Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 7, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 292-295.

Karl Marx/Friedrich Engels

Revue

[März/April 1850]


"Neue Rheinische Zeitung. Politisch-ökonomische Revue", Viertes Heft, April 1850.

<292> (Die Monatsrevue mußte im vorigen Heft aus Mangel an Raum fortbleiben. Wir geben aus dieser Revue nachträglich nur den Teil, der auf England Bezug hat.)

Kurz vor der Jahresfeier der Februarrevolution, als Carlier die Freiheitsbäume abhauen ließ, brachte der "Punch" die Zeichnung eines Freiheitsbaums dessen Blätter Bajonette und dessen Früchte Bomben sind, und gegenüber dem bajonettstrotzenden französischen Freiheitsbaum besingt ein eignes Lied den Baum der englischen Freiheit, der die allein soliden Früchte trägt: pounds, shillings und pences. Aber dieser ärgerliche Kontorwitz verschwindet gegen die grenzenlosen Wutausbrüche, in denen die "Times" seit dem 10. März die Triumphe der "Anarchie" begeifert. Die reaktionäre Partei in England, wie in allen Ländern, empfindet den in Paris geführten Schlag, als hätte er sie direkt getroffen.

Was aber die "Ordnung" in England vorderhand am meisten bedroht, das sind nicht die Gefahren, die von Paris ausgehn, das ist eine neue, ganz direkte Folge der Ordnung, eine Frucht jenes englischen Freiheitsbaums: eine Handelskrise.

Wir haben schon in unsrer Revue vom Januar (Heft II) auf das Herannahen der Krisis hingewiesen. Mehrere Umstände haben sie beschleunigt. Vor der letzten Krisis von 1845 fand das überzählige Kapital in der Eisenbahnspekulation einen Abfluß. Die Überproduktion und Überspekulation in Eisenbahnen erreichte indes eine solche Höhe, daß das Eisenbahngeschäft selbst während der Prosperität von 1848/49 sich nicht wieder erholt hat und auch die Aktien der solidesten Unternehmungen dieser Art noch außerordentlich niedrig stehn. Die niedrigen Kornpreise und die Aussichten für die Ernte von 1850 boten ebenfalls keine Chance für Anlegung von Kapitalien, und die <293> verschiedenen Staatspapiere waren einem zu außerordentlichen Risiko unterworfen, um Gegenstand einer großartigen Spekulation werden zu können. So fand das überzählige Kapital der Prosperitätsepoche seine gewöhnlichen Abzugskanäle verschlossen. Es blieb ihm nur übrig, sich ganz auf die industrielle Produktion zu werfen und auf die Spekulation in Kolonialwaren wie in den entscheidenden Rohmaterialien der Industrie, in Baumwolle und Wolle. Indem so ein großer Teil des Kapitals, sonst in andrer Weise verwandt, direkt der Industrie zufloß, mußte natürlich die industrielle Produktion außergewöhnlich schnell wachsen und mit ihr die Überfülle der Märkte, also der Ausbruch der Krise bedeutend beschleunigt werden. Schon jetzt treten die ersten Symptome der Krise in den bedeutendsten Zweigen der Industrie und der Spekulation hervor. Seit vier Wochen ist die entscheidende Industriebranche, die Baumwollenindustrie, vollständig deprimiert, und in ihr leiden wieder die Hauptbranchen - am meisten die Spinnerei und die Weberei ordinärer Zeuge. Der Fall in den Preisen von Twist und ordinären Kattunen ist dem Fall in den Preisen roher Baumwolle schon weit vorausgeeilt. Die Produktion wird eingeschränkt; die Fabriken arbeiten fast ohne Ausnahme nur noch kurze Zeit. Man rechnete auf eine momentane Wiederbelebung der industriellen Tätigkeit durch die Frühlingsbestellungen vom Kontinent; aber während die schon früher gegebenen Aufträge für den inneren Markt, für Ostindien und China, für die Levante zum großen Teil wieder abbestellt werden, bleiben die kontinentalen Bestellungen, die immer für zwei Monate Arbeit liefern konnten, infolge der unsichern politischen Verhältnisse fast ganz aus. - In der Wollenindustrie zeigen sich hier und da Symptome, die das baldige Ende des jetzt noch ziemlich "gesunden" Geschäfts erraten lassen. Die Eisenproduktion leidet ebenfalls. Die Produzenten betrachten ein baldiges Sinken der Preise als unvermeidlich und suchen den zu raschen Fall durch eine Koalition unter sich aufzuhalten. Soviel über den Stand der Industrie. Nun zur Spekulation. Die Preise der Baumwolle fallen teils durch neue vermehrte Zufuhren, teils durch die Depression der Industrie. Mit den Kolonialwaren geht es ebenso. Die Zufuhren nehmen zu, die Konsumtion auf dem innern Markte nimmt ab. In den letzten zwei Monaten sind allein 25 Schiffsladungen Tee in Liverpool angekommen. Die Konsumtion der Kolonialwaren, selbst während der Prosperität niedergehalten durch den Notstand der Ackerbaubezirke, fühlt um so schwerer den Druck, der sich jetzt auch der Industriebezirke bemächtigt. Schon ist eins der bedeutendsten Kolonialhäuser in Liverpool diesem Rückschlag erlegen.

Die Wirkungen der jetzt hereinbrechenden Handelskrise werden bedeutender sein als die irgendeiner früheren. Sie fällt zusammen mit der Acker- <294> baukrise, die schon mit der Aufhebung der Kornzölle in England begann und durch die letzten guten Ernten noch anwuchs. Zum erstenmal erlebt England gleichzeitig eine industrielle Krisis und eine Ackerbaukrisis. Diese englische Doppelkrise wird durch die gleichzeitig bevorstehenden Konvulsionen des Kontinents beschleunigt, ausgedehnt, feuergefährlicher, und die kontinentalen Revolutionen werden durch den Rückschlag der englischen Krise auf den Weltmarkt einen ungleich prononcierteren sozialistischen Charakter erhalten. Es ist bekannt, daß kein europäisches Land so unmittelbar, in solchem Umfang und mit solcher Intensivität von den Wirkungen der englischen Krisen getroffen wird als Deutschland. Der Grund ist einfach: Deutschland bildet den größten kontinentalen Absatzmarkt für England, und die deutschen Hauptexportartikel Wolle und Getreide finden in England ihr bei weitem entscheidendes Debouché. Die Geschichte scheint sich in dem Epigramm an die Ordnungsfreunde zu gefallen, daß gleichzeitig die arbeitenden Klassen revoltieren aus mangelnder Konsumtion und die höheren Klassen bankruttieren aus überflüssiger Produktion.

Die Whigs sind natürlich die ersten Opfer der Krise. Wie bisher werden sie das Staatsruder fallen lassen, sobald der drohende Sturm hereinbricht. Und diesmal sagen sie den Büros von Downingstreet auf immer Lebewohl. Ein kurzlebiges Toryministerium mag ihnen zunächst folgen; aber der Boden wird unter ihm erzittern, sämtliche Oppositionsparteien werden sich gegen es vereinigen, an ihrer Spitze die Industriellen. Diese haben der Krise kein so populäres Universalmittel entgegenzuhalten. wie [es] die Abschaffung der Korngesetze war. Sie sind gezwungen, wenigstens bis zur parlamentarischen Reform fortzugehn. Das heißt, sie werden die politische Herrschaft, die ihnen nicht entgehn kann, unter Bedingungen antreten, die dem Proletariat die Tore des Parlaments öffnen, seine Forderungen auf die Tagesordnung des Hauses der Gemeinden <Haus der Gemeinen (Unterhaus)> setzen und England in die europäische Revolution hineinschleudern.

Wir haben diesen, vor einem Monat geschriebnen Notizen über die hereinbrechende Handelskrisis nur wenig zuzusetzen. Die im Frühjahr regelmäßig eintretende momentane Besserung des Geschäfts hat sich auch diesmal endlich eingestellt, doch immer im geringeren Maß als gewöhnlich. Die französische Industrie, die vorzüglich leichte Sommerstoffe liefert, hat besonders davon profitiert; doch auch in Manchester, Glasgow und dem West-Riding sind vermehrte Bestellungen eingelaufen. Diese momentane Belebung der In- <295> dustrie im Frühling tritt übrigens jedes Jahr ein und hält die Entwicklung der Krise nur wenig auf.

Auch in Ostindien ist eine augenblickliche Hebung des Verkehrs eingetreten. Der günstigere Stand des Kurses auf England hat den Verkäufern erlaubt, einen Teil ihrer Vorräte unter den bisherigen Preisen loszuschlagen, und der Markt von Bombay ist dadurch etwas erleichtert worden. Auch diese momentane und lokale Besserung des Geschäfts gehört zu den Zwischenfällen, die namentlich im Beginn jeder Krise von Zeit zu Zeit vorkommen und auf ihren allgemeinen Entwicklungsgang nur unbedeutenden Einfluß haben.

Dagegen sind aus Amerika soeben Nachrichten eingelaufen, die den dortigen Markt als vollständig gedrückt schildern. Der amerikanische Markt ist aber der entscheidendste. Mit der Überführung des amerikanischen Markts, mit der Stockung des Geschäfts und dem Fall der Preise in Amerika beginnt die eigentliche Krisis, beginnt die direkte, rasche und unaufhaltsame Rückwirkung auf England. Wir erinnern nur an die Krisis von 1837. Nur ein Artikel steigt in Amerika fortwährend: die Staatsschuldscheine der Vereinigten Staaten, das einzige Staatspapier, das dem Kapital unserer europäischen Ordnungsfreunde eine sichre Zuflucht bietet.

Nach dem Eintritt Amerikas in die durch die Überproduktion herbeigeführte rückgängige Bewegung dürfen wir erwarten, daß die Krise im bevorstehenden Monat sich etwas rascher entwickeln wird als bisher. Die politischen Ereignisse auf dem Kontinent drängen ebenfalls täglich mehr auf eine Entscheidung hin, und jenes Zusammenfallen von Handelskrise und Revolution, von dem in dieser "Revue" schon mehrmals die Rede war, wird immer unausbleiblicher. Que les destins s'accomplissent! <Mögen sich die Schicksale erfüllen!>

London, 18. April 1850