Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 221-231

Friedrich Engels

Die wirklichen Ursachen
der verhältnismäßigen Inaktivität
der französischen Proletarier
im vergangenen Dezember

Aus dem Englischen.


I

["Notes to the People" Nr. 43 vom 21 Februar 1852]

<221> Seit dem 2. Dezember des vergangenen Jahres richtet sich das gesamte Interesse, das die auswärtige Politik - oder wenigstens die kontinentale - zu erregen vermag, nur auf jenen erfolgreichen und skrupellosen Glücksritter, auf Louis-Napoleon Bonaparte. "Was hat er im Sinne? Wird er einen Krieg anfangen, und mit wem? Wird er in England einfallen?" Diese Fragen tauchen unweigerlich auf, wo immer man über die Lage auf dem Kontinent spricht.

Und es hat auch schon etwas Verblüffendes, wenn ein verhältnismäßig unbekannter Abenteurer, dem der Zufall die Exekutivgewalt einer großen Republik in die Hand spielt, über Nacht alle wichtigen Posten in der Hauptstadt besetzt, das Parlament wie Spreu im Winde zerstreut, den Aufstand in Paris in zwei Tagen und die Unruhen in der Provinz in zwei Wochen unterdrückt, sich mit Hilfe einer Scheinwahl einem ganzen Volk aufzwingt und im gleichen Atemzug eine Verfassung einführt, die die gesamte Staatsmacht auf ihn überträgt. So etwas ist noch nie dagewesen, solch eine Schmach hat keine Nation erduldet, seit die prätorianischen Legionen des untergehenden Roms das Imperium unter den Hammer brachten und an den Meistbietenden verkauften. Und die Bourgeoispresse Englands, von der "Times" bis hinunter zum "Weekly Dispatch", hat niemals seit den Dezembertagen auch nur die geringste Gelegenheit vorbeigehen lassen, ohne ihrer tugendhaften Entrüstung über den Militärdespoten, den verräterischen Vernichter der Freiheiten seines Landes, den Unterdrücker der Presse und dergleichen mehr Luft zu machen.

Aber bei aller Louis-Napoleon gebührenden Verachtung sind wir doch der Meinung, daß es einem Organ der Arbeiterklasse nicht ansteht, miteinzustimmen in diesen Chor hochtönender Schmähungen, in dem die jeweiligen Blätter der Börsenspekulanten, der Kattunlords und der Landaristo- <222> kratie einander in Beschimpfungen zu überbieten suchen. Diese Herren sollte man lieber an die wirkliche Lage der Dinge erinnern. Gerade sie haben allen Grund, Zeter und Mordio zu schreien. Denn was auch immer Louis-Napoleon anderen genommen, von der Arbeiterklasse nahm er es nicht, sondern gerade von jenen Klassen, deren Interessen in England der besagte Teil der englischen Presse vertritt. Nicht etwa, daß Louis-Napoleon nicht genauso gerne der Arbeiterklasse alles geraubt hätte, was ihm begehrenswert erschienen; in der Tat konnte man aber im vergangenen Dezember den Arbeitern nichts mehr rauben, weil ihnen alles, was zu nehmen sich verlohnte, bereits genommen worden war während der dreieinhalb Jahre bürgerlich-parlamentarischer Herrschaft, die auf die große Niederlage des Juni 1848 folgte. Was, in der Tat, war am Vorabend des zweiten Dezember übriggeblieben, das man ihnen hätte nehmen können? Das Wahlrecht? Das war ihnen bereits durch das Wahlgesetz vom Mai 1850 geraubt worden. Die Versammlungsfreiheit? Die war schon lange auf die "zuverlässigen" und "wohlgesonnenen" Klassen der Gesellschaft beschränkt worden. Die Pressefreiheit? Nun, die wirklich proletarische Presse war in der großen Junischlacht im Blute der Insurgenten ertränkt worden, und ihr Schatten, der noch eine Zeitlang weiter gelebt, war schon längst verschwunden unter dem Druck der Knebelgesetze, die mit jeder neuen Session der Nationalversammlung revidiert und verbessert wurden. Ihre Waffen? Jeden Vorwand hatte man genutzt, um den Ausschluß aller Arbeiter aus der Nationalgarde zu sichern und den Besitz von Waffen auf die wohlhabenderen Klassen der Gesellschaft zu beschränken.

So hatte die Arbeiterklasse zur Zeit des kürzlichen coup d'état <Staatsstreich> sehr wenig - wenn überhaupt etwas - auf dem Gebiet der politischen Privilegien zu verlieren. Auf der andern Seite verfügte aber zur selben Zeit die Mittel- und Kapitalistenklasse über politische Allmacht. Ihnen gehörte die Presse, die Versammlungsfreiheit, das Recht, Waffen zu tragen, das Wahlrecht, das Parlament. Legitimisten und Orleanisten, Gutsbesitzer und Besitzer von Staatspapieren hatten endlich nach dreißigjährigem Kampf in der republikanischen Regierungsform einen neutralen Boden gefunden. Und für sie war es in der Tat ein harter Schlag, sich all dessen innerhalb weniger Stunden beraubt und sich im Handumdrehn auf den Stand politischer Nichtigkeit reduziert zu sehen, auf den sie selber die Arbeiter reduziert hatten. Darin liegt der Grund, weshalb die englische "respektable" Presse so empört ist über Louis-Napoleons gesetzwidrige Schandtaten. Solange sich diese Schandtaten, <223> seitens der Exekutivgewalt oder seitens des Parlaments, gegen die Arbeiterklasse richteten, so war das natürlich recht und billig genug; aber sobald eine solche Politik auf "die bessern Leute", auf "die wohlhabenden Gebildeten der Nation" angewendet wurde, ja, dann war das etwas ganz andres, und es geziemte sich für jeden, dem die Freiheit lieb, seine Stimme zu erheben und die "prinzipiellen Dinge" zu verteidigen.

So war der Kampf am 2. Dezember vor allem ein Kampf zwischen Bourgeoisie und Louis-Napoleon, dem Repräsentanten der Armee. Daß Louis-Napoleon dies wußte, zeigten seine Befehle an die Armee während des Kampfes am 4., das Feuer hauptsächlich auf "die Herren in feinem Tuch" zu richten. Die glorreiche Schlacht der Boulevards ist nur zu gut bekannt; und ein paar Salven auf geschlossene Fenster und auf unbewaffnete Bourgeois genügten vollauf, um im Pariser Bürgertum jede Widerstandsbestrebung zu ersticken.

Andrerseits waren die Arbeiter, obwohl sie direkter politischer Privilegien nicht mehr beraubt werden konnten, an der ganzen Frage durchaus nicht desinteressiert. Sie hatten vor allem noch eins zu verlieren - ihre große Chance, wenn im Mai 1852 für alle staatlichen Gewalten die Amtsperiode zur gleichen Zeit ablaufen würde und sie zum ersten Male seit Juni 1848 den Kampf auf günstigerem Feld zu führen hofften. Und da sie nach politischer Herrschaft strebten, konnten sie keinen gewaltsamen Regierungswechsel zulassen, ohne sich als die berufenen obersten Schiedsrichter zwischen die streitenden Parteien zu werfen und ihnen ihren Willen als Gesetz des Landes aufzuzwingen. So durften sie die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne den beiden sich gegenüberstehenden Heeren zu zeigen, daß noch eine dritte Macht im Felde stehe, die, wenn auch momentan vom Schauplatz offizieller und parlamentarischer Fehden verdrängt, immer bereit sei, sich in den Kampf einzureihen, sobald sich der Kampfplatz verschöbe, nämlich auf ihren eigentlichen Aktionsbereich - auf die Straße. Man darf jedoch nicht vergessen, daß selbst in diesem Falle die proletarische Partei unter großen Nachteilen zu kämpfen hätte. Wenn sie sich gegen den Usurpator erhob, verteidigte sie dann nicht praktisch die Restauration und die Diktatur eben jenes Parlaments, das sich als ihr unnachgiebigster Feind erwiesen hatte? Und wenn sie sich sogleich für eine revolutionäre Regierung erklärte, würde sie dann nicht - wie es tatsächlich in den Provinzen der Fall war - die Bourgeoisie so erschrecken, daß sie sie in die Arme Louis-Napoleons und der Armee triebe? Außerdem darf man nicht vergessen, daß gerade Kern und Blüte der revolutionären Arbeiterklasse entweder während des Juniaufstandes getötet oder unter zahllosen verschiedenen Vorwänden seitdem deportiert und gefangengesetzt worden waren. <224> Und schließlich gab es eine Tatsache, die allein schon genügte, um Napoleon die Neutralität der großen Mehrheit der Arbeiterklasse zu sichern: Die Geschäfte gingen ausgezeichnet - und die Engländer wissen nur zu gut, daß man mit einer voll beschäftigten und gut bezahlten Arbeiterklasse keine politische Kampagne, geschweige denn eine Revolution ins Werk setzen kann.

In England hört man jetzt sehr häufig, die Franzosen müßten wohl ein Pack alter Weiber sein, sonst würden sie sich eine solche Behandlung nicht gefallen lassen. Ich gebe gern zu, daß die Franzosen als Nation solch schmückende Beinamen gegenwartig verdienen. Aber wir alle wissen, daß die Franzosen, was ihre Ansichten und Handlungen betrifft, mehr abhängig sind vom Erfolg als jede andre zivilisierte Nation. Sie folgen, sobald die Vorgänge in ihrem Lande eine gewisse Wendung erfahren, dieser Wendung nahezu ohne Widerstand, bis sie das absolute Extrem in der gegebenen Richtung erreicht haben. Die Niederlage vom Juni 1848 brachte eine solche konterrevolutionäre Wendung für Frankreich und damit auch für den ganzen Kontinent. Die gegenwärtige Herausbildung des napoleonischen Reiches ist nur die Krönung einer langen Reihe von konterrevolutionären Siegen, die die letzten drei Jahre ausfüllten; und einmal im Abstieg begriffen, war damit zu rechnen, daß Frankreich immer tiefer sinken würde, bis es den Grund erreicht. Wie nahe es dem Grund bereits ist, läßt sich schwer sagen; aber jeder muß doch wohl sehen, daß es sich ihm sehr schnell nähert. Und wenn in der kommenden Zeit die Taten des französischen Volkes die bisherige Geschichte Frankreichs nicht Lügen strafen sollen, so können wir sicher sein: je tiefer jetzt die Erniedrigung, um so überraschender und um so strahlender ihr Produkt. In unseren Tagen folgen die Ereignisse einander in ungeheuer schnellem Tempo, und was eine Nation früher in einem ganzen Jahrhundert bewältigte, kann sie heutzutage leicht in ein, zwei Jahren überwinden. Das alte Kaiserreich hielt sich vier Jahre; der kaiserliche Adler wird vom Glück ungemein begünstigt sein müssen, wenn die Wiederaufführung jenes Bravourstücks - allerdings in schäbigster Aufmachung - ebenso viele Monate übersteht. Und dann?

II

["Notes to the People" Nr. 48 vom 27. März 1852]

Auf den ersten Blick hin mag es so scheinen, als ob Louis-Napoleon gegenwärtig in Frankreich in ungestörter Allgewalt herrsche und als ob die einzige Macht neben ihm vielleicht die der Intrigantengruppen am Hofe sei, <225> die ihn von allen Seiten bedrängen und ihre Ränke gegeneinander schmieden, um sich die alleinige Gunst des französischen Autokraten zu sichern und Einfluß auf ihn zu erlangen. In Wirklichkeit aber liegen die Dinge ganz anders. Das ganze Geheimnis seines Erfolgs liegt darin, daß die mit seinem Namen verhafteten Traditionen Louis-Napoleon in die Lage versetzt haben, momentan das Gleichgewicht zwischen den um die Macht kämpfenden Klassen der französischen Gesellschaft zu wahren. Denn unter dem Deckmantel des Belagerungszustandes, mit dem der Militärdespotismus zur Zeit Frankreich verhüllt, wird doch in der Tat der Kampf der verschiedenen Klassen der Gesellschaft so verbissen wie eh und je fortgeführt. Während dieser Kampf in den letzten vier Jahren mit Pulver und Blei ausgetragen worden war, hat er jetzt nur eine andere Form angenommen. So wie jeder lange Krieg die mächtigste Nation erschöpft und ermüdet, so hat auch der offene, blutige Krieg der vergangenen Jahre die militärische Kraft der verschiedenen Klassen ermattet und vorübergehend erschöpft. Aber der Klassenkampf ist nicht an faktische Kampfhandlungen gebunden; nicht immer braucht er Barrikaden und Bajonette, um ausgetragen zu werden. Der Klassenkampf wird nicht gelöscht werden können, solange die verschiedenen Klassen mit ihren entgegengesetzten und sich widerstreitenden Interessen und sozialen Stellungen bestehen; und bislang haben wir noch nicht gehört, daß Frankreich, seitdem der falsche Napoleon seine Macht angetreten, aufgehört habe, zu seinen Bewohnern Großgrundbesitzer wie auch Landarbeiter oder métayers <Halbpächter>, große Geldmakler wie auch mit Hypotheken belastete Kleinbauern, Kapitalisten wie auch Arbeiter zu rechnen.

Die Lage der verschiedenen Klassen in Frankreich ist folgende: Die Februarrevolution hatte für immer die Macht der großen Bankiers und Börsenspekulanten gebrochen; nach ihrem Sturz waren alle andern Klassen der städtischen Bevölkerung nacheinander ans Ruder gekommen. Zuerst die Arbeiter in den Tagen der ersten revolutionären Erregung, dann die kleinbürgerlichen Republikaner unter Ledru-Rollin, dann der republikanische Teil der Bourgeoisie unter Cavaignac und schließlich die vereinigte royalistische Bourgeoisie unter der verflossenen Nationalversammlung. Keine dieser Klassen war fähig gewesen, die Macht zu behaupten, die sie kurze Zeit besessen; und in letzter Zeit schien es unvermeidlich angesichts der immer wiederkehrenden Differenzen zwischen den legitimistischen Royalisten, also den Grundherren, und den orleanistischen Royalisten, also den Geldherren, daß die Macht wieder ihren Händen entgleiten und wieder zurückfallen <226> könnte in die Hände der Arbeiterklasse, die inzwischen doch wohl gelernt haben mochte, die Macht besser zu nützen. Da gab es aber noch eine andere mächtige Klasse in Frankreich - mächtig nicht kraft großer Besitztümer ihrer einzelnen Angehörigen, sondern mächtig kraft ihrer Zahl und ihrer bloßen Bedürfnisse. Diese Klasse, die mit Hypotheken belasteten Kleinbauern, die zumindest drei Fünftel der französischen Nation ausmachen, kam schwer in Fluß und ließ sich auch schwer beeinflussen wie die Landbewohner überall; sie klebte an ihren alten Traditionen, sie mißtraute der Weisheit der Apostel sämtlicher Parteien aus der Stadt, sie gedachte der Zeiten unter dem Kaiser, da sie glücklich, frei von Schulden und verhältnismäßig reich gewesen, und sie legte mit Hilfe des allgemeinen Wahlrechts die Exekutivgewalt in die Hände seines Neffen. Die aktive Agitation der sozialistisch-demokratischen Partei und mehr noch die Enttäuschung, die Louis-Napoleons Maßnahmen ihnen bald bereiteten, führten einen Teil dieser Bauernklasse in die Reihen der roten Partei; aber in ihrer Masse klebte sie an ihren Traditionen und meinte, wenn Louis-Napoleon sich bislang noch nicht als der Messias erwiesen habe, mit dem man gerechnet, so sei das Schuld der Nationalversammlung, die ihn kneble. Außer in der Masse der Bauernschaft fand Louis-Napoleon - selber eine Art vornehmer Gauner und umgeben von der Elite des eleganten Hochstaplergesindels - Unterstützung im verkommensten und liederlichsten Teil der Stadtbevölkerung. Diesen Teil seiner Anhängerschaft vereinigte er in einer bezahlten Truppe, die sich "Gesellschaft vom 10. Dezember" nannte. So, vertrauend auf die Stimmen der Bauernschaft, auf die lärmenden Demonstrationen des Mobs, auf die Bereitschaft der Armee, jederzeit eine Regierung parlamentarischer Schwätzer zu stürzen, die im Namen der arbeitenden Klassen zu sprechen vorgaben, konnte er gemächlich auf den Augenblick warten, da die Zänkereien des Bourgeoisparlaments ihm erlauben würden, einzugreifen und eine mehr oder weniger absolute Herrschaft über jene Klassen zu beanspruchen, von denen nicht eine sich nach vierjährigem blutigem Kampfe stark genug erwiesen, eine dauernde Herrschaft an sich zu reißen. Genau das tat er im vergangenen Jahr am 2. Dezember.

Louis-Napoleons Herrschaft hat also den Klassenkampf nicht abgeschafft. Sie verhindert lediglich für eine Weile die blutigen Ausbrüche, die von Zeit zu Zeit die Anstrengungen dieser oder jener Klasse kennzeichnen, die politische Macht zu erringen oder sie aufrechtzuerhalten. Keine dieser Klassen war stark genug, mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg eine neue Schlacht zu wagen. Gerade die Klassengegensätze begünstigten unter den damaligen <227> Umständen die Pläne Napoleons. Er stürzte das Bourgeoisparlament und zerstörte so die politische Macht der Bourgeoisie. Und die Proletarier sollten darüber nicht jubeln? Sicherlich konnte man von den Proletariern nicht erwarten, daß sie für eine Nationalversammlung kämpfen würden, die ihr Todfeind gewesen! Aber gleichzeitig bedrohte Louis-Napoleons Usurpation das gemeinsame Kampffeld aller Klassen sowie die letzte vorteilhafte Stellung der Arbeiterklasse - die Republik. Man überlege, sobald sich die Arbeiter zur Verteidigung der Republik erhoben, schloß sich die Bourgeoisie ausgerechnet jenem Manne an, der ihr gerade die Macht entrissen hatte, denn ihr ging es darum, die Arbeiterklasse, als den allgemeinen Feind der Gesellschaft, zu schlagen. So sah es in Paris aus, so in den Provinzen - und die Armee siegte ohne viel Mühe über die konkurrierenden, gegnerischen Klassen. Und nach dem Sieg traten die Millionen kaisertreuer Bauern mit ihren Stimmzetteln an, und während amtliche Fälschungen ihren Teil dazu beitrugen, setzten doch sie die Regierung Louis-Napoleons ein als die des Repräsentanten eines nahezu einmütigen Frankreichs.

Dennoch liegen auch heute Klassenkämpfe und Klasseninteressen jeder wichtigen Handlung Louis-Napoleons weiterhin zugrunde, wie wir im nächsten Bericht sehen werden.

III

["Notes to the People" Nr. 50 vom 10. April 1852]

Wir wiederholen: Louis-Napoleon ist an die Macht gekommen, weil der offene Krieg zwischen den verschiedenen Klassen der französischen Gesellschaft in den letzten vier Jahren diese Klassen erschöpft und ihre Armeen zerschlagen hat und weil unter solchen Bedingungen der Kampf dieser Klassen zumindest vorübergehend nur auf friedliche und legale Weise fortgeführt werden kann, d.h. auf dem Wege der Konkurrenz, der gewerblichen Organisationen und all jener verschiedenen Mittel des friedlichen Kampfes, mit denen die Widersprüche unter den Klassen in England jetzt schon über ein Jahrhundert lang ausgetragen worden sind. Unter diesen Umständen liegt es gewissermaßen im Interesse aller konkurrierenden Klassen, wenn eine sogenannte starke Regierung besteht, die alle jene kleineren, lokalen und verstreuten Ausbrüche offener Feindseligkeit unterdrückt und niederhält, die, ohne zu irgendeinem Ergebnis zu fuhren, die Entwicklung des Kampfes in seiner neuen Form stören, indem sie die Sammlung der Kräfte für eine erneute entscheidende Schlacht hemmen. Dieser Umstand mag in gewisser <228> Hinsicht erklären, warum die Franzosen sich gegenüber ihrer gegenwärtigen Regierung im allgemeinen unleugbar friedlich verhalten. Wie lange es dauern wird, ehe beide, die Arbeiterklasse und die der Kapitalisten, wieder genug Kraft und Selbstvertrauen haben, um auf den Plan zu treten und - jede für sich - offen Anspruch auf die Diktatur über Frankreich zu erheben, das kann natürlich niemand sagen. Aber wie sich die Ereignisse heutzutage entwickeln, wird höchstwahrscheinlich die eine oder andere dieser Klassen unerwartet ins Feld geführt werden, und so mag sich Klasse gegen Klasse schon bald wieder auf der Straße im Kampf gegenüberstehen, lange bevor die relative oder absolute Stärke der Parteien ein solches Zusammentreffen vermuten ließe. Denn wenn die französische revolutionäre Partei, d.h. die Arbeiterpartei, warten soll, bis sie wieder genauso stark ist wie im Februar 1848, müßte sie sich etwa zehn Jahre lang in eine unterwürfige Passivität schicken - und das wird sie sicherlich nicht tun. Und gleichzeitig sieht sich eine Regierung wie die Louis-Napoleons gezwungen, wie wir bald sehen werden, sich selbst und Frankreich in so große Schwierigkeiten zu verstricken, daß schließlich nur ein großer revolutionärer Schlag sie zu lösen vermag. Wir wollen nicht von den Möglichkeiten eines Krieges sprechen, auch nicht von andern Begebenheiten, zu denen es kommen oder auch nicht kommen könnte; wir wollen nur ein Ereignis erwähnen, das so sicher eintreten wird, wie die Sonne am Morgen aufgeht: Das ist ein allgemeiner Umschwung in Handel und Industrie. Der schlechtgehende Handel und die schlechten Ernten von 1846 und 1847 bewirkten die Revolution von 1848; und man kann zehn zu eins wetten, daß 1853 der Handel in der ganzen Welt weit tiefer getroffen und weit länger gestört sein wird als je zuvor. Und wer sollte wohl das Schiff, auf dem Louis-Napoleon dahersegelt, für seetüchtig genug halten, um den Stürmen zu trotzen, die dann unweigerlich losbrechen?

Aber werfen wir einen Blick auf die Lage, in der sich der Bastard-Adler am Abend des Tages seines Sieges befand. Es unterstützten ihn die Armee, der Klerus und die Bauernschaft. Seinem Anschlag hatten sich die Bourgeoisie (einschließlich der Großgrundbesitzer) und die Sozialisten oder revolutionären Arbeiter widersetzt. Einmal an der Spitze der Regierung, mußte er sich nicht nur die Gunst der Parteien erhalten, die ihn dorthin gebracht hatten, sondern auch möglichst viele jener, die bisher gegen ihn gewesen, für sich gewinnen oder sie wenigstens mit dem neuen Stand der Dinge aussöhnen. Was nun die Armee, den Klerus, die Regierungsbeamten und die Mitglieder jener Verschwörung von Postenjägern betrifft, mit denen er sich schon seit langem umgeben hatte, so brauchte er für sie alle nur eins - direkte Bestechung, greifbares Geld, dreistes Plündern der öffentlichen Mittel; und wir haben ja <231> gesehen, wie schnell Louis-Napoleon bei der Hand war mit barem Geld oder wie fix er für seine Freunde Pfründe ausfindig machte, die ihnen glänzende Gelegenheiten boten, sich sofort zu bereichern. So trat de Morny, erdrückt von der Last seiner Schulden, als Bettler sein Amt an und gab es vier Wochen später wieder auf, aller Schulden ledig, dazu mit einem Vermögen, das man sogar im Viertel um den Belgrave Square als großartige Garantie einer unabhängigen Existenz bezeichnen würde. Eine ganz andre Sache aber war es, zurechtzukommen mit der Bauernschaft, mit den Großgrundbesitzern, mit den Besitzern von Staatspapieren und Kapitalien, den Fabrikanten, den Reedern, den Kaufleuten und Kleinhändlern und, schließlich, mit jenem schwierigsten Problem des Jahrhunderts, mit der Arbeiterfrage. Trotz aller knebelnden Maßnahmen der Regierung blieben die Interessen dieser verschiedenen Klassen so unversöhnt wie eh und je, obwohl es keine Presse, kein Parlament und keine Versammlungsplattform mehr gab, um diesen unerquicklichen Tatbestand offenkundig zu machen; und so ergab es sich, daß, was auch immer die Regierung für die eine Klasse zu tun versuchen mochte, sie damit die Interessen einer andern verletzen mußte. Was auch immer Louis-Napoleon unternehmen mochte, überall stieß er auf ein und dieselbe Frage: "Wer zahlt die Zeche?" - eine Frage, die mehr Regierungen gestürzt hat als alle andern, wie Fragen der Miliz, der Reform usw., zusammengenommen. Und obwohl Louis-Napoleon schon seinen Vorgänger Louis-Philippe ein gut Teil beisteuern ließ, um die Zeche zu zahlen, so ist sie doch noch lange nicht beglichen.

Wir werden in unserem nächsten Bericht damit beginnen, die Lage der verschiedenen Gesellschaftsklassen in Frankreich zu skizzieren und zu erforschen, inwieweit die gegenwärtige Regierung über Mittel und Wege verfügte, diese Lage zu verbessern. Wir werden gleichzeitig zeigen, was jene Regierung zu diesem Zwecke unternommen hat und wahrscheinlich noch unternehmen wird, und wir werden so Materialien sammeln, die erlauben, richtige Schlußfolgerungen zu ziehen über die Position und die Chancen jenes Mannes, der jetzt sein Bestes tut, den Namen Napoleons in Verruf zu bringen.