Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 10, S. 127-131
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Karl Marx

Das Arbeiterparlament

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4039 vom 29. März 1854]

<127> London, Freitag, 10. März 1854.

Großbritannien ist das Land, in dem die Despotie des Kapitals und die Arbeitssklaverei den bisher höchsten Grad ihrer Entwicklung erreicht hat. Nirgends sind die Zwischengruppen zwischen dem Millionär, der über ganze industrielle Armeen herrscht, und dem Lohnsklaven, der nur von der Hand in den Mund lebt, so gründlich vom Erdboden hinweggefegt worden. Es existieren nicht mehr, wie in den Ländern des Kontinents, die großen Klassen der Bauern und Handwerker, die fast ebensosehr von ihrem Eigentum wie von ihrer Arbeit abhängen. In Großbritannien hat sich eine vollständige Scheidung des Eigentums von der Arbeit vollzogen. Deshalb hat der Krieg zwischen den beiden Klassen, die die moderne Gesellschaft bilden, in keinem lande so kolossale Ausmaße und so ausgeprägte und unverhüllte Züge angenommen.

Gerade deshalb auch ist niemand so sehr kompetent und berufen wie die Arbeiterklasse Großbritanniens, Führer der großen Bewegung zu sein, deren Ergebnis schließlich die völlige Emanzipation der Arbeit sein muß. Sie ist dies auch durch das klare Bewußtsein ihrer Lage, durch ihre gewaltige zahlenmäßige Überlegenheit, ihre Erfahrung aus den verheerenden Kämpfen der Vergangenheit und ihre moralische Stärke der Gegenwart.

Die Londoner Tagespresse betreibt gegenüber der Tätigkeit des Arbeiterparlaments eine "Politik des Stillschweigens". Sie hofft es durch eine große "conspiration de silence" <"Verschwörung des Schweigens"> zu ersticken. Nachdem sie das Publikum einige Monate lang mit endlosen Artikeln über das Thema ermüdet hat, ob es überhaupt zur Einberufung eines solchen Parlaments kommen werde, enthält sie <128> sich jetzt jeder Erwähnung der Tatsache, daß es wirklich ins Leben gerufen wurde und seine Arbeit bereits aufgenommen hat. Diese Straußenweisheit, die sich einbildet, der Gefahr zu entgehen, wenn sie so tut, als ob sie diese nicht sieht, vermag heutzutage nichts mehr. Die Presse wird von dem Arbeiterparlament Notiz nehmen müssen, und künftige Geschichtsschreiber werden, ungeachtet dieser geheuchelten Gleichgültigkeit, zu berichten haben, daß es im Jahre 1854 zwei Parlamente in England gab, ein Parlament in London und ein Parlament in Manchester, ein Parlament der Reichen und ein Parlament der Armen, daß aber wirkliche Männer nur in dem Parlament der Arbeiter saßen und nicht im Parlament der Herren. Hier ist nun der Bericht des Komitees, dem der Entwurf eines Aktionsprogramms für das Arbeiterparlament übertragen wurde:

"Euer Komitee hält es für die Pflicht dieses Parlaments, erfolgreich zum Wohle der Arbeiter gegen die gegenwärtig stattfindenden Entlassungen und Aussperrungen zu wirken und Maßnahmen zu treffen, die beides in Zukunft verhindern; der arbeitenden Klasse eine gerechte Behandlung während der Arbeit zu sichern; Frauen und Kinder vor den Fabriken zu bewahren; Bildungsmöglichkeiten zu sichern sowie Lohnabzüge und versteckte Lohnkürzungen zu verhindern. In dem Glauben ferner, daß es seine Pflicht ist, danach zu trachten, den Arbeitenden einen gerechten Anteil an dem Ertrag ihrer Arbeit zu sichern und vor allem die Voraussetzungen zu schaffen, damit sie zu Herren ihrer eigenen Arbeit werden, um ihre vollständige Emanzipation von der Lohnsklaverei herbeizuführen; und in der Überzeugung, daß der entscheidende Schritt dazu die Erlangung der zum Handeln notwendigen Geldmittel ist, unterbreitet es zu eurer Beratung:

1. Die Einrichtung eines Systems zur Sammlung von Geldern für einen nationalen Fonds der Arbeit;
2. einen Plan zur Sicherung der dadurch errichteten Fonds;
3. deren Verwendung und die Sicherung der Rechte der arbeitenden Klasse;
4. die Begründung der Massenbewegung.

I. Die Bildung eines nationalen Fonds der Arbeit

a) Ein wöchentlicher Betrag vom Lohn, je nach der Höhe des Preises der Arbeit, und zwar

bis

4 sh.

pro Woche

1/2

d.

bis

8 sh.

pro Woche

3/4

d.

bis

12 sh.

pro Woche

1

d.

bis

15 sh.

pro Woche

1

1/2

d.

bis

20 sh.

pro Woche

2

d.

bis

30 sh.

pro Woche

3

d.

bis

40 sh.

pro Woche

4

d.

<129> b) Die Beauftragten der verschiedenen Arbeiterorganisationen, die in Übereinstimmung mit der Massenbewegung handeln, übergeben die erhobenen Beträge an deren leitenden Ausschuß.

II. Sicherung des Fonds

a) Die Beauftragten der lokalen Organisationen übergeben alles für die Massenbewegung eingehende Geld wöchentlich an die Leitung der Bewegung, wie unten näher angegeben. Die zur Annahme ordnungsgemäß ernannten Beauftragten geben für die erhaltenen Beträge sofort Quittungen aus.

b) Die leitenden Personen hinterlegen alle für die Massenbewegung eingehenden Gelder (wobei sie das Recht haben, eine Summe nicht über 50 Pfd.St. bei sich zu behalten) bei einer Bank auf gemeinsamen Namen. Es dürfen weder diese ganze Summe oder Summen noch ein Teil derselben von der Bank anders abgehoben werden als durch Vorlage des Protokollbuches des genannten leitenden Ausschusses, das eine entsprechende Anweisung zum Abheben des Geldes enthält, die von einer noch festzulegenden Mehrheit der Mitglieder dieses Ausschusses unterzeichnet ist.

c) Das somit abgehobene Geld soll Papiergeld sein (wenn es 5 Pfd.St. übersteigt). Die Nummern dieser Banknoten sollen in ein Buch, das der Überprüfung zugänglich ist, eingetragen und in den Zeitungen veröffentlicht werden; der Betrag der hierdurch empfangenen Banknoten soll aufgeteilt und jeder Teil einem einzelnen Mitglied des leitenden Ausschusses anvertraut werden. Werden große Summen abgehoben, so werden sie zu gleichen Teilen von jedem Mitglied aufbewahrt.

d) Jedes Mitglied, dem auf diese Weise ein Teil des erwähnten Geldes anvertraut wurde, soll einen Schuldschein auf diese Teilsumme des abgehobenen Geldes ausstellen, vorausgesetzt, daß das Geld entsprechend der Anzahl der Mitglieder des leitenden Ausschusses in gleiche Teile geteilt wurde. Sollte sich das Mitglied weigern, den in seiner Verwahrung befindlichen Teil der Noten für den Zweck zu verwenden, für den das Geld abgehoben wurde, soll das Dokument, über das man gegen ihn verfügt, sofort in Kraft treten und erst annulliert werden, wenn er seinen genannten Banknotenanteil zurückzahlt. Die ausgestellten Schuldscheine sollen in einem Kassenschrank oder einem Safe aufbewahrt werden, der in die Obhut einer unparteiischen und zuverlässigen Person (keinem Mitglied des leitenden Ausschusses) gegeben wird, die nur gestatten darf, daraus ein Dokument zu entnehmen, wenn der gesamte leitende Ausschuß hierbei anwesend ist.

e) Das für Zahlungen oder Käufe abgehobene Geld darf von den leitenden Personen nur in Gegenwart aller Mitglieder des Ausschusses ausgezahlt werden.

III. Verwendung des Fonds

a) Der errichtete Fonds soll wie folgt verwandt werden: Zur Unterstützung aller Städte und Orte, in denen gestreikt wird, und für die Begleichung aller Schulden, die bei den vergangenen und gegenwärtigen Streiks und Aussperrungen entstanden sind. Die gleiche Unterstützung sollen Städte jeweils auch entsprechend der Anzahl ihrer beschäftigungslosen Arbeiter erhalten. Nach demselben Grundsatz, wonach an Bord <130> eines Schiffes, auf dem Mangel herrscht, jeder den gleichen Teil an Proviant erhält, soll jedem die gleiche Unterstützung gewährt werden, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um einen hoch oder niedrig bezahlten Beschäftigten handelt. Obwohl alle an den gegenwärtig stattfindenden Streiks Beteiligten und von den Aussperrungen Betroffenen unterstützt werden sollen, wird in Zukunft keinen Gruppen Hilfe geleistet, die die Massenbewegung nicht anerkennen und unterstützen.

b) Es soll eine Abteilung zur Regulierung des Preises der Arbeit eingerichtet werden. Zu diesem Zweck soll für alle Gewerke, die mit der Massenbewegung in Verbindung stehen, ein monatlicher Bericht herausgegeben werden über die Preise des Rohmaterials sowie über den Preis der Arbeit, den Verkaufspreis der hergestellten Produkte und die anderen Herstellungskosten. Auf Grund dieser Zeugnisse soll der leitende Ausschuß einen Bericht über die Profite der Unternehmer herausgeben, wobei es ihm freisteht, von den letzteren Erklärungen über irgendwelche besonderen oder zuzüglichen Kosten des Unternehmers entgegenzunehmen. Auf der Grundlage dieser Berechnungen soll der Preis der Arbeit reguliert und damit übereinstimmend der Tarif für die Löhne festgelegt werden. Entsprechend soll auch auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Interessen des Landes verfahren werden.

c) Hat nun der Arbeiter das unzweifelhafte Recht, an den Profiten des Unternehmers teilzuhaben, so hat er noch in höherem Maße ein Recht - das Recht, Herr seiner Arbeit zu sein; hierfür wie auch für eine wirksamere Regulierung der Löhne - wozu dem Unternehmer die Macht entzogen werden muß, sich Mehrarbeit anzueignen - soll der Fonds der Massenbewegung außerdem zum Ankauf von Land verwendet werden. Die Ländereien werden auf den Namen von Personen gekauft, die nicht Mitglieder des leitenden Ausschusses sind. Sie werden in Farmen verschiedener Größe aufgeteilt, je nach der Beschaffenheit des Bodens und dem Zweck ihrer Verwendung - nämlich entweder zu persönlichen Pachtbesitzungen oder zu großen genossenschaftlichen Unternehmen. Besagte Ländereien bleiben Eigentum der Massenbewegung und können von ihr niemals verkauft werden. Das Land wird auf kurze Zeiten und gegen eine angemessene und mäßige Pachtsumme verpachtet. Der Pachtvertrag enthält die Klausel, daß jeder Pächter, der seine Pacht schuldig bleibt, sofort sein Pachtrecht verliert. Eine weitere Klausel verpflichtet den Pächter, die Pachtsumme an die Personen zu zahlen, die durch die Übertragungsurkunde, von der unten die Rede sein wird, bestimmt werden. Die Personen, auf deren Namen die Ländereien gekauft wurden, fertigen eine Übertragungsurkunde aus, wonach der Pächter die Pachtsumme nicht an sie, sondern an die Personen zu zahlen hat, welche zu dieser Zeit dem leitenden Ausschuß der Massenbewegung angehören. Die Personen, die zu dieser Zeit der Leitung angehören, sollen eine Urkunde ausfertigen, wonach sie sich zur Zahlung einer Strafe von je 5.000 Pfd.St. an zwei Personen verpflichten, die nicht Käufer irgendwelchen Bodenbesitzes sind; eine solche Strafe soll verhängt werden, wenn sie ihr Amt aufgeben und hierbei keine Übertragungsurkunde der genannten Pacht auf ihre Amtsnachfolger ausfertigen; letztere müssen an die gleichen Bedingungen gebunden sein.

d) Damit das Recht der Arbeiter, Herren der eigenen Arbeit zu werden und die Befreiung des Arbeitsmarktes von überschüssiger Arbeit noch besser gesichert sei, <131> empfiehlt euer Komitee fernerhin eine Verwendung des verfügbaren Fonds für die Errichtung genossenschaftlicher Fabriken, Werkstätten und Läden, die Eigentum der Massenbewegung sind. Die dort Beschäftigten erhalten einen Lohn, der nach dem obengenannten Tarif für den Preis der Arbeit festgelegt ist, und die Hälfte des Nettogewinns aus den verkauften Produkten; die andere Hälfte des Gewinns soll in das Einkommen der Massenbewegung eingehen. Der Leiter eines jeden genossenschaftlichen Unternehmens wird von den darin beschäftigten Arbeitern gewählt und unterliegt der Bestätigung durch den leitenden Ausschuß. Der besagte Verwalter des jeweiligen genossenschaftlichen Unternehmens regelt den entsprechenden Ein- und Verkauf und übergibt dem leitenden Ausschuß monatlich einen Bericht über die Einkäufe, Verkäufe, Zahlungen und damit verbundenen Verluste oder Gewinne. Sollte es Anlaß zur Klage über Differenzen zwischen den Arbeitern und dem Verwalter geben, sollen die Beschäftigten das Recht haben, den Verwalter seines Amtes zu entheben und einen anderen mit einer Mehrheit von mindestens drei Viertel ihrer Stimmen zu wählen. Die Hälfte des Nettogewinne eines jeden genossenschaftlichen Unternehmens soll der betreffende Verwalter dem leitenden Ausschuß zusenden. Für das von der Massenbewegung zu genossenschaftlichen Zwecken erworbene Eigentum gelten die gleichen Sicherheitsmaßregeln wie für die Ländereien."

Nach langer Debatte stimmte das Arbeiterparlament auf seiner Mittwoch-Sitzung dem Bericht des Komitees bis Teil II einschließlich zu. Das Komitee, dem der Entwurf dieses Aktionsprogramms für die Massenbewegung übertragen war, bestand aus den Herren Ernest Jones, James Finlen, James Williams, Abraham Robinson und James Bligh.

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