Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 341-346
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960

Karl Marx

[Panik an der Londoner Börse -
Streiks]

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 3900 vom 17. Oktober 1853]

<341> London, Dienstag, 27. September 1853

Die Nachricht, daß die vereinigten Flotten in die Dardanellen eingelaufen sind, rief, gemeinsam mit Gerüchten über einen Wechsel in der Regierung und über kommerzielle Schwierigkeiten, am Sonnabend an der Börse eine wahre Panik hervor:

"Es würde keine leichte Aufgabe sein, wenn man den Stand der englischen Staatspapiere und die Szenen, die sich an der Börse abgespielt haben, zu beschreiben hätte. Selten hat man eine solche Aufregung beobachtet, und es ist gut, daß es nicht häufig vorkommt ... Es ist wohl keine Übertreibung, wenn man behauptet, daß die augenblickliche Baissespekulation fast der zur Zeit der Französischen Revolution gleichkommt ... Staatspapiere wurden diese Woche mit 91 1/2% gehandelt und waren seit 1849 nicht mehr so niedrig ... Die Eisenbahnaktien fallen unablässig."

Das berichtet der ministerielle "Observer". Alle erstrangigen Eisenbahnaktien lagen mit 68 sh. bis zu 80 sh. unter den Preisen der vergangenen Woche. Die plötzliche Überschwemmung des Marktes mit Aktien hat noch nicht viel zu bedeuten, weil allein die Spekulanten in der Lage sind, an einem festgesetzten Zeitpunkt an der Börse Tumult hervorzurufen und die bona-fide-Aktieninhaber <im guten Glauben handelnden> einzuschüchtern. Doch da die starke Fluktuation der Wertpapiere mit den allgemeinen Merkmalen einer Handelskrise zusammenfällt, wird sie, selbst wenn sie einen rein spekulativen Charakter tragen sollte, in ihren Auswirkungen verhängnisvoll sein. Auf alle Fälle wird sich diese Klemme auf dem Geldmarkt auf alle in Zukunft zu erwartenden Staatsanleihen und ganz besonders auf die österreichischen fatal auswirken. Darüber hinaus werden die Kapitalisten daran erinnert, daß Österreich 1811 auf <342> seine Schuldverschreibungen eine Dividende von 1 sh. 71/4 d. für jedes Pfund zahlte; daß, obwohl seine Einkünfte von 12 Millionen Pfd.St. auf 18 Millionen Pfd.St. durch einen äußerst starken Steuerdruck auf Ungarn und die Lombardei seit 1849 künstlich hochgeschraubt wurden, das jährliche Defizit durchschnittlich mehr als ein Viertel der gesamten Einkünfte beträgt; daß etwa 50 Millionen Pfd.St. zu seiner Staatsschuld seit 1846 dazugekommen sind und daß es vor einem neuen Bankrott nur durch die eigennützige Langmut der Kinder Israels bewahrt wurde, die immer noch hoffen, die Haufen österreichischer Staatspapiere, die sich in ihren Kassen angesammelt haben, loszuwerden.

"Der Handel wurde etwas über seine regulären Grenzen hinausgetrieben, und unsere kommerziellen Verbindlichkeiten haben teilweise unsere Mittel überschritten", sagt der "Observer".

"Es ist nutzlos", ruft die "Morning Post", "der Frage ausweichen zu wollen, denn obwohl es in der schwebenden Krise einige günstige Merkmale gibt, die es 1847 nicht gab, muß es doch für jeden aufmerksamen Beobachter der gegenwärtigen Ereignisse wahrnehmbar sein, daß in den Verhältnissen, glimpflich gesagt, eine sehr mißliche Lage eingetreten ist."

Die Metallreserven der Bank von England haben erneut um 338.954 Pfd.St. abgenommen, und ihre Reserven an Banknoten - d.h. der für Wechseldiskontierungen zur Verfügung stehende Fonds - belaufen sich auf nur sieben Millionen, einer für den Schatzkanzler gerade ausreichenden Summe, um die unzufriedenen Besitzer von Südseeaktien auszuzahlen. Über die Lage auf dem Kornmarkt erfahren wir aus dem gestrigen "Mark Lane Express":

"Bei durchschnittlichen Ernten haben wir seit Jahren mehrere Millionen Quarters importierten Weizen jährlich verbraucht. Was mag danach unter den bestehenden Umständen unser voraussichtlicher Bedarf sein? Die Weizenernte in diesem Jahre kann auf höchstens drei Viertel des Durchschnittsertrags geschätzt werden, und bei keiner anderen Frucht wird der Ertrag übermäßig sein. Die Kartoffeln sind von der Krankheit schwer betroffen, und sie mußten wegen der Unmöglichkeit, sie einzulagern, schnell dem Verbrauch zugeführt werden, so daß dieses Nahrungsmittel in Kürze knapp werden wird. Unser Verbrauch war so gewaltig, daß trotz einer Einfuhr von 3.304.025 Quarters Weizen und 3.337.206 Zentnern Mehl innerhalb der acht Monate, die mit dem 5. September endeten, die Vorräte in den Speichern keineswegs übermäßig sind ... Wir bemühen uns natürlich, die Schwierigkeiten, in die das Land geraten kann, nicht zu übertreiben, doch es wäre töricht zu leugnen, daß es Schwierigkeiten gibt ... Die Berichte über die Weizenernte lauten sehr unbefriedigend; in vielen Fällen, wo das Ernteergebnis beim Drusch geprüft wurde, ergab der Ertrag kaum mehr als die Hälfte der erwarteten Menge."

<343> Während so der klare Himmel kommerzieller und industrieller Prosperität von düsteren Aussichten verdunkelt wird, sind Streiks immer noch eine wichtige Erscheinung in unserer industriellen Lege und werden es auch noch für einige Zeit sein; sie fangen allerdings an, ihren Charakter zu verändern, gleichzeitig mit den Veränderungen, die gegenwärtig in der allgemeinen Lage des Landes vor sich gehen.

Die Spinner verlangten in Bury erneut eine Aufbesserung von zwei Pence je tausend Docken. Da die Fabrikanten ablehnten, stellten sie die Arbeit ein, und die Weber werden desgleichen tun, sobald sie den Garnvorrat aufgearbeitet haben. Während in Preston die Weber noch eine Lohnerhöhung von 10% verlangen und von den Arbeitern der Umgebung unterstützt werden, haben sechs Fabrikanten ihre Fabriken bereits geschlossen, und die anderen werden ihnen wohl folgen. Dadurch sind zweitausend Arbeiter ihrer Arbeit beraubt worden. In Blackburn streiken die Maschinenschlosser der Eisengießerei des Herrn Dickinson immer noch. In Wigan haben die Haspler einer Spinnerei für eine Lohnerhöhung um 1 Penny je 20 Stück gestreikt, und die Spinner an den Wasserspinnmaschinen einer anderen Spinnerei weigerten sich, wieder mit der Arbeit anzufangen, ehe nicht ihr Lohn erhöht würde. Beide Spinnereien wurden geschlossen. Am selben Ort wird der Streik der Kohlenhäuer fortgesetzt, welcher etwa 5.000 Arbeiter erfaßt hat. Der Earl of Crawford und andere große Bergwerksbesitzer der Nachbarschaft haben ihre Arbeiter am Mittwochabend entlassen. Daraufhin wurde eine stark besuchte Versammlung der Bergarbeiter in Scales Orchard abgehalten. In Manchester stehen 5.000 Webstühle still, außerdem dauern kleinere Streiks an, wie der Streik der Barchentfärber, der Garnfärber, der Filzhütemacher usw. In Bolton werden Versammlungen der Arbeiter der Baumwollspinnereien für eine Erhöhung der Löhne abgehalten. Die Schuhmacher streiken in Trentham, Bridgewater usw.; die Droschkenkutscher von Glasgow streiken; die Steinmetzen von Kilmarnock; ein Ausstand der Polizei droht in Oldham etc. Die Nagelschmiede von Birmingham verlangen eine Erhöhung von 10%; die Zimmerleute von Wolverhampton eine von sechs Pence pro Tag; gleichfalls die Londoner Zimmerleute, und so geht es weiter. Während die Arbeiter in den wichtigsten Industriestädten von Lancashire, Cheshire, Derbyshire usw. öffentliche Versammlungen abhalten, um Maßnahmen für die Unterstützung ihrer leidenden Brüder zu beraten, sind die Fabrikanten andererseits entschlossen, ihre Betriebe für unbestimmte Zeit zu schließen, um ihre Arbeiter durch Hunger zur Unterwerfung zu zwingen.

"Wir sehen", sagt die Sunday Times", "daß im Grunde genommen bei der Forderung auf Lohnerhöhung nicht über sechs Pence pro Tag hinausgegangen wird; <344> und wenn wir auf die augenblicklichen Preise für Lebensmittel blicken, kann schwerlich gesagt werden, daß diese Forderung übermäßig ist. Wir wissen, daß man annimmt, eines der Ziele der jetzt Streikenden sei, eine Art kommunistischen Anteil am wirklichen oder vermeintlichen Profit des Fabrikanten zu erhalten; doch der Vergleich der im steigenden Maße geforderten Lohnerhöhungen mit den verteuerten Preisen für die wichtigsten Lebensmittel widerlegt diese Beschuldigung vollkommen."

Wenn die Arbeiter mehr als nur "die wichtigsten Lebensmittel" verlangen, wenn sie beanspruchen, an den Profiten, die ihre eigene Arbeit geschaffen hat, "teilhaben zu wollen", dann werden sie kommunistischer Tendenzen angeklagt. Was hat der Lebensmittelpreis mit dem "ewigen und höchsten Gesetz der Nachfrage und Zufuhr" zu tun? Als in den Jahren 1839, 1840, 1841 und 1842 ein ständiger Anstieg der Preise für Lebensmittel vor sich ging, sanken die Löhne, bis sie das Hungerniveau erreicht hatten. Damals sagten die gleichen Industriellen, "Löhne hängen nicht vom Lebensmittelpreis ab, sondern von dem ewigen Gesetz der Nachfrage und Zufuhr". Die "Sunday Times" sagt,

"den Forderungen der Arbeiter könne entsprochen werden, wenn sie 'in respektvollem Ton gestellt' werden".

Doch was hat Respekt mit dem "ewigen Gesetz der Nachfrage und Zufuhr" zu tun? Hat man je davon gehört, daß der Kaffeepreis in Mincing Lane deswegen gestiegen ist, weil er "in respektvoller Form gefordert wurde"? Der Handel mit menschlichem Fleisch und Blut wird mit denselben Methoden betrieben wie der Handel mit anderen Waren und sollte zumindest die gleichen Chancen haben.

Die Lohnbewegung ist nun seit sechs Monaten im Gange. Wollen wir sie an Hand der Methode prüfen, die auch von den Fabrikanten anerkannt wird, an Hand des "ewigen Gesetzes der Nachfrage und Zufuhr", oder will man uns glauben machen, daß die ewigen Gesetze der Politischen Ökonomie in der gleichen Weise interpretiert werden müssen wie die ewigen Friedensverträge, die Rußland mit der Türkei abgeschlossen hat?

Selbst wenn die Arbeiter ihre Positionen vor sechs Monaten noch nicht durch die große Nachfrage nach ihrer Arbeitskraft, durch die ständige und gewaltige Auswanderung nach den Goldfeldern und nach Amerika gestärkt gefunden hätten, so hätten sie aus dem allgemeinen Prosperitätsgeschrei, das von der sich in Lobpreisungen über den Freihandel ergehenden Bourgeoispresse erhoben wurde, auf das Ansteigen der Profite der Industriellen schließen müssen. Selbstverständlich forderten die Arbeiter ihren Anteil an der so laut verkündeten Prosperität, doch die Fabrikanten kämpften hart dagegen. <345> Daraufhin schließen sich die Arbeiter zusammen, drohen mit Streik und bestehen in mehr oder weniger friedlicher Weise auf ihren Forderungen. Wo immer ein Streik ausbricht, ergehen sich die Gesamtheit der Unternehmer sowie ihre Sprachrohre von der Kanzel, der Rednertribüne und in ihren Presseorganen in maßlosen Schmähungen über die "Frechheit und Dummheit solcher Versuche, ihnen zu diktieren". Was haben die Streiks jedoch anderes bewiesen, als daß die Arbeiter ihre eigene Methode vorgezogen haben, um das Verhältnis zwischen Nachfrage und Zufuhr zu untersuchen, anstatt den eigennützigen Versicherungen ihrer Unternehmer Glauben zu schenken? Unter gewissen Umständen gibt es für den Arbeiter keine andere Möglichkeit festzustellen, ob er nach dem wahren Marktwert seiner Arbeit bezahlt wird oder nicht, als in den Streik zu treten oder damit zu drohen. 1852 war im Durchschnitt die Spanne zwischen den Kosten des Rohmaterials und dem Preis der fertigen Ware - z.B. die Spanne zwischen den Kosten für Rohbaumwolle und des fertigen Garns, zwischen dem Preis für Garn und dem für Baumwollwaren - größer, und folglich waren die Profite der Spinnereibesitzer und Fabrikanten zweifellos höher als im Jahre 1853. Weder Garne noch Fertigwaren sind bis vor kurzem im gleichen Verhältnis wie die Baumwolle im Preis gestiegen. Weshalb haben also die Fabrikanten 1852 nicht sofort die Löhne erhöht? Das Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr, sagen sie, hätte 1852 ein solches Ansteigen der Löhne nicht gerechtfertigt. War dem wirklich so? Unbeschäftigte Arbeiter gab es vor einem Jahre mehr als heute, doch die Proportion steht in keinem Verhältnis zu den plötzlichen und wiederholten Lohnerhöhungen, die den Fabrikanten seitdem, wie es die Streiks bewiesen haben, kraft des Gesetzes von Nachfrage und Zufuhr abgetrotzt wurden. Sicher sind mehr Fabriken in Betrieb als im vergangenen Jahr, und mehr kräftige Arbeiter sind seitdem ausgewandert; doch gleichzeitig gab es noch nie ein solch starkes Angebot an Fabrikarbeitern, die aus den landwirtschaftlichen und anderen Erwerbszweigen in unsere "Bienenstöcke der Industrie" hineinströmten, wie während der letzten zwölf Monate.

Tatsache ist, daß die Arbeiter, wie gewöhnlich, zu spät merkten, daß der Wert ihrer Arbeit bereits vor vielen Monaten um 30% gestiegen war, und dann, im Sommer dieses Jahres - erst dann - fingen sie zu streiken an, zunächst um 10% Lohnerhöhung, dann um weitere 10% und so fort, um soviel natürlich, wie sie erhalten konnten. Die ständigen Erfolge dieser Streiks trugen zu ihrer Verbreitung über das ganze Land bei und waren das beste Zeugnis für ihre Rechtmäßigkeit; und ihr schnelles Aufeinanderfolgen in demselben Berufszweig, durchgeführt von den gleichen Arbeitern, die neue Erhöhungen forderten, hatte vollauf bewiesen, daß die Arbeiter, Angebot <346> und Nachfrage entsprechend, längst Anspruch auf Lohnerhöhungen gehabt hatten, welche ihnen lediglich infolge ihrer Unkenntnis der Lage am Arbeitsmarkt vorenthalten worden war. Als sie schließlich mit ihr vertraut wurden, kehrten die Fabrikanten, die die ganze Zeit das "ewige Gesetz von Nachfrage und Zufuhr" gepredigt hatten, zur Doktrin des "aufgeklärten Despotismus" zurück und erhoben den Anspruch, mit ihrem Eigentum nach Gutdünken zu verfahren; sie erklärten erzürnt in Form eines Ultimatums, daß die Arbeiter nicht verstünden, was gut für sie sei.

Die Veränderung der allgemeinen wirtschaftlichen Perspektiven mußte auch zu einer Veränderung des Verhältnisses zwischen Arbeitern und ihren Unternehmern führen. Die plötzlich eingetretene Veränderung fiel zusammen mit vielen Streiks, die bereits begonnen hatten und mit noch mehr, die vorbereitet wurden. Zweifellos werden sie trotz der Depression noch weitergehen und auch um höhere Lohne geführt werden, denn auf das Argument der Fabrikanten, sie wären nicht in der Lage, Lohnerhöhungen zu zahlen, werden die Arbeiter antworten, die Lebensmittel seien teurer geworden, wobei beide Argumente gleich gewichtig sind. Falls jedoch, wie ich annehme, die Depression andauern sollte, werden die Arbeiter bald ihre ganze Schwere zu verspüren bekommen, und sie werden - sehr aussichtslos - gegen Lohnherabsetzungen zu kämpfen haben. Doch dann wird ihre Aktivität bald auf die politische Ebene übergreifen, wobei die im Streik geschaffenen neuen Gewerkschaftsorganisationen für sie von unschätzbarem Wert sein werden.

Karl Marx