen hinüberschmuggeln kann; ferner, daß "flüchtige Scharen" plötzlich ein Heer bilden, ohne daß die Heere, die sie verfolgen, zugleich bei der Hand sind, um sie aus jeder neuen Position zu vertreiben. Aber freilich, der große Schwanbeck glaubt, daß die Ungarn, einmal in seiner dunstigen Phantasie geschlagen, sofort von der Donau bis nach der Aluta laufen würden, ohne sich umzusehen, ob sie verfolgt werden oder nicht.

Der Bürger Schwanbeck hat sich zum Carnot des 19. Jahrhunderts gemacht, indem er das neue Manöver entdeckte, wie flüchtige Scharen, die von allen Seiten herandringen, plötzlich ein siegreiches Heer bilden können.

Dies neue siegreiche Heer könnte allerdings ernsthafte Verwickelungen herbeiführen. Indes, sagt Schwanbeck:

"Wir werden sehen, in welcher Weise Rußland hier sein Veto sprechen wird."

Der tapfere Schwanbeck, der hier Rußland gegen die Magyaren zu Hülfe ruft, ist derselbe Schwanbeck, der am 22. März vorigen Jahres einen sittlich-entrüsteten Artikel gegen den Kaiser von Rußland erließ und damals erklärte, wenn Rußland sich in unsere Angelegenheiten mische (und die magyarische Angelegenheit ist doch wohl die unsere), so werde er, Schwanbeck, einen Ruf erheben, vor dem der Thron des Zaren erzittern solle! Er ist derselbe Schwanbeck, der von jeher bei der "Köln. Ztg." das Amt hatte, durch rechtzeitig angebrachten Russenhaß und obligaten, gewiegten Freisinn in ungefährlichen osteuropäischen Ländern das liberale Renommee des Blattes zu salvieren. Aber die osteuropäischen Verwickelungen scheinen ihn zu ennuyieren, und damit er sich ganz seinem "Gefühle tiefster Entrüstung" über die östreichische Note überlassen kann, ruft er die Russen nach Siebenbürgen zur Beendigung des Kampfes.

Die beste Antwort auf den ganzen sittlich-windischgrätzisch-polternden Artikel ist - das 22. Armeebulletin, das die Leser unten finden. Damit der in Geographie und Strategik bis in den Schlußsatz seines Artikels hinein teils grenzenlos unwissende, teils von der "Neuen Rheinischen Zeitung" abhängige Schwanbeck wisse, woran er mit diesem Bulletin ist, geben wir zugleich den Kommentar dazu.

Geschrieben von Friedrich Engels.