Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 7, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 466-467.

Friedrich Engels

[Brief an den Redakteur der "Times"]

Geschrieben am 5. März 1851.
Nach dem Manuskript.
Aus dem Englischen.


An den Red[akteur] der "T[imes]"
<466>
Sir!

In Ihrer heutigen Zeitung finde ich einen Brief des Herrn Louis Blanc, der sich auf das "Banquet des Égaux" <"Bankett der Gleichen">, das in London am 24. Februar abgehalten wurde, und auf einen gewissen Trinkspruch bezog, den Herr Blanqui, der Gefangene von Belle-Île-en-Mer, dorthin gesandt hatte. Gestatten Sie mir, einige Bemerkungen zu diesem Brief zu machen.

Beim Bankett stand der Name Blanquis in großen Lettern an der Wand neben Namen anderer Helden und Märtyrer der Demokratie. Bei derselben Kundgebung wurde ein Trinkspruch auf die "Märtyrer der Verleumdung" ausgebracht: auf Marat, Robespierre ... und - Blanqui! Alle bei dieser Gelegenheit gehaltenen Trinksprüche und Reden mußten dem Komitee der "Organisatoren dieser schönen und imposanten Kundgebung" schon am 15. Februar vorgelegt worden sein. Herr Blanc war Mitglied dieses Komitees, er muß daher diesem Trinkspruch auf Herrn Blanqui vorher zugestimmt haben. Wie kann Herr Blanc nun Herrn Blanqui wieder zu einem "Märtyrer der Verleumdung" machen, wenn er ihn "eines dieser unglücklichen Wesen" nennt, "die in ihrem Ungestüm versuchen, gegen die Autorität mit Gewalt vorzugehen und die - wenn dies möglich wäre - auch die beste Sache verlieren würden"?

Herr Blanc erklärt, daß der Trinkspruch nicht von den Gefangenen von Belle-Île stamme, sondern daß er das ausschließliche Werk des Herrn Blanqui sei. Natürlich muß man annehmen, daß Herr Blanqui der Verfasser von Trinksprüchen und Dokumenten ist, die unter seinem Namen vorgebracht werden. Der betreffende Trinkspruch jedoch wurde, wie in Frankreich allgemein bekannt ist, von der "Société des amis de l'Égalité" <"Gesellschaft der Freunde der Gleichheit"> angenommen und veröffentlicht, einer Gesellschaft also, die die Gefangenen von Belle-Ile umfaßt, die zu Blanqui halten; denn dieser Mann hat ebensogut wie Herr Barbès, der Beschützer des Herrn Louis Blanc, seine Freunde unter den Gefangenen.

<467> Was die "imposante und schöne Kundgebung" und die "Vereinigung von mehr als tausend, den verschiedenen Nationen angehörenden Personen" anbelangt, so sollte man nicht vergessen, daß dieses rührende Schauspiel, so weit es Herrn Blanc betrifft, nichts anderes als eine "brüderliche" Demonstration gegen Herrn Ledru-Rollin war, um Rache zu nehmen dafür, daß er - wie Herr Blanc öffentlich erklärte - von dem Zentralausschuß der Europäischen Demokratie der Herren Ledru-Rollin, Mazzini usw. ausgeschlossen worden war.

Was jedoch die Autorität des Herrn Louis Blanc anbetrifft, so wäre es ratsamer für ihn, dieses heikle Thema nicht eher zu berühren, als bis diese Autorität sich von den schrecklichen Schlägen erholt hat, die ihr Herr Proudhon vor einiger Zeit versetzt hat.

Herr Blanc wollte sich anscheinend vor dem Angriff des Herrn Blanqui schützen, indem er seine Eigenschaft als Verbannter und Geächteter lobpries. Sind die Söhne von Louis-Philippe nicht auch Verbannte? Und hat Herr Blanc vielleicht die Heftigkeit seines Angriffes gegen Herrn Proudhon gezügelt, der zwar nicht in der Verbannung gemütlich in Piccadilly 87 lebte und einen Wohnort hatte, der gewiß weit davon entfernt war, zum Schreiben der Ovidischen "Tristien" <"Klagelieder"> geeignet zu sein, der aber ein Gefangener in den Klauen des Gesetzes war?

Herr Blanc scheint Herrn Blanqui zum Vorwurf zu machen, daß er seinen Trinkspruch in "konterrevolutionären Zeitungen" veröffentlicht hat. Herr Blanc weiß sehr wohl, daß seit Mai 1850 keine "revolutionäre" Presse mehr in Frankreich besteht. Doch bitte ich Sie, Herr Louis Blanc, Sie, der Sie sich mit aller Höflichkeit an den Redakteur der "Times" richten, seit wann ist die "Times" in ihren Augen eine demokratische, sozialistische und revolutionäre Zeitung?

Um es jedoch der Öffentlichkeit zu ermöglichen, dieses außergewöhnliche Dokument zu beurteilen, das so sehr die Entrüstung des Herrn Blanc hervorruft und das sogar jetzt das allgemeine Thema der französischen Presse bildet, unterbreite ich Ihnen eine vollständige Übersetzung und hoffe, daß es für die englische Öffentlichkeit nicht ohne Interesse sein wird.

Ich verbleibe, Sir, Ihr ergebenster Diener
Veritas <Die Wahrheit>