Der Hohenzollernsche Gesamtreformplan | Inhalt | Die Milliarde

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 351-352
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959

Zensur

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 246 vom 15. März 1849]

<351> *Köln, 4. März. Die deutsche Tagespresse ist doch wirklich das schlaffste, schläfrigste und feigste Institut, das unter der Sonne besteht! Die größten Infamien können vor ihren Augen, gegen sie selbst geschehen, und sie schweigt, sie verheimlicht alles; wenn man es nicht durch einen Zufall erführe, durch die Presse würde man gewiß nicht erfahren, was die Gnade Gottes an einzelnen Orten für herrliche Märzveilchen zutage gefördert hat.

In Düsseldorf versuchte der Bürger und Kommunist Drigalski, im vorigen Herbst die Zensur unter dem Vorwande des Belagerungszustandes wieder einzuführen. <Siehe "Drigalski der Gesetzgeber, Bürger und Kommunist"> Zwei Tage gelang es; aber der Sturm der öffentlichen Meinung zwang die Herren Säbelschlepper, ihre Zensurgelüste sofort wieder fallenzulassen.

Und wie sieht es in den alten Provinzen aus?

Seit drei Monaten besteht in zwei verschiedenen Distrikten die Zensur in voller Glorie, und die gesamte altpreußische Presse läßt diesen unerhörten Eingriff in ihre Rechte ruhig hingehen!

Man höre:

Rosenberg in Schlesien, 7. März. Der "Rosenberg-Kreuzburger Telegraph" bringt an der Spitze der Nr. 19 folgende Erklärung:

"Die verehrten Leser unseres Blattes ersuchen wir, die verspätete Ausgabe dieser Nummer und deren Unvollständigkeit nicht uns zur Last zu legen, sondern berücksichtigen zu wollen, daß wir uns noch immer im Belagerungszustande befinden und der 'Telegraph' - welcher in der letzten Zeit von dem zum Abgeordneten für die zweite Kammer erwählten hiesigen königl. Landrat Herrn Sack zensiert worden - nach dessen Abreise nach Berlin nun unter direkte Militärzensur gestellt worden ist.

Die Redaktion"

<352> Ferner:

In Erfurt besteht die Zensur seit dem 25. November ebenfalls ungehindert. Die dortige Presse wurde zuerst von Herrn F. W. Huthsteiner, jetzigem Polizeiinspektor, Exredakteur der unter der Zensur einmal liberal gewesenen "Barmer Zeitung", angeblichem Liberalen resp. Demokraten, späterem Untergebenen Dunckers und fortwährendem preußischen Polizisten, zensiert. Obwohl dieser Ehrenmann sogar Artikel aus der unglücklichen Berliner "National-Zeitung" strich (!), so fand man seine Amtsübung doch noch nicht preußisch genug und ersetzte ihn durch einen Offizier. In Erfurt besteht also ebenfalls Militärzensur.

Damit nicht genug, führt man auch die Zensur der im Auslande, d.h. außerhalb des Belagerungsrayons gedruckten Blätter und Schriften ein. Das "Erfurter Adreßblatt" vom 7. Februar enthält folgende Bekanntmachung:

"Auf Anordnung der kgl. hochl[öblichen] Kommandantur, hier, wird das hiesige Publikum bei 'angemessener Polizeistrafe' und bei 'sofortiger Verhaftung' verwarnt, auswärts gedruckte Schriften, welche die Maßregeln der Regierung verdächtigen oder gar in gehässiger Opposition angreifen und auf diese Weise dahin wirken, die Gemüter der Einwohnerschaft der bestehenden konstitutionellen Regierung zu entfremden oder auch geeignet sind, Erbitterung gegen gewisse Einwohnerklassen und dadurch Aufregung und Unfrieden in hiesiger Stadt hervorzurufen, hier zu verbreiten oder zu affichieren.

Erfurt, 5. Februar 1849

Der Magistrat, Polizeiverwaltung"

Die Wiedereinführung der Zensur, die Verbesserung der gewöhnlichen durch die Militärzensur - das sind doch wohl Sachen, die die Presse nahe genug angehen. Und die Presse der benachbarten Orte, die Breslauer, die Berliner, die Leipziger Presse, nimmt das hin, als verstände sich das alles von selbst! In der Tat, die deutsche Presse ist noch immer die alte "gute Presse".

Unsre schläfrigen Deputierten in Berlin aber fragen wir, ob sie denn noch immer nicht dazu übergehen werden, die Versetzung der Minister in Anklagestand unverzüglich zu beantragen?