Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 7, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 299-301.

Karl Marx/Friedrich Engels

Gottfried Kinkel


"Neue Rheinische Zeitung. Politisch-ökonomische Revue", Viertes Heft, April 1850.

<299> Die Schlaffheit in der deutschen angeblich revolutionären Partei ist so groß, daß Dinge, die in Frankreich oder England einen allgemeinen Sturm heraufbeschwören würden, in Deutschland vorübergehn, ohne daß man sich nur darüber wundert, daß solche Dinge hier sogar den allgemeinen Beifall finden. Herr Waldeck führt vor den Geschwornen einen ausführlichen Zeugenbeweis, daß er stets ein guter Konstitutioneller gewesen, und wird von den Berliner Demokraten im Triumph nach Hause gefahren. Herr Grün verleugnet in Trier in öffentlicher Gerichtssitzung die Revolution auf die albernste Weise, und das Volk kehrt den verurteilten Proletariern im Gerichtssaal den Rücken, um dem freigesprochenen Industriellen zuzujauchzen.

Ein neues Beispiel von dem, was in Deutschland möglich ist, liefert die Verteidigungsrede, die Herr Gottfried Kinkel am 4. August 1849 vor dem Kriegsgerichte in Rastatt gehalten und in der Berliner "Abend-Post" vom 6. und 7. April dieses Jahres veröffentlicht hat.

Wir wissen im voraus, daß wir die allgemeine Entrüstung der sentimentalen Schwindler und demokratischen Deklamatoren hervorrufen werden, indem wir diese Rede des "gefangenen" Kinkel unsrer Partei denunzieren. Dies ist uns vollständig gleichgültig. Unsre Aufgabe ist die rücksichtslose Kritik, viel mehr noch gegen die angeblichen Freunde als gegen die offnen Feinde; und indem wir diese unsre Stellung behaupten, verzichten wir mit Vergnügen auf die wohlfeile demokratische Popularität. Wir verschlechtern durch unsern Angriff die Lage des Herrn Kinkel keineswegs; wir denunzieren ihn der Amnestie, indem wir sein Bekenntnis bestätigen, daß er nicht der Mann ist, für den man ihn zu halten vorgibt, indem wir erklären, daß er würdig ist, nicht nur amnestiert zu werden, sondern selbst in preußischen Staatsdienst zu treten. Zudem ist die Rede veröffentlicht. Wir denunzieren unsrer Partei das ganze Aktenstück und gehen hier nur die schlagendsten Stellen.

<300> "Auch habe ich nie ein Kommando geführt, so daß ich auch nicht für Handlungen andrer verantwortlich hin. Denn ich verwahre mich gegen jede Vereinigung meines Tuns mit dem Schmutz und dem Schlamm, der sich, ich weiß es, leider zuletzt an diese Revolution gehängt hat."

Da Herr Kinkel "als Gemeiner in die Kompanie Besançon trat" und da er hier einen Verdacht auf sämtliche Kommandeure wirft, war es nicht seine Pflicht, wenigstens seinen direkten Vorgesetzten, Willich, hier auszunehmen?

"Niemals habe ich im Heere gedient, also auch keinen Fahneneid gebrochen, keine militärischen Kenntnisse, die ich im Dienst meines Vaterlands erwarben hatte, gegen mein Vaterland angewendet."

War dies nicht eine direkte Denunziation gegen die gefangenen ehemaligen preußischen Soldaten, gegen Jansen und Bernigau, die bald darauf erschossen wurden. war es nicht eine vollständige Anerkennung des Todesurteils gegen den schon erschossenen Dortu?

So denunziert Herr Kinkel dem Kriegsgericht ferner seine eigne Partei, indem er von Plänen zur Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich spricht und sich für rein von diesen verbrecherischen Projekten erklärt. Herr Kinkel weiß sehr gut, daß von Anschluß der Rheinprovinz an Frankreich nur in dem Sinn die Rede war, daß die Rheinprovinz, im entscheidenden Kampf zwischen Revolution und Kontrerevolution, sich unbedingt auf die revolutionäre Seite schlagen werde, sei sie vertreten durch Franzosen oder Chinesen. Er verfehlt ebensowenig, im Unterschied von den wilden Revolutionären, auf seinen milden Charakter hinzuweisen, der es ihm möglich gemacht habe, mit einem Arndt und anderen Konservativen als Mensch, wenn auch nicht als Parteimann, in gutem Einvernehmen zu stehn.

"Meine Schuld ist, daß ich im Sommer noch dasselbe gewollt habe, was im März Sie alle, was im März das gesamte deutsche Volk gewollt!"

Er gibt sich hier als reiner Reichsverfassungskämpfer an, der nie etwas weiter gewollt als die Reichsverfassung. Wir nehmen diese Erklärung zu Protokoll.

Herr Kinkel kommt zu sprechen auf einen Artikel, den er über einen von den preußischen Soldaten in Mainz verübten Krawall schrieb, und sagt:

"Und was ist mir dafür geschehn? Während dieser meiner Abwesenheit von Hause hat man mich deshalb zum zweiten Male vor Gericht gefordert, und da ich zur Verteidigung nicht erscheinen konnte, bin ich, wie man mir jüngst erzählt hat, auf fünf Jahre der Wahlfähigkeit beraubt worden. Fünf Jahre Wahlunfähigkeit sind über mich ausgesprochen: Für einen Mann, der schon so einmal die Ehre gehabt hat, Abgeordneter zu sein, ist das eine überaus harte Strafe" (!).

<301> "Wie oft habe ich das Wort hören müssen, ich sei ein 'schlechter Preuße'; das Wort hat mich verletzt ... Nun wohlan! Meine Partei hat gegenwartig im Vaterlande das Spiel verloren. Wenn die Krone Preußen jetzt endlich eine kühne und starke Politik verfolgt, wenn es der königlichen Hoheit unsres Thronfolgers, des Prinzen von Preußen, gelingt, mit dem Schwerte, denn anders wird's nicht, Deutschland in eins zu schmieden und groß und geachtet bei unsern Nachbarn hinzustellen und der innern Freiheit wirklich und dauernd zu versichern, Handel und Wandel wieder zu heben, die Militärlast, die jetzt zu schwer auf Preußen drückt, gleichmäßig auf das ganze Deutschland zu verteilen und vor allem den Armen in meinem Volke, als deren Vertreter ich mich fühle, Brot zu schaffen - gelingt das Ihrer Partei, nun, bei meinem Eid! Die Ehre und die Größe meines Vaterlandes sind mir teurer als meine Staatsideale, und die französischen Republikaner von 1793" (Fouché und Talleyrand?) "weiß ich zu schätzen, die hernach um Frankreichs willen vor Napoleons Größe freiwillig sich beugten; geschähe dies also und erzeigte mir dann mein Volk noch einmal die Ehre, mich zu seinem Vertreter zu wählen, ich würde einer der ersten Deputierten sein, die mit frohem Herzen riefen: Es lebe das deutsche Kaisertum! Es lebe das Kaisertum Hohenzollern! Wenn man mit solchen Gesinnungen ein schlechter Preuße ist, ja! Dann begehre ich freilich kein guter Preuße zu sein."

"Meine Herren, denken Sie auch ein wenig an Weib und Kind daheim! wenn Sie den Spruch über einen Mann tun, der heute durch den Wechsel der menschlichen Geschicke so tief und unglücklich vor Ihnen steht."

Diese Rede hielt Herr Kinkel zu einer Zeit, wo sechsundzwanzig seiner Kameraden von denselben Kriegsgerichten zum Tode verurteilt und erschossen wurden, Leute, die der Kugel ganz anders entgegenzugehn verstanden als Herr Kinkel seinen Richtern. Wenn er sich übrigens als einen ganz harmlosen Menschen darstellt, so hat er vollkommen recht. Er ist nur durch ein Mißverständnis unter seine Partei geraten, und es wäre eine ganz sinnlose Grausamkeit, wollte die preußische Regierung ihn noch länger im Zuchthaus zurückhalten.