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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 332-333
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959

Der Eid der englischen Soldaten

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 241 vom 9. März 1849]

<332> *Köln, 7. März. Die "Neue Preuß[ische] Z[ei]t[un]g" teilt mit großem Triumph den Diensteid des englischen Militärs mit und freut sich über die Maßen der Entdeckung, daß der englische Soldat nur der Königin, nicht aber der Verfassung Treue schwört. Und wir in Preußen, in dem jüngsten konstitutionellen Staat, wir sollten, gegen den Vorgang des ältesten konstitutionellen Landes, die Soldaten auf die Verfassung schwören lassen?

Die "N[eue] Pr[eußische] Z[eitung]" vergißt aber ihren Lesern mitzuteilen, wie der englische Soldat gegenüber den bürgerlichen Gesetzen gestellt ist.

Daß der britische Soldat in allen Vergehen, die nicht bloße Disziplinarvergehen sind, vor die gewöhnlichen Gerichte, die Friedensgerichte, Petty Sessions, Quarter Sessions oder Assisen gestellt wird, daß er in allen Kollisionen mit den übrigen Staatsbürgern als bloßer Staatsbürger behandelt wird, versteht sich von selbst.

Das ist aber noch nicht alles. In England ist jeder Staatsbürger, sei er Beamter, Soldat oder was immer, den Gesetzen für jede seiner Handlungen verantwortlich und kann sich nicht darauf berufen, daß die betreffende Handlung ihm von seinen Vorgesetzten befohlen sei. Z.B. es findet eine Emeute statt. Das Militär rückt an. Die gesetzlichen Aufforderungen zum Auseinandergehen erfolgen oder erfolgen nicht. Das Volk geht nicht auseinander. Der Zivilbeamte (stets ein Friedensrichter oder städtischer gewählter Beamter) gibt die Genehmigung zum Einschreiten oder gibt sie auch nicht. Das Militär feuert, es bleiben Tote. Diese Leichen werden einer Totenschau-Jury vorgelegt, vor der der Tatbestand festgestellt wird. Findet die Jury, daß das Einschreiten durch die Umstände nicht gerechtfertigt war, so gibt sie ein Verdikt auf vorbedachten Mord ab gegen sämtliche Teilnehmer, so auch gegen den Zivil- <333> beamten, der das Einschreiten genehmigt, gegen den Offizier, der das Feuer kommandiert, und gegen sämtliche Soldaten, die wirklich gefeuert haben.

Hat der Zivilbeamte das Einschreiten nicht genehmigt, so hat das keine weitere Folge, als daß er nicht im Verdikt figuriert. Für Offiziere und Soldaten bleibt die Sache ganz dieselbe.

Dies Verdikt auf vorbedachten Mord bildet nun einen förmlichen Anklageakt, auf Grund dessen das Kriminalverfahren vor den ordentlichen Geschwornen eingeleitet wird.

Der englische Soldat wird also vom Gesetz keineswegs als eine willenlose Maschine angesehen, der dem ihm gewordenen Kommando gehorchen muß ohne zu räsonieren, sondern als ein "free agent", ein Mann mit freiem Willen, der in jedem Augenblick wissen muß, was er tut und für jede seiner Handlungen verantwortlich ist. Die englischen Richter würden einem angeklagten Soldaten schöne Dinge antworten, wenn er zu seiner Verteidigung sagte, das Feuern sei kommandiert worden und er habe "Ordre parieren" müssen!

In Preußen ist das alles anders. In Preußen erklärt der Soldat, das Feuern sei ihm von seinem direkten Vorgesetzten kommandiert worden, und er ist von aller Strafe frei. In Preußen und desgleichen in Frankreich ist überhaupt dem Beamten für jede Gesetzübertretung vollkommene Straflosigkeit zugesichert, sobald er nachweist, daß der Befehl dazu ihm von seinem ordentlichen Vorgesetzten im ordentlichen hierarchischen Wege zugekommen ist.

Daß wir nicht der Ansicht sind, eine kurze Eidformel könne einen Menschen zu einem andern Menschen, einen schwarzweißen Gardelieutenant zu einem Schwärmer für die "konstitutionelle Freiheit" machen, wird uns die "N[eue] Pr[eußische] Z[eitung]" wohl aufs Wort glauben.

Die Herren mit Gott für König und Vaterland haben selbst an ihrer eigenen löblichen Sippschaft in den letzten zwölf Monaten die angenehmsten Erfahrungen darüber gemacht, was Eide zu bedeuten haben. Wir haben auch gar nichts dagegen, daß die "N[eue] Pr[eußische] Z[eitung]" das Militär dem Könige, dem Dalai-Lama oder dem Mann im Monde Treue schwören läßt, sobald nur "Mein herrliches Kriegsheer" in der dargestellten Weise den Gesetzen gegenüber ganz so gestellt wird, wie das Militär in England.