Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 458-464

V. Das Begleitschreiben des "Roten Katechismus" | Inhalt | VII. Das Urteil

VI

Die Fraktion Willich-Schapper

<458> Seit der Niederlage der Revolution von 1848/49 verlor die proletarische Partei auf dem Kontinent, was sie während jener kurzen Epoche ausnahmsweise besaß: Presse, Redefreiheit und Assoziationsrecht, d.h. die legalen Mittel der Parteiorganisation Die bürgerlich-liberale wie die kleinbürgerlich-demokratische Partei fanden in der sozialen Stellung der Klassen, die sie vertreten, trotz der Reaktion die Bedingungen, unter einer oder der anderen Form zusammenzuhalten und ihre Gemeininteressen mehr oder minder geltend zu machen. Der proletarischen Partei stand nach 1849 wie vor 1848 nur ein Weg offen - der Weg der geheimen Verbindung. Seit 1849 entstanden daher auf dem Kontinent eine ganze Reihe geheimer proletarischer Verbindungen, von der Polizei entdeckt, von den Gerichten verdammt, von den Gefängnissen durchbrochen, von den Verhältnissen stets wieder neu hergestellt.

Ein Teil dieser geheimen Gesellschaften bezweckte direkt den Umsturz der bestehenden Staatsmacht. Es war dies berechtigt in Frankreich, wo das Proletariat von der Bourgeoisie besiegt war und der Angriff auf die bestehende Regierung mit dem Angriff auf die Bourgeoisie unmittelbar zusammenfiel. Ein anderer Teil der geheimen Gesellschaften bezweckte die Parteibildung des Proletariats, ohne sich um die bestehenden Regierungen zu kümmern. Es war dies notwendig in Ländern wie Deutschland, wo Bourgeoisie und Proletariat gemeinsam ihren halb feudalen Regierungen unterlagen, wo also ein siegreicher Angriff auf die bestehenden Regierungen der Bourgeoisie oder doch den sogenannten Mittelständen, statt ihre Macht zu brechen, zunächst zur Herrschaft verhelfen mußte. Kein Zweifel, daß auch hier die Mitglieder der proletarischen Partei an einer Revolution gegen den Status quo sich von neuem beteiligen würden, aber es gehörte nicht zu ihrer Aufgabe, diese Revolution vorzubereiten, für sie zu agitieren, zu konspirieren, zu komplottieren. Sie konnten den allgemeinen Verhältnissen und den direkt beteiligten Klassen diese Vorbereitung überlassen. Sie mußten sie ihnen überlassen, wollten sie nicht auf ihre eigene Parteistellung und auf die historischen Aufgaben verzichten, die aus den allgemeinen Existenzbedingungen des Proletariats von selbst hervorgehen. Für sie waren die jetzigen Regierungen nur ephemere Erscheinungen und der Status quo nur ein kurzer Haltepunkt, woran sich abzuarbeiten einer kleinlich engherzigen Demokratie überlassen wird.

<461> Der "Bund der Kommunisten" war daher keine konspiratorische Gesellschaft, sondern eine Gesellschaft, die die Organisation der proletarischen Partei im geheimen bewerkstelligte, weil das deutsche Proletariat igni et aqua <Formel der Acht bei den Römern>, von Schrift, Rede und Assoziation öffentlich interdiziert ist. Wenn eine solche Gesellschaft konspiriert, so geschieht es nur in dem Sinn, wie Dampf und Elektrizität gegen den Status quo konspirieren.

Es versteht sich, daß eine solche geheime Gesellschaft, welche die Bildung nicht der Regierungs-, sondern der Oppositionspartei der Zukunft bezweckt, wenig Reiz bieten konnte für Individuen, die einerseits ihre persönliche Unbedeutendheit unter dem Theatermantel von Konspirationen aufspreizen, andererseits ihren bornierten Ehrgeiz am Tage der nächsten Revolution befriedigen, vor allem aber augenblicklich wichtig scheinen, an der Beute der Demagogie teilnehmen und von den demokratischen Marktschreiern bewillkommt sein wollen.

Von dem Bunde der Kommunisten sonderte sich daher eine Fraktion ab oder wurde eine Fraktion abgesondert, wie man will, die, wenn auch nicht wirkliche Konspirationen, doch den Schein der Konspiration und daher direkt Allianz mit den demokratischen Tageshelden verlangte - die Fraktion Willich-Schapper. Charakteristisch für sie, daß Willich mit und neben Kinkel als entrepreneur des deutsch-amerikanischen Revolutionsanleihegeschäftes figuriert.

Das Verhältnis dieser Partei zur Majorität des Bundes der Kommunisten, der die Kölner angehörten, ist soeben angedeutet worden. Bürgers und Röser haben es prägnant und erschöpfend in den Kölner Assisenverhandlungen entwickelt.

Wir bleiben vor dem Schluß unserer Darstellung stehen, um einen Rückblick auf das Verhalten der Fraktion Willich-Schapper während des Kölner Prozesses zu werfen.

Wie schon oben bemerkt wurde, beweisen die Data der von Stieber der Fraktion entwandten Dokumente, daß ihre Dokumente auch nach dem Reuterschen Diebstahl immer noch den Weg zur Polizei zu finden wußten. Bis zu dieser Stunde schuldet die Fraktion die Erklärung dieses Phänomens.

Schapper kannte am besten die Vergangenheit Chervals. Er wußte, daß Cherval von ihm 1846 und nicht von Marx 1848 in den Bund aufgenommen war usw. Er bestätigt Stiebers Lügen durch sein Schweigen.

Die Fraktion wußte, daß der ihr angehörige Haacke den Drohbrief an den Zeugen Haupt schrieb, sie läßt den Verdacht auf der Partei der Angeklagten lasten.

<462> Moses Heß, der Fraktion angehörig, der Verfasser des "Roten Katechismus", dieser unglücklichen Parodie des "Manifestes der Kommunistischen Partei", Moses Heß, der seine Schriften nicht nur selbst schreibt, sondern auch selbst vertreibt, er wußte genau, an wen er Partien von seinem "Roten" abgelassen hatte. Er wußte, daß Marx ihm den Reichtum an "Rotem" auch nicht um das Maß eines einzigen Exemplars geschmälert hatte. Moses läßt ruhig auf den Angeklagten den Verdacht, als hätte ihre Partei sein "Rotes" mit melodramatischen Begleitschreiben in der Rheinprovinz hausiert.

Wie durch ihr Schweigen, macht die Fraktion gemeinsame Sache mit der preußischen Polizei durch ihr Sprechen. Wo sie während der Verhandlungen auftritt, erscheint sie nicht auf der Bank der Angeklagten, sondern als "Königszeuge".

Hentze, Willichs Freund und Wohltäter, der Mitwissenschaft am Bunde geständig, bringt einige Wochen bei Willich in London zu und reist dann nach Köln, um gegen Becker, gegen den viel weniger Indizien als gegen ihn selbst vorliegen, die falsche Aussage zu machen, Becker sei 1848 Bundesmitglied gewesen.

Hätzel, wie das Archiv Dietz ausweist, der Fraktion angehörig, mit Geld von ihr unterstützt, schon einmal wegen Teilnahme am Bund zu Berlin vor die Assisen gestellt, erscheint als Zeuge gegen die Angeklagten. Er zeugt falsch, indem er die exzeptionelle Bewaffnung des Berliner Proletariates während der Revolutionszeit in einen erdichteten Zusammenhang mit den Bundesstatuten bringt.

Steingens, durch seine eigenen Briefe überführt (s. Sitzung vom 18. Oktober), Hauptagent der Fraktion in Brüssel gewesen zu sein, erscheint in Köln nicht als Angeklagter, sondern als Zeuge.

Nicht lange vor den Kölner Assisenverhandlungen schickten Willich und Kinkel einen Schneidergesellen <August Gebert> als Emissär nach Deutschland. Kinkel gehört zwar nicht zur Fraktion, aber Willich war Mitregent der deutsch-amerikanischen Revolutionsanleihe.

Kinkel, schon damals von der später eingetroffenen Gefahr bedroht, sich und Willich von der Verwaltung der Anleihegelder durch die Londoner Garanten entsetzt und die Gelder selbst trotz seiner und Willichs entrüsteter Protestation nach Amerika zurückwandern zu sehen, Kinkel bedurfte gerade damals der Scheinmission nach und der Scheinkorrespondenzen mit Deutschland, teils um zu zeigen, daß dort überhaupt noch ein Gebiet revolutionärer Tätigkeit für ihn und die amerikanischen Dollars existiere, teils um einen <463> Vorwand für die enormen Korrespondenz-, Portokosten usw. zu finden, die er und Freund Willich in Rechnung zu bringen verstanden (s. das lithographierte Zirkular des Grafen O. Reichenbach). Kinkel wußte sich ohne alle Verbindung, sei es mit den bürgerlichen Liberalen, sei es mit den kleinbürgerlichen Demokraten in Deutschland. Er nahm daher ein X für ein U, den Emissär der Fraktion für den Emissär des deutsch-amerikanischen Revolutionsbundes. Dieser Emissär hatte keine andere Aufgabe, als gegen die Partei der Kölner Angeklagten unter den Arbeitern tätig zu sein. Man muß gestehen, der Augenblick war günstig gewählt, um noch vor Toresschluß neuen Vorwand zu neuer Untersuchung zu geben. Die preußische Polizei war vollständig über die Person, den Tag der Abreise und die Reiseroute des Emissärs unterrichtet. Woher? werden wir sehen. In den geheimen Versammlungen, die er zu Magdeburg hält, waren ihre Spione zugegen und berichteten über die Debatten. Die Freunde der Kölner in Deutschland und London zitterten.

Wir haben oben erzählt, daß Hirsch am 6. November vor dem Magistrat zu Bow Street gestand, das Originalprotokollbuch unter Leitung von Greif und Fleury fabriziert zu haben; Willich vermochte ihn zu diesem Schritt, Willich und der Gastwirt Schärttner begleiteten ihn zum Magistrat. Hirschs Bekenntnis wurde in drei verschiedenen Exemplaren ausgefertigt und diese unter verschiedenen Adressen durch die Post nach Köln versandt.

Es war von der höchsten Wichtigkeit, den Hirsch, wie er die Schwelle des Gerichtshofes verließ, sofort zu verhaften. Auf Grund der bei ihm befindlichen, amtlich beglaubigten Aussage konnte der in Köln verlorene Prozeß in London wieder gewonnen werden. Wenn nicht für die Angeklagten, so doch gegen die Regierung. Willich tat dagegen alles, um einen solchen Schritt unmöglich zu machen. Er beobachtet nicht nur gegen die direkt beteiligte "Partei Marx", sondern gegen seine eigenen Leute, sogar gegen Schapper, das tiefste Stillschweigen. Nur Schärttner war in sein Geheimnis eingeweiht. Schärttner erklärt, er und Willich hätten den Hirsch ans Schiff begleitet. Hirsch habe nämlich, Willichs Intention gemäß, in Köln gegen sich selbst Zeugnis ablegen sollen.

Willich unterrichtet den Hirsch von dem Wege, den die Dokumente nehmen werden, Hirsch die preußische Gesandtschaft, die preußische Gesandtschaft die Post. Die Dokumente kommen nicht an ihrem Bestimmungsort an; sie verschwinden. Später taucht der verschwundene Hirsch wieder zu London auf und erklärt in einer öffentlichen Demokratenversammlung, Willich sei sein Komplize.

Willich gesteht, auf eine diesbezügliche Interpellation, mit Hirsch, der schon im Jahre 1851 auf seinen Antrag als Spion aus dem Great Windmill <464> Verein ausgestoßen wurde, seit Anfang August 1852 wieder in Verbindung gestanden zu haben. Hirsch habe ihm nämlich den Fleury als preußischen Spion verraten und ihm dann alle an Fleury eingehenden und von ihm ausgehenden Briefe zur Kenntnisnahme mitgeteilt. Er, Willich, habe sich dieses Mittels bedient, um die preußische Polizei zu überwachen.

Willich war notorisch seit ungefähr einem Jahre der intime Freund Fleurys, von dem er Unterstützungen empfing. Wenn aber Willich seit August 1852 wußte, daß er preußischer Spion und zugleich von dessen Treiben unterrichtet war, wie kommt es, daß er das Originalprotokollbuch nicht kannte?

Daß er erst interveniert, nachdem die preußische Regierung selbst den Fleury als Spion verraten hat?

Daß er in einer Weise interveniert, die im besten Falle seinen Verbündeten Hirsch aus England und die amtlich beglaubigten Beweismittel für die Schuld Fleurys aus den Händen der "Partei Marx" schafft?

Daß er fortfuhr, Unterstützungen von Fleury zu beziehen, der mit einem von ihm erhaltenen reçu von 15 Pfund Sterling renommiert?

Daß Fleury in der deutsch-amerikanischen Revolutionsanleihe fortoperiert?

Daß er dem Fleury Lokal und Zusammenkunftsort seiner eigenen geheimen Gesellschaft angibt, so daß preußische Agenten im Nebenzimmer die Debatten zu Protokoll nehmen?

Daß er den Fleury von der Reiseroute des obengenannten Emissärs, des Schneidergesellen, unterrichtet und sogar Geld für diese Missionsreise von ihm empfängt?

Daß er endlich dem Fleury erzählt, er habe den bei ihm wohnenden Hentze instruiert, wie er vor den Kölner Assisen gegen Becker auszusagen habe?(1) Man muß gestehen - que tout cela n'est pas bien clair >das alles ist nicht gerade klar (Beaumarchais, "La folle journée").


Fußnoten

(1) Über das Verhältnis von Willich und Becker:

"Der Willich schreibt mir die lustigsten Briefe; ich antworte nicht, er läßt sich aber nicht abhalten, mir seine neuen Revolutionspläne auseinanderzusetzen. Er hat mich bestimmt, die Kölner Besatzung zu revolutionieren!!! Wir haben neulich uns den Bauch gehalten vor Lachen. Er wird mit seinen Dummheiten noch ungezählte Menschen ins Pech bringen; denn ein einziger Brief könnte hundert Demagogenrichtern drei Jahre lang das Gehalt sichern. Wenn ich die Kölner Revolution fertig hätte, so wäre er nicht abgeneigt, die Leitung der weiteren Operationen zu übernehmen. Gar zu freundlich!" - (Aus einem Briefe von Becker an Marx, d.d. 27. Januar 1851.) [Anmerkung von Marx.] <=