II - Der 13. Juni 1849 | Inhalt und Einleitung | IV - Die Abschaffung des allgemeinen Stimmrechts 1850

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 7, "Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848-1850", S. 64-94
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960

III
Folgen des 13. Juni 1849
Vom 13. Juni 1849 bis 10. März 1850

<64> Am 20. Dezember hatte der Januskopf der konstitutionellen Republik nur noch ein Gesicht gezeigt, das exekutive Gesicht mit den verschwimmend flachen Zügen L. Bonapartes, am 28. Mai 1849 zeigte er sein zweites Gesicht, das legislative, übersäet von den Narben, welche die Orgien der Restauration und der Julimonarchie zurückgelassen hatten. Mit der legislativen Nationalversammlung war die Erscheinung der konstitutionellen Republik vollendet, d.h. der republikanischen Staatsform, worin die Herrschaft der Bourgeoisklasse konstituiert ist, also die gemeinschaftliche Herrschaft der beiden großen royalistischen Fraktionen, welche die französische Bourgeoisie bilden, der koalisierten Legitimisten und Orleanisten, der Partei der Ordnung. Während so die französische Republik der Koalition der royalistischen Parteien als Eigentum anheimfiel, unternahm gleichzeitig die europäische Koalition der kontrerevolutionären Mächte einen allgemeinen Kreuzzug gegen die letzten Zufluchtsstätten der Märzrevolutionen. Rußland fiel in Ungarn ein, Preußen marschierte gegen die Reichsverfassungsarmee und Oudinot bombardierte Rom. Die europäische Krise ging offenbar einem entscheidenden Wendepunkt zu, die Augen von ganz Europa richteten sich auf Paris und die Augen von ganz Paris auf die legislative Versammlung.

Am 11. Juni bestieg Ledru-Rollin ihre Tribüne. Er hielt keine Rede, er formulierte ein Requisitorium gegen die Minister, nackt, prunklos, tatsächlich, konzentriert, gewaltsam.

Der Angriff auf Rom ist ein Angriff auf die Konstitution, der Angriff auf die römische Republik ein Angriff auf die französische Republik. Artikel V der Konstitution lautet: "Die französische Republik verwendet ihre Streitkräfte niemals gegen die Freiheit irgendeines Volkes" - und der Präsident verwendet die französische Armee gegen die römische Freiheit. Artikel 54 der Konstitution verbietet der exekutiven Gewalt irgendeinen Krieg zu erklären, ohne die Zustimmung der Nationalversammlung. Der Beschluß der Konsti- <65> tuante vom 8. Mai befiehlt den Ministern ausdrücklich, die römische Expedition schleunigst ihrer ursprünglichen Bestimmung anzupassen, er untersagt ihnen also ebenso ausdrücklich den Krieg gegen Rom - und Oudinot bombardiert Rom. So rief Ledru-Rollin die Konstitution selbst als Belastungszeugen gegen Bonaparte und seine Minister auf. Der royalistischen Majorität der Nationalversammlung schleuderte er, der Tribun der Konstitution, die drohende Erklärung zu: "Die Republikaner werden der Konstitution Achtung zu verschaffen wissen, durch alle Mittel, sei es selbst durch die Gewalt der Waffen!" "Durch die Gewalt der Waffen!" wiederholte das hundertfache Echo der Montagne. Die Majorität antwortete mit einem furchtbaren Tumult, der Präsident der Nationalversammlung rief Ledru-Rollin zur Ordnung, Ledru-Rollin wiederholte die herausfordernde Erklärung und legte schließlich den Antrag auf Versetzung Bonapartes und seiner Minister in Anklagezustand auf den Präsidententisch nieder. Die Nationalversammlung beschloß mit 361 gegen 203 Stimmen über das Bombardement Roms zur einfachen Tagesordnung überzugehen.

Glaubte Ledru-Rollin die Nationalversammlung durch die Konstitution, den Präsidenten durch die Nationalversammlung schlagen zu können?

Die Konstitution untersagte allerdings jeden Angriff auf die Freiheit fremder Völker, aber was die französische Armee zu Rom angriff, das war nach dem Ministerium nicht die "Freiheit", sondern der "Despotismus der Anarchie". Hatte die Montagne, allen Erfahrungen in der konstituierenden Versammlung zum Trotz, noch immer nicht begriffen, daß die Auslegung der Konstitution nicht denen angehöre, die sie gemacht, sondern nur noch denen, die sie akzeptiert hatten? Daß ihr Wortlaut in ihrem lebensfähigen Sinne gedeutet werden müsse und daß der Bourgeoissinn ihr einzig lebensfähiger Sinn sei? Daß Bonaparte und die royalistische Majorität der Nationalversammlung die authentischen Dolmetscher der Konstitution waren, wie der Pfaffe der authentische Dolmetscher der Bibel und der Richter der authentische Dolmetscher des Gesetzes ist? Sollte die eben frisch aus dem Schoße der allgemeinen Wahlen hervorgegangene Nationalversammlung sich durch die testamentarische Verfügung der toten Konstituante gebunden fühlen, deren lebendigen Willen ein Odilon Barrot gebrochen hatte? Indem sich Ledru-Rollin auf den Beschluß der Konstituante vom 8. Mai berief, hatte er vergessen, daß dieselbe Konstituante am 11. Mai seinen ersten Antrag auf Versetzung Bonapartes und der Minister in Anklagezustand verworfen, daß sie den Präsidenten und die Minister freigesprochen, daß sie so den Angriff auf Rom als "konstitutionell" sanktioniert hatte, daß er nur Appell einlegte gegen ein schon gefälltes Urteil, daß er endlich von der republikanischen Konstituante an die <66> royalistische Legislative appellierte? Die Konstitution selbst ruft die Insurrektion zur Hülfe, indem sie in einem besonderen Artikel jeden Bürger zu ihrem Schutze aufruft. Ledru-Rollin stützte sich auf diesen Artikel. Aber sind nicht gleichzeitig die öffentlichen Gewalten zum Schutze der Konstitution organisiert, und die Verletzung der Konstitution, beginnt sie nicht erst von dem Augenblicke, wo die eine der öffentlichen konstitutionellen Gewalten gegen die andere rebelliert? Und der Präsident der Republik, die Minister der Republik, die Nationalversammlung der Republik befanden sich im harmonischsten Verständnis.

Was die Montagne am 11. Juni versuchte, war "eine Insurrektion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft", d.h. eine rein parlamentarische Insurrektion. Die Majorität der Versammlung sollte, durch die Aussicht auf bewaffnete Erhebung der Volksmassen eingeschüchtert, in Bonaparte und den Ministern ihre eigene Macht und die Bedeutung ihrer eigenen Wahl brechen. Hatte die Konstituante nicht ähnlich versucht, die Wahl Bonapartes zu kassieren, als sie so hartnäckig auf der Entlassung des Ministeriums Barrot-Falloux bestand?

Weder fehlte es aus der Zeit des Konvents an Vorbildern für parlamentarische Insurrektionen, welche das Verhältnis der Majorität und Minorität plötzlich von Grund aus umgewälzt hatten - und sollte der jungen Montagne nicht gelingen, was der alten gelungen war? -, noch schienen die augenblicklichen Verhältnisse einem solchen Unternehmen ungünstig. Die Volksaufregung hatte zu Paris einen bedenklichen Höhepunkt erreicht, die Armee schien ihren Wahlabstimmungen nach der Regierung nicht geneigt, die legislative Majorität selbst war noch zu jung, um sich konsolidiert zu haben, und zudem bestand sie aus alten Herren. Wenn der Montagne eine parlamentarische Insurrektion gelang, fiel ihr das Staatsruder unmittelbar zu. Die demokratische Kleinbürgerschaft ihrerseits wünschte, wie immer, nichts sehnlicher, als den Kampf über ihren Häuptern in den Wolken zwischen den abgeschiedenen Geistern des Parlaments ausgefochten zu sehen. Endlich erreichten beide, die demokratische Kleinbürgerschaft und ihre Vertreter, die Montagne, durch eine parlamentarische Insurrektion ihren großen Zweck, die Macht der Bourgeoisie zu brechen, ohne das Proletariat zu entfesseln oder anders als in der Perspektive erscheinen zu lassen; das Proletariat wäre benutzt worden, ohne gefährlich zu werden.

Nach dem Votum der Nationalversammlung vom 11. Juni fand eine Zusammenkunft statt zwischen einigen Gliedern der Montagne und Delegierten der geheimen Arbeitergesellschaften. Letztere drangen darauf, noch an demselben Abend loszuschlagen. Die Montagne wies diesen Plan entschieden zurück. Sie wollte um keinen Preis die Leitung aus der Hand geben; ihre Bun- <67> desgenossen waren ihr ebenso verdächtig als ihre Gegner, und mit Recht. Die Erinnerung an den Juni 1848 durchwogte lebendiger als je die Reihen des Pariser Proletariats. Gleichwohl war es an die Allianz mit der Montagne gekettet. Sie vertrat den größten Teil der Departements, sie übertrieb ihren Einfluß in der Armee, sie verfügte über den demokratischen Teil der Nationalgarde, sie hatte die moralische Macht der Boutique hinter sich. Wider ihren Willen in diesem Augenblick die Insurrektion beginnen, das hieß für das Proletariat - überdem dezimiert durch die Cholera, in bedeutender Masse aus Paris durch die Arbeitslosigkeit verjagt - die Junitage von 1848 nutzlos wiederholen, ohne die Situation, welche zu dem verzweifelten Kampfe gedrängt hatte. Die proletarischen Delegierten taten das einzig Rationelle. Sie verpflichteten die Montagne, sich zu kompromittieren, d.h. aus den Grenzen des parlamentarischen Kampfes herauszutreten für den Fall, daß ihr Anklageakt verworfen würde. Während des ganzen 13. Juni behauptete das Proletariat dieselbe skeptisch beobachtende Stellung und wartete ein ernstlich engagiertes, unwiderrufliches Handgemenge zwischen der demokratischen Nationalgarde und der Armee ab, um sich dann in den Kampf, und die Revolution über das ihr gesteckte kleinbürgerliche Ziel hinaus zu stürzen. Für den Fall des Sieges war die proletarische Kommune schon gebildet, die neben die offizielle Regierung treten sollte. Die Pariser Arbeiter hatten gelernt in der blutigen Schule des Juni 1848.

Am 12. Juni stellte der Minister Lacrosse selbst in der legislativen Versammlung den Antrag, sofort zur Diskussion des Anklageaktes überzugehen. Die Regierung hatte während der Nacht alle Vorkehrungen zur Verteidigung und zum Angriffe getroffen; die Majorität der Nationalversammlung war entschlossen, die rebellische Minorität auf die Straße hinauszutreiben, die Minorität selbst konnte nicht mehr zurücktreten, die Würfel waren gefallen, 377 Stimmen gegen 8 verwarfen den Anklageakt, der Berg, der sich der Abstimmung enthalten hatte, stürzte grollend in die Propagandahallen der "friedfertigen Demokratie", in die Zeitungsbüros der "Démocratie pacifique".

Die Entfernung aus dem Parlamentsgebäude brach seine Kraft, wie die Entfernung von der Erde die Kraft des Antäus brach, ihres Riesensohnes. Simsons in den Räumen der gesetzgebenden Versammlung, waren sie nur noch Philister in den Räumen der "friedfertigen Demokratie". Eine lange, geräuschvolle, haltlose Debatte entspann sich. Die Montagne war entschlossen, der Konstitution Achtung zu erzwingen mit allen Mitteln, "nur nicht durch die Gewalt der Waffen". In diesem Entschluß wurde sie unterstützt durch ein Manifest und durch eine Deputation der "Verfassungsfreunde". "Freunde der Verfassung", so nannten sich die Trümmer der Koterie des "National", <68> der bourgeoisrepublikanischen Partei. Während von ihren übriggebliebenen parlamentarischen Repräsentanten sechs gegen, die anderen insgesamt für die Verwerfung des Anklageakts gestimmt hatten, während Cavaignac der Partei der Ordnung seinen Säbel zur Verfügung stellte, ergriff der größere außerparlamentarische Teil der Koterie gierig den Anlaß, aus seiner politischen Pariastellung herauszutreten und sich in die Reihen der demokratischen Partei zu drängen. Erschienen sie nicht als die natürlichen Schildhalter dieser Partei, die sich unter ihren Schild versteckte, unter ihr Prinzip, unter die Konstitution?

Bis Tagesanbruch kreißte der "Berg". Er gebar "eine Proklamation an das Volk", die am Morgen des 13. Juni in zwei sozialistischen Journalen eine mehr oder minder verschämte Stelle einnahm. Sie erklärte den Präsidenten, die Minister, die Majorität der gesetzgebenden Versammlung "außerhalb der Konstitution" (hors la constitution) und rief die Nationalgarde, die Armee und schließlich auch das Volk auf, "sich zu erheben". "Es lebe die Konstitution!" war die Parole, die sie austeilte, Parole, die nichts anderes hieß, als "Nieder mit der Revolution!"

Der konstitutionellen Proklamation des Berges entsprach am 13. Juni eine sogenannte friedliche Demonstration der Kleinbürger, d.h. eine Straßenprozession vom Château d'Eau durch die Boulevards, 30.000 Mann, meist Nationalgarden, unbewaffnet, untermischt mit Mitgliedern der geheimen Arbeitersektionen, sich hinwälzend unter dem Rufe: "Es lebe die Konstitution!", mechanisch, eiskalt, mit bösem Gewissen ausgestoßen von den Mitgliedern des Zuges selbst, vom Echo des Volkes, das auf den Trottoirs wogte, ironisch zurückgeworfen, statt donnerartig aufzuschwellen. Es fehlte dem vielstimmigen Gesang die Bruststimme. Und als der Zug vor dem Sitzungsgebäude der "Verfassungsfreunde" vorbeischwankte und auf dem Giebel des Hauses ein gedungener Verfassungsherold erschien, der mit seinem Claqueurhut gewaltig die Lüfte durchsägte und aus einer ungeheuren Lunge das Stichwort "Es lebe die Konstitution" hageldick auf die Köpfe der Wallfahrer niederplumpen ließ, schienen sie selbst einen Augenblick von der Komik der Situation überwältigt. Es ist bekannt, wie der Zug, angekommen an der Mündung der rue de la Paix, in den Boulevards von den Dragonern und Jägern Changarniers durchaus unparlamentarisch empfangen, in einem Nu nach allen Seiten hin auseinanderstob und den spärlichen Ruf "zu den Waffen" nur noch hinter sich warf, damit der parlamentarische Waffenruf vom 11. Juni sich erfülle.

Die Mehrzahl der in der rue du Hasard versammelten Montagne verlief sich, als diese gewaltsame Zersprengung der friedlichen Prozession, als dumpfe Gerüchte vom Morde unbewaffneter Bürger auf den Boulevards, als der wach- <69> sende Straßentumult das Herannahen einer Emeute zu verkünden schienen. Ledru-Rollin, an der Spitze einer kleinen Schar von Deputierten, rettete die Ehre des Berges. Unter dem Schutze der Pariser Artillerie, die sich im Palais National versammelt hatte, begaben sie sich nach dem Conservatoire des arts et métiers <Kunst- und Gewerbemuseum>, wo die 5. und 6. Legion der Nationalgarde eintreffen sollte. Aber die Montagnards harrten vergeblich auf die 5. und 6. Legion; diese vorsichtigen Nationalgarden ließen ihre Repräsentanten im Stich, die Pariser Artillerie selbst verhinderte das Volk, Barrikaden aufzuwerfen, ein chaotisches Durcheinander machte jeden Beschluß unmöglich, die Linientruppen rückten an mit gefälltem Bajonett, ein Teil der Repräsentanten wurde gefangengenommen, ein anderer entkam. So endete der 13. Juni.

Wenn der 23. Juni 1848 die Insurrektion des revolutionären Proletariats, war der 13. Juni 1849 die Insurrektion der demokratischen Kleinbürger, jede dieser beiden Insurrektionen der klassisch-reine Ausdruck der Klasse, von der sie getragen wurde.

Nur zu Lyon kam es zu einem hartnäckigen, blutigen Konflikt. Hier, wo sich die industrielle Bourgeoisie und das industrielle Proletariat unvermittelt gegenüberstehen, wo die Arbeiterbewegung nicht wie in Paris von der allgemeinen Bewegung eingefaßt und bestimmt ist, verlor der 13. Juni im Rückschlage den ursprünglichen Charakter. Wo er sonst in die Provinzen einschlug, zündete er nicht - ein kalter Blitz.

Der 13. Juni schließt die erste Lebensperiode der konstitutionellen Republik, die am 28. Mai 1849 mit dem Zusammentritt der legislativen Versammlung ihre normale Existenz gewonnen hatte. Die ganze Dauer dieses Prologs ist erfüllt von dem geräuschvollen Kampfe zwischen der Partei der Ordnung und der Montagne, zwischen der Bourgeoisie und dem Kleinbürgertum, das sich vergebens gegen die Festsetzung der Bourgeoisrepublik sträubt, für welche es selbst in der provisorischen Regierung, in der Exekutivkommission ununterbrochen konspiriert, für welche es während der Junitage sich fanatisch gegen das Proletariat geschlagen hatte. Der 13. Juni bricht seinen Widerstand und macht die legislative Diktatur der vereinigten Royalisten zu einem fait accompli <zu einer vollendeten Tatsache>. Von diesem Augenblick an ist die Nationalversammlung nur noch ein Wohlfahrtsausschuß der Partei der Ordnung.

Paris hatte den Präsidenten, die Minister und die Majorität der Nationalversammlung in "Anklagezustand" versetzt, sie versetzten Paris in "Belagerungszustand". Der Berg hatte die Majorität der legislativen Versammlung "außerhalb der Konstitution" erklärt, wegen Verletzung der Konstitution über- <70> antwortete die Majorität den Berg der haute-cour <dem Hochgericht> und proskribierte alles, was noch Lebenskraft in ihm besaß. Bis auf einen kopf- und herzlosen Rumpf wurde er dezimiert. Die Minorität war bis zum Versuche einer parlamentarischen Insurrektion gegangen, die Majorität erhob ihren parlamentarischen Despotismus zum Gesetz. Sie dekretierte eine neue Geschäftsordnung, welche die Freiheit der Tribüne vernichtet und den Präsidenten der Nationalversammlung befugt, wegen Verletzung der Ordnung die Repräsentanten mit Zensur, mit Geldstrafen, mit Entziehung der Indemnitätsgelder, mit zeitweiliger Expulsion, mit dem Karzer zu bestrafen. Über den Rumpf des Berges hing sie statt des Schwertes die Rute. Der Rest der Bergdeputierten hätte seiner Ehre geschuldet, in Masse auszutreten. Durch einen solchen Akt wurde die Auflösung der Partei der Ordnung beschleunigt. Sie mußte in ihre ursprünglichen Bestandteile zerfallen von dem Augenblick, wo auch nicht mehr der Schein eines Gegensatzes sie zusammenhielt.

Gleichzeitig mit ihrer parlamentarischen, wurden die demokratischen Kleinbürger ihrer bewaffneten Macht beraubt durch Auflösung der Pariser Artillerie wie der 8., 9. und 12. Legion der Nationalgarde. Die Legion der hohen Finanz dagegen, welche am 13. Juni die Druckereien von Boulé und Roux überfallen, die Pressen zertrümmert, die Büros der republikanischen Journale verwüstet, Redakteure, Setzer, Drucker, Expedienten, Laufburschen willkürlich verhaftet hatte, erhielt von der Tribüne der Nationalversammlung herab ermunternden Zuspruch. Auf der ganzen Oberfläche von Frankreich wiederholte sich die Auflösung der des Republikanismus verdächtigen Nationalgarden.

Neues Preßgesetz, neues Assoziationsgesetz, neues Belagerungszustandsgesetz, die Gefängnisse von Paris überfüllt, die politischen Flüchtlinge verjagt, alle Journale, die über die Grenzen des "National" hinausgehen, suspendiert, Lyon und die fünf umliegenden Departements den brutalen Schikanen des Militärdespotismus preisgegeben, die Parketts allgegenwärtig, das so oft gereinigte Heer der Beamten noch einmal gereinigt - es waren dies die unvermeidlichen, die stets wiederkehrenden Gemeinplätze der siegreichen Reaktion, nach den Massacres und den Deportationen des Juni nur noch erwähnenswert, weil sie diesmal nicht nur gegen Paris, sondern auch gegen die Departements, nicht nur gegen das Proletariat, sondern vor allem gegen die Mittelklassen gerichtet waren.

Die Repressionsgesetze, wodurch die Verhängung des Belagerungszustandes dem Gutachten der Regierung anheimgestellt, die Presse noch fester <71> geknebelt und das Assoziationsrecht vernichtet wurde, absorbierten die ganze legislative Tätigkeit der Nationalversammlung während der Monate Juni, Juli und August.

Indes wird diese Epoche charakterisiert nicht durch die tatsächliche, sondern durch die prinzipielle Ausbeutung des Sieges, nicht durch die Beschlüsse der Nationalversammlung, sondern durch die Motivierung dieser Beschlüsse, nicht durch die Sache, sondern durch die Phrase, nicht durch die Phrase, sondern durch den Akzent und die Geste, welche die Phrase beleben. Das rücksichtslos unverschämte Aussprechen der royalistischen Gesinnung, der verächtlich vornehme Insult gegen die Republik, das kokettierend frivole Ausplaudern der Restaurationszwecke, mit einem Wort, die renommistische Verletzung des republikanischen Anstandes geben dieser Periode eigentümlichen Ton und Färbung. Es lebe die Konstitution! war der Schlachtruf der Besiegten des 13. Juni. Die Sieger waren also entbunden von der Heuchelei der konstitutionellen, d.h. der republikanischen Sprache. Die Kontrerevolution unterwarf Ungarn, Italien, Deutschland, und sie glaubten die Restauration schon vor den Toren von Frankreich. Es entspann sich eine wahre Konkurrenz unter den Reigenführern der Ordnungsfraktionen, ihren Royalismus durch den "Moniteur" zu dokumentieren und ihre etwaigen unter der Monarchie begangenen liberalen Sünden zu beichten, zu bereuen, vor Gott und vor den Menschen abzubitten. Kein Tag verging, ohne daß die Februarrevolution auf der Tribüne der Nationalversammlung für ein öffentliches Unglück erklärt wurde, ohne daß ein beliebiger legitimistischer Provinzialkrautjunker feierlich konstatierte, die Republik niemals anerkannt zu haben, ohne daß einer der feigen Ausreißer und Verräter der Julimonarchie die nachträglichen Heldentaten erzählte, an deren Vollbringung ihn nur die Philanthropie Louis-Philippes oder andere Mißverständnisse verhindert hatten. Was an den Februartagen zu bewundern, es war nicht die Großmut des siegreichen Volkes, sondern die Selbstaufopferung und Mäßigung der Royalisten, welche ihm erlaubt hatten zu siegen. Ein Volksrepräsentant schlug vor, einen Teil der für die Februarverwundeten bestimmten Unterstützungsgelder den Munizipalgarden zuzuwenden, die sich allein an jenen Tagen um das Vaterland verdient gemacht. Ein anderer wollte dem Herzog von Orléans eine Reiterstatue auf dem Karussellplatz dekretiert wissen. Thiers nannte die Konstitution ein schmutziges Stück Papier. Der Reihe nach erschienen auf der Tribüne Orleanisten, um ihre Konspiration gegen das legitime Königtum zu bereuen, Legitimisten, die sich vorwarfen, durch Auflehnen gegen das illegitime Königtum den Sturz des Königtums überhaupt beschleunigt, Thiers, der bereute, gegen Molé, Molé, der bereute gegen Guizot, Barrot, der bereute, gegen alle drei intrigiert <72> zu haben. Der Ruf: "Es lebe die sozial-demokratische Republik!" wurde für unkonstitutionell erklärt; der Ruf: "Es lebe die Republik!" als sozial-demokratisch verfolgt. An dem Jahrestage der Schlacht von Waterloo erklärte ein Repräsentant: "Ich fürchte weniger die Invasion der Preußen als den Eintritt der revolutionären Flüchtlinge in Frankreich." Den Klagen über den Terrorismus, der in Lyon und in den benachbarten Departements organisiert sei, antwortete Baraguey-d'Hilliers: "Ich ziehe den blassen Schrecken dem roten Schrecken vor." (J'aime mieux la terreur blanche que la terreur rouge). Und die Versammlung klatschte jedesmal frenetischen Beifall, sooft ein Epigramm gegen die Republik, gegen die Revolution, gegen die Konstitution, für das Königtum, für die Heilige Allianz von den Lippen ihrer Redner fiel. Jede Verletzung der kleinsten republikanischen Formalitäten, z.B. der Anrede der Repräsentanten mit "Citoyens" enthusiasmierte die Ritter von der Ordnung.

Die Pariser Nachwahlen vom 8. Juli, vorgenommen unter dem Einfluß des Belagerungszustandes und der Enthaltung eines großen Teiles des Proletariats von der Stimmurne, die Einnahme Roms durch die französische Armee, der Einzug der roten Eminenzen und in ihrem Gefolge die Inquisition und der Mönchsterrorismus in Rom fügten neue Siege dem Siege vom Juni hinzu und steigerten den Rausch der Ordnungspartei.

Endlich Mitte August, halb in der Absicht, den eben versammelten Departementsräten beizuwohnen, halb ermüdet von der vielmonatlichen Tendenzorgie, dekretierten die Royalisten eine zweimonatliche Vertagung der Nationalversammlung. Eine Kommission von 25 Repräsentanten, die Creme der Legitimisten und Orleanisten, einen Molé, Changarnier ließen sie mit durchsichtiger Ironie als Stellvertreter der Nationalversammlung und als Wächter der Republik zurück. Die Ironie war tiefer als sie ahnten. Sie, von der Geschichte verurteilt, das Königtum, das sie liebten, stürzen zu helfen, waren von ihr bestimmt, die Republik, die sie haßten, zu konservieren.

Mit der Vertagung der legislativen Versammlung schließt die zweite Lebensperiode der konstitutionellen Republik, ihre royalistische Flegelperiode.

Der Belagerungszustand von Paris war wieder aufgehoben, die Aktion der Presse hatte wieder begonnen. Während der Suspension der sozialdemokratischen Blätter, während der Periode der Repressivgesetzgebung und der royalistischen Poltereien republikanisierte sich der "Siècle", der alte literarische Repräsentant der monarchisch-konstitutionellen Kleinbürger, demokratisierte sich die "Presse", der alte literarische Ausdruck der bürgerlichen Reformers, sozialisierte sich der "National", das alte klassische Organ der republikanischen Bourgeois.

<73> Die geheimen Gesellschaften wuchsen an Ausdehnung und Intensität in dem Maße, als die öffentlichen Klubs unmöglich wurden. Die industriellen Arbeiterassoziationen, als reine Handelskompanien geduldet, ökonomisch nichtig, wurden politisch ebenso viele Bindemittel des Proletariats. Der 13. Juni hatte den verschiedenen halbrevolutionären Parteien die offiziellen Köpfe abgeschlagen, die übrigbleibenden Massen gewannen ihren eigenen Kopf. Die Ordnungsritter hatten mit den geweissagten Schrecken der roten Republik eingeschüchtert, die gemeinen Exzesse, die hyperboreischen Greuel der siegreichen Kontrerevolution in Ungarn, in Baden, in Rom wuschen die "rote Republik" weiß. Und die malkontenten Zwischenklassen der französischen Gesellschaft begannen die Verheißungen der roten Republik mit ihren problematischen Schrecken, den Schrecken der roten Monarchie mit ihrer tatsächlichen Hoffnungslosigkeit vorzuziehen. Kein Sozialist machte in Frankreich mehr revolutionäre Propaganda als Haynau. A chaque capacité selon ses œuvres. <Jedem nach seinen Taten.>

Unterdessen beutete Louis Bonaparte die Ferien der Nationalversammlung aus, um prinzliche Reisen in den Provinzen zu machen, die heißblütigsten Legitimisten pilgrimten nach Ems zu dem Enkel des heiligen Ludwig, und die Masse der ordnungsfreundlichen Volksrepräsentanten intrigierte in den Departementsräten, die eben zusammengekommen waren. Es galt, sie aussprechen zu machen, was die Majorität der Nationalversammlung noch nicht auszusprechen wagte, den Dringlichkeitsantrag auf unmittelbare Revision der Verfassung. Der Konstitution gemäß konnte die Verfassung erst 1852 revidiert werden durch eine eigens zu diesem Behufe zusammengerufene Nationalversammlung. Wenn aber die Mehrzahl der Departementsräte in diesem Sinne sich aussprach, mußte die Nationalversammlung nicht der Stimme Frankreichs die Jungfräulichkeit der Konstitution opfern? Die Nationalversammlung hegte dieselben Hoffnungen von diesen Provinzialversammlungen, welche die Nonnen in Voltaires "Henriade" von den Panduren hegten. Aber die Potiphars der Nationalversammlung hatten es, einige Ausnahmen abgerechnet, mit ebenso vielen Josephs der Provinzen zu tun. Die ungeheure Mehrzahl wollte die zudringliche Insinuation nicht verstehen. Die Revision der Verfassung wurde vereitelt durch die Werkzeuge selbst, wodurch sie ins Leben gerufen werden sollte, durch die Abstimmungen der Departementsräte. Die Stimme Frankreichs, und zwar des bürgerlichen Frankreichs, hatte gesprochen und hatte gegen die Revision gesprochen.

Anfang Oktober trat die legislative Nationalversammlung wieder zusammen - tantum mutatus ab illo <wie anders seit damals>. Ihre Physiognomie war durchaus verändert. <74> Die unerwartete Verwerfung der Revision von seiten der Departementsräte hatte sie in die Grenzen der Konstitution zurück und auf die Grenzen ihrer Lebensdauer hingewiesen. Die Orleanisten waren mißtrauisch geworden durch die Wallfahrten der Legitimisten nach Ems, die Legitimisten hatten Verdacht geschöpft aus den Verhandlungen der Orleanisten mit London, die Journale beider Fraktionen hatten das Feuer geschürt und die wechselseitigen Ansprüche ihrer Prätendenten abgewogen. Orleanisten und Legitimisten vereint grollten über die Umtriebe der Bonapartisten, die in den prinzlichen Reisen hervortraten, in den mehr oder minder durchsichtigen Emanzipationsversuchen des Präsidenten, in der anspruchsvollen Sprache der bonapartistischen Zeitungen; Louis Bonaparte grollte über eine Nationalversammlung, die nur die legitimistisch-orleanistische Konspiration gerecht erfand, über ein Ministerium, das ihn beständig an diese Nationalversammlung verriet. Das Ministerium endlich war in sich selbst gespalten über die römische Politik und über die von dem Minister Passy vorgeschlagene, von den Konservativen als sozialistisch verschriene Einkommensteuer.

Eine der ersten Vorlagen des Ministeriums Barrot an die wiederversammelte Legislative war eine Kreditforderung von 300.000 frs. zur Zahlung des Witwengehaltes der Herzogin von Orléans. Die Nationalversammlung bewilligte es und fügte dem Schuldregister der französischen Nation eine Summe von 7 Millionen frs. hinzu. Während so Louis-Philippe mit Erfolg die Rolle des "pauvre honteux", des verschämten Bettlers fortspielte, wagte das Ministerium weder die Gehaltszulage für Bonaparte zu beantragen, noch schien die Versammlung geneigt, sie zu geben. Und Louis Bonaparte schwankte wie von jeher im Dilemma: Aut Caesar aut Clichy! <Entweder Cäsar oder Clichy! (Clichy - Pariser Gefängnis für bankrotte, zahlungsunfähige Schuldner)>

Die zweite Kreditforderung des Ministers von 9 Millionen frs. für die Kosten der römischen Expedition vermehrte die Spannung zwischen Bonaparte einerseits und den Ministern und der Nationalversammlung andererseits. Louis Bonaparte hatte einen Brief an seinen Ordonnanzoffizier Edgar Ney in den "Moniteur" eingerückt, worin er die päpstliche Regierung an konstitutionelle Garantien band. Der Papst seinerseits hatte eine Ansprache erlassen: "motu proprio", worin er jede Beschränkung der restaurierten Herrschaft zurückwies. Der Brief Bonapartes lüftete mit absichtlicher Indiskretion den Vorhang seines Kabinetts, um sich selbst als wohlwollendes, aber im eigenen Hause verkanntes und gefesseltes Genie den Blicken der Galerie auszusetzen. Er kokettierte nicht das erstemal mit den "verstohlenen Flügel- <75> schlägen einer freien Seele". Thiers, der Berichterstatter der Kommission, ignorierte vollständig Bonapartes Flügelschlag und begnügte sich, die päpstliche Allokution französisch zu verdolmetschen. Nicht das Ministerium, sondern Victor Hugo suchte den Präsidenten zu retten durch eine Tagesordnung, worin die Nationalversammlung ihre Zustimmung zu dem Briefe Napoleons aussprechen sollte. Allons donc! Allons donc! <Ach gehn Sie! Ach gehn Sie!> Unter dieser unehrerbietig leichtfertigen Interjektion begrub die Majorität den Antrag Hugos. Die Politik des Präsidenten? Der Brief des Präsidenten? Der Präsident selbst? Allons donc! Allons donc! Wer Teufel nimmt denn Monsieur Bonaparte au serieux <ernst> ? Glauben Sie, Monsieur Victor Hugo, daß wir Ihnen glauben, daß Sie an den Präsidenten glauben? Allons donc! Allons donc!

Endlich wurde der Bruch zwischen Bonaparte und der Nationalversammlung beschleunigt durch die Diskussion über die Rückberufung der Orléans und Bourbons. In Ermangelung des Ministeriums hatte der Vetter des Präsidenten, der Sohn des Exkönigs von Westfalen, diesen Antrag gestellt, der nichts anderes bezweckte, als die legitimistischen und orleanistischen Prätendenten auf gleiche Stufe oder vielmehr unter den bonapartistischen Prätendenten herabzudrücken, der wenigstens faktisch auf dem Gipfel des Staates stand.

Napoleon Bonaparte war unehrerbietig genug, die Zurückberufung der verjagten Königsfamilien und die Amnestie der Juniinsurgenten zu Gliedern eines und desselben Antrages zu machen. Die Indignation der Majorität nötigte ihn sofort, diese frevelhafte Verkettung des Heiligen und des Verruchten, der Königsracen und der proletarischen Brut, der Fixsterne der Gesellschaft und ihrer Sumpflichter abzubitten und jedem der beiden Anträge den ihm gebührenden Rang anzuweisen. Energisch stieß sie die Zuruckrufung der königlichen Familie zurück, und Berryer, der Demosthenes der Legitimisten, ließ keinen Zweifel über den Sinn dieses Votums. Die bürgerliche Degradation der Prätendenten, das ist es, was man bezweckt! Man will sie des Heiligenscheins berauben, der letzten Majestät, die ihnen geblieben ist, der Majestät des Exils! Was, rief Berryer aus, würde man von dem unter den Prätendenten denken, der, seinen erlauchten Ursprung vergessend, hierher käme, um als einfacher Privatmann zu leben! Deutlicher konnte dem Louis Bonaparte nicht gesagt werden, daß er durch seine Gegenwart nicht gewonnen hatte, daß, wenn die koalisierten Royalisten ihn hier in Frankreich als neutralen Mann auf dem Präsidentenstuhl brauchten, die ernsthaften Kronprätendenten durch die Nebel des Exils den profanen Blicken entrückt bleiben mußten.

Am 1. November antwortete Louis Bonaparte der legislativen Versamm- <76> lung durch eine Botschaft, welche in ziemlich barschen Worten die Entlassung des Ministeriums Barrot und die Bildung eines neuen Ministeriums anzeigte. Das Ministerium Barrot-Falloux war das Ministerium der royalistischen Koalition, das Ministerium d'Hautpoul war das Ministerium Bonapartes, das Organ des Präsidenten gegenüber der legislativen Versammlung, das Ministerium der Kommis.

Bonaparte war nicht mehr der bloß neutrale Mann des 10. Dezembers 1848. Der Besitz der exekutiven Gewalt hatte eine Anzahl von Interessen um ihn gruppiert, der Kampf mit der Anarchie zwang die Partei der Ordnung selbst, seinen Einfluß zu vermehren, und wenn er nicht mehr populär war, war sie unpopulär. Die Orleanisten und Legitimisten, konnte er nicht hoffen, durch ihre Rivalität wie durch die Notwendigkeit irgendeiner monarchischen Restauration sie zur Anerkennung des neutralen Prätendenten zu zwingen?

Vom 1. November 1849 datiert die dritte Lebensperiode der konstitutionellen Republik, Periode, die mit dem 10. März 1850 schließt. Nicht nur beginnt das regelmäßige Spiel der konstitutionellen Institutionen, das Guizot so sehr bewundert, der Krakeel zwischen der exekutiven und gesetzgebenden Gewalt. Den Restaurationsgelüsten der vereinigten Orleanisten und Legitimisten gegenüber vertritt Bonaparte den Titel seiner tatsächlichen Macht, die Republik; den Restaurationsgelüsten Bonapartes gegenüber vertritt die Partei der Ordnung den Titel ihrer gemeinsamen Herrschaft, die Republik; den Orleanisten gegenüber vertreten die Legitimisten, den Legitimisten gegenüber vertreten die Orleanisten den Status quo, die Republik. Alle diese Fraktionen der Ordnungspartei, deren jede ihren eigenen König und ihre eigene Restauration in petto hat, machen wechselseitig den Usurpations- und Erhebungsgelüsten ihrer Rivalen gegenüber die gemeinsame Herrschaft der Bourgeoisie, die Form geltend, worin die besonderen Ansprüche neutralisiert und vorbehalten bleiben - die Republik.

Wie Kant die Republik als einzig rationelle Staatsform zu einem Postulat der praktischen Vernunft macht, deren Verwirklichung nie erreicht wird, deren Erreichung aber stets als Ziel angestrebt und in der Gesinnung festgehalten werden muß, so diese Royalisten das Königtum.

So wurde de konstitutionelle Republik, als hohle ideologische Formel aus den Händen der Bourgeoisrepublikaner hervorgegangen, in den Händen der koalisierten Royalisten zur inhaltsvollen lebendigen Form. Und Thiers sprach wahrer, als er ahnte, wenn er sagte: "Wir, die Royalisten, sind die wahren Stützen der konstitutionellen Republik."

Der Sturz des Ministeriums der Koalition, das Erscheinen des Ministeriums der Kommis hat eine zweite Bedeutung. Sein Finanzminister hieß <77> Fould. Fould Finanzminister, das ist die offizielle Preisgebung des französischen Nationalreichtums an die Börse, die Verwaltung des Staatsvermögens durch die Börse und im Interesse der Börse. Mit der Ernennung Foulds zeigte die Finanzaristokratie ihre Restauration im "Moniteur" an. Diese Restauration ergänzte notwendig die übrigen Restaurationen, die ebenso viele Ringe an der Kette der konstitutionellen Republik bilden.

Louis-Philippe hatte nie gewagt, einen wirklichen loup-cervier (Börsenwolf) zum Finanzminister zu machen. Wie sein Königtum der ideale Name für die Herrschaft der hohen Bourgeoisie war, mußten in seinen Ministerien die privilegierten Interessen ideologisch-uninteressierte Namen tragen. Die Bourgeoisrepublik trieb überall in den Vordergrund, was die verschiedenen Monarchien, die legitimistische wie die orleanistische, im Hintergrund versteckt hielten. Sie verirdischte, was jene verhimmelt hatten. An die Stelle der Heiligennamen setzte sie die bürgerlichen Eigennamen der herrschenden Klasseninteressen.

Unsere ganze Darstellung hat gezeigt, wie die Republik vom ersten Tage ihres Bestehens an die Finanzaristokratie nicht stürzte, sondern befestigte. Aber die Konzessionen, die man ihr machte, waren ein Schicksal, dem man sich unterwarf, ohne es herbeiführen zu wollen. Mit Fould fiel die Regierungsinitiative an die Finanzaristokratie zurück.

Man wird fragen, wie die koalisierte Bourgeoisie die Herrschaft der Finanz ertragen und dulden konnte, die unter Louis-Philippe auf der Ausschließung oder Unterordnung der übrigen Bourgeoisfraktionen beruhte?

Die Antwort ist einfach.

Zunächst bildet die Finanzaristokratie selbst einen maßgebend gewichtigen Teil der royalistischen Koalition, deren gemeinsame Regierungsgewalt Republik heißt. Sind nicht die Wortführer und Kapazitäten der Orleanisten die alten Verbündeten und Mitschuldigen der Finanzaristokratie? Ist sie selbst nickt die goldene Phalanx des Orleanismus? Was die Legitimisten betrifft, schon unter Louis-Philippe hatten sie sich praktisch an allen Orgien der Börsen-, Minen- und Eisenbahnspekulationen beteiligt. Überhaupt ist die Verbindung des großen Grundeigentums mit der hohen Finanz ein normales Faktum. Beweis: England, Beweis: selbst Österreich.

In einem Lande wie Frankreich, wo die Größe der nationalen Produktion in unverhältnismäßig untergeordnetem Maße zur Größe der Nationalschuld steht, wo die Staatsrente den bedeutendsten Gegenstand der Spekulation und die Börse den Hauptmarkt für die Anlegung des Kapitals bildet, das sich auf eine unproduktive Weise verwerten will, in einem solchen Land muß eine zahllose Masse von Leuten aus allen bürgerlichen oder halbbürgerlichen Klas- <78> sen an der Staatsschuld, am Börsenspiel, an der Finanz beteiligt sein. Alle diese subalternen Beteiligten, finden sie nicht ihre natürlichen Stützen und Befehlshaber in der Fraktion, die dieses Interesse in den kolossalsten Umrissen, die es im großen und ganzen vertritt?

Das Heimfallen des Staatsvermögens an die hohe Finanz, wodurch ist es bedingt? Durch die beständig anwachsende Verschuldung des Staates. Und die Verschuldung des Staates? Durch das beständige Übergewicht seiner Ausgaben über seine Einnahmen, ein Mißverhältnis, welches zugleich die Ursache und die Wirkung des Systems der Staatsanleihen ist.

Um dieser Verschuldung zu entgehen, muß der Staat entweder seine Ausgaben einschränken, d.h. den Regierungsorganismus vereinfachen, verkürzen, möglichst wenig regieren, möglichst wenig Personal beschäftigen, möglichst wenig in Beziehung zur bürgerlichen Gesellschaft treten. Dieser Weg war unmöglich für die Partei der Ordnung, deren Repressionsmittel, deren offizielle Einmischung von Staats wegen, deren allseitige Gegenwart durch Staatsorgane in demselben Maße zunehmen mußten, als ihre Herrschaft und die Lebensbedingungen ihrer Klasse vielseitiger bedroht wurden. Man kann die Gendarmerie nicht in demselben Maße vermindern, als die Angriffe auf Personen und Eigentum sich vermehren.

Oder der Staat muß die Schulden zu umgehen suchen und ein augenblickliches, aber vorübergehendes Gleichgewicht in dem Budget hervorbringen dadurch, daß er außerordentliche Steuern auf die Schultern der reichsten Klassen wälzt. Um den Nationalreichtum der Börsenexploitation zu entziehen, sollte die Partei der Ordnung ihren eigenen Reichtum auf dem Altare des Vaterlandes opfern? Pas si bête! <So dumm ist sie nicht!>

Also ohne gänzliche Umwälzung des französischen Staats keine Umwälzung des französischen Staatshaushaltes. Mit diesem Staatshaushalt notwendig die Staatsverschuldung, und mit der Staatsverschuldung notwendig die Herrschaft des Staatsschuldenhandels, der Staatsgläubiger, der Bankiers, der Geldhändler, der Börsenwölfe. Nur eine Fraktion der Ordnungspartei war direkt am Sturze der Finanzaristokratie beteiligt, die Fabrikanten. Wir sprechen nicht von den mittleren, von den kleineren Industriellen, wir sprechen von den Regenten des Fabrikinteresses, die unter Louis-Philippe die breite Basis der dynastischen Opposition gebildet hatten. Ihr Interesse ist unzweifelhaft Verminderung der Produktionskosten, also Verminderung der Steuern, die in die Produktion, also Verminderung der Staatsschulden, deren Zinsen in die Steuern eingehen, also Sturz der Finanzaristokratie.

<79> In England - und die größten französischen Fabrikanten sind Kleinbürger gegen ihre englischen Rivalen - finden wir wirklich die Fabrikanten, einen Cobden, einen Bright, an der Spitze des Kreuzzuges gegen die Bank und die Börsenaristokratie. Warum nicht in Frankreich? In England herrscht die Industrie, in Frankreich die Agrikultur vor. In England bedarf die Industrie des free trade <Freihandels>, in Frankreich des Schutzzolls, des nationalen Monopols neben den anderen Monopolen. Die französische Industrie beherrscht nicht die französische Produktion, die französischen Industriellen beherrschen daher nicht die französische Bourgeoisie. Um ihr Interesse gegen die übrigen Fraktionen der Bourgeoisie durchzusetzen, können sie nicht wie die Engländer an die Spitze der Bewegung treten und gleichzeitig ihr Klasseninteresse auf die Spitze treiben; sie müssen in das Gefolge der Revolution treten und Interessen dienen, die den Gesamtinteressen ihrer Klasse entgegenstehen. Im Februar hatten sie ihre Stellung verkannt, der Februar witzigte sie. Und wer ist direkter bedroht von den Arbeitern als der Arbeitgeber, der industrielle Kapitalist? Der Fabrikant wurde daher notwendig in Frankreich zum fanatischsten Gliede der Ordnungspartei. Die Schmälerung seines Profits durch die Finanz, was ist sie gegen die Aufhebung des Profits durch das Proletariat?

In Frankreich tut der Kleinbürger, was normalerweise der industrielle Bourgeois tun müßte; der Arbeiter tut, was normalerweise die Aufgabe des Kleinbürgers wäre, und die Aufgabe des Arbeiters, wer löst sie? Niemand. Sie wird nicht in Frankreich gelöst, sie wird in Frankreich proklamiert. Sie wird nirgendwo gelöst innerhalb der nationalen Wände, der Klassenkrieg innerhalb der französischen Gesellschaft schlägt um in einen Weltkrieg, worin sich die Nationen gegenübertreten. Die Lösung, sie beginnt erst in dem Augenblick, wo durch den Weltkrieg das Proletariat an die Spitze des Volks getrieben wird, das den Weltmarkt beherrscht, an die Spitze Englands. Die Revolution, die hier nicht ihr Ende, sondern ihren organisatorischen Anfang findet, ist keine kurzatmige Revolution. Das jetzige Geschlecht gleicht den Juden, die Moses durch die Wüste führt. Es hat nicht nur eine neue Welt zu erobern, es muß untergehen, um den Menschen Platz zu machen, die einer neuen Welt gewachsen sind.

Kommen wir auf Fould zurück.

Am 14. November 1849 bestieg Fould die Tribüne der Nationalversammlung und setzte sein Finanzsystem auseinander: Apologie des alten Steuersystems! Beibehaltung der Weinsteuer! Zurückziehen der Einkommensteuer Passys!

<80> Auch Passy war kein Revolutionär, er war ein alter Minister Louis-Philippes. Er gehörte zu den Puritanern von der Force Dufaures und zu den intimsten Vertrauten Testes, des Sündenbocks der Julimonarchie (1). Auch Passy hatte das alte Steuersystem gelobt, die Beibehaltung der Weinsteuer empfohlen, aber er hatte gleichzeitig den Schleier vom Staatsdefizit weggerissen. Er hatte die Notwendigkeit einer neuen Steuer, der Einkommensteuer erklärt, wolle man nicht den Staatsbankerott. Fould, der Ledru-Rollin den Staatsbankerott empfahl, empfahl der Legislative das Staatsdefizit. Er versprach Ersparungen, deren Geheimnis sich später dahin enthüllte, daß sich z.B. die Ausgaben um 60 Millionen verminderten und die schwebende Schuld sich um 200 Millionen vermehrte - Taschenspielerkünste in der Gruppierung der Zahlen, in der Aufstellung der Rechnungsablage, die alle schließlich auf neue Anleihen hinausliefen.

Unter Fould trat die Finanzaristokratie, neben den übrigen eifersüchtigen Bourgeoisfraktionen, natürlich nicht so schamlos korrupt auf wie unter Louis-Philippe. Aber einmal war das System dasselbe, stete Vermehrung der Schulden, Verkleidung des Defizits. Und mit der Zeit trat die alte Börsenschwindelei unverhüllter hervor. Beweis: das Gesetz über die Eisenbahn von Avignon, die mysteriösen Schwankungen der Staatspapiere, einen Augenblick das Tagesgespräch von ganz Paris, endlich die mißglückten Spekulationen Foulds und Bonapartes auf die Wahlen vom 10. März.

Mit der offiziellen Restauration der Finanzaristokratie mußte das französische Volk bald wieder vor einem 24. Februar ankommen.

Die Konstituante, in einem Anfall von Misanthropie gegen ihre Erbin, hatte die Weinsteuer abgeschafft für das Jahr des Herrn 1850. Mit der Abschaffung alter Steuern konnten neue Schulden nicht bezahlt werden. Creton, ein Kretin der Ordnungspartei, hatte die Beibehaltung der Weinsteuer schon vor Vertagung der legislativen Versammlung beantragt. Fould nahm diesen Antrag auf, im Namen des bonapartistischen Ministeriums, und am 20. Dezember 1849, am Jahrestage der Proklamation Bonapartes zum Präsidenten, dekretierte die Nationalversammlung die Restauration der Weinsteuer.

Der Vorredner dieser Restauration war kein Finanzier, es war der Jesuiten- <81> chef Montalembert. Seine Deduktion war schlagend einfach: Die Steuer, das ist die Mutterbrust, woran sich die Regierung stillt. Die Regierung, das sind die Werkzeuge der Repression, das sind die Organe der Autorität, das ist die Armee, das ist die Polizei, das sind die Beamten, die Richter, die Minister, das sind die Priester. Der Angriff auf die Steuer, das ist der Angriff der Anarchisten auf die Schildwachen der Ordnung, die die materielle und geistige Produktion der bürgerlichen Gesellschaft vor den Eingriffen der proletarischen Vandalen beschützen. Die Steuer, das ist der fünfte Gott, neben dem Eigentum, der Familie, der Ordnung und der Religion. Und die Weinsteuer ist unstreitig eine Steuer, und zudem keine gewöhnliche, sondern eine altherkömmliche, eine monarchisch gesinnte, eine respektable Steuer. Vive I'impôt des boissons! Three cheers and one cheer more! <Es lebe die Getränkesteuer! Dreimal Hoch und noch einmal Hoch!>

Der französische Bauer, wenn er sich den Teufel an die Wand malt, malt ihn unter der Gestalt des Steuerexekutors. Von dem Augenblick an, wo Montalembert die Steuer zum Gott erhob, wurde der Bauer gottlos, Atheist, und warf sich dem Teufel in die Arme, dem Sozialismus. Die Religion der Ordnung hatte ihn verscherzt, die Jesuiten hatten ihn verscherzt, Bonaparte hatte ihn verscherzt. Der 20. Dezember 1849 hatte den 20. Dezember 1848 unwiderruflich kompromittiert. Der "Neffe seines Onkels" war nicht der erste seiner Familie, den die Weinsteuer schlug, diese Steuer, die nach dem Ausdruck Montalemberts das Revolutionsunwetter wittert. Der wirkliche, der große Napoleon erklärte auf St. Helena, daß die Wiedereinführung der Weinsteuer mehr zu seinem Sturze beigetragen als alles andere, indem sie ihm die Bauern Südfrankreichs entfremdet habe. Schon unter Louis XIV. die Favoritin des Volkshasses (siehe die Schriften von Boisguillebert und Vauban), von der ersten Revolution abgeschafft, hatte Napoleon sie 1808 unter modifizierter Form wieder eingeführt. Als die Restauration in Frankreich einzog, trabten vor ihr her nicht allein die Kosaken, sondern auch die Verheißungen von der Abschaffung der Weinsteuer. Die gentilhommene <Der Adel> brauchte natürlich der gent taillable à merci et misericorde <dem auf Gnade und Ungnade steuerpflichtigen Volk> nicht Wort zu halten. 1830 versprach die Abschaffung der Weinsteuer. Es war nicht seine Art, zu tun, was es sagte, und zu sagen, was es tat. 1848 versprach die Abschaffung der Weinsteuer, wie es alles versprach. Die Konstituante endlich, die nichts versprach, machte, wie erwähnt, eine testamentarische Verfügung, wonach die Weinsteuer am 1. Januar 1850 verschwinden sollte. Und gerade 10 Tage vor dem 1. Januar 1850 führte die Legislative sie wieder ein, so daß das französische Volk ihr <82> beständig nachjagte, und wenn es sie zur Türe hinausgeworfen hatte, sie durch das Fenster wieder hereinkommen sah.

Der populäre Haß gegen die Weinsteuer erklärt sich daraus, daß sie alle Gehässigkeiten des französischen Steuersystems in sich vereinigt. Die Weise ihrer Erhebung ist gehässig, die Weise ihrer Verteilung ist aristokratisch, denn die Steuerprozente sind dieselben für die gewöhnlichsten, wie für die kostbarsten Weine. Sie nimmt also in geometrischem Verhältnis zu, wie das Vermögen der Konsumenten abnimmt, eine umgekehrte Progressivsteuer. Sie provoziert daher direkt die Vergiftung der arbeitenden Klassen als Prämie auf verfälschte und nachgemachte Weine. Sie vermindert die Konsumtion, indem sie an den Toren aller Städte über 4.000 Einwohner Oktrois errichtet und jede Stadt in ein fremdes Land mit Schutzzöllen gegen den französischen Wein verwandelt. Die großen Weinhändler, noch mehr aber die kleinen, die marchands de vins, die Weinschenken, deren Erwerb von dem Konsum des Weins unmittelbar abhängt, sind ebenso viele erklärte Gegner der Weinsteuer. Und endlich, indem sie den Konsum vermindert, schneidet die Weinsteuer der Produktion den Absatzmarkt ab. Während sie die städtischen Arbeiter unfähig macht, den Wein zu bezahlen, macht sie die Weinbauern unfähig, ihn zu verkaufen. Und Frankreich zählt eine weinbauende Bevölkerung von ungefähr 12 Millionen. Man begreift daher den Haß des Volks im allgemeinen, man begreift namentlich den Fanatismus der Bauern gegen die Weinsteuer. Und zudem sahen sie in ihrer Restauration kein vereinzeltes, mehr oder minder zufälliges Ereignis. Die Bauern haben eine eigene Art historischer Überlieferung, die vom Vater auf den Sohn vererbt, und in dieser historischen Schule munkelte es, daß jede Regierung, solange sie die Bauern betrügen will, die Abschaffung der Weinsteuer verspricht, und sobald sie die Bauern betrogen hat, die Weinsteuer beibehält oder wieder einführt. An der Weinsteuer erprobt der Bauer das Bukett der Regierung, ihre Tendenz. Die Restauration der Weinsteuer am 20. Dezember hieß: Louis Bonaparte ist wie die anderen; aber er war nicht wie die anderen, er war eine Bauernerfindung, und in den Millionen Unterschriften zählenden Petitionen gegen die Weinsteuer nahmen sie die Stimmen zurück, die sie ein Jahr vorher dem "Neffen seines Onkels" gegeben hatten.

Die Landbevölkerung, über zwei Dritteile der französischen Gesamtbevölkerung, besteht größtenteils aus sogenannten freien Grundeigentümern. Die erste Generation, durch die Revolution von 1789 unentgeltlich von den Feudallasten befreit, hatte keinen Preis für die Erde gezahlt. Aber die folgenden Generationen zahlten unter der Gestalt des Bodenpreises, was ihre halbleibeigenen Vorfahren unter der Form der Rente, der Zehnten, der Fron- <83> dienste usw. gezahlt hatten. Je mehr einerseits die Bevölkerung wuchs, je mehr andererseits die Teilung der Erde stieg - um so teurer wurde der Preis der Parzelle, denn mit ihrer Kleinheit nahm der Umfang der Nachfrage für sie zu. In dem Verhältnis aber, worin der Preis stieg, den der Bauer für die Parzelle zahlte, sei es, daß er sie direkt kaufte oder daß er sie von seinen Miterben sich als Kapital anrechnen ließ, in demselben Verhältnisse stieg notwendig die Verschuldung des Bauern, d.h. die Hypothek. Der auf dem Grund und Boden haftende Schuldtitel heißt nämlich Hypotheke, Pfandzettel auf den Grund und Boden. Wie auf dem mittelaltrigen Grundstücke die Privilegien, akkumulieren sich auf der modernen Parzelle die Hypotheken. - Andererseits: In dem Regime der Parzellierung ist die Erde für ihren Eigentümer ein reines Produktionsinstrument. In demselben Maße nun, worin der Grund und Böden geteilt wird, nimmt seine Fruchtbarkeit ab. Die Anwendung der Maschinerie auf Grund und Boden, die Teilung der Arbeit, die großen Veredlungsmittel der Erde, wie Anlegung von Abzugs- und Bewässerungskanälen u.dgl., werden mehr und mehr unmöglich, während die falschen Kosten der Bebauung in demselben Verhältnisse wachsen wie die Teilung des Produktionsinstrumentes selbst. Alles dies, abgesehen davon, ob der Besitzer der Parzelle Kapital besitzt oder nicht. Aber je mehr die Teilung steigt, um so mehr bildet das Grundstück mit dem allerjämmerlichsten Inventarium das ganze Kapital des Parzellenbauers, um so mehr fällt die Kapitalanlage auf Grund und Boden weg, um so mehr fehlen dem Kotsassen Erde, Geld und Bildung, um die Fortschritte der Agronomie anzuwenden, um so mehr macht die Bodenbebauung Rückschritte. Endlich vermindert sich der Reinertrag in demselben Verhältnis, als der Bruttokonsum wächst, als die ganze Familie des Bauern durch ihren Besitz von anderen Beschäftigungen zurückgehalten wird und doch nicht befähigt ist, von ihm zu leben.

In demselben Maße also, worin die Bevölkerung und mit ihr die Teilung des Grund und Bodens zunimmt, in demselben Maße verteuert sich das Produktionsinstrument, die Erde, und nimmt ihre Fruchtbarkeit ab, in demselben Maße verfällt der Ackerbau und verschuldet sich der Bauer. Und was Wirkung war, wird seinerseits zur Ursache. Jede Generation läßt die andere verschuldeter zurück, jede neue Generation beginnt unter ungünstigeren und erschwerenderen Bedingungen, die Hypothezierung erzeugt die Hypothezierung, und wenn es dem Bauer unmöglich wird, in seiner Parzelle ein Unterpfand für neue Schulden zu bieten, d.h. sie mit neuen Hypotheken zu belasten, verfällt er direkt dem Wucher, um so enormer werden die Wucherzinsen.

So kam es, daß der französische Bauer unter der Form von Zinsen für die auf der Erde haftenden Hypotheken, unter der Form von Zinsen für nicht ver- <84> hypothezierte Vorschüsse des Wuchers, nicht nur eine Grundrente, nicht nur den industriellen Profit, mit einem Wort, nicht nur den ganzen Reingewinn an den Kapitalisten abtritt, sondern selbst einen Teil des Arbeitslohnes, daß er also auf die Stufe des irischen Pächters herabsank - und alles unter dem Vorwande, Privateigentümer zu sein.

Dieser Prozeß wurde in Frankreich beschleunigt durch die stets wachsende Steuerlast und durch die Gerichtskosten, teils direkt hervorgerufen durch die Formalitäten selbst, womit die französische Gesetzgebung das Grundeigentum umgibt, teils durch die unzähligen Konflikte der überall sich begrenzenden und durchkreuzenden Parzellen, teils durch die Prozeßwut der Bauern, deren Eigentumsgenuß sich auf die fanatische Geltendmachung des vorgestellten Eigentums, des Eigentumsrechts beschränkt.

Nach einer statistischen Aufstellung von 1840 betrug das Bruttoprodukt des französischen Grund und Bodens 5.237.178.000 frs. Es gehn hiervon ab 3.552.000.000 frs. für Kosten der Bearbeitung, eingeschlossen den Konsum der arbeitenden Menschen. Bleibt ein Nettoprodukt von 1.685.178.000 frs., wovon 550 Millionen für Hypothekenzinsen, 100 Millionen für Justizbeamte, 350 Millionen für Steuern und 107 Millionen für Einschreibungsgeld, Stempelgeld, Hypothezierungsgebühren usw. abzuziehen. Bleibt der dritte Teil des Nettoprodukts, 538 Millionen, auf den Kopf der Bevölkerung verteilt, noch nicht 25 frs. Nettoprodukt. In dieser Rechnung findet natürlich weder der außerhypothekarische Wucher sich aufgeführt, noch die Kosten für Advokaten usw.

Man begreift die Lage der französischen Bauern, als die Republik ihren alten Lasten noch neue hinzugefügt hatte. Man sieht, daß ihre Exploitation von der Exploitation des industriellen Proletariats sich nur durch die Form unterscheidet. Der Exploiteur ist derselbe: das Kapital. Die einzelnen Kapitalisten exploitieren die einzelnen Bauern durch die Hypotheke und den Wucher, die Kapitalistenklasse exploitiert die Bauernklasse durch die Staatssteuer. Der Eigentumstitel der Bauern ist der Talisman, womit das Kapital ihn bisher bannte, der Vorwand, unter dem es ihn gegen das industrielle Proletariat auf hetzte. Nur der Fall des Kapitals kann den Bauern steigen machen, nur eine antikapitalistische, eine proletarische Regierung kann sein ökonomisches Elend, seine gesellschaftliche Degradation brechen. Die konstitutionelle Republik, das ist die Diktatur seiner vereinigten Exploiteurs; die sozial-demokratische, die rote Republik, das ist die Diktatur seiner Verbündeten. Und die Waage steigt oder fällt je nach den Stimmen, welche der Bauer in die Wahlurne wirft. Er selbst hat über sein Schicksal zu entscheiden. - So sprachen die Sozialisten in Pamphlets, in Almanachs, in Kalendern, in Flugschriften aller <85> Art. Verständlicher wurde ihm diese Sprache durch die Gegenschriften der Partei der Ordnung, die sich ihrerseits an ihn wandte und durch die grobe Übertreibung, durch die brutale Auffassung und Darstellung der Absichten und Ideen der Sozialisten den wahren Bauernton traf und seine Lüsternheit nach der verbotenen Frucht überreizte. Am verständlichsten aber sprachen die Erfahrungen selbst, welche die Bauernklasse von dem Gebrauch des Stimmrechts gemacht hatte, und die in revolutionärer Hast Schlag auf Schlag ihn überstürzenden Enttäuschungen. Die Revolutionen sind die Lokomotiven der Geschichte.

Die allmähliche Umwälzung der Bauern trat in verschiedenen Symptomen hervor. Sie zeigte sich schon in den Wahlen zur legislativen Versammlung, sie zeigte sich in dem Belagerungszustand der fünf Lyon begrenzenden Departements, sie zeigte sich einige Monate nach dem 13. Juni in der Wahl eines Montagnards an der Stelle des ehemaligen Präsidenten der Chambre introuvable (2) durch das Departement der Gironde, sie zeigte sich am 20. Dezember 1849 in der Wahl eines Roten an der Stelle eines verstorbenen legitimistischen Deputierten im Departement du Gard, diesem gelobten Lande der Legitimisten, der Szene der furchtbarsten Schandtaten gegen die Republikaner 1794 und 1795, dem Zentralsitz der terreur blanche <des weißen Terrors> von 1815, wo Liberale und Protestanten öffentlich gemordet wurden. Diese Revolutionierung der stationärsten Klasse tritt am augenscheinlichsten hervor nach der Wiedereinführung der Weinsteuer. Die Regierungsmaßregeln und Gesetze während des Januars und Februars 1850 sind fast ausschließlich gegen die Departemente und die Bauern gerichtet. Schlagendster Beweis ihres Fortschrittes.

Zirkular Hautpouls, wodurch der Gendarm zum Inquisitoren des Präfekten, des Unterpräfekten und vor allem des Maire ernannt, wodurch die Spionage bis in die Schlupfwinkel der entlegensten Dorfgemeinde organisiert wurde; Gesetz gegen die Schulmeister, wodurch sie, die Kapazitäten, die Wortführer, die Erzieher und die Dolmetscher der Bauernklasse, der Willkür der Präfekten unterworfen, sie, die Proletarier der Gelehrtenklasse, gleich gehetztem Wild aus einer Gemeinde in die andere gejagt wurden; Gesetzesvorschlag gegen die Maires, wodurch das Damoklesschwert der Absetzung über ihre Häupter verhängt und sie, die Präsidenten der Bauerngemeinden, jeden Augenblick dem Präsidenten der Republik und der Ordnungspartei gegen- <86> übergestellt wurden; Ordonnanz, welche die 17 Militärdivisionen Frankreichs in vier Paschaliks verwandelte und die Kaserne und das Biwak den Franzosen als Nationalsalon oktroyierte; Unterrichtsgesetz, wodurch die Ordnungspartei die Bewußtlosigkeit und die gewaltsame Verdummung Frankreichs als ihre Lebensbedingung unter dem Regime des allgemeinen Wahlrechts proklamierte - was waren alle diese Gesetze und Maßregeln? Verzweifelte Versuche, die Departemente und die Bauern der Departemente der Partei der Ordnung wieder zu erobern.

Als Repression betrachtet, jämmerliche Mittel, die ihrem eigenen Zweck den Hals umdrehten. Die großen Maßregeln, wie die Beibehaltung der Weinsteuer, der 45-Centimes-Steuer, die höhnische Verwerfung der Bauernpetitionen um Rückzahlung der Milliarde usw., alle diese gesetzgeberischen Donnerschläge trafen die Bauernklasse nur einmal, im großen, vom Zentralsitz aus; die angeführten Gesetze und Maßregeln machten den Angriff und den Widerstand allgemein, zum Tagesgespräch jeder Hütte, sie inokulierten die Revolution jedem Dorf, sie lokalisierten und verbauerten die Revolution.

Andererseits, beweisen nicht diese Vorschläge Bonapartes, ihre Annahme von der Nationalversammlung, die Einigkeit der beiden Gewalten der konstitutionellen Republik, soweit es sich um Repression der Anarchie handelt, d.h. aller Klassen, die sich gegen die Bourgeoisdiktatur auflehnen? Hatte Soulouque nicht gleich nach seiner barschen Botschaft die Legislative seines Dévouements für die Ordnung versichert durch die unmittelbar nachfolgende Botschaft Carliers, dieser schmutzig-gemeinen Karikatur Fouchés, wie Louis Bonaparte selbst die plattgedrückte Karikatur Napoleons war?

Das Unterrichtsgesetz zeigt uns die Allianz der jungen Katholiken und der alten Voltairianer. Die Herrschaft der vereinigten Bourgeois, konnte sie etwas anderes sein als der koalisierte Despotismus der jesuitenfreundlichen Restauration und der freigeistigtuenden Julimonarchie? Die Waffen, welche die eine Bourgeoisfraktion gegen die andere unter das Volk verteilt hatte in ihrem wechselseitigen Ringen um die Oberherrschaft, mußten sie dem Volke nicht wieder entrissen werden, seitdem es ihrer vereinigten Diktatur gegenüberstand? Nichts hat den Pariser Boutiquier mehr empört als diese kokette Etalage des Jesuitismus, selbst nicht die Verwerfung der concordats à l'amiable.

Unterdessen gingen die Kollisionen fort zwischen den verschiedenen Fraktionen der Ordnungspartei wie zwischen der Nationalversammlung und Bonaparte. Wenig gefiel der Nationalversammlung, daß Bonaparte gleich nach seinem coup d'état, nach seiner Beschaffung eines eigenen bonapartistischen Ministeriums die neu zu Präfekten ernannten Invaliden der Monarchie vor <87> sich beschied und ihre konstitutionswidrige Agitation für seine Wiederwählung als Präsident zur Bedingung ihres Amtes machte, daß Carlier seine Inauguration feierte mit der Aufhebung eines legitimistischen Klubs, daß Bonaparte ein eigenes Journal "Le Napoleon" stiftete, das die geheimen Gelüste des Präsidenten dem Publikum verriet, während seine Minister auf der Bühne der Legislativen sie verleugnen mußten; wenig gefiel ihr die trotzige Beibehaltung des Ministeriums, ungeachtet ihrer verschiedenen Mißtrauensvota, wenig der Versuch, die Gunst der Unteroffiziere durch eine tägliche Zulage von vier Sous und die Gunst des Proletariats durch ein Plagiat aus den "Mystères" Eugène Sues zu gewinnen, durch eine Ehrenleihbank, wenig endlich die Unverschämtheit, womit man die Deportation der übrigbleibenden Juniinsurgenten nach Algier durch die Minister beantragen ließ, um der Legislativen die Unpopularität en gros aufzuwälzen, während der Präsident sich selbst die Popularität en detail vorbehielt durch einzelne Begnadigungsakte. Thiers ließ drohende Worte fallen von "coups d'état" und "coups de tête" <"Staatsstreichen" und "unüberlegten Streichen">, und die Legislative rächte sich an Bonaparte, indem sie jeden Gesetzesvorschlag, den er für sich selbst stellte, verwarf, jeden, den er im gemeinsamen Interesse vorschlug, geräuschvoll-mißtrauisch untersuchte, ob er durch die Vermehrung der Exekutivgewalt nicht der persönlichen Gewalt Bonapartes zu profitieren strebe. In einem Worte, sie rächte sich durch die Konspiration der Verachtung.

Die Legitimistenpartei ihrerseits sah mit Verdruß die befähigteren Orleanisten sich fast aller Posten wieder bemächtigen und die Zentralisation wachsen, während sie ihr Heil prinzipiell in der Dezentralisation suchte. Und wirklich. Die Kontrerevolution zentralisierte gewaltsam, d.h., sie bereitete den Mechanismus der Revolution vor. Sie zentralisierte sogar durch den Zwangskurs der Banknoten das Gold und Silber Frankreichs in der Pariser Bank und schuf so den fertigen Kriegsschatz der Revolution.

Die Orleanisten endlich sahen mit Verdruß das auftauchende Prinzip der Legitimität ihrem Bastardprinzip entgegengehalten und sich selbst jeden Augenblick zurückgesetzt und malträtiert als bürgerliche Mesalliance von dem adeligen Gatten.

Nach und nach sahen wir Bauern, Kleinbürger, die Mittelstände überhaupt, neben das Proletariat treten, gegen die offizielle Republik in offenen Gegensatz getrieben, als Gegner von ihr behandelt. Auflehnung gegen die Bourgeoisdiktatur, Bedürfnis einer Veränderung der Gesellschaft, Festhaltung der demokratisch- republikanischen Institutionen als ihrer Bewegungsorgane, Grup- <88> pierung um das Proletariat als die entscheidende revolutionäre Macht - das sind die gemeinschaftlichen Charakterzüge der sogenannten Partei der Sozialdemokratie, der Partei der roten Republik. Diese Partei der Anarchie, wie ihre Gegner sie taufen, ist nicht minder eine Koalition verschiedener Interessen als die Partei der Ordnung. Von der kleinsten Reform der alten gesellschaftlichen Unordnung bis zur Umwälzung der alten gesellschaftlichen Ordnung, von dem bürgerlichen Liberalismus bis zum revolutionären Terrorismus, so weit liegen die Extreme auseinander, welche den Ausgangspunkt und den Endpunkt der Partei der "Anarchie" bilden.

Abschaffung der Schutzzölle - Sozialismus! denn sie greift das Monopol der industriellen Fraktion der Ordnungspartei an. Regelung des Staatshaushaltes - Sozialismus! denn sie greift das Monopol der finanziellen Fraktion der Ordnungspartei an. Freie Einlassung von fremdem Fleisch und Getreide - Sozialismus! denn sie greift das Monopol der dritten Fraktion der Ordnungspartei an, des großen Grundeigentums. Die Forderungen der Freetrader-Partei, d.h. der fortgeschrittensten englischen Bourgeoispartei, sie erscheinen in Frankreich als ebenso viele sozialistische Forderungen. Voltairianismus - Sozialismus! denn er greift eine vierte Fraktion der Ordnungspartei an, die katholische. Preßfreiheit, Assoziationsrecht, allgemeiner Volksunterricht - Sozialismus, Sozialismus! Sie greifen das Gesamtmonopol der Ordnungspartei an.

So rasch hatte der Gang der Revolution die Zustände gereift, daß die Reformfreunde aller Schattierungen, daß die bescheidensten Ansprüche der Mittelklassen gezwungen waren, sich um die Fahne der äußersten Umsturzpartei zu gruppieren, um die rote Fahne.

So mannigfaltig indes der Sozialismus der verschiedenen großen Glieder der Partei der Anarchie war, je nach den ökonomischen Bedingungen und den daraus hervorfließenden revolutionären Gesamtbedürfnissen ihrer Klasse oder Klassenfraktion, in einem Punkte kommt er überein: sich als Mittel der Emanzipation des Proletariats und die Emanzipation desselben als seinen Zweck zu verkünden. Absichtliche Täuschung der einen, Selbsttäuschung der anderen, die die nach ihren Bedürfnissen umgewandelte Welt als die beste Welt für alle ausgeben, als die Verwirklichung aller revolutionären Ansprüche und die Aufhebung aller revolutionären Kollisionen.

Unter den ziemlich gleichlautenden allgemeinen sozialistischen Phrasen der "Partei der Anarchie" verbirgt sich der Sozialismus des "National", der "Presse" und des "Siècle", der mehr oder minder konsequent die Herrschaft der Finanzaristokratie stürzen und Industrie und Verkehr von ihren bisherigen Fesseln befreien will. Es ist dies der Sozialismus der Industrie, des Handels und der <89> Agrikultur, deren Regenten in der Partei der Ordnung diese Interessen verleugnen, soweit sie nicht mehr mit ihren Privatmonopolen zusammenfallen. Von diesem bürgerlichen Sozialismus, der natürlich, wie jede der Abarten des Sozialismus, einen Teil der Arbeiter und Kleinbürger ralliiert, scheidet sich der eigentliche, der kleinbürgerliche Sozialismus, der Sozialismus par excellence <schlechthin>. Das Kapital hetzt diese Klasse hauptsächlich als Gläubiger, sie verlangt Kreditinstitute; es ekrasiert sie durch die Konkurrenz, sie verlangt Assoziationen vom Staate unterstützt; es überwältigt sie durch die Konzentration, sie verlangt Progressivsteuern, Erbschaftsbeschränkungen, Übernahme der großen Arbeiten durch den Staat und andere Maßregeln, die das Wachstum des Kapitals gewaltsam aufhalten. Da sie die friedliche Durchführung ihres Sozialismus träumt - abgerechnet etwa eine kurztägige zweite Februarrevolution -, erscheint ihr natürlich der kommende geschichtliche Prozeß als die Anwendung von Systemen, welche die Denker der Gesellschaft, sei es in Kompanie, sei es als einzelne Erfinder, aussinnen oder ausgesonnen haben. So werden sie die Eklektiker oder Adepten der vorhandenen sozialistischen Systeme, des doktrinären Sozialismus, der nur so lange der theoretische Ausdruck des Proletariats war, als es noch nicht zur freien geschichtlichen Selbstbewegung sich fortentwickelt hatte.

Während so die Utopie, der doktrinäre Sozialismus, der die Gesamtbewegung einem ihrer Momente unterordnet, der an die Stelle der gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktion die Hirntätigkeit des einzelnen Pedanten setzt und vor allem den revolutionären Kampf der Klassen mit seinen Notwendigkeiten durch kleine Kunststücke oder große Sentimentalitäten wegphantasiert, während dieser doktrinäre Sozialismus, der im Grunde nur die jetzige Gesellschaft idealisiert, ein schattenloses Bild von ihr aufnimmt und sein Ideal gegen ihre Wirklichkeit durchsetzen will, während dieser Sozialismus von dem Proletariat an das Kleinbürgertum abgetreten wird, während der Kampf der verschiedenen Sozialistenchefs unter sich selbst jedes der sogenannten Systeme als anspruchsvolle Festhaltung des einen der Durchgangspunkte der sozialen Umwälzung gegen den anderen herausstellt - gruppiert sich das Proletariat immer mehr um den revolutionären Sozialismus, um den Kommunismus, für den die Bourgeoisie selbst den Namen Blanqui erfunden hat. Dieser Sozialismus ist die Permanenzerklärung der Revolution, die Klassendiktatur des Proletariats als notwendiger Durchgangspunkt zur Abschaffung der Klassenunterschiede überhaupt, zur Abschaffung sämtlicher Produktionsverhältnisse, worauf sie beruhen, zur Abschaffung sämtlicher gesell- <90> schaftlichen Beziehungen, die diesen Produktionsverhältnissen entsprechen, zur Umwälzung sämtlicher Ideen, die aus diesen gesellschaftlichen Beziehungen hervorgehen.

Der Raum dieser Darstellung erlaubt nicht, diesen Gegenstand weiter auszuführen.

Wir haben gesehen: wie in der Partei der Ordnung die Finanzaristokratie notwendig an die Spitze trat, so in der Partei der "Anarchie" das Proletariat. Während die verschiedenen zu einer revolutionären Ligue verbundenen Klassen sich um das Proletariat gruppierten, während die Departemente immer unsicherer wurden und die legislative Versammlung selbst immer mürrischer gegen die Prätensionen des französischen Soulouque, nahten die lange aufgeschobenen und hingehaltenen Ersatzwahlen für die proskribierten Montagnards des 13. Juni heran.

Die Regierung, verachtet von ihren Feinden, mißhandelt und täglich gedemütigt von ihren angeblichen Freunden, sah nur ein Mittel, aus der widerlichen und unhaltbaren Situation herauszutreten - die Emeute. Eine Emeute zu Paris hätte erlaubt, den Belagerungszustand über Paris und die Departemente zu verhängen und so die Wahlen zu kommandieren. Andererseits waren die Freunde der Ordnung, einer Regierung gegenüber, die den Sieg über die Anarchie erfochten, zu Konzessionen gezwungen, wollten sie nicht selbst als Anarchisten erscheinen.

Die Regierung begab sich ans Werk. Anfang Februar 1850 Provokationen des Volks durch Niedermetzeln der Freiheitsbäume. Vergeblich. Wenn die Freiheitsbäume ihren Platz verloren, verlor sie selbst den Kopf und trat erschrocken vor ihrer eigenen Provokation zurück. Die Nationalversammlung aber nahm diesen ungeschickten Emanzipationsversuch Bonapartes mit eiskaltem Mißtrauen auf. Nicht erfolgreicher die Entfernung der Immortellenkränze von der Julisäule. Sie gab einem Teil der Armee zu revolutionären Demonstrationen Anlaß und der Nationalversammlung zu einem mehr oder minder versteckten Mißtrauensvotum gegen das Ministerium. Vergebens die Drohung der Regierungspresse mit Abschaffung des allgemeinen Wahlrechts, mit der Invasion der Kosaken. Vergebens die direkte Aufforderung d'Hautpouls, mitten in der Legislative an die Linke, sich auf die Straße zu begeben, und seine Erklärung, die Regierung sei bereit, sie zu empfangen. Hautpoul empfing nichts als einen Ordnungsruf des Präsidenten, und die Ordnungspartei ließ mit stiller Schadenfreude einen Deputierten der Linken die usurpatorischen Gelüste Bonapartes persiflieren. Vergebens endlich die Prophezeiung einer Revolution für den 24. Februar. Die Regierung machte, daß der 24. Februar vom Volk ignoriert wurde.

<91> Das Proletariat ließ sich zu keiner Emeute provozieren. weil es im Begriff war, eine Revolution zu machen.

Ungehindert durch die Provokationen der Regierung, die nur die allgemeine Gereiztheit gegen den bestehenden Zustand erhöhten, stellte das Wahlkomitee, ganz unter dem Einflusse der Arbeiter, drei Kandidaten für Paris auf: de Flotte, Vidal und Carnot. De Flotte war ein Junideportierter, amnestiert durch einen der Popularitätseinfälle Bonapartes, er war ein Freund Blanquis und hatte sich an dem Attentat vom 15. Mai beteiligt. Vidal, als kommunistischer Schriftsteller bekannt durch sein Buch "Über die Verteilung des Reichtums", ehemaliger Sekretär Louis Blancs in der Kommission des Luxembourg; Carnot, Sohn des Konventsmannes, der den Sieg organisiert hatte, das wenigst kompromittierte Glied der Nationalpartei, Unterrichtsminister in der provisorischen Regierung und Exekutivkommission, durch seine demokratische Gesetzvorlage über den Volksunterricht ein lebendiger Protest gegen das Unterrichtsgesetz der Jesuiten. Diese drei Kandidaten repräsentierten die drei verbündeten Klassen: an der Spitze der Juniinsurgent, der Vertreter des revolutionären Proletariats, neben ihm der doktrinäre Sozialist, der Vertreter der sozialistischen Kleinbürgerschaft, der dritte endlich Vertreter der republikanischen Bourgeoispartei, deren demokratische Formeln der Ordnungspartei gegenüber einen sozialistischen Sinn gewonnen und ihren eigenen Sinn längst verloren hatten. Es war dies eine allgemeine Koalition gegen die Bourgeoisie und die Regierung, wie im Februar. Aber diesmal war das Proletariat der Kopf der revolutionären Ligue.

Allen Anstrengungen zum Trotz siegten die sozialistischen Kandidaten. Die Armee selbst stimmte für den Juniinsurgenten gegen ihren eigenen Kriegsminister La Hitte. Die Ordnungspartei war wie vom Donner gerührt. Die Departementswahlen trösteten sie nicht, sie ergaben eine Majorität von Montagnards.

Die Wahl vom 10. März 1850! Es war die Zurücknahme des Juni 1848: Die Massacreurs und Deporteurs der Juniinsurgenten kehrten in die Nationalversammlung zurück, aber gebeugt, im Gefolge der Deportierten, und ihre Prinzipien auf den Lippen. Es war die Zurücknahme des 13. Juni 1849: Die von der Nationalversammlung proskribierte Montagne kehrte in die Nationalversammlung zurück, aber als vorgeschobene Trompeter der Revolution, nicht mehr als ihre Kommandeure. Es war die Zurücknahme des 10. Dezember: Napoleon war durchgefallen mit seinem Minister La Hitte. Die parlamentarische Geschichte Frankreichs kennt nur ein Analogon: das Durchfallen d'Haussez', Ministers Karls X., 1830. Die Wahl vom 10. März 1850 war endlich die Kassation der Wahl vom 13. Mai, welche der Partei der Ordnung die Majorität <92> gegeben hatte. Die Wahl vom 10. März protestierte gegen die Majorität vom 13. Mai. Der 10. März war eine Revolution. Hinter den Wahlzetteln liegen die Pflastersteine.

"Das Votum des 10. März ist der Krieg", rief Ségur d'Aguesseau aus, eines der fortgeschrittensten Glieder der Ordnungspartei.

Mit dem 10. März 1850 tritt die konstitutionelle Republik in eine neue Phase, in die Phase ihrer Auflösung. Die verschiedenen Fraktionen der Majorität sind wieder unter sich und mit Bonaparte vereinigt, sie sind wieder die Retter der Ordnung, er wieder ihr neutraler Mann. Wenn sie sich erinnern, Royalisten zu sein, so geschieht es nur noch aus Verzweiflung an der Möglichkeit der Bourgeoisrepublik, wenn er sich erinnert, Prätendent zu sein, so geschieht es nur noch, weil er verzweifelt, Präsident zu bleiben.

Die Wahl de Flottes, des Juniinsurgenten, beantwortet Bonaparte aufs Kommando der Ordnungspartei durch die Ernennung Baroches zum Minister des Innern, Baroches, des Anklägers von Blanqui und Barbés, von Ledru-Rollin und Guinard. Die Wahl Carnots beantwortet die Legislative durch die Annahme des Unterrichtsgesetzes, die Wahl VidaIs durch die Unterdrückung der sozialistischen Presse. Durch den Trompetenstoß ihrer Presse sucht die Partei der Ordnung ihre eigene Furcht wegzuschmettern. "Das Schwert ist heilig", ruft eines ihrer Organe; "die Verteidiger der Ordnung müssen die Offensive gegen die rote Partei ergreifen", ein anderes; "zwischen dem Sozialismus und der Sozietät existiert ein Duell auf den Tod, ein rastlos unbarmherziger Krieg; in diesem Duell der Verzweiflung muß der eine oder der andere untergehen; wenn die Gesellschaft den Sozialismus nicht vernichtet, vernichtet der Sozialismus die Gesellschaft", kräht ein dritter Ordnungshahn. Werft die Barrikaden der Ordnung, die Barrikaden der Religion, die Barrikaden der Familie auf! Es muß geendet werden mit den 127.000 Wählern von Paris! Bartholomäusnacht der Sozialisten! Und die Partei der Ordnung glaubt einen Augenblick an ihre eigene Siegesgewißheit.

Am fanatischsten ergehen sich ihre Organe gegen die "Boutiquiers von Paris". Der Juniinsurgent von Paris als Repräsentant erwählt von den Boutiquiers von Paris! das heißt, ein zweiter Juni 1848 ist unmöglich, das heißt, ein zweiter 13. Juni 1849 ist unmöglich, das heißt, der moralische Einfluß des Kapitals ist gebrochen, d.h., die Bourgeoisversammlung vertritt nur noch die Bourgeoisie, d.h., das große Eigentum ist verloren, weil sein Lehensträger, das kleine, im Lager der Eigentumslosen seine Rettung sucht.

Die Partei der Ordnung kehrt natürlich zu ihrem unvermeidlichen Gemeinplatze zurück. "Mehr Repression!" ruft sie, " Verzehnfachte Repression!", aber ihre Repressionskraft hat sich um das Zehnfache vermindert, während <93> der Widerstand sich verhundertfacht hat. Das Hauptwerkzeug der Repression selbst, die Armee, muß sie nicht reprimiert werden? Und die Partei der Ordnung spricht ihr letztes Wort: "Der eiserne Ring einer erstickenden Legalität muß gebrochen werden. Die konstitutionelle Republik ist unmöglich. Wir müssen mit unseren wahren Waffen kämpfen, wir haben seit Februar 1848 die Revolution mit ihren Waffen und auf ihrem Terrain bekämpft, wir haben ihre Institutionen akzeptiert, die Konstitution ist eine Festung, die nur die Belagernden beschützt, nicht die Belagerten! Indem wir uns im Bauche des trojanischen Pferdes in das heilige Ilion einschmuggelten, haben wir ungleich unseren Vorfahren, den Grecs (3), nicht die feindliche Stadt erobert, sondern uns selbst zu Gefangenen gemacht."

Die Grundlage der Konstitution ist aber das allgemeine Wahlrecht. Die Vernichtung des allgemeinen Wahlrechts, es ist das letzte Wort der Partei der Ordnung, der Bourgeoisdiktatur.

Das allgemeine Wahlrecht gab ihnen recht am 4. Mai 1848, am 20. Dezember 1848, am 13. Mai 1849, am 8. Juli 1849. Das allgemeine Wahlrecht hat sich selbst unrecht gegeben am 10. März 1850. Die Bourgeoisherrschaft als Ausfluß und Resultat des allgemeinen Stimmrechts, als ausgesprochener Akt des souveränen Volkswillens, das ist der Sinn der Bourgeoiskonstitution. Aber von dem Augenblick an, wo der Inhalt dieses Stimmrechts, dieses souveränen Willens nicht mehr die Bourgeoisherrschaft ist, hat die Konstitution noch einen Sinn? Ist es nicht die Pflicht der Bourgeoisie, das Stimmrecht so zu regeln, daß es das Vernünftige will, ihre Herrschaft? Das allgemeine Wahlrecht, indem es die vorhandene Staatsmacht beständig wieder aufhebt und von neuem aus sich erschafft, hebt es nicht alle Stabilität auf, stellt es nicht jeden Augenblick alle bestehenden Gewalten in Frage, vernichtet es nicht die Autorität, droht es nicht die Anarchie selbst zur Autorität zu erheben? Nach dem 10. März 1850, wer sollte noch zweifeln?

Die Bourgeoisie, indem sie das allgemeine Wahlrecht, mit dem sie sich bisher drapiert hatte, aus dem sie ihre Allmacht saugte, verwirft, gesteht unverhohlen: "Unsere Diktatur hat bisher bestanden durch den Volkswillen, sie muß jetzt befestigt werden wider den Volkswillen." Und konsequenterweise sucht sie ihre Stützen nicht mehr in Frankreich, sondern außerhalb, in der Fremde, in der Invasion.

Mit der Invasion ruft sie, ein zweites Koblenz, das seinen Sitz in Frankreich selbst aufgeschlagen hat, alle nationalen Leidenschaften gegen sich <94> wach. Mit dem Angriff auf das allgemeine Stimmrecht gibt sie der neuen Revolution einen allgemeinen Vorwand, und die Revolution bedarf eines solchen Vorwandes. Jeder besondere Vorwand würde die Fraktionen der revolutionären Ligue trennen und ihre Unterschiede hervortreten lassen. Der allgemeine Vorwand, er betäubt die halbrevolutionären Klassen, er erlaubt ihnen, sich selbst zu täuschen über den bestimmten Charakter der kommenden Revolution, über die Konsequenzen ihrer eigenen Tat. Jede Revolution bedarf einer Bankettfrage. Das allgemeine Stimmrecht, es ist die Bankettfrage der neuen Revolution.

Die koalisierten Bourgeoisfraktionen aber sind schon verurteilt, indem sie von der einzig möglichen Form ihrer vereinten Macht, von der gewaltigsten und vollständigsten Form ihrer Klassenherrschaft, der konstitutionellen Republik zurückflüchten zu der untergeordneten, unvollständigen, schwächeren Form der Monarchie. Sie gleichen jenem Greise, der, um seine Jugendkraft wiederzugewinnen, seinen Kinderstaat hervorholte und seinen welken Gliedern anzuquälen suchte. Ihre Republik hatte nur ein Verdienst, das Treibhaus der Revolution zu sein.

Der 10. März 1850 trägt die Inschrift:

Après moi le déluge, nach mir die Sündflut!


[Anmerkung von Engels zur Ausgabe von 1895.]

(1) Am 8. Juli 1847 begann vor der Pairskammer in Paris der Prozeß gegen Parmentier und General Cubières wegen Beamtenbestechung behufs Erlangung einer Salzwerkskonzession, und gegen den damaligen Minister der öffentlichen Arbeiten, Teste, wegen Annahme solcher Bestechungsgelder. Letzterer machte während des Prozesses einen Selbstmordversuch. Alle wurden zu schweren Geldstrafen verurteilt, Teste außerdem noch zu drei Jahren Gefängnis. <=

(2) So heißt in der Geschichte die unmittelbar nach dem zweiten Sturz Napoleons 1815 gewählte, fanatisch ultaroyalistische und reaktionäre Deputiertenkammer. <=

(3) Grecs - Wortspiel: Griechen, aber auch: Falschspieler von Profession. <=