Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 62-66
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960

Karl Marx

Pfunde, Schillinge, Pennies: oder Klassenbudgets
und wer hat den Nutzen davon?

Geschrieben etwa am 20. April 1853.
Aus dem Englischen.


["The People's Paper" Nr. 51 vom 23. April 1853]

<62> Gladstone hat sein Budget eingebracht. Gleich zwei Hähnen in einer Scheuer krähten der jetzige und der frühere <Disraeli> Schatzkanzler im Unterhaus aufeinander los, doch mit dem Unterschied, daß der whiggistische Bantamhahn sich bei dem konservativen Truthahn einige Noten geborgt hatte. Wir analysierten vergangene Woche den Teil des Gladstoneschen Finanzprojekts, der die Staatsschuld betrifft, und bewiesen, daß er nichts weiter ist als ein kläglicher Versuch, sich aus der zur Debatte stehenden Frage herauszuwinden, ein einfaches Mittel, Wucherer, Börsenjobber und Kaufleute zufriedenzustellen und ihnen ihre Geschäfte zu verbilligen und zu erleichtern. Heute werden wir sehen, daß das Budget nichts anderes ist als ein Klassenbudget, ein Budget der Bourgeoisie, geschrieben mit der Feder eines Aristokraten. Wir wollen zunächst einen ganz kurzen Überblick über diese beachtenswerte Angelegenheit geben.

I. Über die Ausgaben und Einnahmen: Der Kanzler konstatiert, daß die Staatsausgaben in diesem Jahr die des Vorjahrs um 1.400.000 Pfd.St. übersteigen werden!! Das ist eine recht vielversprechende Art, ein Budget der Finanzreform zu inaugurieren. Die Ursachen für das Anwachsen der Ausgaben sind nicht weniger ermutigend.

Zu ihnen gehört eine Vermehrung der Ausgaben für unsere Marine um 617.000 Pfd.St.; für Armee und Kommissariat um 90.000 Pfd.St.; für das Feldzeugamt um 616.000 Pfd.St. und für die Miliz um 230.000 Pfd.St. Für den Schulunterricht aber, der das Rüstzeug zur Aufklärung und zur Verteidigung des Wissens gibt, werden zusätzlich nur 100.000 Pfd.St. bewilligt. Die Gesamt- <63> summe der Staatsausgaben wird für das laufende Jahr mit 52.183.000 Pfd.St. festgelegt. Die Gesamtsumme der Einnahmen auf 52.990.000 Pfd.St. Es ergibt sich also ein Überschuß von 807.000 Pfd.St., von dem jedoch bereits 100.000 Pfd.St. für Ausgaben für die Postschiffe in Abrechnung kommen. Der ganze verfügbare Überschuß wird insgesamt auf 500.000 Pfd.St. geschätzt.

Wir berühren nun

II. Das Finanzprojekt. Hier faßt der Kanzler erstens die Einkommensteuer ins Auge und macht keinen Unterschied zwischen sicherem und unsicherem Einkommen. Er schlägt vor, nach zwei Jahren die Steuer von 7 auf 6 Pence pro Pfund herabzusetzen, dann nach weiteren zwei Jahren von 6 auf 5 Pence für die Dauer von drei Jahren - die Steuer auf Irland auszudehnen und sie so herabzusetzen, daß sie auch Jahreseinkommen von 100 Pfd.St. umfaßt. Davon, meint er, "werden die Reihen der Arbeiter nicht berührt". Die Einkommen von 100 bis 150 Pfd.St. sollen bloß 5 Pence pro Pfund zahlen. Das Ergebnis wird sein, daß die Last der Reichen erleichtert und diese Erleichterung als neue Last den weniger Reichen aufgebürdet wird. Der reiche Kaufmann soll weniger bezahlen, dafür aber soll der arme Handelsmann jetzt dort zu bezahlen haben, wo er früher direkt nichts bezahlte. Das ist eine sonderbare Gerechtigkeit! Vier Jahre lang zahlt allerdings der Mann mit 100 Pfd.St. Einkommen um 2 Pence pro Pfund weniger als der Mann mit einem Einkommen von 150 oder 150.000 Pfd.St. Nach Ablauf dieser Frist jedoch zahlen sie dasselbe, und schon nach zwei Jahren kommt der Reiche in den Genuß einer Ermäßigung, die durch die Besteuerung der Ärmeren ermöglicht wird. Unserer Auffassung einer Besteuerung würde es mehr entsprechen, hätte man eine progressive Einkommensteuer eingeführt, bei der der Prozentsatz mit dem Betrag des Einkommens stiege. Denn zehntausendmal 5 Pence bedeuten für den Mann mit einem Jahreseinkommen von 10.000 Pfd.St. weniger als hundertmal 5 Pence für ein Jahreseinkommen von 100 Pfd.St. Das ist die ganze Finanzkunst der Whigs: eine glänzende Fassade, aber innerlich Stückwerk und Flickwerk, ist sie nur darauf zugeschnitten, die Lasten der Reichen langsam aber sicher zu erleichtern und die der Armen zu erschweren. Wahrhaft absurd aber ist es, zu behaupten, daß die Einkommensteuer die Arbeiter nicht berühre. In unserer heutigen Gesellschaftsordnung, wo sich Unternehmer und Arbeiter gegenüberstehen, hält sich die Bourgeoisie meist für höhere Besteuerung dadurch schadlos, daß sie die Löhne herabsetzt oder die Preise erhöht.

Zweitens beschäftigt sich der Kanzler mit der Erbschaftssteuer. Er erleichtert den Schwiegersöhnen und Schwiegertöchtern die "Verwandten"-Steuer, indem er sie - welch unendlich kleines Almosen! - von 10% auf 7% <64> herabsetzt und alle Arten von Eigentum in den Anwendungsbereich der Steuer mit einbezieht; die Erbschaftssteuer auf das steuerpflichtige Eigentum wird auf die Leibrente berechnet. Gladstone vermehrt dadurch die Steuereinnahmen des Landes um 2.000.000 Pfd.St. und rühmt sich, Handwerk und Industrie gegen das Grundeigentum zu unterstützen. Dieser Punkt ist von prinzipieller Bedeutung und stellt ein bedeutsames Zugeständnis dar, das dem Monopol des Grundeigentums durch die industrielle und kommerzielle Entwicklung abgerungen wird. Wir wiederholen: es ist ein Zugeständnis, jedoch ein solches, das nicht nur leicht zu umgehen ist, sondern dessen Umgehung von den grundbesitzenden Gesetzgebern aus der Finanzwelt möglicherweise von vornherein auch geplant war.

Drittens sollen die Stempelgebühren für Quittungen aufgehoben werden, und das Aufkleben einer Pennypostmarke soll in Zukunft für jede Quittung in beliebiger Höhe genügen. Eine Maßnahme, die - den Reichen - große Erleichterung bringt und von der man erwartet, daß der vermehrte Gebrauch von Briefmarken ein Gegengewicht für den Ausfall an Stempelsteuer bieten werde, eine Maßnahme, von der aber die Arbeiterklasse wiederum keinen Nutzen haben wird, denn sie schließt nur wenig Geschäfte in solcher Höhe (5 Pfd.St.) ab, daß ein Stempel erforderlich wäre.

Viertens. Die Annoncensteuer wird von 1 sh. 6 d. auf 6 d. herabgesetzt. Wieder ein Stück elenden Flickwerks. Es läßt sich kein vernünftiger Grund dafür angeben, warum man bei den Sixpence bleibt, wenn man doch den Schilling aufgibt, denn der schwerfällige und kostspielige Apparat zur Eintreibung der Sixpence wird den Ertrag der Steuer aufzehren! Aber vielleicht besteht der Grund dafür darin, daß man die Pöstchen und Anstellungen nicht aufgeben will, die mit dem Einziehen dieser Steuer verknüpft sind. Zeitungsbeilagen, die nur Annoncen enthalten, sollen von den Gebühren befreit sein. Diese beiden Punkte sind eine Konzession an die Bourgeoisie - während die Beibehaltung des Zeitungsstempels der Ausbreitung einer demokratischen Erziehung nach wie vor einen starken Damm entgegensetzt. "Die schon bestehenden Zeitungen", sagt der Schatzkanzler, "sollen gefördert werden, neue und billigere aber sollen nicht herausgebracht werden."

Fünftens. Die Taxe auf Lebensversicherungen wird von 2 sh. 6 d. auf 6 d. herabgesetzt - noch ein Beweis von kleinlichem Schachergeist; die auf Lehrlingsverträge soll rücksichtslos von 1 Pfd.St. auf 2 sh. 6 d., auf Anwaltszertifikate von 12 und 8 Pfd.St. auf 9 und 6 Pfd.St. und auf Lehrkontrakte von Clerks von 120 auf 80 Pfd.St. herabgesetzt werden. Der erste und die beiden letzten Posten sind wieder offenbare Erleichterungen für die Bourgeoisie, bedeuten aber für die Armen nicht den Schatten einer Wohltat. Die Annoncen- <65 > steuer von 6 d., der Zeitungsstempel und die Papiersteuer werden beibehalten, damit die Steuer für Dienstboten, Hunde und Pferde zugunsten der Reichen herabgesetzt werden kann.

Sechstens. In Schottland und Irland soll ein Zuschlag auf die Steuer für geistige Getränke gemacht werden, und die Brenner sollen eine Entschädigung für den "Schwund" bekommen.

Siebentens. Die Lizenzen für Händler sollen mehr ausgeglichen werden (eine weitere Liebesgabe an die Bourgeoisie).

Achtens. Die Taxen auf Seife und noch eine Reihe anderer Dinge sollen überprüft werden. Der Teezoll soll bis 1854 von 2 sh. 21/4 d. auf 1 sh. 10 d., bis 1856 auf 1 sh. 3 d. und von da an auf 1 sh. herabgesetzt werden.

Das ist in großen Umrissen das Budget der Whigs. Und nun fragen wir unsere Leser, hat je die Ministerbank eine erbärmlichere Pfennigfuchserei ausgeheckt, um des Kanzlers eigenen Ausdruck zu gebrauchen? Mag das Budget auch äußerlich annehmbar und einnehmend scheinen und einige bestechende Züge aufweisen, wo aber ist sein wahrer Nutzen, wo bleibt die wahre Erleichterung, die es der Arbeiterklasse Englands bringen soll? Die Herabsetzung der Taxen auf Seife und Tee sind die einzigen Punkte, an die man sich halten kann; wie geringfügig aber ist die Erleichterung, die sie gewähren! Überall ist der Spielraum, über den hinaus die Arbeiter hätten profitieren und Aristokratie und Bourgeoisie verlieren können, genau bemessen und seine Überschreitung aufs ängstlichste vermieden worden. Leichtgläubige werden sich möglicherweise durch das Budget fangen lassen: "Herabsetzung der Annoncensteuer auf 6 d. und Abschaffung des Stempels für Zeitungsbeilagen!" Was aber bringt das faktisch dem Volk ein? Nichts! "Pennyquittungsstempel!" Aber was soll das dem Lohnsklaven, der nur über Hungerlöhne zu quittieren hat? Nichts, rein nichts! "Lebensversicherungsstempel von 2 sh. 6 d. auf 6 d. herabgesetzt!" Was gibt das dem, der für 6, 8 oder 10 sh. in der Woche schuftet und sein Leben nicht gegen Manchesters entnervende Sklaverei versichern kann, und selbst dem, der 1 Pfd.St. oder 30 sh. in der Woche verdient? Nichts! Was hat der Arbeiter davon, daß Anwälte für ihre Zertifikate von nun an 3 Pfd.St. weniger und Clerks für ihre Lehrkontrakte von nun an 80 Pfd.St. statt der bisherigen 120 Pfd.St. zu zahlen haben? Was hat der Arbeiter davon, wenn die Erbschaftssteuer in einem Punkt erleichtert wird, und deren allgemeine Ausdehnung so leicht umgangen werden kann? Wird dadurch ihre Bürde auch nur um ein Jota leichter? Was hat der Arbeiter davon, daß man die Lizenzen für die Kleinhändler mehr angleichen will, wenn sein Arbeitslohn nicht im Verhältnis zum Gewinn des Krämers steht, der die Not des Arbeiters ausnutzt? "Finanz- <66> reform" war die Losung, unter der dieses Parlament gewählt und dieses Ministerium zusammenberufen wurde. Hier ist sie, die Reform der Whigs, der Aristokraten und Geldmenschen. Etwas mußte geschehen, einige kleine Konzessionen mußten gemacht werden - jetzt galt es bloß, sie so klein zu machen, daß sie kaum wahrnehmbar waren, und dem Finanzkünstler ist das wunderbar gelungen. Wir gebrauchen Gladstones eigene Worte und eigene Erklärung, wenn wir von diesem Budget sagen, daß es "nach den Wünschen der kommerziellen Klassen" geschaffen wurde und dennoch nichts anderes ist als ein Stück "pfennigfuchserische Gesetzgebung".