Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 299-303

IX. | Inhalt | XI.

X

<299> Trotz seiner bisherigen unverhofften Erfolge war Arnold noch nicht am Ziel seiner Mühen angelangt. Vertreter Deutschlands von Mazzinis Gnaden, hatte er die Verpflichtung, einerseits sich in dieser Eigenschaft wenigstens von der deutschen Emigration bestätigen zu lassen, andrerseits dem Zentralkomitee Leute vorzuführen, die sich seiner Führung unterwarfen. Er behauptete zwar, in Deutschland stehe "ein klar umschriebener Volksteil hinter ihm", aber dieser Hinterteil konnte Mazzini und Ledru unmöglich Vertrauen einflößen, solange sie bloß den Rugeschen Vorderteil zu Gesicht bekamen. Genug, Arnold mußte sich nach einem "klar umschriebenen" Schwanz unter der Emigration umsehn.

In dieser Zeit kam Gottfried Kinkel nach London, und mit oder bald nach ihm eine Anzahl andrer Exilierten, teils aus Frankreich, teils aus der Schweiz und Belgien: Schurz, Strodtmann, Oppenheim, Schimmelpfennig, Techow pp. Diese neuen Ankömmlinge, die sich teilweise schon in der Schweiz in Bildung provisorischer Regierungen versucht hatten, brachten neues Leben in die Londoner Emigration, und der Moment schien für unsern Arnold günstiger als je. Gleichzeitig übernahm Heinzen wieder die "Schnellpost" in New York und so konnte Arnold jetzt außer in d. Blättchen von Bremen auch jenseits des Ozeans seine "wiederholte Erscheinung" vorführen. Sollte auch Arnold einmal seinen Strodtmann finden, so würde dieser die Monatsgänge der "Schnellpost" von Anfang 1851 f. unschätzbares Material erklären. Von dieser so unendlich faden Klatscherei, Albernheit u. Gemeinheit und von der ameisenfleißigen Wichtigkeit, womit Arnold sein Guano ablagert, muß man sich durch d. Augenschein überzeugen. Während Heinzen ihn als europäische Großmacht darstellt, behandelt Arnold seinen Heinzen als amerikanisches Zeitungsorakel. Er teilt ihm die Geheimnisse der europäischen Diplomatie, speziell die täglich neuesten Wendungen der Emigrations-Weltgeschichte mit. Arnold erscheint zuweilen als Londoner und Pariser anonymer <300> Korrespondent, um einige fashionable movements <weltmännische Schritte> des großen Arnold dem amerikanischen Publikum mitzuteilen.

"Arnold Ruge hat die Kommunisten wieder unter dem Messer." - "Arnold Ruge machte gestern (datiert von Paris, wo die Zeitrechnung den alten Schalksnarren verrät) "eine Ausflucht von Brighton nach London." Dann wieder: "Arnold Ruge an Karl Heinzen: Lieber Freund und Redakteur ... Mazzini läßt Dich grüßen ... Ledru-Rollin erlaubt Dir, seine Schrift über den 13. Juni zu übersetzen" u. dgl.

Ein Brief aus Amerika bemerkt hierüber:

"Wie ich aus Ruges Briefen (in der 'Schnellpost') merke, schreibt Heinzen dem Ruge (privatim) allerlei drollige Geschichten über die amerikanische Bedeutung seines Blatts, während Ruge sich ihm gegenüber als große europäische Regierung gebärdet. Sooft Ruge an Heinzen eine neue Wichtigkeit übermacht, unterläßt er nie beizufügen: Du kannst die andern Zeitungen der Union auffordern, dies abzudrucken. Als ob, wenn diese es der Mühe wert fänden, sie noch lange auf Rugesche Autorisation warteten. Beiläufig gesagt, ich habe noch nie diese Wichtigkeiten irgendwo abgedruckt gesehn, trotz Herrn Ruges Rat und Genehmigung."

Vater Ruge benutzte dies Blättchen sowie die "Bremer Tages-Chronik" gleichzeitig, um die neuen Ankömmlinge der Emigration durch Schmeicheleien zu fangen: Kinkel ist jetzt hier, der geniale Dichter und Patriot; Strodtmann, ein großer Schriftsteller; Schurz, ein junger Mann, ebenso liebenswürdig wie verwegen, außerdem noch mehrere ausgezeichnete Revolutionsfeldherrn usw.

Unterdessen hatte sich, im Gegensatz zum Mazzinischen, ein plebejisches europäisches Komitee gebildet, hinter dem die "niedere Flüchtlingsschaft" und die emigrierte Krapüle der verschiedensten europäischen Nationen stand. Es hatte zur Zeit der Schlacht von Bronzell ein Manifest erlassen, das von folgenden hervorragenden Deutschen mitunterzeichnet war: Gebert, Majer, Dietz, Schärttner, Schapper, Willich. Dies in sonderbarem Französisch abgefaßte Aktenstück teilt als Neuestes mit, daß die Heilige Allianz der Tyrannen in diesem Moment (10. Novbr. 1850) eine Million dreihundertunddreißigtausend Soldaten versammelt habe, hinter denen noch siebenhunderttausend bewaffnete Fürstenknechte als Reserve ständen, daß "die deutschen Blätter und die eignen Verbindungen des Komitees" ihm die geheimen Absichten der Warschauer Konferenzen mitgeteilt hätten, welche darin beständen, alle Republikaner Europas zu massakrieren, woran sich dann der unvermeidliche Ruf zu den Waffen schließt. Dies manifeste - Fanon - Caperon - <301> Gouté, wie die "Patrie" es nannte, der sie es eingeschickt, mußte von der kontrerevolutionären Presse bittern Spott leiden, Die "Patrie" nannte es

"das Manifest der dii minorum gentium <Götter niederen Geschlechts>, geschrieben ohne chic, ohne Stil, nur über die armseligsten Redeblumen verfügend von serpents und sicaires und égorgements <Gewürm und Meuchelmördern und Niedermetzelungen>".

Die "Indépendance Belge" erzählt, es sei von den soldats les plus obscurs de la démocratie <unbedeutendsten Soldaten der Demokratie> abgefaßt, und diese armen Teufel hätten es ihrem Korrespondenten in London zugeschickt, obgleich sie konservativ sei. So sehr sehnten sie sich danach, gedruckt zu werden; zur Strafe wolle sie die Namen der Unterzeichner nicht mitteilen. Trotz aller Bettelei bei der Reaktion gelang es den Edlen nicht, als Konspirateurs und als gefährlich anerkannt zu werden.

Dies neue Konkurrenz-Etablissement feuerte Arnold zu verdoppelter Tätigkeit an. Er versuchte also nun mit Struve, Kinkel, R. Schramm, Bucher usw. einen "Volksfreund" oder, wenn Gustav darauf bestehe, einen "Deutschen Zuschauer" zu begründen. Aber die Sache scheiterte. Teils sträubten sich die andern gegen das Protektorat Arnolds, teils verlangte der "gemütliche" Gottfried bare Zahlung, während doch Arnold der Ansicht Hansemanns war, daß in Geldsachen die Gemütlichkeit aufhört. Es handelte sich für Arnold noch speziell bei diesem Unternehmen darum, die Lesegesellschaft, einen Klub deutscher Uhrmacher, gutbezahlter Arbeiter und Kleinbürger, in Kontribution zu setzen, was indes auch verhindert wurde.

Doch bot sich bald eine neue Gelegenheit für Arnolds "wiederholte Erscheinung". Ledru und seine Anhänger unter der französischen Emigration konnten den 24. Februar (1851) nicht vorübergehn lassen, ohne ein "Verbrüderungsfest" der europäischen Nationen zu feiern, das übrigens nur von Franzosen und Deutschen besucht wurde. Mazzini kam nicht und entschuldigte sich durch einen Brief; Gottfried, der anwesend war, ging entrüstet nach Hause, weil seine sprachlose Erscheinung nicht den erwarteten magischen Effekt hatte; Arnold mußte es erleben, daß sein Freund Ledru tat, als kenne er ihn nicht, und wurde auf der Tribüne so verwirrt, daß er seine höheren Orts gebilligte französische Rede im Sack behielt, nur ein paar deutsche Worte stammelte und sich mit dem Ausruf: "À la restauration de la révolution!" <"Auf das Widererstehen der Revolution!"> unter allgemeinem Schütteln des Kopfes eiligst zurückzog.

Am selben Tage fand ein Gegenbankett statt unter der Fahne des oben erwähnten Konkurrenzkomitees. Aus Verdruß darüber, daß das Mazzini- <302> Ledrusche Komitee ihn nicht von vornherein zugezogen, schloß sich Louis Blanc dem Flüchtlingsmob mit der Erklärung an, "auch die Aristokratie des Talents müsse abgeschafft werden". Die ganze niedere Emigration war versammelt. Der ritterliche Willich präsidierte. Der Saal war mit Fahnen dekoriert, und an den Wänden prangten die Namen der größten Volksmänner: Waldeck zwischen Garibaldi und Kossuth, Jacoby zwischen Blanqui und Cabet, Robert Blum zwischen Barbès und Robespierre. Das kokette Zieräffchen Louis Blanc verlas winselnd eine Adresse seiner alten Ia-brüder, der künftigen Pairs der sozialen Republik, der délégués du Luxembourg von 1848. Willich verlas eine Adresse aus der Schweiz, deren Unterschriften zum Teil unter falschen Vorwänden zusammengeschwindelt waren und deren prahlerisch indiskrete Veröffentlichung später massenhafte Ausweisungen der Unterzeichneten zur Folge hatte. Aus Deutschland war keine Adresse da. Dann Reden. Trotz der unendlichen Brüderlichkeit lag der Schein der Langeweile auf allen Gesichtern.

Dies Bankett gab Anlaß zu einem höchst erbaulichen Skandal, der, wie alle Heldentaten des europäischen Zentral-Mobkomitees, in der kontrerevolutionären Presse sich abwickelte. Man hatte es nämlich schon sehr sonderbar gefunden, daß ein gewisser Barthélemy auf diesem Bankett in Gegenwart Louis Blancs eine pomphafte Lobrede auf Blanqui hielt. Jetzt klärte sich die Sache auf. Die "Patrie" brachte einen Toast, den Blanqui, dazu auf Verlangen, von Belle-Île dem Festredner eingesandt hatte. Hier griff er derb u. schlagend die gesamte provisorische Regierung von 1848 an, und speziell Herrn Louis Blanc. D. "Patrie" stellte sich verwundert, daß dieser Toast während des Banketts unterschlagen worden sei. Sofort erklärte Louis Blanc in der "Times", Blanqui sei ein abominabler Intrigant und habe nie dem Festkomitee einen solchen Toast zugeschickt. Das Festkomitee, bestehend aus den Herrn Blanc, Willich, Landolphe, Schapper, Barthélemy u. Vidil, erklärte zugleich in der "Patrie", niemals den Toast erhalten zu haben. Die "Patrie" jedoch ließ die Erklärung nicht abdrucken, bis sie sich bei Herrn Antoine, Blanquis Schwager, erkundigt, der ihr den Toast mitgeteilt hatte. Unter d. Erklärung des Festkomitees druckte sie Herrn Antoines Antwort: Er habe den Toast an den Mitunterzeichner der Erklärung, Barthélemy, geschickt und von ihm auch Empfangsanzeige erhalten. Hierauf sah sich Herr Barthélemy zur Erklärung gezwungen, es sei wahr, er habe gelogen; er habe den Toast wirklich erhalten, aber als unpassend zurückgelegt, ohne dem Komitee Anzeige davon zu machen. Aber schon vorher, hinter dem Rücken Barthélemys, hatte der ebenfalls mitunterzeichnete französische Exkapitän Vidil der "Patrie" geschrieben, sein militärisches Ehrgefühl und sein Wahr- <303> heitsinstinkt dringe ihm das Geständnis ab, daß er selbst, Louis Blanc, Willich und alle die andern in der ersten Komitee-Erklärung gelogen hätten. Das Komitee habe nicht aus sechs, es habe aus 13 Mitgliedern bestanden. Ihnen allen sei der Toast Blanquis vorgelegt, von ihnen allen diskutiert und nach langer Debatte von der Majorität von 7 gegen 6 unterdrückt worden. Er habe sich unter den sechs befunden, die für seine Verlesung gestimmt.

Man begreift den Jubel der "Patrie", als sie, nach dem Vidilschen Brief, die Erklärung des Herrn Barthélemy erhielt. Sie ließ ihn mit folgendem Vorwort abdrucken:

"Wir haben uns oft gefragt, und die Frage ist schwer zu beantworten, was bei den Demagogen größer sei, ihre Ruhmredigkeit oder ihre Dummheit. Ein vierter Brief von London vermehrt noch unsre Verlegenheit. Da sind ihrer, wir wissen nicht wie viele arme Teufel, in einem solchen Grade gemartert von der Wut, zu schreiben und ihre Namen in den reaktionären Blättern genannt zu sehn, daß sie selbst vor einer grenzenlosen Beschämung und Selbstherabsetzung nicht zurückschrecken. Was liegt ihnen am Gelächter und der Indignation des Publikums - das 'Journal des Débats', die 'Assemblée nationale', die 'Patrie' werden ihre Stilübungen abdrucken; um dies Glück zu erreichen, ist kein Preis der kosmopolitischen Demokratie zu hoch ... Im Namen der literarischen Kommiseration nehmen wir daher den folgenden Brief des 'Bürgers' Barthélemy auf - er ist ein neuer und wir hoffen der letzte Beweis für die Echtheit des nur zu berühmten Toastes Blanqui, die sie erst alle geleugnet und für deren Beteuerung sie sich jetzt untereinander in die Haare geraten."