Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 538-547
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960

Karl Marx

Der Quadrupelvertrag -
England und der Krieg

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 3960 vom 26. Dezember 1853]

<538> London, Freitag, 9. Dezember 1853

Ihre Leser sind Schritt für Schritt den diplomatischen Manövern des Koalitionskabinetts gefolgt, und sie werden daher von keinem neuen Versuch der Palmerstons und Aberdeens überrascht sein, die, unter dem Vorwand, die Türkei zu schützen und den Frieden in Europa zu sichern, den Zaren unterstützen. Sogar auf die Auferstehung eines Wiener Kongresses oder einer Londoner Konferenz sind sie vollkommen vorbereitet. Die Börse der Hauptstadt war am vergangenen Freitag zuerst durch den "Morning Chrorncle" davon informiert worden, daß es England gelungen ist, Österreich und Preußen zu überreden, die Westmächte bei ihrem Versuch einer neuen Vermittlung zwischen den kriegführenden Parteien zu unterstützen. Dann kam die "Morning Post" mit der Nachricht von "diesem Versuch" und der tröstlichen Bekanntmachung, daß

"um die Mitwirkung Preußens und Österreichs bei diesem Versuch angesucht und diese erhalten wurde, und daß die vier Mächte ein Protokoll unterzeichnet haben, durch welches sie sich stillschweigend verpflichteten, die gegenwärtige territoriale Aufteilung Europas aufrechtzuerhalten und die kriegführenden Mächte aufzufordern, mittels einer europäischen Konferenz zu einer friedlichen Regelung ihrer Differenzen zu kommen. Der erste Schritt, den die vier Mächte unternehmen werden, wird darin bestehen, festzustellen, auf welcher Grundlage die Türkei Verhandlungen für eine Übereinkunft in der orientalischen Streitfrage zulassen wird. Wenn dies eindeutig festgestellt sein wird, werden die vier Mächte Rußland auffordern, seine Ansichten über die Grundlagen der vorgeschlagenen Übereinkunft zu äußern. Danach werden beide Mächte aufgefordert werden, Bevollmächtigte zu einer Konferenz der Großmächte an einem noch zu bestimmenden Ort und zu einer noch zu bestimmenden Zeit zu entsenden ... Die Würde des Zaren würde nicht angetastet und <539> die Interessen der Türkei völlig gewahrt werden, in erster Linie durch ein Abkommen über gutes Einvernehmen, Frieden und Handel zwischen der Türkei und Rußland mit der Klausel, die Untertanen beider Staaten innerhalb der Territorien des anderen zu schützen; in zweiter Linie durch einen Vertrag zwischen dem Sultan und den fünf Mächten, ähnlich dem Vertrag über die Dardanellen vom Jahre 1841, in welchem sich der Sultan verpflichten solle, die bestehenden Verfassungen und Vorrechte der Donaufürstentümer und Serbiens zu respektieren, und es ebenso wie in dem Vertrag von Kainardschi auf sich nehmen solle - diesmal Europa und nicht Rußland gegenüber -, die christliche Religion innerhalb seiner Besitzungen besonders zu beschützen."

Schließlich kam der Donnerer vom Printing House Square und verkündete in einer ersten Ausgabe, das Bündnis zwischen den vier Mächten sei endgültig abgeschlossen, und sie hätten Bedingungen festgelegt, die Rußland und die Pforte notfalls "zu akzeptieren gezwungen werden könnten". Sofort stiegen die Aktien; doch die Freude der Börsenleute erwies sich als kurzlebig, da die gleiche "Times" in ihrer zweiten Ausgabe bekanntgab, daß die vier Mächte tatsächlich ein Protokoll unterzeichnet und den Entwurf einer Kollektivnote überreicht hatten, ohne sich jedoch verpflichtet zu haben, ihre Annahme zu erzwingen. Daraufhin fielen die Aktien wieder. Schließlich blieb von der "aufsehenerregenden Nachricht" nichts übrig, als die alte Geschichte von der Wiederauferstehung des Leichnams des Wiener Kongresses seligen Angedenkens - von seinem Geist zu sprechen, wäre absurd -, und eine telegraphische Depesche bestätigte die Nachricht, daß

"die Viermächtekonferenz in Wien am 6. Dezember erneut einen Vorschlag für die Beilegung der schwebenden Differenzen auf der Grundlage eines neuen Projekts nach Konstantinopel übersandt hatte und daß die Friedensunterhandlungen selbst dann fortgesetzt werden, wenn die begonnenen Feindseligkeiten noch nicht suspendiert sind".

Unmittelbar am Vorabend des Krieges hatte die Wiener Konferenz - jene in die Vergangenheit schauende Pythia - der Türkei gerade vorgeschlagen, Fürst Menschikows Ultimatum anzunehmen. Nachdem Rußland die erste Niederlage erlitten hatte, unterstützten England und Frankreich die Antwort Reschid Paschas auf Fürst Menschikows Ultimatum. Welche Phase der vergangenen Verhandlungen sie in ihrer Rückbewegung jetzt erreicht haben, kann unmöglich vorausgesagt werden. Die "Augsburger Zeitung" berichtet, daß die neuen Vorschläge der Konferenz den Wunsch der vier Mächte zum Ausdruck bringen, "den Krieg zu vermeiden". Wirklich eine überraschende Neuigkeit!

So fade auch all dieses diplomatische Geschwätz in einem Augenblick erscheinen mag, da der Status quo von einem Status belli verdrängt worden ist, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß die geheimen Absichten des britischen <540> Kabinetts durch die phantastischen Pläne von Kongressen und Konferenzen durchscheinen; daß die ministeriellen Zeitungen ihre Fühler ausstrecken, um festzustellen, wie weit sich das Ministerium vorzugehen erlauben kann, und daß mehr als einmal die durch nichts begründeten Gerüchte von heute die Ereignisse von morgen vorher anzeigten. Soviel ist sicher, daß die Quadrupelallianz von England in der Absicht vorgeschlagen wurde, der Türkei die von den vier Mächten zu fassenden Beschlüsse aufzuzwingen, selbst wenn Österreich sich weigern sollte, der Allianz beizutreten. Auch wenn kein Bündnis abgeschlossen wurde, so ist doch zumindest von den vier Mächten ein "Protokoll" unterzeichnet worden, das die Prinzipien festlegt, nach denen die Verhandlungen geführt werden sollen. Nicht weniger fest steht, daß die Wiener Konferenz, welche die Türkei so lange an einer Aktion hinderte, bis die russische Armee die Donaufürstentümer besetzt und die Grenzen Bulgariens erreicht hatte, ihre Tätigkeit wieder aufgenommen und bereits eine neue Note an den Sultan entsandt hat. Daß es keineswegs eines großen Schrittes bedarf, um von einer Wiener Konferenz zu einer europäischen Konferenz in London zu gelangen, wurde bereits zur Zeit des Aufstandes unter Mechmed Ali 1839 bewiesen. Wenn die Konferenz ihr Werk der "Pazifikation" und Rußland inzwischen den Krieg gegen die Türkei fortsetzen sollte, so wäre das nur eine Wiederholung der Londoner Konferenz 1827-1829, deren Ergebnis die Zerstörung der türkischen Flotte bei Navarino und der Verlust der türkischen Unabhängigkeit durch den Vertrag von Adrianopel war. Die Grundlagen der Verhandlungen, die vom britischen Kabinett vorgeschlagen und von den übrigen Mächten angenommen wurden, werden in den ministeriellen Zeitungen deutlich angezeigt: Erhaltung der "gegenwärtigen territorialen Aufteilung Europas". Es wäre ein großer Fehler, wenn man in diesen Vorschlägen eine einfache Rückkehr zu den Bedingungen des Wiener Friedens erblicken wollte. Das Auslöschen des Königreichs Polen, die Besitzergreifung der Donaumündungen durch Rußland, die Einverleibung Krakaus, die Umwandlung Ungarns in eine österreichische Provinz - alle diese "territorialen Übereinkommen" sind nie durch irgendeine europäische Konferenz sanktioniert worden. So würde denn eine Sanktion der "jetzigen territorialen Aufteilung Europas" vielmehr eine Sanktion aller Verletzungen des Wiener Vertrags durch Rußland und Österreich seit 1830 bedeuten, anstatt, wie behauptet wird, die Türkei einfach zum Wiener Vertrag zuzulassen. "Ein Vertrag über gutes Einvernehmen, Frieden und Handel zwischen Rußland und der Türkei" - das sind die gleichen Worte, wie sie in der Einleitung der Verträge von Kainardschi, Adrianopel und Hunkiar-Iskelessi zu finden sind. "Ein Vertrag, wie der über die Dardanellen von 1841", schreibt <541> eine Zeitung Palmerstons <"The Morning Post">. Ganz richtig! Ein Vertrag wie jener, der Europa von den Dardanellen ausschloß und den Euxinus in ein russisches Meer verwandelte. Aber, schreibt die "Times", warum sollen wir uns nicht den freien Zugang zu den Dardanellen für Kriegsschiffe und freie Schiffahrt auf der Donau ausbedingen? Doch lesen Sie Lord Palmerstons Brief vom September 1839 an Herrn Bulwer, den damaligen Botschafter in Paris, und Sie werden finden, daß man damals ähnliche Hoffnungen gehegt hat.

"Der Sultan ist verpflichtet, die bestehenden Verfassungen der Donaufürstentümer und Serbiens zu respektieren." Doch diese bestehenden Verfassungen teilen die Souveränität über die Provinzen zwischen dem Zaren und dem Sultan, und sie sind bis heute von keiner europäischen Konferenz anerkannt worden. Die neue Konferenz würde demnach dem de-facto-Protektorat Rußlands über türkische Gebiete die Zustimmung Europas hinzufügen. Der Sultan würde dann nicht dem Zaren, sondern Europa gegenüber verpflichtet sein, "die christliche Religion innerhalb seiner Gebiete zu beschützen". Das bedeutet, daß das Recht jeder ausländischen Macht, sich in die Angelegenheiten des Sultans mit seinen christlichen Untertanen einzumischen, zu einem Paragraphen des internationalen europäischen Rechts werden würde, und Europa im Falle neuauftretender Konflikte vertraglich gebunden wäre, die Prätentionen Rußlands zu unterstützen, das als einer der Vertragspartner berechtigt wäre, den von den Christen in den Gebieten des Sultans geforderten Schutz in seinem Sinne zu interpretieren. Aus diesem Grunde ist der neue Vertrag, wie ihn das Koalitionskabinett vorgeschlagen und dessen eigene Organe interpretiert haben, der umfassendste Plan der Preisgabe Europas an Rußland, der je ausgeheckt worden ist, ein Plan, der alle Veränderungen sanktioniert, die durch die Konterrevolution seit 1830 herbeigeführt wurden. Es ist daher kein Grund vorhanden, über die Änderung in der Politik Österreichs in Jubel oder Staunen auszubrechen, eine Änderung, die, wie die "Morning Post" zu glauben vorgibt, "in den letzten zehn Tagen plötzlich eingetreten ist". Was Bonaparte angeht, so ist für den Augenblick der Parvenü-Kaiser vollauf zufrieden, mit der Türkei als seiner Leiter in den Himmel der alten legitimen Mächte emporzuklettern, was immer auch seine sonstigen Pläne sein mögen.

Die Ansichten des Koalitionskabinetts sind unverhüllt von der ministeriellen Wochenzeitung, dem " Guardian" ausgedrückt worden:

"Es ist einfach lächerlich, Rußland wie einen geschlagenen Feind zu behandeln und sich einzubilden, wir hätten es bei der Gurgel gepackt, nur weil russische Truppen <542> von den Gräben vor Oltenitza zurückgeworfen und einige Forts am Schwarzen Meer erobert worden sind. Diese geringfügigen Verluste würden nur seinen Stolz entfachen und es von Verhandlungen fernhalten, bis es sich in einer stärkeren Position befindet. Doch Herrscher werden, ebenso wie andere Menschen, von verschiedenen Motiven gelenkt. Der Zar ist ein stolzer und leidenschaftlicher, doch auch ein vorsichtiger Mann. Er ist in einen Streit verwickelt, in dem er verlieren, aber nichts gewinnen kann. Seine Politik ist die gleiche wie die seiner Vorgänger, welche stets mehr durch Kriegsdrohungen als durch Kriege selbst gewonnen haben und deren stetiges und unwandelbares System von Übergriffen ein gut Teil elastischer Anpassungsfähigkeit enthält, das ihnen ermöglichte, große Katastrophen zu vermeiden und sogar Nutzen aus kleinen Rückschlägen zu ziehen. Der vorläufige Beschluß der vier Mächte, keine Änderungen in den territorialen Verhältnissen Europas durchzuführen oder zu gestatten, scheint von dieser vernünftigen Ansicht über die Stellung des Zaren und über seine Politik auszugehen. Enttäuscht sein werden diejenigen, die sich einbilden, daß England ihn besiegt hat oder die sich von dem phantastischen Unsinn der protektionistischen Zeitungen irreführen lassen. Auf der Tagesordnung steht jedoch nicht die Demütigung Rußlands, sondern die Pazifikation Europas" (im russischen Sinne natürlich), "soweit wie möglich jenen dauerhaften Frieden zu erringen, für den der französische Soldatengesandte <Baraguey d'Hilliers> dem Sultan das Ehrenwort seines Herrn verpfändete. Der bevorstehende Vertrag, dessen können wir gewiß sein, wird keine bloße Wiederherstellung des Status quo sein, sondern er wird zumindest versuchen, die Beziehungen zwischen der Türkei und Europa sowie zwischen der türkischen Regierung und ihren christlichen Untertanen auf einer dauerhaften Grundlage zu regeln. Ja, versuchen - denn so dauerhaft wir es auch zu regeln vermöchten, im Grunde wird jede Übereinkunft, die in Europa ein Türkisches Reich zuläßt, immer provisorisch bleiben. Solch eine provisorische Übereinkunft jedoch ist heute möglich und notwendig."

Daher besteht das Endziel, welches die Mächte anstreben, darin, dem Zaren zu helfen, "Nutzen aus kleinen Rückschlägen zu ziehen" und in Europa "ein Türkisches Reich nicht zuzulassen". Die provisorische Übereinkunft wird selbstverständlich zu der Verwirklichung des Endzieles beitragen, soweit es überhaupt "heute möglich ist".

Einige Umstände haben jedoch die Berechnungen der Koalitionspolitiker in einer einzigartigen Weise durcheinandergebracht. Das sind einmal die Nachrichten von den erneuten Siegen der Türken an den Ufern des Schwarzen Meeres und an den Grenzen Georgiens. Zum andern ist es die hartnäckige Behauptung, die ganze in Polen stationierte Armee habe Befehl zum Vormarsch auf den Pruth erhalten, während wir demgegenüber von den Grenzen Polens informiert worden sind, daß

<543> "in der Nacht vom 23. auf den 24. vorigen Monats die Branka oder die Rekrutenaushebung für die Armee stattfand, und in Orten, wo man bisher einen oder zwei Mann genommen hatte, jetzt acht bis zehn ausgehoben wurden".

Dies zeigt zumindest, daß der Zar nur geringes Vertrauen in den Frieden stiftenden Genius der vier Mächte hegt. Die offizielle Verlautbarung Österreichs, "daß keinerlei Bündnisse zwischen den vier Höfen abgeschlossen wurden", zeigt, daß Österreich, so gern es auch der Türkei Bedingungen aufzwingen möchte, es nicht einmal wagt, sich den Anschein zu geben, als wolle es den Zaren zwingen, Bedingungen anzunehmen, die in dessen eigenem Interesse ausgearbeitet wurden. Schließlich hat die Antwort des Sultans an den französischen Botschafter, daß

"gegenwärtig eine freundschaftliche Übereinkunft völlig unannehmbar sei, ohne daß Rußland seine erhobenen Prätentionen völlig fallen läßt und sich sofort aus den Fürstentümern zurückzieht",

die Kongreß-Beflissenen wie vom Donner gerührt, und ein Organ des listigen und erfahrenen Palmerston <"The Morning Advertiser"> gibt jetzt den anderen Brüdern folgendes Stück Wahrheit offen preis:

"Rußland kann nicht in die sofortige Evakuierung der Fürstentümer und in den völligen Verzicht auf alle seine Ansprüche einwilligen, ohne seiner Würde und seinem Einfluß Abbruch zu tun. Es wäre töricht, wollte man annehmen, daß eine so starke Macht dies ohne einen verzweifelten Kampf zulassen würde.

Wir bedauern deswegen, daß jetzt Versuche zu Verhandlungen unternommen werden, weil wir nur einen Fehlschlag voraussehen können."

Ein geschlagenes Rußland kann sich überhaupt auf keine Verhandlungen einlassen. Es geht vor allem jetzt darum, die Waagschale des Krieges zu verändern. Aber wie sollte das sonst erreicht werden, als dadurch, daß man Rußland Zeit gewinnen läßt? Das einzige was es braucht, ist Aufschub, Zeitgewinn, um neue Truppen auszuheben und sie über das ganze Reich zu verteilen, sie zu konzentrieren und den Krieg gegen die Türkei so lange aufzuhalten, bis es mit den Bergvölkern des Kaukasus fertig geworden ist. Hierdurch kann sich die Lage Rußlands verbessern, und der Versuch zu verhandeln "kann erfolgreich verlaufen, wenn Rußland anstatt besiegt, siegreich ist". Dementsprechend hat England, wie die Wiener "Ost-Deutsche Post" und der ministerielle "Morning Chronicle" erklären, die Türkei zu überzeugen versucht, daß es angebracht sei, einem dreimonatigen Waffenstillstand zuzustimmen. Lord Redcliffe war zu einer fünfstündigen Audienz beim <544> Sultan, um von Seiner Hoheit die Zustimmung zu dem vorgeschlagenen Waffenstillstand zu erlangen, die seine Minister verweigert haften. Das Ergebnis war, daß eine außerordentliche Sitzung des Ministerrats einberufen wurde, um die Angelegenheit zu beraten. Die Pforte weigerte sich entschieden, den vorgeschlagenen Waffenstillstand anzunehmen, und sie konnte ihn nicht annehmen, ohne offenen Verrat am türkischen Volk zu begehen. Die heutige "Times" bemerkt dazu:

"Bei der augenblicklichen Stimmung dürfte es nicht leicht sein, die Prätentionen der Pforte in vernünftige Grenzen zu verweisen."

Die Pforte ist unvernünftig genug, um zu begreifen, daß es mit der Würde des Zaren völlig unvereinbar ist, eine Niederlage zu erleiden und daß sie ihm deswegen einen dreimonatigen Waffenstillstand gewähren soll, um ihre eigenen Erfolge zunichte zu machen und ihm behilflich zu sein, wieder siegreich und "großmütig" zu werden. Alle Hoffnungen, einen dreimonatigen Waffenstillstand abzuschließen, sind jedoch noch nicht aufgegeben worden.

"Möglicherweise", meint die "Times", "stößt ein von den vier Mächten empfohlener Waffenstillstand auf mehr Wohlwollen."

Der gutmütige "Morning Advertiser" ist

"nicht bereit, diese Darstellung als korrekt zu akzeptieren", weil "ein noch direkterer Versuch, die ottomanische Sache an den Zaren zu verraten oder einer, der besser geeignet ist, diesem Zweck zu entsprechen, auch von dem klügsten Kopf nicht hätte ausgedacht werden können".

Das Vertrauen des radikalen "Morning Advertiser" in "die Ehre und Rechtschaffenheit" Palmerstons und seine Unkenntnis der Geschichte der englischen Diplomatie scheinen gleichermaßen unfaßbar. Da diese Zeitung das Eigentum der Licensed Victualler's Association <Vereinigung der Schankwirte> ist, habe ich den Verdacht, daß die Leitartikel von Zeit zu Zeit von eben diesen Schankwirten geschrieben werden.

Während England dergestalt in Konstantinopel und Wien als Vorposten Rußlands in Anspruch genommen ist, wollen wir uns ansehen, wie andererseits die Russen ihre Angelegenheiten in England erledigen.

In einem früheren Artikel habe ich Ihren Lesern schon berichtet, daß zur gleichen Zeit, da die Koalitionsregierung vortäuscht, Rußland im Schwarzen Meer zu bedrohen, russische Kriegsschiffe - die beiden Fregatten "Aurora" und "Navarino" - auf den Werften der Königin in Portsmouth ausgebessert werden. Am vergangenen Sonnabend informierten uns der "Morning <545> Herald" und die "Daily News", daß sechs Matrosen von der russischen Fregatte "Aurora" entflohen waren und, als sie beinahe Guildford erreicht hatten, von einem Offizier der russischen Fregatte "Aurora" und einem englischen Polizeiinspektor eingeholt und zurück nach Portsmouth an Bord der "Victorious" gebracht wurden - eines englischen Schiffes, das während der Ausbesserung der "Aurora" von deren Besatzung belegt worden war. Sie wurden einer grausamen körperlichen Züchtigung unterzogen und in Eisen gelegt. Als dies in London bekannt wurde, setzten einige Herren durch Vermittlung eines Rechtsanwalts, Herrn Charles Ronalds, auf Grund der Habeas-Corpus-Akte einen Gerichtsbefehl durch, worin Konteradmiral Martin wie auch einige andere englische Marineoffiziere und der russische Kapitän, der Kommandeur der Fregatte "Aurora", aufgefordert wurden, die sechs Seeleute vor den Lord-Oberrichter von England zu stellen. Die englischen Werftbehörden weigerten sich, dem Befehl nachzukommen; der englische Kapitän wandte sich an den Vizeadmiral und dieser an den Admiral, während sich der Admiral seinerseits bemüßigt fühlte, sich mit dem Lord der Admiralität in Verbindung zu setzen, dem berüchtigten Sir James Graham, der vor zehn Jahren im Zusammenhang mit dem Fall Bandiera die britischen Postbehörden Metternich zur Verfügung gestellt hatte. Was den russischen Kapitän anbelangt, so warf er die königliche Order, obwohl sie ihm an Bord des englischen Schiffes "Victorious" überreicht und er von deren Bedeutung durch einen Dolmetscher ausreichend informiert worden war, verächtlich über Bord. Als ihm das Schreiben durch eine Stückpforte zurückgereicht worden war, wurde es erneut hinausgeworfen. "Wenn es wirklich von Ihrer Majestät gekommen wäre", sagte der russische Kapitän, "dann wäre es unserem Botschafter oder dem Konsul übergeben worden." Da der Konsul abwesend war, weigerte sich sein Vertreter, einzugreifen. Am 6. Dezember wurden erneut Gerichtsbefehle an die Marinebehörden in Portsmouth übergeben, worin ihnen im Namen der Königin befohlen wurde, nicht nur die genannten sechs Männer, sondern auch den russischen Kapitän dem Lord-Oberrichter vorzuführen. Anstatt dem Befehl nachzukommen, machte die Admiralität alle Anstrengungen das Schiff aus dem Hafen schleppen zu lassen und es auf See zu bringen, und am folgenden Tage wurde beobachtet, daß die "Aurora" unter Kapitän Islamatow, dem Gerichtsbefehl zum Trotz, Kurs auf den Stillen Ozean nahm. Wie uns von der gestrigen "Daily News" mitgeteilt wird, befindet sich mittlerweile

"die russische Korvette 'Navarino' immer noch im Dock, um einer durchgängigen Kalfaterung und Reparatur unterzogen zu werden. Eine größere Anzahl Werftarbeiter sind damit beschäftigt."

<546> Man beachte jedoch, wie dieser "aufsehenerregende" Fall in der ministeriellen Presse dargelegt worden ist.

Der "Morning Chronicle", das Organ der Peeliten, zog es vor, zu schweigen, weil Graham, also ihr Mann, der am meisten kompromittierte in der ganzen Angelegenheit ist. Als erste brach die Palmerstonsche "Morning Post" das Schweigen, weil ihr Herr und Meister solch eine Gelegenheit nicht verstreichen lassen konnte, seine Meisterschaft unter Beweis zu stellen, offensichtlich schwierige Fälle als leicht hinzustellen. Dem ganzen Fall, so meint die Zeitung, würde zuviel Gewicht beigemessen, und er sei äußerst übertrieben dargestellt worden. Sie behauptete auf das Zeugnis des russischen Kapitäns hin, der die grausame Auspeitschung und die Gefangensetzung der sechs Deserteure befohlen hatte, "diese Seeleute sagen, sie wären nicht auf eigenen Antrieb hin desertiert, sondern von Personen fortgelockt worden, die sich auf der Straße an sie herangemacht hätten". Diese Seeleute wurden, nachdem sie es fertiggebracht hatten, entgegen den Befehlen des russischen Kapitäns und gegen ihren eigenen Willen an Land zu kommen, "betrunken gemacht, mit einem Wagen ins Binnenland gebracht" und dann im Stich gelassen, "nachdem ihnen Anweisungen, wie sie nach London gelangen könnten, sowie Adressen von Leuten, an die sie sich dort wenden sollten, gegeben worden waren". Diese absurde Geschichte wurde von dem Palmerstonschen Organ mit der Absicht erfunden, der Öffentlichkeit einzureden, daß sich die Deserteure "selbst der Polizei gestellt hätten", eine Lüge, die für die "Times" zu frech ist, um sie ebenfalls vorzubringen. Die "[Morning] Post" deutet mit einem großen Aufgebot moralischer Entrüstung an, daß die ganze Affäre von einigen polnischen Flüchtlingen angestiftet worden sei, die wahrscheinlich beabsichtigten, die Gefühle von Lord Palmerstons großmütigem Herrn zu verletzen.

Ein anderes ministerielles Organ, der "Globe", stellt fest, daß

"der Einwand, ein Ausländer brauche nur die Verfahren anzuerkennen, die von dem Minister seines eigenen Landes ausgingen, einfach unhaltbar sei; sonst könnte jeder Ausländer in einem britischen Seehafen unsere Gesetze verletzen, ohne daß man ihn zur Verantwortung ziehen könne, außer durch das Eingreifen eines Botschafters".

Der "Globe" kommt infolgedessen zu der maßvollen Schlußfolgerung, daß die Antwort des russischen Kapitäns an den Beamten, der ihm den Habeas-Corpus-Gerichtsbefehl vorlegte, "nicht vollkommen zufriedenstellend gewesen ist". Doch in menschlichen Angelegenheiten wäre es müßig, so etwas wie Vollkommenheit anzustreben.

Die "Times" ruft aus:

<547> "Wenn der russische Kapitän sie alle" (d.h. die sechs wiedereingefangenen Seeleute) "am nächsten Morgen an der Rahe seiner Fregatte hätte aufhängen lassen, wäre er völlig außerhalb der Kontrolle der englischen Gesetzgebung gewesen."

Und warum wäre er das? Weil in dem Schiffahrtsvertrag, der zwischen Rußland und Großbritannien 1840 (unter der Leitung von Lord Palmerston) abgeschlossen wurde, ein diesbezüglicher Passus enthalten ist:

"Die Konsuln, Vizekonsuln und Handelsagenten der hohen Vertragspartner, welche im Herrschaftsbereich des andern wohnen, sollen von den Lokalbehörden jeden gesetzlichen Beistand erhalten, dessen sie zur Habhaftwerdung flüchtiger Matrosen von Kauffahrtei- oder von Kriegsschiffen ihrer jeweiligen Länder bedürfen."

Aber, liebe gute "Times", die Frage ist ja gerade, was für Hilfe die englischen Behörden laut Gesetz dem russischen Kapitän zu geben verpflichtet waren. Was die russischen Behörden selbst angeht, "die in diesen Zeiten politischer Krise ihre Schiffe in englischen Häfen reparieren lassen", so erblickt die "Times" darin "einen großen Mangel an Zartgefühl und gutem Ton", und sie glaubt, "daß die Offiziere auf diesen Schiffen in die Stellung von Spionen versetzt worden sind". Doch die britische Regierung, so schreibt sie, "hätte ihre Verachtung einer solchen Politik nicht stärker ausdrücken können", als durch das, was sie getan hat, nämlich daß sie die russischen Spione zu den eigenen Werften der Königin zuläßt, "sogar wenn es öffentliches Ärgernis erregen sollte", indem sie ihnen britische Kriegsschiffe zur Verfügung gestellt, Werftarbeiter, die aus der Tasche des britischen Steuerzahlers bezahlt werden, für sie arbeiten läßt, und ihnen zum Abschied Salutschüsse nachfeuert, wenn sie Reißaus nehmen, nachdem sie die Gesetze Englands verletzt haben.

Karl Marx