Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 318-330

XII. | Inhalt | XIV.

XIII

<318> Chi mi darà la voce e le parole,
E un proferir magnanimo e profondo!
Che mai cosa piu fiera sotto il sole
Non fu veduta in tutto quanto il mondo;
L'altre battaglie fur rose e viole,
Al raccontar di questa mi confondo;
Perchè il valor, e'l pregio della terra
A fronte son condotti in questa guerra.
(Bojardo, "Orlando innam[orato]", Canto 27)

Wer gibt die Worte mir und wer die Stimme,
Das Größte groß und würdig zu berichten!
Denn stolzern Kampf geführt mit wilderm Grimme,
Ward seit der Welt Beginn gesehn mitnichten;
Die andern Schlachten, wenn auch noch so schlimme,
Sind Veilchen nur und Rosen, und mein Dichten
Versagt mir, wo Bravour wie Ehrenglorie
Gleich herrlich strahlt in dieses Kampfs Historie.

Mit der Vervollständigung der Emigration durch die letzten fashionable arrivals <vornehmen Ankömmlinge> war der Zeitpunkt eingetreten, wo sie versuchen mußte, sich im großen zu "organisieren", sich zu einem vollen Dutzend zu konstituieren. Es war zu erwarten, daß diese Versuche nun in eine erbitterte Feindschaft umschlagen würden. Der Federkrieg in den transatlantischen Blättern erreichte nun seinen Höhepunkt. Persönliche Miseren, Intrigen, Kabalen, Renommistereien - in diesen Lumpereien erschöpften sich die großen Männer. Aber die Emigration hatte eins gewonnen, eine Geschichte für sich, die außerhalb der Weltgeschichte liegt, ihre Winkelpolitik neben der öffent- <319> lichen Politik; und aus ihrer wechselseitigen Bekämpfung selbst schöpfte sie das Gefühl ihrer wechselseitigen Wichtigkeit. Da im Hintergrund aller dieser Bestrebungen und Kämpfe die Spekulation auf demokratische Parteigelder, "auf d. heiligen Gral", liegt, verwandelt sich die transzendentale Rivalität, der Zank um den Bart des Kaisers Barbarossa, sehr bald in d. ordinäre Konkurrenz v. Narren. Wer diesen großen Froschmäuslerkrieg aus den Quellen studieren will, findet alle einschlagenden Dokumente in der N. Y. "Schnellpost", "N.-Y. Deutschen Zeitung", "A[llgemeinen] D[eutschen] Z[eitung]" und "Staatszeitung", im Baltimore "Correspondenten", im Wecker und andern deutschamerik. Blättern. Indes verblieb dies Schöntun mit angeblichen Verbindungen und erlogenen Konspirationen, diese ganze Emigrationspolterei nicht ohne ernste Seite. Sie bot den Regierungen erwünschten Vorwand, eine Menge Leute in Deutschland zu verhaften, der inländischen Bewegung überall hemmend entgegenzutreten und diese armen Strohwische in London dem deutschen Bürger gegenüber als Vogelscheuchen aufzurichten. Weit entfernt, den bestehenden Zuständen irgend gefährlich zu sein, wünschen diese Emigrationshelden nur das eine sehnlichst, daß es in Deutschland totenstill werde, damit man ihre Stimme um so besser vernehme, und daß das Niveau des öffentlichen Geistes tief genug sinke, um sogar Leute von ihrer Statur als hervorragende Größen erscheinen zu lassen.

Die neuangekommenen süddeutschen Biedermänner fanden sich in London, nach keiner Seite hin engagiert, in der trefflichsten Lage, um zwischen den verschiedenen Cliquen eine Versöhnung einzuleiten und zugleich die Masse der Emigration als Chor um die Hervorragenden zu versammeln. Ihr wackres Pflichtgefühl befahl ihnen, diese Gelegenheit nicht laufen zu lassen.

Aber sie sahen zugleich Ledru-Rollin, hier mit ihm übereinstimmend, schon auf dem Präsidentenstuhl der Französischen Republik. Ihnen, den nächsten Grenznachbarn Frankreichs, war es wichtig, v. d. provis. Regierung Frankreichs als provisorische Obmänner Deutschlands anerkannt zu werden. Sigel vor allem lag daran, von Ledru sein Oberkommando garantiert zu erhalten. Der Weg zu Ledru ging aber nur über Arnolds Leiche. Zudem imponierte ihnen Arnolds Charaktermaske damals noch, und als philosophisches Nordlicht sollte er ihre süddeutsche Dämmerung erhellen. So wandten sie sich zunächst an Ruge.

Auf der andern Seite stand erstens Kinkel mit seiner nähern Umgebung - Schurz, Strodtmann, Schimmelpfennig, Techow pp.; sodann die Ex-Parlaments- und Kammerabgeordneten, an der Spitze Reichenbach, mit Meyen <320> und Oppenheim als literarischen Repräsentanten; endlich Willich mit seiner Schar, die indes im Hintergrund bleibt. Die Rollen waren hier so verteilt: Kinkel als Passionsblume vertritt das deutsche Philisterium überhaupt; Reichenbach als Graf vertritt die Bourgeoisie; Willich als Willich vertritt das Proletariat.

Von August Willich ist zunächst zu sagen, daß Gustav stets ein geheimes Mißtrauen gegen ihn hegte infolge seines spitzzulaufenden Schädels, an dem das Organ der Selbstschätzung alle andern Fähigkeiten durch abnorme Überwucherung zusammendrückt

Ein deutscher Philister, der den ehemaligen Leutnant Willich in einer Londoner Bierkneipe sah, griff erschrocken zu seinem Hut und stürzte fort mit dem Ausruf: Um Gottes willen, was sieht der Mann unserm Herrn Jesus Christus ähnlich! Um diese Ähnlichkeit weiter auszubilden, wurde Willich kurz vor der Revolution eine Zeitlang Zimmermann. Später trat er im badisch-pfäizischen Feldzuge als Partisanenchef auf.

Der Partisanenchef, dieser Nachkömmling der altitalienischen Condottiere, ist eine eigentümliche Erscheinung in den neueren Kriegen, besonders in Deutschland. Der Partisanenchef, gewohnt auf eigne Faust zu agieren, widerstrebt jedem allgemeinen Oberkommando. Seine Leute sind allein an ihn gewiesen, er hängt aber auch ganz von ihnen ab. Die Disziplin in einem Freikorps ist daher eine eigne Sache, je nach Umständen bald barbarisch streng, bald, und meistens, im höchsten Grade lax. Der Partisanenchef kann nicht immer herrisch und befehlend auftreten, er muß seinen Leuten oft schmeicheln, sie einzeln, Mann für Mann, durch körperliche Liebkosungen ködern; die gewöhnlichen militärischen Eigenschaften nützen hier wenig, und der Verwegenheit müssen andre Qualitäten zu Hülfe kommen, um die Untergebnen im Respekt zu halten. Ist er auch nicht edel, so muß er doch ein edelmütiges Bewußtsein haben, das sich wie immer durch Hinterlist, lauerndes Intrigieren und versteckte praktische Gemeinheit ergänzt. So gewinnt man nicht nur seine Soldaten, man besticht auch die Einwohner, man überrumpelt den Feind, und man wird als persönlicher Charakter besonders von den Gegnern anerkannt. Alles das aber reicht nicht aus, ein Freikorps, dessen Masse entweder von vornherein aus dem Lumpenproletariat besteht oder sich ihm bald assimiliert, zusammenzuhalten. Hierzu gehört eine höhere Idee. Der Freischarenführer muß also einen Kern fixer Ideen haben, er muß ein Mann von Prinzip sein, dem sein welterlösender Beruf fortwährend vorschwebt. Er muß seinen Soldaten durch Predigen vor der Front und durch anhaltende belehrende Propaganda bei jedem einzelnen das Bewußtsein dieser höheren Idee beibringen und so das ganze Korps in <321> seine Söhne nach dem Glauben verwandeln. Hat diese höhere Idee einen spekulativen, mystischen, über den gewöhnlichen Verstand gehenden Anstrich, ist sie etwa Hegelscher Natur, wie General Willisen dergleichen der preußischen Armee beizubringen suchte, so ist das um so besser: So wird das edelmütige Bewußtsein jedem einzelnen Freischärler eingeflößt, und die Taten der ganzen Schar erhalten dadurch eine spekulative Weihe, die sie über den Charakter gewöhnlicher unreflektierter Courage weit erhebt, wie denn auch der Ruhm eines solchen Korps weniger von seinen Leistungen herrührt als von seiner messianischen Sendung. Es kann den Halt des Korps nur vermehren, wenn man sämtliche Krieger schwören läßt, die Sache, für die sie kämpfen, nicht zu überleben und sich lieber unter dem letzten Apfelbaum an der Grenze unter Absingung eines geistlichen Liedes bis auf den letzten Mann massakrieren zu lassen. Ein solches Korps und ein solcher Führer müssen sich natürlich durch die Gemeinschaft mit gewöhnlichen profanen Kriegern befleckt finden und nach jeder Gelegenheit suchen, entweder sich von der Armee zu entfernen oder die Gesellschaft der Unbeschnittenen gleich wieder abzuschütteln; und nichts müssen sie mehr hassen als ein großes Korps und den großen Krieg, wo die durch höheren Schwung unterstützte Hinterlist wenig ausrichtet, wenn sie die gewöhnlichen Regeln der Kriegführung verachtet. So muß der Partisanenchef im vollen Sinne des Worts Kreuzfahrer, er muß Peter der Eremit und Walter von Habenichts in einer Person sein. Er muß den gemischten Elementen und der ungezwungenen Lebensweise seines Korps gegenüber ein tugendhafter Mann sein; man darf ihn nicht unter den Tisch trinken können, und er selbst muß vorziehn, seine Flasche im stillen, etwa nachts im Bette, zu trinken. Sollte es ihm menschlicherweise passieren, zu unreglementsmäßiger Stunde, nach übermäßigem Genuß der Weltfreuden, in der Nacht in d. Kaserne zurückzukehren, so wird er [nicht] gerade durch das Großtor eintreten, sondern auf einem Umweg heimkehren, um unbewacht [über] die Mauern zu klettern, um kein Anstoß zu erregen; weibliche Reize müssen ihn kalt lassen, während es einen guten Effekt macht, wenn er, wie Cromwell seine Unteroffiziere, von Zeit zu Zeit einen Schneidergesellen in sein Bett nimmt; überhaupt kann er die asketische Strenge des Lebenswandels nicht zu hoch steigern. Da die hinter dem cavaliere della ventura <Glücksritter> stehenden cavalieri del dente <Ritter des Schnappsacks> seines Korps sich meistens von Requisitionen und freiem Quartier nähren, wobei Walter von Habenichts nicht immer so genau zusehen kann, so muß auch schon deshalb Peter der Eremit immer mit dem Trost bei der Hand sein, daß dergleichen <322> unangenehme Maßregeln ja nur zur Rettung des Vaterlandes und also im eignen Interesse der Betroffenen angewandt werden.

Alle diese Qualitäten des Partisanenchefs im Kriege treten zu Friedenszeiten in nicht gerade günstig modifizierter Form wieder auf. Vor allen Dingen muß er den Regimentsstamm für ein neues Korps zusammenhalten und fortwährend Werbeunteroffiziere in Bewegung setzen. Der Stamm, bestehend aus den Resten des Freikorps und dem Mob der Emigration überhaupt, wird einkaserniert, sei es auf Regierungskosten (etwa in Besançon) oder sonstwie. Die ideelle Weihe darf dem Kasernenleben nicht fehlen, sie wird hergestellt durch den Kasernenkommunismus, wodurch der Verachtung gemeiner bürgerlicher Tätigkeit eine höhere Bedeutung erwächst. Da diese kommunistische Kaserne indes nicht mehr unter den Kriegsartikeln steht, sondern nur unter der moralischen Autorität und dem Gebot der Aufopferung, so kann es nicht fehlen, daß zuweilen Prügeleien über die gemeinschaftliche Kasse entstehn wobei die moralische Autorität nicht immer ohne ein blaues Auge davonkommt. Findet sich irgendwo in der Nähe ein Handwerkerverein, so kann dieser als Rekrutieranstalt für das anzuschaffende Korps benutzt und den Handwerkern als Entschädigung für ihre gegenwärtige saure Arbeit die Aussicht auf künftiges flottes Leben und Freischärlerabenteuer eröffnet werden. Vielleicht läßt es sich auch einrichten, daß im Hinblick auf die höhere prinzipielle Bedeutung, die die Kaserne für die Zukunft des Proletariats hat, der Verein Gelder in die Menage liefert. In der Kaserne wie im Verein wird das Predigen und die patriarchalisch-klätschelnde Manier des persönlichen Verkehrs nicht ohne Wirkung bleiben. Der Parteigänger verliert auch im Frieden seine unentbehrliche Zuversicht nicht, und wie früher stets nach jeder Schlappe für den morgenden Tag den Sieg, so verkündet er nunmehr stets die moralische Gewißheit u. d. philosophische Notwendigkeit, daß es binnen vierzehn Tagen "losgehn" werde, nämlich es. Da es ihm an einem Feinde nicht fehlen darf und dem Edlen notwendig die Unedlen gegenüberstehn, so wird er in diesen eine wütende Feindschaft gegen sich entdecken, er wird glauben, die Unedlen tun es schon aus Haß gegen seine verdiente Popularität, wollten ihn vergiften oder erdolchen, weshalb er stets ein langes Messer unter dem Kopfkissen bergen wird. - Wie der Partisanenchef im Kriege nichts leistet, wenn er nicht voraussetzt, daß die Landesbewohner ihn anbeten, so wird er auch im Frieden zwar zu keinen wirklichen politischen Verbindungen kommen, sie aber stets voraussetzen oder sich einbilden, woraus dann manchmal sonderbare Mystifikationen hervorgehn mögen. Das Requisitionstalent und das freie Quartiermachen tritt wieder auf in der Gestalt einer gemütlichen Schmarotzerei. Der sitten- <323> strenge Asketismus unseres Orlando erleidet dagegen in Friedenszeiten, wie alles Edle und Große, schwere Anfechtung. Bojardo sagt im 24. Gesange:

Turpin behauptet, daß der Graf von Brava
Jungfräulich war auf Lebenszeit und keusch.
Glaubt ihr davon, was euch beliebt, ihr Herren -

Aber es ist auch bekannt, daß der Graf von Brava später über den Augen der schönen Angelica den Verstand verlor und Astolf diesen im Monde wieder holen mußte, wie das der Meister Lodovico Ariosto gar reizend geschildert hat. Unser moderner Orlando verwechselte sich jedoch mit dem Dichter selbst, der erzählte, auch er habe den Verstand aus Liebe verloren, aber ihn mit den Lippen u. den Händen auf dem Busen seiner Angelica wieder gesucht, wobei es ihm jedoch passierte, daß er zum Dank zum Hause hinausgeworfen wurde.

In der Politik wird der Partisanenchef seine Überlegenheit in allen Mitteln des kleinen Kriegs an den Tag legen. Dem Begriff des Parteigängers gemäß wird er von einer Partei zur andern gehn. Mesquines <Kleinliches> Intrigieren, schäbige Winkelzüge, gelegentliche Lügen, sittlich entrüstete Perfidie werden hier als naturgemäße Symptome des edelmütigen Bewußtseins erscheinen, und er wird im Glauben an seine Sendung und an den höhern Sinn seiner Worte und Handlungen mit Bestimmtheit erklären: "Ich lüge nie!" Die fixen Ideen werden einen vortrefflichen Deckmantel für die versteckte Heimtücke abgeben und bringen die Emigrationstölpel ohne alle Ideen auf den Gedanken, er, der Mann der fixen Ideen, sei ein einfacher Narr, was einem so geriebenen braven Mann nur erwünscht sein kann.

Don Quijote und Sancho Pansa in einer Person, ebenso verliebt in den Schnappsack wie in seine fixen Ideen, an der irrenden Ritterschaft die freie Zehrung nicht minder bewundernd als den Ruhm, der Mann des Duodezkriegs und der minimsten Intrige, seine Durchtriebenheit zudeckend unter der Maske des Charakters, liegt die wahre Zukunft Willichs in den Prärien des Rio Grande del Norte.

Über die Beziehungen der oben geschilderten beiden Elemente der Emigration gibt Herr Goegg in einem Brief in der N.Y. "Deutschen Schnellpost" Aufschluß:

"Sie" (die Süddeutschen) "hätten beschlossen, um das Ansehn des hinsterbenden Zentralkomitees herzustellen, eine Vereinigung mit den übrigen Fraktionen zu versuchen. Aber es sei wenig Aussicht für dies wohlgemeinte Werk vorhanden. Kinkel fahre fort zu intrigieren, er habe ein Komitee mit seinem Retter, seinem Biographen <324> und einigen preußischen Leutnants gebildet, das im geheimen wirken solle, sich ausbreiten, womöglich die demokratischen Gelder an sich ziehen und dann plötzlich als mächtige Partei Kinkel ans Tageslicht treten. Das sei weder ehrlich noch billig noch verständig!"

Die "ehrliche" Absicht der süddeutschen Elemente bei diesen Vereinbarungsversuchen geht aus folgendem Brief des Herrn Sigel an dieselbe Zeitung hervor:

"Wenn wir, die wenigen Männer, die es aufrichtig gemeint, ebenfalls teilweise zur Konspiration gegriffen haben, so geschah es, um uns gegen die elenden Perfidien und Anmaßungen Kinkels und Genossen zu wahren und ihnen zu zeigen, daß sie nicht zum Herrschen geboren sind. Unser Hauptzweck war, Kinkel mit Gewalt in eine große Versammlung zu ziehn, um ihm und seinen näheren politischen Freunden, wie er sich ausdrückt, zu beweisen, daß nicht alles Gold ist, was glänzt. Zum Teufel erst das Instrument" (Schurz), "zum Teufel hinterdrein den Sänger" (Kinkel). ("Wochenbl. der N.-Y. D. Ztg.", 24. Septbr. 1851.)

Wie sonderlich beide Seiten, die sich "süddeutsch" und "norddeutsch" schelten, beschaffen waren, folgt schon daraus, daß an der Spitze der süddeutschen Elemente der "Verstand" Ruges stand und an der Spitze der norddeutschen das "Gemüt" Kinkels.

Um den jetzt folgenden großen Kampf zu verstehn, müssen wir zwei Worte über die Diplomatie dieser beiden welterschütternden Parteien verlieren.

Arnold (also auch seinen Spießgesellen) war es vor allem darum zu tun, einen "geschlossenen Klub" mit dem offiziellen Schein einer "revolutionären Tätigkeit" zu bilden. Aus diesem Klub sollte sein beliebter "Ausschuß für die deutschen Angelegenheiten" hervorgehn, und aus diesem Ausschuß sollte Ruge selbst wieder ausgeschlossen werden ins Europäische Zentralkomitee. Arnold verfolgte dies Ziel nun schon unverdrossen seit Sommer 1850. In den Süddeutschen hoffte er "das schöne mittlere Element gefunden zu haben, wo er behaglich als Herrscher walten könne". Offizielle Konstituierung der Emigration, Bildung von Komitees war also die notwendige Politik Arnolds und seiner Verbündeten.

Kinkel und Konsorten andrerseits mußten alles zu hintertreiben suchen, was Ruges angemaßte Stellung im Europäischen Zentralkomitee legitimieren konnte. Kinkel hatte auf seinen Aufruf zur vorläufigen Zeichnung von 500 Pfd.St. von New Orleans die Zusicherung einer Geldsendung erhalten und daraufhin mit Willich, Schimmelpfennig, Reichenbach, Techow, Schurz pp. bereits ein geheimes Finanzkomitee gebildet. Sie dachten: Haben wir erst das Geld, so haben wir auch die Emigration; haben wir die Emigra- <325> tion, so haben wir auch die Regierung in Deutschland. Es galt ihnen also vor allem, die Gesamtemigration durch formelle Zusammenkünfte zu beschäftigen, aber jede offizielle Konstituierung derselben, die über eine "lose Gesellschaft" hinausgehe, und besonders jede Komiteebildung zu hintertreiben, um die feindliche Fraktion hinzuhalten, vom Tun abzuhalten und hinter ihrem Rücken manövrieren zu können.

Beide Fraktionen, d.h. "die namhaften Männer", hatten gemein, daß das Gros der Emigration an der Nase herumgezogen, nicht in die Endzwecke eingeweiht, nur als Folie dienen sollte und fallengelassen wurde, sobald der Zweck erreicht war.

Sehen wir jetzt diese Machiavellis, Talleyrands und Metternichs der Demokratie in ihrem gegenseitigen Auftreten an.

Erster Auftritt. 4. Juli 1851. - Nachdem "eine privative Verständigung mit Kinkel zu gemeinsamem Auftreten gescheitert", laden Ruge, Goegg, Sigel, Fickler, Ronge die namhaften Männer aller Fraktionen zu einer Zusammenkunft bei Fickler auf den 14. Juli ein. 26 Mann erscheinen. Fickler trägt an, einen "geschlossenen Kreis" deutscher Flüchtlinge zu bilden und aus ihm einen "Geschäftsausschuß für Beförderung revolutionärer Zwecke" hervorgehn zu lassen. Hauptsächlich von Kinkel und sechs seiner Anhänger bekämpft. Nach mehrstündiger heftiger Debatte Ficklers Antrag (16 gegen 10) angenommen. Kinkel und die Minorität erklären, sich nicht bei dieser Sache beteiligen zu können und treten ab.

Zweiter Auftritt. 20. Juli. - Die obige Majorität konstituiert sich als Verein. Neu eingetreten unter andern der von Fickler eingeführte Tausenau.

Wie Ronge der Luther, wie Kinkel der Melanchthon, so ist Herr Tausenau der Abraham a Sancta Clara der deutschen Demokratie. Wenn die beiden Haruspices bei Cicero einander nicht ansehn konnten, ohne zu lachen, so kann Herr Tausenau sein eigenes ernsttuendes Gesicht nicht im Spiegel ansehn, ohne es auszulachen. War es Ruge gelungen, in den Badensern Leute zu finden, denen er imponierte, so rächte sich das Schicksal dafür, indem es in dem Östreicher Tausenau [ihm] den Mann zuführte, der ihm imponiert.

Auf Goeggs und Tausenaus Antrag werden die Verhandlungen vertagt, um noch einmal d. Vereinigung mit der Kinkelschen Fraktion zu versuchen.

Dritter Auftritt. 27. Juli. - Sitzung im Cranbourne Hotel. Die "namhafte" Emigration au grand complet <absolut vollständig>. Kinkels Fraktion erscheint, jedoch nicht in der Absicht, sich dem schon bestehenden Verein anzuschließen; sie dringt <326> vielmehr auf Bildung eines "offenen Diskussionsklubs ohne Geschäftsausschuß und ohne Verfolgung bestimmter Zwecke". Schurz, der in allen diesen parlamentarischen Verhandlungen als Mentor des jungen Kinkel erscheint, trägt an:

"Gegenwärtige Gesellschaft formiert sich als geschlossener politischer Verein unter dem Namen Deutscher Emigrationsklub und nimmt auf Antrag eines Mitglieds durch Majoritätsbeschluß andre Bürger aus der deutschen Flüchtlingsschaft auf."

Einstimmig angenommen. Der Klub beschloß, sich alle Freitage zu versammeln.

"Die Annahme dieses Antrags wurde mit allgemeinem Beifalle, mit dem Rufe: 'Es lebe die deutsche Republik!!!' begrüßt. Man fühlte, durch allgemeines Entgegenkommen seine Pflicht getan und etwas Gutes im Interesse der Revolution geschaffen zu haben." (Goegg, "Wochenbl. d. Schnellp[ost]", 20. Aug. 1851.)

Eduard Meyen war über diesen Erfolg so entzückt, daß er in seiner lithographierten Korrespondenz ausrief:

"Die ganze Emigration bildet jetzt eine geschlossene Phalanx, bis hinauf zu Bucher - mit einziger Ausnahme der unverbesserlichen Marxschen Clique."

Dieselbe Meyensche Notiz findet sich in der Berliner lithographierten ministeriellen Korrespondenz.

So entstand unter allgemeinem Entgegenkommen und unter dem Hoch auf die deutsche Republik der große Emigrationsklub, der so erhebende Sitzungen halten und ein paar Wochen nach Kinkels Abreise nach Amerika sich in Wohlgefallen auflösen sollte; was indes nicht verhindert, daß er in Amerika noch immer als ein lebendes Wesen seine Rolle spielt.

Vierter Auftritt. 1. August. - Zweite Sitzung im Cranhourne Hotel.

"Leider müssen wir heute schon berichten, daß wir uns in den Erwartungen von dem Erfolge dieses Klubs täuschten." (Goegg, ebendaselbst, vom 27. Aug.)

Kinkel führt ohne vorhergehenden Majoritätsbeschluß sechs preußische Flüchtlinge und sechs preußische Industrieausstellungsbesucher ein. Der Damm (1) (Präsident, ehemaliger Präsident der badischen Konstituante) spricht sein Befremden über dies hochverräterische Verletzen des Statuts aus.

<327> Kinkel erklärt:

"Der Klub sei nur eine lose Gesellschaft mit keinem andern Zweck, als sich gegenseitig persönlich kennenzulernen und Gespräche zu führen, die jedermann hören könne. Wünschenswert sei es daher, wenn die Gesellschaft recht zahlreich von Auswärtigen besucht werde."

Studiosus Schurz sucht die Taktlosigkeit seines Professors rasch durch ein Amendement auf Zulassung von Besuchern zu bemänteln. Angenommen. - Abraham a Sancta Clara Tausenau erhebt sich und stellt folgende zwei ernsthafte Anträge, ohne dabei zu lachen:

"1. Ernennung einer Kommission" ("der" Ausschuß), "um alle acht Tage genauen Bericht über die laufende Politik, besonders Deutschlands, abzustatten, welche Berichte in das Archiv des Vereins niedergelegt und zu gehöriger Zeit veröffentlicht werden sollen; 2. Kommission" ("der" Ausschuß) "zur Niederlegung in das Vereinsarchiv von allen möglichen Details über die Rechtsverletzungen und Grausamkeiten, welche von den Dienern der Reaktion gegen die Anhänger der Demokratie seit den letzten drei Jahren ausgeübt worden und noch ausgeübt werden."

Dagegen heftig Reichenbach: "Er erblickt in den unverfänglichen Anträgen verdächtige Hintergedanken und das Streben, mit der Wahl dieser Kommissionen der Versammlung einen von ihm und seinen Freunden nicht gewünschten offiziellen Anstrich zu geben."

Schimmelpfennig und Schurz: "Diese Kommissionen könnten sich Befugnisse anmaßen, die einen konspiratorischen Charakter haben und nach und nach zu einem offiziellen Komitee führen würden."

Meyen: "Er wünsche Worte, nicht Taten."

Die Majorität schien nach Goeggs Behauptung zur Annahme der Anträge geneigt; Machiavelli Schurz trägt auf Vertagung an. Abraham a Sancta Clara Tausenau schließt sich aus Gemütlichkeit diesem Antrag an. Kinkel meinte, daß man hauptsächlich deswegen für die nächste Sitzung die Abstimmung aufschieben müsse, weil ihm diesen Abend seine Fraktion in der Minderheit zu sein scheine und er und seine Freunde eine Abstimmung unter diesen Umständen "nicht für ihr Gewissen bindend" ansehn könnten. Vertagung beschlossen.

Fünfter Auftritt. 8. August. - Dritte Sitzung im Cranbourne Hotel. Diskussion der Tausenauschen Anträge. - Kinkel-Willich haben gegen Übereinkommen die "niedere Flüchtlingsschaft", le menu peuple <das niedere Volk> mitgebracht, um diesmal "ihr Gewissen zu binden". - Schurz trägt als Amendement auf freiwillige Vorträge über Tagespolitik an, und abgekarteterweise melden sich <328> sofort Meyen für Preußen, Schurz für Frankreich, Oppenheim für England, Kinkel für Amerika und die Zukunft (weil seine nächste Zukunft in Amerika lag). - Tausenaus Anträge werden verworfen. Er erklärt gerührt, seinen gerechten Zorn auf dem Altar des Vaterlands opfern und im Schoß der Verbündeten bleiben zu wollen. Aber sogleich nimmt die Fraktion Ruge-Fickler die gereizte Haltung geprellter schöner Seelen an.

Intermezzo. - Kinkel hatte endlich 160 Pfd.St. aus New Orleans erhalten, die er mit Zuziehung andrer namhafter Größen für die Revolution rentbar machen sollte. Die Fraktion Ruge-Fickler, ohnehin durch die letzte Abstimmung erbittert, erfuhr dies. Jetzt war keine Zeit mehr zu verlieren, es mußte gehandelt werden. Es bildete sich ein neuer Emigrationssumpf, der sein faulstagnierendes Dasein mit dem Namen "Agitationsverein" schmückte. Mitglieder waren Tausenau, Frank, Goegg, Sigel, Hertle, Ronge, Haug, Fickler, Ruge. Der Verein erklärte sofort in den englischen Blättern:

"Er sei kein diskutierender, sondern ein wesentlich arbeitender, der keine words, sondern works <keine Worte, sondern Taten> liefern werde und vor allem die Gesinnungsgenossen auffordere, Geld zu liefern. Der Agitationsverein ernenne Tausenau zu seiner Exekutivgewalt und zu seinem korrespondierenden Minister des Auswärtigen, erkenne zugleich Ruges Stellung im Europäischen Zentralkomitee" (als Reichsverweser) "an, seine bisherige Tätigkeit und seine Vertretung des teutschen Volks im Sinne des teutschen Volks."

Man erkennt in der neuen Kombination sogleich die Urform: Ruge, Ronge, Haug. So hatte Arnold also endlich nach jahrelangem Kämpfen und Mühen erreicht, was er wollte, er war anerkannt als fünftes Rad am demokratischen Zentralwagen und hatte einen klar, leider nur zu klar umschriebenen Volksteil von ganzen acht Mann hinter sich. Doch auch dieser Genuß ward ihm vergällt, indem seine Anerkennung zugleich mit seiner indirekten Absetzung verbunden war und nur unter der von den Bauer-Fickler gestellten Bedingung durchging, daß Ruge jetzt aber auch aufhöre, "sein dummes Zeug in die Welt zu schreiben". Der grobe Fickler hielt nur die Schriften Arnolds für "gediegen", die er nicht gelesen hatte und nicht zu lesen brauchte.

Sechster Auftritt. 22. August. - Cranbourne Hotel. Zuerst "diplomatisches Meisterwerk" (s. Goegg) von Schurz: Antrag auf Bildung eines allgemeinen Flüchtlingskomitees aus sechs Mitgliedern der verschiedenen Fraktionen, mit Zuziehung der fünf Mitglieder des schon bestehenden Flüchtlingskomitees des Willichichen Handwerkervereins. (Die Fraktion Kinkel-Willich würde somit immer die Majorität gehabt haben.) Angenommen. Die Wahlen wurden vollzogen, aber von den Gliedern des Staatsteils Ruge <329> abgelehnt, wodurch das diplomatische Meisterwerk platt zu Boden fiel. Wie ernst es übrigens mit diesem Flüchtlingskomitee gemeint war, geht daraus hervor, daß Willich 4 Tage später aus dem längst nur noch nominell bestehenden Handwerker- und Flüchtlingskomitee austrat, nachdem wiederholte, durchaus unrespektable Revolten der "niedern Flüchtlingsschaft" die Auflösung des Komitees seit geraumer Zeit unvermeidlich gemacht hatten. - Interpellation über das öffentliche Auftreten des Agitationsvereins. Antrag, daß der Emigrationsklub mit dem Agitationsverein nichts zu schaffen habe und alle seine Schritte öffentlich desavouiere. Wütende Ausfälle gegen die anwesenden "Agitatoren" Goegg und Sigel junior (d.h. senior, siehe unten). Rudolf Schramm erklärt seinen alten Freund Ruge für einen Bedienten Mazzinis und "eine alte Klatschvettel". Auch du, Brutus! Goegg antwortet, nicht als großer Redner, aber als schlichter Bürger, greift den zweideutigen, schlapp-perfiden, pfäffisch-salbungsvollcn Kinkel bitter an,

"es sei unverantwortlich, denen, welche arbeiten wollen, die Gelegenheit abzuschneiden, aber diese Leute wollen eine scheinbare, untätige Vereinigung, damit sie unter diesem Deckmantel als Clique für gewisse Zwecke wirken können".

Als Goegg auf die öffentliche Erklärung des Agitationsvereins in den englischen Blättern kam, erhob Kinkel sich majestätisch und sprach:

"Schon beherrsche er die ganze amerikanische Presse, und die Anstalten seien getroffen, auch die französische Presse seiner Herrschaft zu unterwerfen."

Der Antrag der teutschen Fraktion wurde angenommen und hatte die Erklärung der "Agitatoren" zur Folge, daß die Mitglieder ihres Vereins nicht länger dem Emigrationsklub angehören könnten.

So entstand der gewaltige Riß zwischen dem Emigrationsklub und dem Agitationsverein, der die ganze moderne Weltgeschichte gähnend durchklafft. Das sonderbarste ist, daß beide Kreaturen nur bis zu ihrer Trennung existiert haben und jetzt noch fortvegetieren in der Kaulbachschen Heidengeisterschlacht, die in deutsch-amerikanischen Meetings und Zeitungen fortgesetzt wird, wie es scheint, bis an das Ende der Tage.

Die ganze Sitzung war um so stürmischer, als d. undisziplinierte Schramm auch noch Willich angriff u. behauptete, d. Emigrationsklub blamiere sich durch die Verb[in]d[ung] mit diesem Ritter. Der Präsident, diesmal der furchtsame Meyen, hatte schon mehrmals das Steuer verzweiflungsvoll fallenlassen. Die Debatte über den Agitationsverein und der Austritt seiner Mitglieder steigerte jedoch den Tumult aufs höchste. Unter Schreien, Trom- <330> meln, Poltern, Drohen, Toben spann sich die erbauliche Sitzung fort bis gegen zwei Uhr nachts, wo endlich der Wirt durch Abdrehen der Gasröhre die erhitzten Parteien in tiefe Nacht versenkte und der Vaterlandsrettung ein Ende mit Schrecken machte.

Ende August versuchten der ritterliche Willich und der gemütliche Kinkel, den Agitationsverein zu sprengen, indem sie dem biedern Fickler folgenden Vorschlag machten:

"Er solle mit ihnen und ihren näheren politischen Freunden zur Verwaltung der aus New Orleans eingelaufenen Gelder einen Finanzausschuß bilden, der solange zu funktionieren habe, bis ein öffentlicher Finanzausschuß der Revolution zusammentreten könne, wogegen aber mit der bloßen Annahme dieses Antrags alle bisher bestandenen deutschen Revolutions- und Agitationsgesellschaften sich aufzulösen haben."

Der brave Fickler empörte sich gegen den "oktroyierten, geheimen, unverantwortlichen Ausschuß".

"Wie soll", rief er aus, "ein bloßer Finanzausschuß alle revolutionären Parteien um sich konzentrisch scharen? Die einzugehenden und bereits eingegangenen Gelder können für sich nie eine Basis werden, auf welcher auseinandergehende Richtungen der Demokratie ihre Selbständigkeit opfern."

Statt also die erwünschte Sprengung herbeizuführen, hatte dieser Verleitungsversuch zur Desertion den umgekehrten Erfolg, daß Tausenau erklären konnte, der Bruch zwischen den beiden gewaltigen Parteien Emigration und Agitation sei nun unheilbar geworden.



Fußnoten

(1) "Der Damm ist da!"
"Wer ist da?"
"Der Damm ist da!"
"Wer?"
"Der Damm, der Damm, kenne Se de Damm net?" <=