Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 394-397

Karl Marx/Friedrich Engels

Erklärung zum Abschluß des Kölner Prozesses

Aus dem Englischen.


["The Morning Advertiser" Nr. 19168 vom 29. November 1852]

An den Redakteur des "Morning Advertiser"

<394> Sir,

die Unterzeichneten erfüllen eine Pflicht gegenüber sich selbst und ihren in Köln neuerdings verurteilten Freunden, wenn sie der englischen Öffentlichkeit eine Reihe von Tatsachen unterbreiten, die mit dem jüngst durchgeführten Monsterprozeß in jener Stadt zusammenhängen und die die Londoner Presse in ungenügendem Maße bekanntgemacht hat.

Achtzehn Monate sind vergeudet worden, nur um die Beweismittel für diesen Prozeß zu präparieren. Während dieser ganzen Zeit sind unsere Freunde in Einzelhaft gehalten worden, jeder Beschäftigungsmöglichkeit, selbst der Bücher, beraubt; wurden sie krank, so verweigerte man ihnen eine ordnungsgemäße ärztliche Behandlung, oder wenn sie sie erhielten, so hinderte sie die Verfassung, in der sie sich befanden, Nutzen daraus zu ziehen. Sogar nachdem ihnen die "Anklageakte" übermittelt worden war, hat man ihnen - entgegen den Gesetzen - verboten, sich mit ihren Advokaten zu beraten. Und was waren die Vorwände für diese in die Länge gezogene grausame Haft? Nach Ablauf der ersten neun Monate erklärte der "Anklagesenat", daß kein objektiver Tatbestand für eine Anklage vorliege, und die Untersuchung daher von neuem beginnen müsse. Man fing wieder von vorn an. Drei Monate später, bei der Eröffnung der Assisenverhandlungen, gab der Staatsanwalt vor, die Masse der Beweismaterialien sei derart angewachsen, daß er sie noch nicht habe verarbeiten können. Und nach weiteren drei Monaten wurde der Prozeß wiederum sistiert, und zwar auf Grund der Krankheit eines der Hauptzeugen der Regierung.

Der wahre Grund dieser ganzen Verzögerung war die Furcht der preu- <395> ßischen Regierung, die magere Substanz der Tatsachen den pompös angekündigten "unerhörten Enthüllungen" gegenüberzustellen. Schließlich gelang es der Regierung, ein Geschworenengericht zustande zu bringen, wie es die Rheinprovinz noch nie gesehen, zusammengesetzt aus sechs reaktionären Adligen, vier Mitgliedern der haute finance <Finanzaristokratie> und zwei Mitgliedern der Bürokratie.

Worin bestand nun das Beweismaterial, das dieser Jury vorgelegt wurde? Es waren dies einzig und allein die absurden Proklamationen und Korrespondenzen einer Gruppe von unwissenden Phantasten, von Verschwörern, die sich wichtig machen wollten, von Handlangern, die zugleich Komplizen eines gewissen Cherval waren, eines eingestandenen Polizeiagenten. Der größere Teil dieser Dokumente war früher im Besitz eines gewissen Oswald Dietz in London gewesen. Während der großen Industrieausstellung hatte die preußische Polizei, als Dietz nicht zu Hause war, seine Schubladen aufgebrochen und sich so die begehrten Dokumente mittels eines gewöhnlichen Diebstahls verschafft. Diese Papiere lieferten erstens einmal die Mittel, um das sogenannte französisch-deutsche Komplott in Paris zu entdecken. Nun bewies aber der Prozeß zu Köln, daß jene Verschwörer und ihr Pariser Agent Cherval just die politischen Gegner der Angeklagten und jener Londoner Freunde waren, die sich hiermit an Sie wenden. Der Staatsanwalt aber behauptete, daß ein rein persönlicher Streit die Letzteren daran gehindert hätte, am Komplott des Cherval und seiner Bundesgenossen teilzunehmen. Eine solche Argumentation sollte beweisen, daß die Kölner Angeklagten moralisch an dem Pariser Komplott mitschuldig gewesen. Und während so die Kölner Angeklagten für die Taten ihrer ausgesprochenen Feinde verantwortlich gemacht wurden, brachte die Regierung die geschworenen Freunde Chervals und seiner Bundesgenossen bei, aber nicht, um sie wie die Angeklagten vor die Gerichtsschranken, sondern um sie in den Zeugenstand zu stellen und gegen jene aussagen zu lassen. Das jedoch machte einen gar zu schlechten Eindruck. Die öffentliche Meinung zwang die Regierung, sich nach weniger zweideutigen Beweisen umzusehen. Unter der Leitung eines gewissen Stieber, des Hauptzeugen der Regierung in Köln, der königlicher Polizeirat und Leiter der Berliner Kriminalpolizei war, wurde nun die ganze Polizeimaschine in Gang gesetzt. In der Sitzung vom 23. Oktober kündigte Stieber an, daß ihm ein außerordentlicher Kurier von London höchst wichtige Dokumente überbracht habe, die unleugbar bewiesen, daß die Angeklagten gemeinsam mit den Unterzeichneten an einer angeblichen <396> Verschwörung beteiligt waren. "Unter anderen Dokumenten habe ihm der Kurier das Originalprotokollbuch der Sitzungen der Geheimgesellschaft überbracht, deren Vorsitz Dr. Marx innehatte, mit dem die Angeklagten im Briefwechsel gestanden hätten." Stieber verwickelte sich jedoch in widersprüchliche Angaben über das Datum, an dem ihn der Kurier erreicht haben sollte. Dr. Schneider, der Hauptverteidiger, beschuldigte ihn geradezu des Meineids, worauf Stieber keine andere Antwort zu geben wagte, als auszuweichen auf seine Würde als Repräsentant der Krone, der von der allerhöchsten Autorität im Staate mit einer äußerst wichtigen Mission betraut worden sei. Was das Protokollbuch betrifft, so erklärte Stieber zweimal unter Eid, es sei das "echte Protokollbuch des Londoner Kommunistenbundes", aber später, von der Verteidigung in die Enge getrieben, gab er zu, es könne ein einfaches Notizbuch sein, das einer seiner Spione an sich genommen habe. Schließlich stellte sich das Buch, nach Stiebers eigenem Zeugnis, als eine bewußte Fälschung heraus, und sein Zustandekommen wurde auf drei von Stiebers Londoner Agenten, Greif, Fleury und Hirsch, zurückgeführt. Der Letztgenannte hat seitdem selbst zugegeben, daß er das Buch unter Anleitung von Fleury und Greif zusammengestellt hat. Zu diesem Punkt waren die Beweise in Köln so schlüssig, daß selbst der Staatsanwalt Stiebers wichtiges Dokument ein "wahrhaft unseliges Buch", eine bloße Fälschung nannte. Dieselbe Persönlichkeit weigerte sich, Notiz zu nehmen von einem Brief, der zum Beweismaterial der Regierung gehörte und in dem die Handschrift von Dr. Marx nachgeahmt worden war; auch dieses Dokument hatte sich als eine plumpe und offensichtliche Fälschung herausgestellt. Genauso erwies sich jedes weitere Dokument, das beigebracht worden war, nicht etwa um die revolutionären Tendenzen, sondern um die tatsächliche [Beteiligung] der Angeklagten an irgendeinem weithergeholten Komplott zu beweisen, als eine Fälschung durch die Polizei. Die Furcht der Regierung vor einer Enthüllung war so groß, daß sie nicht nur die Post veranlaßte, alle an die Verteidigung adressierten Dokumente zurückzuhalten, sondern diese auch durch Stieber mit der Drohung einer strafrechtlichen Verfolgung wegen ihrer "kriminellen Verbindung" mit den Unterzeichneten einschüchtern ließ.

Wenn nun ein Urteilsspruch zustande kam, obwohl auch nicht ein überzeugender Beweis vorlag, so war ein solches Ergebnis sogar vor einer solchen Jury nur möglich auf Grund der rückwirkenden Anwendung des neuen Strafgesetzbuches, mit dessen Hilfe selbst die "Times" und die Friedensgesellschaft jederzeit wegen Hochverrats unter furchtbarste Anklage gestellt werden könnten. Darüber hinaus hat der Kölner Prozeß, schon durch <397> seine Dauer und durch die außerordentlichen Mittel, die seitens der Anklage angewandt wurden, solch enorme Dimensionen angenommen, daß ein Freispruch einer Verurteilung der Regierung selbst gleichgekommen wäre; und in der Rheinprovinz war man allgemein davon überzeugt, daß ein Freispruch die Aufhebung der gesamten Einrichtung der Geschworenengerichte zur unmittelbaren Folge gehabt hätte.

Wir verbleiben, Sir, Ihre sehr ergebenen Diener,
F. Engels
F. Freiligrath
K. Marx
W. Wolff