[Auflösung] | Inhalt | Verbot der rheinischen Gemeinderäteversammlung

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 462-466
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959

Lassalle

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 288 vom 3. Mai 1849]

<462> *Köln, 2. Mai. Wir versprachen gestern, auf den Anklageakt gegen Lassalle zurückzukommen.

Lassalle ist angeklagt eines "Verbrechens gegen Art. 87 und 102 des Strafgesetzbuches".

Art. 87 ist gerichtet gegen das "Attentat oder Komplott, dessen Zweck ist, die Bürger oder Einwohner zur Bewaffnung gegen die kaiserliche Gewalt aufzufordern (exciter)".

Art. 102 unterwirft den in der vorhergehenden Sektion (wozu auch Art. 87 gehört) festgestellten Strafen (meist Todesstrafe) alle die, welche durch Reden an öffentlichen Orten und in öffentlichen Versammlungen oder durch angeheftete Plakate die Bürger auffordern (excitent), diese Verbrechen zu begehen. Nur für den Fall, daß die Aufforderung ohne Erfolg blieb, wird die Strafe in Verbannung gemildert.

Wessen ist nun Lassalle angeklagt?

Da er in einem Atem gegen Art. 87 und zugleich gegen Art. 102 gesündigt haben soll, so kann er nur beschuldigt sein:

in der Weise des Art. 102 zu den Verbrechen des Art. 87 aufgefordert zu haben, d.h.:

die Bürger aufgefordert zu haben, ein Attentat oder Komplott zu machen, dessen Zweck die Aufforderung zur Bewaffnung gegen die kgl. Autorität ist, d.h.:

die Bürger aufgefordert zu haben zur Aufforderung zur Bewaffnung!

Das ist für den gewöhnlichen Menschenverstand ein ziemlich handgreiflicher Unsinn. Aber das öffentliche Ministerium und der Anklagesenat haben es einmal so gewollt.

<463> Der Art 102, der die Aufforderung zu den Verbrechen der Art 86-101 der Begehung des Verbrechens selbst gleichstellt, wenn die Aufforderung Folge hat, paßt nämlich ganz gut zu allen diesen Artikeln. Er paßt selbst zu den übrigen Punkten desselben Art. 87. Alle diese Artikel sind nämlich gegen bestimmte Tathandlungen gerichtet, zu denen man aufreizen kann. Z.B. spricht der gegen Attentat und Komplott gerichtete Art. 87 auch von Attentat und Komplott gegen das Leben und die Person des Kaisers, von Attentat und Komplott, dessen Zweck ist, die Regierungsform und die Thronfolge zu ändern oder zu zerstören. Das sind alles Dinge, zu denen man "auffordern" kann. Die Aufforderung zum Königsmord, zur Revolution ist ein mögliches Faktum; die Aufforderung zum Komplott, dessen Zweck Königsmord oder Revolution ist, kann ebenfalls vorkommen. Aber die Aufforderung zur Bildung eines Attentats resp. Komplotts zur Aufforderung zur Bewaffnung gegen die königliche Autorität", mit einem Wort, die Aufforderung zur Aufforderung, das ist ein so unmögliches, so widersinniges Verbrechen wie der " Versuch zum entfernten Versuch des Hochverrats", der so manchem armen Teufel von Burschenschaftler in der alten gottseligen Landrechtszeit zehn Jahre Festung kostete, oder wie das berühmte suspect de Suspicion d'incivisme (verdächtig, des Mangels an Bürgersinn verdächtig zu sein), das legitimistische Brillen in den Gefängnisregister der 93er Schreckenszeit gefunden haben wollen.

Oder aber: Ist die "Aufforderung zur Aufforderung zur Bewaffnung" wirklich ein logisch und juristisch mögliches Verbrechen, so mußte Lassalle, um unter die fragliche Stelle des Art. 87 und unter Art. 102 zu gleicher Zeit zu fallen, nicht wegen der Neußer Rede angeklagt werden, sondern wegen der Adresse an die Nationalversammlung, worin es heißt: "Wir beschwören die Nationalversammlung: Erlassen Sie den Ruf zu den Waffen!"

Hier ist "Aufforderung zur Aufforderung zur Bewaffnung". Es ist aber selbst diesem non plus ultra <Unübertrefflichen> eines Anklageakts nicht eingefallen, in diesen Worten ein Verbrechen zu sehen.

Wie aber kommt das öffentliche Ministerium dazu, aus der langen Reihe von Artikeln der betreffenden Sektion gerade diejenige Stelle hervorzusuchen und mit dem Art. 102 in Verbindung zu bringen, zu der der Art. 102 gar nicht paßt?

Sehr einfach. Auf dem Verbrechen gegen Art. 87 steht Todesstrafe. Und um Lassalle zum Tode verurteilen zu helfen, dafür fand man in der ganzen Rheinprovinz keine Jury. Man zog also vor, den Art. 102 mit hineinzuziehen, der für den Fall, daß die Aufforderung zum "Verbrechen" nicht von Erfolg <464> ist, die Milderung der Strafe in Verbannung vorschreibt. Und dazu, glaubte man, werde sich schon eine Jury bereitfinden lassen.

Um also Lassalle loszuwerden, erfand das öffentliche Ministerium ein unmögliches Verbrechen, verkoppelte es zwei Gesetzstellen, die in dar Verkoppelung keinen andern Sinn haben, als reinen Unsinn.

Also: Entweder ist Lassalle schuldig, den Art. 87 verletzt zu haben, und dann habe man den Mut, ihn direkt zum Tode zu verurteilen; oder er ist nicht schuldig, den Art. 87 verletzt zu haben, und dann hat er auch den Art. 102 nicht verletzt und muß unbedingt freigesprochen werden. Aber den Art. 87 in der angezogenen Stelle und den Art. 102 zu gleicher Zeit zu verletzen, ist eine Unmöglichkeit.

Man merke auf die Schlauheit des öffentlichen Ministeriums. Die Anklage gegen Lassalle fällt eigentlich unter den Art. 87 (Todesstrafe). Darauf ihn anzuklagen, wagt man nicht: man klagt ihn auf Art. 87 in Verbindung mit Art. 102 an (Verbannung); und wenn das nicht hilft, wenn die Geschwornen ihn freisprechen, so stellt man ihn vor das Zuchtpolizeigericht und schiebt die Artikel 209 und 217 (sechs Tage bis ein Jahr Gefängnis) vor. Und alles das für ein und dasselbe Faktum, für seine Tätigkeit als Agitator während der Steuerverweigerungs-Bewegung!

Sehen wir uns jetzt das eigentliche Corpus delicti, die Neußer Rede vom 21. Nov. einmal an.

Lassalle ist angeklagt, zur Bewaffnung gegen die kgl. Macht direkt aufgefordert zu haben.

Nach den drei Zeugenaussagen, auf die der Anklageakt sich beruft, hat Lasssalle allerdings die Neußer sehr direkt aufgefordert, sich zu bewaffnen, Munition zu beschaffen, mit Waffengewalt die errungenen Freiheiten zu wahren, die Nationalversammlung durch aktives Handeln zu unterstützen usw. Nun ist die Aufforderung zur Bewaffnung überhaupt keineswegs ein Vergehen oder gar ein Verbrechen, am allerwenigsten seit der Revolution und dem Gesetz vom 6. April 1 848, das jedem Preußen das Recht garantiert, Waffen zu tragen. Die Aufforderung zur Bewaffnung wird erst strafbar nach dem Code, wenn die Bewaffnung gegen einzelne Beamte (Rebellion) oder gegen die königl. Macht, resp. gegen einen andern Teil der Bürger sich richtet (Aufruhr). Hier ist es speziell die Aufforderung und zwar die direkte Aufforderung zur Bewaffnung gegen die königl. Macht.

In allen drei Zeugenaussagen steht aber kein Wort von Bewaffnung gegen die königl. Macht; es ist bloß von Bewaffnung zum Schutze der Nationalversammlung die Rede. Und die Nationalversammlung war ein gesetzlich berufenes, gesetzlich bestehendes Organ, ein wesentlicher Teil der gesetz- <465> gebenden, ja hier sogar der konstituierenden Gewalt. Gerade so hoch wie die konstituierende Gewalt über der vollstreckenden steht, gerade so hoch stand die Nationalversammlung über der "königlichen Regierung". Zum Schutz dieser neben dem König höchsten gesetzlichen Behörde des Landes eine allgemeine Volksbewaffnung provozieren gilt bei unsern Parquets für ein schweres Verbrechen!

Die einzige Stelle, in der eine feine Prokuratorennase eine entfernte Beziehung auf die "kgl. Regierung" entdecken könnte, wäre die von den Batterien in Neuß. Aber fordert Lassalle die Neußer auf, fordert er sie gar, wie der Anklageakt in seinem Resumé behauptet und wie es zu einer Verurteilung nötig ist, "direkt" auf, daß sie sich bewaffnen sollen, um die Batterien des linken Rheinufers zu nehmen?

Im Gegenteil! Er fordert sie weder "direkt" noch indirekt dazu auf. Er sagt bloß, die Düsseldorfer erwarteten, die Neußer würden diese Batterien nehmen. Und diese bloß ausgesprochene "Erwartung" ist nach der Meinung des wohllöblichen Parquets eine excitation directe, eine direkte Aufforderung zur Bewaffnung gegen die kgl. Macht!

Also in der ganzen wirklichen, offen zum Schutz der Nationalversammlung organisierten und doch wohl gegen niemand anders als die preußischen Truppen, d.h. gegen die kgl. Regierung (le gouvernement de l'empereur) gerichteten Bewaffnung von Düsseldorf liegt kein Verbrechen, liegt bloß das Vergehen des Widerstandes gegen einzelne Beamte; und in dieser bloßen Äußerung, in diesen vier Worten liegt ein schweres Kriminalverbrechen!

Was Lassalle getan hat, wagt man nicht anzuschuldigen; was er gesagt hat, soll ein schweres Verbrechen sein. Und was hat er gesagt? Daß man erwarte, die Neußer würden Batterien nehmen. Und wer, sagt er, erwartet dies - etwa er selbst, Lassalle? Im Gegenteil, die Düsseldorfer!

Lassalle sagt: Dritte Personen erwarten, daß ihr dies oder jenes tun werdet, und nach der Logik des öffentlichen Ministeriums ist das eine "direkte Aufforderung" an euch, das Erwartete wirklich zu tun.

In Berlin haben die Minister jetzt die Kammer aufgelöst und präparieren sich zu weitern Oktroyierungen. Setzen wir den Fall, heute würde das allgemeine Stimmrecht gewaltsam abgeschafft, das Vereinsrecht unterdrückt, die Preßfreiheit vernichtet. Wir sagen: Wir erwarten, daß das Volk auf diesen schmählichen Treubruch mit Barrikaden antworten wird - so haben wir, sagt das Parquet, die Berliner Bürger damit "direkt aufgefordert", sich gegen die königliche Gewalt zu bewaffnen, und wenn es nach dem Wunsche des Parquets geht, werden wir nach Umständen zum Tode oder zur Verbannung verurteilt!

<466> Das Geheimnis des ganzen Prozesses gegen Lassalle ist der Tendenzprozeß gegen den lästigen Agitator. Es ist ein versteckter Prozeß wegen "Erregung von Mißvergnügen", wie wir bis zum März das Vergnügen hatten, sie auch hier am Rhein zu genießen. Geradeso ist der Prozeß gegen Weyers ein versteckter Prozeß wegen Majestätsbeleidigung. Weyers hat gesagt: "Tod dem Könige", und: "Man darf dem König die Krone keine Viertelstunde länger lassen": und diese paar, nach den Begriffen des Code pénal sehr unschuldigen Worte sollen ebenfalls "direkte Aufforderung zur Bewaffnung" enthalten!

Und selbst wenn Lassalle wirklich zur Bewaffnung wider die königliche Gewalt aufgefordert hat, was dann? Stellen wir uns auf den konstitutionellen Standpunkt, sprechen wir nach konstitutionellen Begriffen. War es nicht die Pflicht eines jeden Bürgers, damals, im November, nicht nur "zur Bewaffnung aufzufordern", nein, sich selbst zu bewaffnen zum Schutz der konstitutionellen Volksvertreter, gegen eine wortbrüchige "königliche Regierung", die die Versammlung der Volksvertreter mit Soldaten von Hotel zu Hotel jagte, ihre Sitzungen sprengte, ihre Papiere den Soldaten zu Fidibus und zur Ofenheizung überließ, und sie selbst zuletzt nach Hause jagte? War nicht nach den Beschlüssen des Vereinigten Landtags, nach dem berühmten Rechtsboden des Herrn Camphausen, von den Eroberungen des 19. März gar nicht zu sprechen, die Versammlung "gleichberechtigte Kontrahentin" mit der Krone? Und eine solche Versammlung soll man nicht gegen Übergriffe der sogenannten "königlichen Regierung" schützen dürfen?

Man hat übrigens gesehen, wie es der "königlichen Regierung" zur andern Natur geworden ist, die Volksvertreter mit Fußtritten zu behandeln. Die oktroyierten Kammern sind kaum zwei Monate zusammen, so jagt dieselbe königliche Regierung sie beim ersten mißliebigen Beschluß auseinander - dieselben Kammern, die angeblich die Verfassung revidieren sollten! Jetzt haben die Kammern die oktroyierte Verfassung für gültig anerkannt, und jetzt wissen wir erst recht nicht, ob wir eine Verfassung haben oder nicht. Wer weiß, was uns morgen oktroyiert wird!

Und die Leute, die das alles vorhergesehen, die danach gehandelt, die sich diesem gewalttätigen Treiben einer hochfahrenden Kamarilla energisch widersetzen wollten, die sich nach den Anschauungen aller konstitutionellen Länder und besonders Englands vollständig auf dem Rechtsboden befanden, solche Laute läßt Manteuffel, Simons und Kompanie arretieren, sechs Monate in Haft halten und schließlich vor die Geschworenen stellen, der Aufreizung zum Aufruhr angeklagt!

Geschrieben von Friedrich Engels.