Zensur | Inhalt | Der Frankfurter Märzverein und die "Neue Rheinische Zeitung"

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 353-356
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959

Die Milliarde

["Neue Rheinische" Zeitung Nr. 247 vom 16. März 1849]

<353> *Köln, 15. März. Schon kurze Zeit nach der Februarrevolution trat in Paris die Geldnot ein. Respect de la propriété <Respektierung des Eigentums> war allgemein proklamiert worden, und die armen Kleinbürger bezogen dies auf sich. Die provisorische Regierung war um so bereitwilliger mit ihrem respect de la propriété, als ihr die Bank gleich auf der Stelle 50 Millionen ohne Interessen <zinslos> vorschoß. Die provisorische Regierung war größtenteils aus Kleinbürgern des "National" zusammengesetzt und ließ sich durch die Großmut der Bank täuschen. Die 50 Millionen waren bald auf. Während der Zeit hatten die Aktionäre und Besitzer von Bankbilletten Zeit gehabt, den respect de la propriété auf die beste Weise zu benutzen und ihr Metall von der Bank zurückzuholen. Die Kleinbürger, die ihrerseits ebenfalls den respect de la propriété sich zunutze machen wollten, gingen zu ihrem Bankier hin, um ihre Wechsel, die auf ihr propriété, d.h. auf ihre Industrie, ihre Boutique <Handelsgeschäft> oder ihre Fabrik gezogen waren, sich eskomptieren zu lassen: die Bankiers schoben den Geldmangel vor und verweigerten zu eskomptieren. Sie gingen zu andern Bankiers hin, um sich ihre Wechsel von ihren Bankiers endossieren und bei der Bank eskomptieren zu lassen: die Bankiers verweigern ihr Endossement. Respect de la propriété! Also gerade die Bankiers waren es, welche zuerst den respect de la propriété verletzten, während sie selbst diesen Respekt recht gut zu exploitieren wußten. Da fing dann die allgemeine Klage an, daß der Kredit, die Confiance <das Vertrauen> verschwunden seien. Die Kleinbürger dagegen gaben immer noch ihren respect de la propriété nicht auf; sie meinten, wenn "die Ruhe und Ordnung" wiederhergestellt, würde die Confiance auch wiederkommen, und dann würden schon auf ihr propriété hin ihre Wechsel eskomptiert werden. Man weiß, wie nach der Junischlacht, als die Ruhe und Ordnung hergestellt, die ganze propriété in die Tasche der Bankiers gekommen infolge der gerichtlichen Konkordate, und wie die Kleinbürger die Bedeutung des "respect" erst ver- <354> standen, als ihnen die "propriété" treiben gegangen war. Diejenigen, welche damals am meisten infolge der von der großen Bourgeoisie herbeigeführten Geldkrisis litten, waren offenbar die Arbeiter. Zu gleicher Zeit als die provisorische Regierung die famose 45-Centimes-Steuer erfand, um ihrer eigenen Not abzuhelfen, erschien an den Mauern ein von Arbeitern unterschriebenes Plakat, welches mit den Worten anfing: avez-vous besoin d'argent? (Braucht Ihr Geld?) In diesem Plakate wurde geradezu darauf angetragen, die Milliarde zurückzuverlangen, welche 1825 den Emigranten als Entschädigung bewilligt worden. Wer waren die damaligen Emigranten? Gerade diejenigen, welche im Auslande den Krieg gegen Frankreich angeregt und unterhalten haben, und welche nun im Gefolge des Auslands wieder nach Frankreich zurückgekehrt sind. Wer befand sich unter den Emigranten, denen die Entschädigung zugute kam? Der Herzog von Orleans, d.h. der eben fortgejagte König, und die Legitimisten, d.h. die Freunde des längst fortgejagten Königs. Die Konstituante und der Konvent hatten die Konfiskation der Güter der verräterischen Emigranten verordnet; die zurückgekehrten Könige und Emigranten der beiden Restaurationen hatten sich selbst und ihren Freunden die Indemnität oktroyiert. Die Könige waren wieder fortgejagt, die Beschlüsse der Konstituante und des Konvents erhielten wieder ihre volle Gültigkeit, und was natürlicher, als daß die Indemnität dem Volks wieder zugute kommen mußte. Das Plakat, in welchem die Wiedereinforderung der Milliarde in dieser Weise auseinandergesetzt wurde, ward von den Arbeitern mit allgemeinem Jubel gelesen; sie standen zu Tausenden vor dem Plakate und diskutierten darüber nach ihrer Weise. Dies dauerte einen ganzen Tag; den andern Tag war das Plakat wie von den Mauern verschwunden. Die Legitimisten und Orleanisten, welche die ganze Gefahr, womit sie bedroht waren, erkannten, hatten für schweres Geld Leute gedungen, die eigens damit beauftragt waren, nächtlicherweise dieses Plakat bis auf die letzte Spur zu vernichten. Man war damals im Strudel der neuen Organisationspläne. Alle Welt dachte nur daran, ein neues System zu erfinden, um es sogleich trotz aller bestehenden Verhältnisse in den "Staat" einzuführen. Die provisorische Regierung verfiel auf den unglücklichen Einfall, die 45-Centimes-Steuer auf die Bauern zu erfinden: Die Arbeiter glaubten, daß die 45 Centimes dieselbe Wirkung hervorbrächten wie die Milliarde: eine Besteuerung des Grundbesitzes - und ließen die Milliarde fahren. Das "Journal des Débats", so wie der stupide "National" bestärkten sie in dieser Meinung und setzten in ihren leitenden Artikeln auseinander, daß das wahre Kapital die "Erde", der Urgrundbesitz sei und daß die provisorische Regierung ein vollkommenes Recht habe, diese Steuer zugunsten der Arbeiter zu erheben. Als man zur wirklichen <355> Erhebung schritt, da entstand von seiten der Bauern ein Mordgeschrei gegen die Arbeiter der Städte. "Was?" sagten die Bauern, "wir sind schlimmer daran als die Arbeiter; wir müssen gegen schwere Interessen Kapitalien auf nehmen, um eben unser Land bestellen und unsere Familien ernähren zu können, und wir sollen außer den Steuern und den Interessen für den Kapitalisten noch ein Unterhaltsgeld für die Arbeiter zahlen?"

Die Bauern wurden der Revolution abtrünnig, weil sie ihre Interessen, statt zu befördern, noch mehr beeinträchtigte. Die Arbeiter erkannten die Hinterlist der von der reaktionären Partei angeregten Steuer, der respect de la propriété wurde auch ihnen jetzt erst klar: der Unterschied zwischen dem formellen und dem wirklichen Eigentume trat zum Vorschein; es stellte sich heraus, daß das bürgerliche Kapital den Boden sozusagen von der Erde losgewunden hatte, daß der formelle Eigentümer des Bodens ein Vasall des Kapitalisten geworden und daß die Steuer nur den verschuldeten Vasallen traf. Als nun noch gar der wirkliche Grundbesitzer durch Entziehung des Kredits, durch Pfändung usw. dem armen Bauer erst recht seinen Einfluß fühlen ließ, da wurde ihm erst recht die Revolution verhaßt. Die Legitimisten, die durch ihren großen Grundbesitz vielen Einfluß aufs Land hatten, exploitierten dieses Verhältnis, und da entstanden dann die Umtriebe der Royalisten für Heinrich V. Unter diesem für die Revolution betrübenden Verhältnisse nahte der 15. Mai heran. Die Milliarde von Barbès, obgleich in einer andern Gestaltung vorgebracht, fiel wie ein Blitz abermals ins Volk und zündete. Selbst die Junischlacht konnte diesen Gedanken an die Milliarde nicht ersticken, und jetzt, wo der Prozeß von Barbès in Bourges verhandelt wird, hat derselbe Fleisch und Blut unter den Bauern gewonnen. Die Milliarde, welche sie, die Bauern, aufgetrieben haben, von den Legitimisten, ihren Grundherren und Blutsaugern, zurückzuverlangen - das ist eine andere Lockspeise wie Napoleon. Die Agitation für die Rückzahlung derselben hat sich bereits über ganz Frankreich verbreitet, und wenn darüber durch das allgemeine Stimmrecht entschieden werden sollte, so würde sie noch mehr Stimmen erhalten als Napoleon. Die Milliarde ist die erste revolutionäre Maßregel, welche die Bauern in die Revolution schleudert. Die Petitionen, welche von allen Seiten einlaufen, der Ton, in welchem diese Petitionen abgefaßt sind, beweisen, daß dieselbe bereits Grund und Boden gefaßt hat. In Cluny verlangt man nicht allein die Milliarde zurück, sondern auch die Interessen zu 3 Prozent, welche dieselbe seit 1825 abgeworfen hat. Seit dem Prozesse in Bourges häufen sich die Petitionen auf eine Weise, welche den Richtern in Bourges sowohl als der ganzen reaktionären Partei unheimlich zu werden anfängt. Agey, Ancey, Malain, St. Wibaldt, Vittaux und eine Masse anderer Gemein- <356> den haben heute wieder Petitionen durch ihre Volksrepräsentanten an die Kammer gelangen lassen. Unter der Überschrift "Rappel du Milliard" <"Rückgabe der Millarde"> tragen die Journale tagtäglich die Namen neuer Gemeinden ein, die sich dieser großartigen Maßregel anschließen. Bald wird man auf allen Mauern, in allen Gemeinden lesen: "Rappel du Milliard", und wenn erst die bevorstehenden Wahlen unter diesem Rufe geschehn, dann wollen wir sehn, was die Kapitalisten, ob sie Legitimisten oder Orleanisten oder Bourgeois heißen, dieser Milliarde entgegenzusetzen haben, um die demokratischen Kandidaten zu verdrängen, die mit der Mitgift dieser Milliarde in die neue Kammer treten wollen, um sie als Apanage-Gelder den Bauern und Arbeitern zugute kommen zu lassen. Aber das ist noch nicht alles: Louis-Napoleon hatte den Bauern allenthalben versprochen, nicht allein die Rückerstattung der 45-Centimes-Steuer, sondern eine Erleichterung der Steuern im allgemeinen. In den Petitionen wird allgemein gefordert, daß die Milliarde großenteils dazu verwendet werde. Was nun die juristische Begründung der Rückerstattung selbst an betrifft, so ist dieselbe bereits unmittelbar nach der Julirevolution 1830 konstatiert worden. Man hielt damals mit der Auszahlung der von der Milliarde noch übriggebliebenen Gelder plötzlich ein. Wenn man das bereits Ausgezahlte damals nicht zurückerstatten ließ, so hatte dies keinen andern Grund als weil eben Louis-Philippe und seine Familie einen sehr großen Teil von diesen Geldern erhalten hatten.

Die kontrerevolutionäre Partei, in der Unmöglichkeit, die Gerechtigkeit dieser Maßregel bestreiten zu können, begnügt sich einstweilen, auf die Schwierigkeit der Ausführung aufmerksam zu machen. Die Schwierigkeit nämlich bestände darin, diejenigen ausfindig zu machen, welche von dieser bewilligten Entschädigung mehr oder minder große Summen bezogen haben. Nichts leichter als dies. Fangen wir mit den großen Summen an. An der Spitze der Liste steht der Herzog von Orleans (der spätere Louis-Philippe) und seine Schwester M[a]d[ame] Adelaide mit 50 Millionen, und diese Millionen brauchte man nur auf die unendlichen Güter aufzunehmen, welche die Nationalversammlung der königl[ichen] Familie noch neulich zurückerstattet hat.

Der Prinz von Condé erhielt 30 Millionen, und wer hat diese 30 Millionen geerbt? Der Herzog von Aumale und Md. de Feuchères. Hier wäre also schon ein schöner Anfang zu machen. Die königliche Familie hat ungeheure Wälder und Güter in Frankreich, und die Bauern fangen schon an zu berechnen, was sie verloren haben, daß man ihnen nicht schon 1830 diese Millionen zurückgegeben hat.