Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 10, S. 152-167
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Karl Marx

Die geheime diplomatische Korrespondenz

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4050 vom 11. April 1854]

<152> London, Freitag, 24. März 1854.

Kann man auch die Depesche Lord John Russells im ganzen als eine höfliche Ablehnung des Vorschlags des Zaren bezeichnen, schon im voraus en Abkommen über die eventuelle Teilung der Türkei zu treffen, so enthält sie doch einige sehr merkwürdige Stellen, auf die ich die Aufmerksamkeit Ihrer Leser lenke. Lord John sagt:

"Es liegt kein ausreichender Grund vor, dem Sultan zu bedeuten, daß er unvermögend sei, die Ruhe im Innern zu wahren oder freundliche Beziehungen zu seinen Nachbarn aufrechtzuhalten."

Nun stoßen wir nirgends in den vertraulichen Mitteilungen Sir Hamilton Seymours auf eine Andeutung davon, daß der Zar vorgeschlagen habe, dem Sultan etwas Derartiges zu bedeuten. Wir müssen daher entweder annehmen, daß Lord Russell, während er zum Widerstand gegen einen solchen Schritt reizte, ihn selbst betreiben wollte, oder daß einige der vertraulichen Mitteilungen Sir Hamiltons in den dem Hause vorgelegten Akten verheimlicht sind. Die Sache ist um so verdächtiger, als nur sechzehn Tage später, am 25. Februar 1853, Lord Clarendon bei seinem Eintritt ins Ministerium des Auswärtigen Lord Stratford de Redcliffe folgende Instruktionen erteilte:

"Eure Exzellenz werden mit der ganzen Freimütigkeit und Offenheit, die mit der Klugheit und der Würde des Sultans vereinbar sind, die Gründe erklären, welche die Regierung Ihrer Majestät befürchten lassen, daß sich das Ottomanische Reich gegenwärtig in einer sehr gefährlichen Lage befinde. Die sich häufenden Beschwerden der fremden Nationen, denen zu entsprechen die Pforte unfähig oder nicht gewillt ist, die schlechte Führung ihrer eigenen Geschäfte und die zunehmende Schwäche der Exekutivgewalt in der Türkei haben die Alliierten der Pforte neuerdings veranlaßt, einen neuen <153> beunruhigenden Ton anzuschlagen. Sollte diese Lage andauern, so kann sie zu einer allgemeinen Empörung der christlichen Untertanen der Pforte führen und sich als verhängnisvoll für die Unabhängigkeit und Integrität des Reiches erweisen - eine Katastrophe, die die Regierung Ihrer Majestät tief bedauern würde, die aber, worauf die Pforte hinzuweisen die britische Regierung verpflichtet ist, von einigen europäischen Großmächten als wahrscheinlich und nahe bevorstehend betrachtet wird." (Siehe Blaubuch über die Rechte und Privilegien der römisch-katholischen und griechisch-orthodoxen Kirche. Bd. I, S. 81 und 82.)

Hieß das nicht, dem Sultan von seiten Englands in dürren Worten "bedeuten", "daß er unvermögend sei, die Ruhe im Innern zu wahren oder freundliche Beziehungen zu seinen Nachbarn aufrechtzuhalten"? Der Zar hatte Sir Hamilton in sehr ungenierter Weise gesagt, daß er es England nicht erlauben würde, sich in Konstantinopel festzusetzen, daß aber er seinerseits beabsichtige, sich daselbst festzusetzen, wenn auch nicht als Eigentümer, so doch wenigstens als Depositar. Was erwidert nun Lord John auf diese unverschämte Ankündigung? Im Namen Großbritanniens verzichtet er "auf jede Absicht oder jeden Wunsch, Konstantinopel zu besetzen". Vom Zaren verlangt er keine solche Zusage.

"Die Stellung des Kaisers von Rußland", sagt er, "als Depositar, aber nicht als Eigentümer von Konstantinopel, wäre zahllosen Gefahren ausgesetzt sowohl durch den langgehegten Ehrgeiz seiner eigenen Nation als durch die Eifersucht Europas."

Die Eifersucht Europas und nicht die Opposition Englands! Was England betrifft, so würde es nicht erlauben - aber ein Lord John Russell wagt mit Rußland doch nicht in demselben Ton zu sprechen, in dem Rußland mit England spricht -, England würde "nicht damit zufrieden sein, Konstantinopel auf die Dauer in den Händen Rußlands zu sehen". Es wäre also zufrieden, Rußland vorübergehend dort zu sehen. Mit anderen Worten, es stimmt dem Vorschlag vollständig zu, den der Zar selbst macht. Es wird das nicht erlauben, worauf er selbst verzichtet, aber es ist bereit zu dulden, was er zu tun beabsichtigt.

Nicht "zufrieden" damit, den Zaren als den eventuellen Depositar Konstantinopels einzusetzen, erklärt Lord John Russell im Namen der englischen Regierung, daß sie "auf keine Übereinkunft eingehen will, für die Eventualität des Falls der Türkei vorzusehen ohne vorherige Kommunikation darüber" mit Rußland. Das heißt, obgleich der Zar Sir H. Seymour mitteilte, daß er mit Österreich eine Vereinbarung getroffen habe ohne vorherige Verständigung Englands, verpflichtet sich England seinerseits, mit Rußland Rücksprache zu nehmen, ehe es eine Vereinbarung mit Frankreich trifft.

<154> "Im ganzen", sagt Lord John, "kann keine weisere, uneigennützigere, für Europa wohltätigere Politik adoptiert werden als die, welche Seine Kaiserliche Majestät bisher befolgt hat."

Seine kosakische Majestät hat zufällig, ohne je davon abzuweichen, die bei ihrer Thronbesteigung verkündete Politik verfolgt, die der liberale Lord John als eine so uneigennützig und für Europa so wohltätige erklärt.

Der angebliche und wichtigste Streitpunkt in den jetzigen orientalischen Wirren ist Rußlands Anspruch auf ein religiöses Protektorat über die griechisch-orthodoxen Christen im Ottomanischen Reich. Der Zar, weit entfernt davon, seine Ansprüche zu verbergen, sagte Lord Hamilton geradeheraus, daß "ihm das Recht durch Vertrag gesichert sei, jene mehrere Millionen Christen zu beschützen", daß "er von seinem Recht einen mäßigen und schonenden Gebrauch mache" und daß es "zuweilen mit sehr unbequemen Verbindlichkeiten verknüpft sei". Gibt ihm nun Lord John Russell zu verstehen, daß ein solcher Vertrag nicht existiere und daß der Zar ein solches Recht nicht habe? Daß er nicht mehr Recht besitze, sich in die Angelegenheiten der griechisch-orthodoxen Untertanen der Türkei einzumischen, als England in diejenigen der protestantischen Untertanen Rußlands oder Frankreich in die der Iren Großbritanniens? Lassen wir ihn selbst antworten:

"Ihrer Majestät Regierung wünscht hinzuzufügen, daß es nach ihrer Ansicht wesentlich ist, dem Sultan anzuraten, daß er seine christlichen Untertanen im Einklang mit den Grundsätzen der Rechtsgleichheit und Glaubensfreiheit behandle ... Je mehr die türkische Regierung die Regeln unparteiischen Gesetzes und gleichheitlicher Verwaltung annimmt, desto weniger wird es der Kaiser von Rußland nötig finden, jenen exzeptionellen Schutz anzuwenden, den Seine Kaiserliche Majestät so lästig gefunden hat, wiewohl er ohne Zweifel durch die Pflicht vorgeschrieben und durch Vertrag sanktioniert ist."

Rußlands "exzeptioneller Schutz" über die Untertanen der Pforte durch Vertrag sanktioniert! Kein Zweifel daran, sagt Lord John; und Lord John ist ein ehrenwerter Mann; und Lord John spricht im Namen der Regierung Ihrer Majestät; und Lord John wendet sich an den Autokraten selbst. Worüber streitet also England mit Rußland? Und warum verdoppelt es seine Einkommensteuer und beunruhigt die Welt mit seinen kriegerischen Vorbereitungen? Wie kam Lord John dazu, vor einigen Wochen im Parlament mit der Miene und dem Ton einer Kassandra aufzutreten, zu kreischen, zu prahlen und sich in bombastischen Verwünschungen gegen den treulosen und arglistigen Zaren zu ergehen? Hat nicht er selbst dem Cäsaren erklärt, des Cäsars Ansprüche auf das ausschließliche Protektorat seien durch "die Pflicht vorgeschrieben und durch Verträge sanktioniert"?

<155> Gewiß nicht über Verstellung oder Zurückhaltung des Zaren hatte das Koalitionskabinett sich zu beklagen, sondern im Gegenteil über die unverschämte Vertraulichkeit, mit der er es wagte, sein Herz vor ihm auszuschütten und es zum Vertrauten seiner geheimsten Pläne zu machen, wodurch er das Kabinett von Downing Street in ein Privatkabinett am Alexander-Newski-Prospekt verwandelte. Jemand vertraut euch seine Absicht an, euren Freund zu ermorden. Er bittet euch, sich schon vorher mit ihm über den Raub zu einigen. Ist dieser Jemand nun Kaiser von Rußland, und ihr seid ein englischer Minister, so werdet ihr ihn nicht vor Gericht zerren, sondern ihm in unterwürfigen Worten für das große Vertrauen danken, daß er in euch setzte, und euch glücklich schätzen, "seine Mäßigung, seinen Freimut und seine freundliche Gesinnung anzuerkennen", wie es Lord John Russell tat.

Kehren wir nach St. Petersburg zurück.

Am Abend des 20. Februar - nur eine Woche vor der Ankunft Fürst Menschikows in Konstantinopel - kam auf der Soiree der Erb-Großherzogin <Maria Alexandrowna> der Autokrat auf Sir Hamilton Seymour zu, und es entspinnt sich folgende Unterredung zwischen diesen beiden "Gentlemen":

Der Zar: "Wohlan, so haben Sie denn Ihre Antwort erhalten und werden sie mir morgen bringen."

Sir Hamilton: "Ich werde die Ehre haben, Sire, aber Eure Majestät wissen, daß der Inhalt der Antwort sehr genau das ist, was ich Eure Majestät erwarten ließ."

Der Zar: "Das habe ich mit Bedauern vernommen; aber Ihre Regierung, scheint mir, hat meine Pläne nicht richtig aufgefaßt. Es ist mir weniger darum zu tun, was geschehen soll, wenn der kranke Mann stirbt, als mit England festzusetzen, was in jenem Falle nicht geschehen soll."

Sir Hamilton: "Aber, Sire, erlauben Sie mir zu bemerken, wir haben keinen Grund anzunehmen, daß der kranke Mann im Sterben liegt. Länder sterben nicht so schnell dahin. Die Türkei wird noch manches Jahr bestehen, es müßte sich denn eine unvorhergesehene Krisis ereignen. Gerade, Sire, zur Vermeidung aller Umstände, die geeignet sind, eine solche Krisis hervorzubringen, rechnet die Regierung Ihrer Majestät auf Ihren großmütigen Beistand."

Der Zar:" Ich will Ihnen sagen, daß, wenn Ihre Regierung sich zu dem Glauben hat verleiten lassen, daß die Türkei noch irgendwelche Elemente des Daseins in sich trage, Ihre Regierung unrichtige Kunde darüber erhalten haben muß. Ich wiederhole Ihnen, der kranke Mann liegt im Sterben; und wir dürfen nimmermehr gestatten, daß uns ein solches Ereignis überrascht. Wir müssen zu irgendeiner Verständigung kommen. Und bemerken Sie wohl, ich verlange keinen Vertrag, kein Protokoll; ein allgemeines <156> Einverständnis ist alles, was ich verlange - das ist unter Ehrenmännern genug. Also nicht mehr für jetzt; Sie kommen morgen zu mir."

Sir Hamilton "dankte Seiner Majestät herzlichst", aber kaum hat er den kaiserlichen Salon verlassen und ist nach Hause zurückgekehrt, als ihn Zweifel überkommen. Er setzt sich an sein Pult, berichtet über die Unterredung an Lord John und faßt seinen Brief mit den folgenden bemerkenswerten Randbemerkungen zusammen:

"Es kann kaum anders sein, als daß der Souverän, der mit solcher Hartnäckigkeit auf den bevorstehenden Fall eines Nachbarstaats wartet, in seiner Seele beschlossen haben muß, daß die Stunde, wenn nicht der Auflösung, jedenfalls zu seiner Auflösung nahe ist ... Diese Annahme würde kaum gewagt werden, wenn nicht ein vielleicht allgemeines, aber jedenfalls inniges Einvernehmen darüber zwischen Rußland und Österreich bestände.

Vorausgesetzt, daß mein Verdacht begründet ist, so hat der Kaiser die Absicht, die Regierung Ihrer Majestät im Verein mit seinem eigenen und dem Wiener Kabinett für einen Plan zur endlichen Teilung der Türkei, aber mit Ausschließung Frankreichs von dem Arrangement, zu gewinnen."

Diese Depesche kam in London am 6. März an, als Lord Russell im Ministerium des Auswärtigen schon durch Lord Clarendon abgelöst war. Der Eindruck, den die ängstlichen Warnungen des Gesandten auf das Gemüt dieses jammernden Verehrers der Türkei machten, ist ganz erstaunlich. In voller Kenntnis des verräterischen Plans des Zaren, die Türkei unter Ausschluß Frankreichs aufzuteilen, sagt er dem Grafen Walewski, dem französischen Gesandten in London, daß er im Gegensatz zu Frankreich

"geneigt wäre, Vertrauen auf den Kaiser von Rußland zu setzen", daß "eine Politik des Mißtrauens weder weise noch sicher sei und daß, "obwohl er hoffe, die Regierungen Englands und Frankreichs würden immer zusammen vorgehen, wenn ihre Politik und ihre Interessen übereinstimmten, er doch frei heraus sagen müsse, daß das jüngste Verhalten der französischen Regierung nicht gerade darauf berechnet sei, dieses wünschenswerte Resultat zu sichern". (Siehe Blaubuch, Bd. I, S. 93 und 98.)

En passant <Beiläufig> will ich noch bemerken, daß zu derselben Zeit, da der Zar den britischen Gesandten in St. Petersburg belehrte, die "Times" in London tagtäglich wiederholte, der Zustand der Türkei sei ein verzweifelter, das Ottomanische Reich zerfiele in Stücke, und nichts bleibe davon übrig als das Gespenst "eines Türkenkopfs mit einem Turban".

Am Morgen nach der Unterredung auf der kaiserlichen Soiree leistet Sir G. H. Seymour der Einladung Folge und macht seine Aufwartung <157> beim Zaren. Ein "Dialog, der eine Stunde und zwölf Minuten währte", findet zwischen ihnen statt, über den er in seiner Depesche an Lord John Russell vom 22. Februar 1853 berichtet.

Der Kaiser begann damit, daß er Sir Hamilton ersuchte, ihm Lord Johns geheime und vertrauliche Depesche vom 9. Februar laut vorzulesen. Über die in dieser Depesche enthaltnen Erklärungen zeigte er sich natürlich sehr befriedigt; "er könne nur wünschen, daß sie etwas erweitert würden". Er wiederholte, daß eine türkische Katastrophe fortwährend bevorstehe und

"jeden Augenblick herbeigeführt werden könne entweder durch einen auswärtigen Krieg oder durch eine Fehde zwischen der alttürkischen Partei und jener der 'neuen oberflächlichen französischen Reformen' oder aber durch eine Erhebung der Christen, welche, wie man wisse, bereits sehr ungeduldig seien, des muselmanische Joch abzuschütteln".

Er läßt die Gelegenheit nicht vorübergehen, ohne seine abgedroschene Prahlerei vom Stapel zulassen, daß, "wenn er nicht dem siegreichen Vormarsch des Generals Diebitsch im Jahre 1829 Einhalt geboten hätte, die Autorität des Sultans schon zu Ende wäre". Dabei ist es eine allgemein bekannte Tatsache, daß von den 200.000 Mann, die er damals in die Türkei geschickt hatte, nur 50.000 nach Hause zurückkehrten und der Rest der Armee Diebitschs in dar Ebene von Adrianopel vernichtet worden wäre, wenn nicht türkische Paschas im Verein mit fremden Gesandten Verrat geübt hätten.

Er betonte, daß er keinen zwischen England und Rußland ganz und gar verabredeten Plan fordere, nach dem im voraus über die vom Sultan regierten Provinzen Verfügung getroffen würde, und noch weniger ein förmliches Abkommen zwischen den beiden Kabinetten, sondern nur irgendein allgemein gehaltenes Übereinkommen oder einen Meinungsaustausch, wobei jede Seite im Vertrauen erklärt, was sie nicht wünsche,

"was den englischen, was den russischen Interessen widerstreben würde, damit, wenn einst der Fall einträte, es jeder Teil vermeiden könnte, in Widerspruch zu dem anderen zu handeln".

Durch solch ein negatives Übereinkommen würde der Zar alles erreichen, wonach er strebt: Erstens den Zusammenbruch des Ottomanischen Reiches, der zwischen England und Rußland als fait accompli <vollendete Tatsache>, wenn auch in negativer und bedingter Form, verabredet war; es läge dann bei ihm, die Dinge so weit zu verwirren, daß es möglich ist, England mit einem gewissen Schein von Glaubwürdigkeit zu erklären, der vorhergesehene Fall sei bereits eingetreten.

<158> Zweitens einen geheimen Aktionsplan zwischen England und Rußland, der, auch wenn er unbestimmt und negativ wäre, doch England und Frankreich notwendig gegeneinanderhetzen würde, da er hinter Frankreichs Rücken und mit seinem Ausschluß zustande gekommen wäre. Drittens, da England durch seine negativen Zusagen hinsichtlich dessen, was es nicht tun werde, gebunden wäre, so hätte der Zar volle Freiheit, seinen eigenen positiven Aktionsplan in aller Ruhe auszuarbeiten. Außerdem ist es offensichtlich, daß zwei Parteien, die übereinkommen, was sie in einem gegebenen Falle einander nicht zu tun erlauben wollen, nur in versteckter Form vereinbaren, was sie tun wollen. Diese negative Art des Übereinkommens bietet nur dem Abgefeimteren der beiden Parteien die besseren Möglichkeiten.

"Vielleicht hätten Eure Majestät", stammelte der verwirrte Sir Hamilton, "die Güte, mir Ihre eigenen Ideen über diese negative Politik zu eröffnen." Der Zar schien erst bescheiden zu widerstreben, tat dann aber so, als ob er unter dem sanften Druck nachgäbe, und machte folgende höchst bemerkenswerte Erklärung:

"Ich will nicht die bleibende Besetzung Konstantinopels durch die Russen dulden, womit ich auch gesagt haben will, daß es niemals im Besitz der Engländer, Franzosen oder einer anderen großen Nation sein darf. Hinwieder will ich nimmermehr erlauben einen Versuch zum Wiederaufbau des Byzantinischen Reiches oder eine solche Ausdehnung Griechenlands, die es zu einem mächtigen Staate machen würde; noch weniger würde ich erlauben die Zerstückelung der Türkei in kleine Republiken, Asyle für die Kossuth und Mazzini und andere Revolutionäre Europas. Ehe ich mich einem dieser Arrangements bequemte, würde ich Krieg anfangen und ihn so lange führen, als mir noch eine Muskete bliebe und ein Mann, sie zu tragen."

Kein Byzantinisches Reich, keine mächtige Ausdehnung Griechenlands, keine Konföderation von kleinen Republiken - nichts dergleichen. Was also will er? Der britische Gesandte brauchte nicht lange zu raten. Der Kaiser selbst platzte im Laufe der Unterredungen seinem Gesprächspartner gegenüber mit folgendem Vorschlag heraus:

"Die Fürstentümer sind in der Tat ein unabhängiger Staat unter meinem Schutz. Dies könnte so bleiben. Serbien könnte dieselbe Regierungsform erhalten; auch Bulgarien. Es scheint kein Grund vorhanden, weshalb diese Provinz nicht einen unabhängigen Staat bilden sollte. Was Ägypten betrifft, so begreife ich die Wichtigkeit dieses Gebiets für England vollkommen. Ich kann daher nur sagen, daß, wenn Sie bei einer Teilung des Ottomanischen Reiches bei dessen Fall von Ägypten Besitz nähmen, ich nichts dagegen haben werde. Ich sage dasselbe von Candia <Kreta>; diese Insel würde Ihnen <159> zusagen, und ich sehe nicht ein, weshalb sie nicht eine englische Besitzung werden sollte."

So beweist er, daß "im Falle der Auflösung des Ottomanischen Reiches eine befriedigende Territorialanordnung weniger schwierig sein würde, als man gewöhnlich glaubt". Er erklärt offen, was er will - die Teilung der Türkei -, und gibt höchst klar die Umrisse dieser Teilung an, klar sowohl durch das, was er eröffnet, als auch durch das, was er verschweigt. Ägypten und Candia an England; die Fürstentümer, Serbien, Bulgarien Vasallenstaaten Rußlands; Türkisch-Kroatien, Bosnien und die Herzegowina sollen Österreich einverleibt werden, was er zu erwähnen verheimlicht; Griechenland "nicht zu mächtig" erweitert - etwa durch Unterthessalien und einen Teil Albaniens. Konstantinopel soll vorübergehend vom Zaren besetzt und dann die Hauptstadt eines Staates werden, der Mazedonien, Thrazien und den Rest der Europäischen Türkei umfaßt. Wer aber soll der endgültige Besitzer jenes kleinen Reiches sein, das vielleicht noch durch einige Teile Anatoliens vergrößert werden mag? Er schweigt über diesen Punkt, aber es ist kein Geheimnis, daß er für diesen Posten jemanden in Reserve hat, nämlich seinen jüngsten Sohn <Michail>, der nach einem eigenen Reich schmachtet. Und Frankreich? Soll es überhaupt nichts abbekommen? Vielleicht. Doch nein, es soll abgefunden werden mit - wer würde es glauben? - mit Tunis. "Eines seiner Ziele ist der Besitz von Tunis", sagt er zu Sir Hamilton, und im Falle einer Teilung des Ottomanischen Reiches könnte er vielleicht wirklich so großmütig sein, Frankreichs Appetit auf Tunis zu stillen.

Von Frankreich spricht der Zar immerfort in einem affektierten Tone hochmütiger Verachtung. "Es sieht gerade so aus", sagt er, "als trachte die französische Regierung dahin, uns alle im Orient in Streit zu verwickeln." Er für seinen Teil kümmere sich nicht um Frankreich.

"Er für seine Person kümmere sich sehr wenig darum, welche Bahn die Franzosen in orientalischen Angelegenheiten einzuschlagen für geeignet erachten möchten, und vor wenig mehr als einem Monat habe er dem Sultan eröffnen lassen, daß, wenn er seines Beistands zum Widerstand gegen die Drohungen der Franzosen bedürfe, er ganz zum Dienste des Sultans sei."

'Mit einem Wort', fuhr der Kaiser fort, 'wie ich Ihnen vorhin sagte, alles, was ich wünsche, ist ein gutes Verständnis mit England, und dies nicht darüber, was geschehen, sondern darüber, was nicht geschehen soll.'"

"Aber Eure Majestät haben Österreich vergessen!" ruft Sir Hamilton aus.

"Oh!" erwiderte der Kaiser zu seinem großen Erstaunen, "Sie müssen wissen, wenn ich von Rußland spreche, spreche ich ebensogut von Österreich; was dem einen <160> ansteht, steht auch dem anderen an; unsere Interessen in Hinsicht auf die Türkei sind vollkommen identisch."

Wenn er also Rußland sagt, so sagt er auch Österreich. Von Montenegro bemerkte er ausdrücklich, "er billige die vom österreichischen Kabinett angenommene Haltung".

Wenn er bei einer früheren Unterredung den Sultan als den "Grand Turc" <"Großtürken"> aus dem Vaudeville behandelt hatte, bezeichnet er ihn nun nach der Manier Paul de Kocks als "ce monsieur" <"diesen Herren">. Und wie nachsichtig benimmt er sich gegen ce monsieur! Er hat bloß einen Menschikow nach Konstantinopel geschickt. "Ich hätte doch eine Armee dahin schicken können, wenn es mir beliebt hätte - nichts hätte sie aufgehalten", wie er es nachher bei Oltenitza und Cetate bewiesen hat und durch den glorreichen Rückzug seiner Armee von Kalafat.

Seine kosakische Majestät entließ Sir Hamilton mit den Worten:

"Wohlan, bewegen Sie Ihre Regierung, wieder über diese Gegenstande zu schreiben - ausführlicher zu schreiben, und zwar ohne Verzug."

Am 7. März, kurz nach diesem merkwürdigen Dialog oder eigentlich Monolog, wird der britische Gesandte zum Grafen Nesselrode gebeten; der überreicht ihm "den Befehlen des Kaisers gemäß ein sehr vertrauliche. Memorandum, welches Seine Kaiserliche Majestät hatte redigieren lassen und das die Bestimmung habe, als Antwort oder Kommentar auf die Mitteilung Lord John Russells zu dienen". Graf Nesselrode bittet ihn, das Dokument zu lesen, "das für seinen Gebrauch bestimmt sei". Sir Hamilton studiert also das Dokument, und er, der kein einziges Wort des Protestes gegen des Moskowiten wohlüberlegte Beleidigungen gegen Frankreich gefunden hatte, zittert nun plötzlich, als er entdeckt, daß "der Eindruck, unter welchem es redigiert worden, ein vollkommen falscher gewesen sei; der Eindruck nämlich, daß bei den zwischen Rußland und Frankreich vorgekommenen Differenzen die Regierung Ihrer Majestät sich auf die Seite dieser letzteren Macht geneigt hätte". Am nächsten Morgen schon sendet er dem Grafen Nesselrode eilig ein Billetdoux, in dem er versichert, daß

"weit entfernt, sich im Verlauf der neulichen kritischen Verhandlungen zu Frankreich hingeneigt zu haben, wie behauptet wird, es der Wunsch der Räte der Königin war - in dem vollen Maß, als es nur einer Regierung gestattet war (!), die eine neutrale Haltung zu beobachten hatte (!!) -, daß den Forderungen, die Seiner Kaiserlichen Majestät Regierung zu stellen das Recht hatte, volle Genugtuung werde".

<161> Als Folge dieses Bettelbriefes hatte Sir Hamilton natürlich noch "eine sehr freundschaftliche und befriedigende Unterredung mit dem Kanzler", der den britischen Gesandten mit der Versicherung tröstet, daß er eine Stelle im Memorandum des Kaisers mißverstanden habe, in der England keineswegs Parteinahme für Frankreich vorgeworfen werden sollte.

"Alles, was hier gewünscht werde", sagte Graf Nesselrode, "sei, daß mit Berufung auf des Kaisers Großmut und Gerechtigkeitsgefühl die britische Regierung einige Anstrengungen mache, den französischen Ministern die Augen zu öffnen."

Man wünscht "hier" also nichts anderes, als daß England vor dem Kalmücken krieche und sich beuge und gegen die Franzosen einen diktatorisch strengen Ton anschlage. Um den Kanzler zu überzeugen, wie gewissenhaft die britische Regierung den letzteren Teil ihrer Aufgabe erfüllt, liest Sir Hamilton ihm einen Auszug aus einer Depesche Lord John Russells vor, "als eine Probe von der Sprache, die ein englischer Minister gegen die französische Regierung geführt hat". Graf Nesselrode sieht seine kühnsten Erwartungen übertroffen. Er beklagte nur, "daß er nicht schon lange in den Besitz eines so bündigen Beweises gesetzt worden sei".

Das russische Memorandum zur Beantwortung von Lord Johns Depesche wird von Sir Hamilton "als eines der bemerkenswertesten Dokumente" beschrieben, "welches hervorgegangen sei nicht aus der russischen Staatskanzlei, sondern aus dem Geheimkabinett des Kaisers". So verhält es sich auch. Doch ist es überflüssig, sich dabei aufzuhalten, da es nur die Ansichten resümiert, die der Zar in seinem "Dialog" entwickelte. Es schärft der britischen Regierung ein, "daß das wie immer geartete Resultat dieser Unterredungen ein Geheimnis zwischen den beiden Souveränen bleiben solle". Des Zaren System, so bemerkt es, hat gegenüber der Pforte "stets Langmut geübt; das englische Kabinett selbst gesteht dies zu". Frankreich hatte ein anderes System befolgt und dadurch Rußland und Österreich gezwungen, ihrerseits durch Einschüchterung zu wirken. In dem ganzen Memorandum werden Rußland und Österreich gleichgesetzt. Als eine der Ursachen, die zu dem unmittelbaren Zusammenbruch der Türkei führen könnte, wird ausdrücklich die Frage der Heiligen Stätten genannt "und die religiösen Gefühle der orthodoxen Griechen, welche durch die den Katholiken gemachten Konzessionen beleidigt seien". Zum Schluß des Memorandums wird erklärt, "nicht weniger wertvoll" als die Versicherungen in der Depesche Lord John Russells seien "die Beweise von Freundschaft und persönlichem Vertrauen von seiten Ihrer Majestät der Königin, welche Sir Hamilton Seymour bei dieser Gelegenheit dem Kaiser zu übermitteln beauftragt war". Diese "Beweise" der Ergebenheit <162> Königin Victorias gegen den Zaren sind dem britischen Publikum sorgsam vorenthalten worden, werden aber vielleicht nächstens im "Journal de Saint Pétersbourg" erscheinen.

Als Sir Hamilton seinen Dialog mit dem Kaiser und das Memorandum des Moskowiters kommentiert, lenkt er noch einmal die Aufmerksamkeit seines Kabinetts auf die Stellung Österreichs:

"Nimmt man es als ein feststehendes und anerkanntes Faktum an, daß zwischen den beiden Kaisern eine Übereinkunft oder ein Pakt hinsichtlich der türkischen Angelegenheiten besteht, so wird es von der höchsten Wichtigkeit, zu erfahren, wieweit die von ihnen wechselseitig übernommenen Verpflichtungen sich erstrecken. Was die Art betrifft, in der jenes Arrangement abgeschlossen worden ist, so scheint sie mir kaum den Gegenstand eines Zweifels bilden zu können.

Seine Basis dürfte in einer jener Zusammenkünfte gelegt worden sein, die zwischen den beiden Kaisern im Herbst stattfanden, und später dürfte Baron Meyendorff, der Gesandte Rußlands am österreichischen Hof, der den Winter zu St. Petersburg zu gebracht hat und sich in diesem Augenblicke noch dort befindet, den Plan weiter ausgearbeitet haben."

Zieht die britische Regierung nun nach diesen Eröffnungen Österreich zur Verantwortung? Nein, sie tadelt nur Frankreich. Nach der russischen Invasion in die Fürstentümer bestimmt sie Österreich zum Vermittler, wählt von allen Städten Wien zum Sitz der Konferenz, überträgt Graf Buol die Leitung der Verhandlungen und hält noch bis zu diesem Augenblick Frankreich in dem törichten Glauben, daß Österreich ein ehrlicher Verbündeter in einem Krieg gegen den Moskowiter für die Integrität und Unabhängigkeit des Ottomanischen Reiches sei, obgleich sie seit mehr als einem Jahre weiß, daß Österreich in die Zerstückelung dieses Reiches eingewilligt hat.

Am 19. März kam Sir Hamiltons Bericht über seinen Dialog mit dem Zaren in London an. Lord Clarendon nimmt nun das Amt Lord Johns ein und bemüht sich, seinen Vorgänger noch zu übertreffen. Vier Tage nach dem Eintreffen jener aufsehenerregenden Mitteilung, worin der Zar seine Verschwörung gegen die Türkei und Frankreich nicht mehr zu verbergen für nötig hält, sondern sie offen eingesteht, sendet der edle Graf folgende Depesche an Sir Hamilton:

"Die Regierung Ihrer Majestät bedauert, daß die Unruhe und Aufregung, welche in Paris herrscht, die französische Regierung veranlaßt hat, ihrer Flotte Order zu geben, sich nach den griechischen Gewässern zu begeben. Die Stellung der französischen Regierung unterscheidet sich jedoch in vielerlei Hinsicht von jener der britischen Regierung. Die erstere hat, soweit der britischen Regierung bekannt ist, keine Zusicherungen vom Kaiser hinsichtlich seiner Politik erhalten, die er betreffs der Türkei zu verfolgen entschlossen sei." (Siehe Blaubuch Bd. I, S. 90.)

<163> Hätte der Zar auch Frankreich mitgeteilt, daß "der kranke Mann im Sterben liege", und einen vollständigen Plan der Verteilung der Erbschaft entworfen, so wäre Frankreich natürlich weder in Unruhe noch im Zweifel gewesen über das Schicksal der Türkei, die wahren Ziele der Mission Fürst Menschikows und den unabänderlichen Entschluß des Kaisers von Rußland, die Integrität und Unabhängigkeit des Reiches zu erhalten, das, wie er behauptete, - "keine Elemente des Daseins" mehr enthalte.

An demselben 23. März sendet Earl of Clarendon eine zweite Depesche an Sir Hamilton Seymour, die zwar nicht für die Blaubücher "präpariert" ist, aber die geheime Antwort auf die geheime Mitteilung von St. Petersburg enthält. Sir Hamilton hatte seinen Bericht über den Dialog mit dem sehr schlauen Vorschlag geschlossen:

"Ich wage zu empfehlen, daß in die nächste an mich zu richtende Depesche einige Ausdrücke einfließen möchten, welche die Wirkung hätten, der weiteren Betrachtung oder wenigstens Diskussion der Punkte ein Ende zu machen, die, wie höchst wünschenswert ist, nicht als verfänglicher Gegenstand der Diskussion betrachtet werden sollten."

Earl of Clarendon, der sich als der richtige Mann fühlt, heiße Eisen anzufassen, handelt genau nach der Aufforderung des Zaren und im direkten Gegensatz zur Warnung seines eigenen Gesandten. Er beginnt seine Depesche mit der Erklärung, daß "die Regierung Ihrer Majestät gerne dem Wunsche des Kaisers willfahre, daß der Gegenstand noch weiter und freimütig diskutiert werde". Der Kaiser hat ein "Anrecht" auf "die herzlichste Meinungserklärung" von seiten der britischen Regierung durch sein in diese gesetztes "edelmütiges Vertrauen", daß sie ihm helfen werde, die Türkei zu zerstückeln, Frankreich zu verraten und im Falle des Zusammenbruchs der ottomanischen Herrschaft alle möglichen Versuche der christlichen Bevölkerung, freie und unabhängige Staaten zu bilden, zu unterdrücken.

"Die Regierung Ihrer Majestät", so fährt der freigeborene Brite fort, "ist vollkommen überzeugt, daß, falls ein Einverständnis in bezug auf künftige Eventualitäten zweckmäßig oder in der Tat möglich wäre, das Wort Seiner Kaiserlichen Majestät jedem irgend zu schließenden Vertrag vorzuziehen sein würde."

Auf alle Fälle muß sein Wort jeden Vertrag aufwiegen, den man mit ihm schließen könnte; denn die Räte der britischen Krone haben schon längst erklärt, daß alle Verträge mit Rußland wegen der Verletzungen dieser Verträge durch Rußland hinfällig seien.

"Die Regierung Ihrer Majestät beharrt bei dem Glauben, daß die Türkei noch immer die Elemente des Daseins besitzt." Um die Aufrichtigkeit dieses Glaubens zu beweisen, fügt der Earl milde hinzu:

<164> "Wenn die Ansicht des Kaisers, die Tage des Türkischen Reiches seien gezählt, offenkundig würde, müßte sein Sturz sogar noch früher eintreten, als Seine Kaiserliche Majestät jetzt zu erwarten scheint."

Der Kalmücke braucht also nur seine Ansicht auszusprechen, daß der kranke Mann im Sterben liegt, und der Mann ist auch schon tot. Eine beneidenswerte Lebenskraft ist das! Da bedarf es keiner Posaunen von Jericho. Ein Hauch aus des Kaisers erhabenem Munde, und das Ottomanische Reich zerfällt.

"Die Regierung Ihrer Majestät teilt ganz die Meinung des Kaisers, daß die Besetzung Konstantinopels durch eine der Großmächte mit dem jetzigen Gleichgewicht der Kräfte und der Aufrechterhaltung des Friedens in Europa unverträglich sein würde und ein für allemal als unmöglich betrachtet werden muß; daß keine Elemente zum Wiederaufbau eines Byzantinischen Reiches vorhanden sind; daß die systematische Mißregierung Griechenlands keine Aufmunterung zur Ausdehnung seines Territoriums darbietet; und daß, da die Voraussetzungen zur Provinzial- oder Kommunalregierung fehlen, Anarchie die Folge sein würde, wenn man die Provinzen der Türkei sich selbst überließe oder sie selbständige Republiken bilden ließe."

Man beachte, daß der britische Minister, der seinem tatarischen Herrn anbetend zu Füßen liegt und demutsvoll seine Worte nachspricht, sich nicht schämt, sogar die ungeheuerliche Lüge zu wiederholen, daß es in der Türkei "keine Elemente zur Provinzial- oder Kommunalregierung" gibt, während doch gerade die breite Entfaltung des kommunalen und provinzialen Lebens die Türkei in den Stand gesetzt hat, bis jetzt den härtesten Stößen von außen und innen zu widerstehen. Indem das britische Ministerium allen Prämissen des Zaren beipflichtet, rechtfertigt es alle Schlüsse, die er aus ihnen zu ziehen wünscht.

Im Falle der Auflösung des Türkischen Reiches, sagte der tapfere Earl, "wäre der einzige Modus, wie eine friedliche Lösung versucht werden könnte, ein europäischer Kongreß". Aber er fürchtet die Folgen eines solchen Kongresses nicht wegen der Gaunereien Rußlands, das England auf dem Wiener Kongreß dermaßen betrog, daß Napoleon auf Sankt Helena ausrief: "Wäre ich bei Waterloo Sieger geblieben, so hätte ich England keine demütigenderen Bedingungen diktieren können" - sondern aus Furcht vor Frankreich.

"Die Verträge von 1815 müßten dann der Revision geöffnet werden, wo sofort Frankreich bereit sein dürfte, die Chancen eines europäischen Krieges zu wagen, um die Verbindlichkeiten loszuwerden, die es als nachteilig für seine Nationalehre betrachtet und welche, von siegreichen Feinden aufgelegt, für dasselbe eine beständige Quelle der Erbitterung sind."

<165> Die Regierung Ihrer Majestät "wünscht das Türkische Reich zu erhalten" nicht als ein Bollwerk gegen Rußland und nicht, weil sein Zusammenbruch England zwingen würde, mit Rußland seine diametral entgegengesetzten Interessen im Orient auszufechten. O nein, sagt der Earl, "die Interessen Rußlands und Englands im Orient sind völlig identisch".

England will das Türkische Reich erhalten, nicht aus irgendwelchen Erwägungen, die mit der orientalischen Frage verknüpft sind, sondern "in der Überzeugung, daß keine große Frage im Orient angeregt werden kann, ohne eine Quelle der Zwietracht im Westen zu werden". Eine orientalische Frage wird daher nicht einen Krieg der Westmächte gegen Rußland im Gefolge haben, sondern einen Krieg der Westmächte untereinander, einen Krieg Englands gegen Frankreich. Und derselbe Minister, der dies schrieb, und seine Kollegen, die es sanktionierten, möchten uns glauben machen, daß sie sich anschicken, im Verein mit Frankreich gegen Rußland ernsthaft Krieg zu führen, und zwar "wegen einer im Orient angeregten Frage" und obgleich "die Interessen Englands und Rußlands im Orient völlig identisch sind".

Der wackere Earl geht noch weiter. Warum fürchtet er einen Krieg mit Frankreich, der nach seiner Erklärung das "notwendige Resultat" der Auflösung und Zerstückelung des Türkischen Reiches sein muß? Ein Krieg mit Frankreich wäre, an sich betrachtet, eine ganz vergnügliche Sache. Aber es gibt dabei einen bedenklichen Umstand, nämlich

"daß jede große Frage im Westen einen revolutionären Charakter annehmen und eine Revision des ganzen gesellschaftlichen Systems in sich fassen wird, wofür die festländischen Regierungen sicherlich in keinem Zustand der Bereitschaft sind.

Der Kaiser kennt vollkommen die Stoffe, die unter der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft in beständiger Gärung sind, und er weiß, wie leicht sie selbst in Friedenszeiten hervorbrechen. Seine Kaiserliche Majestät wird daher wohl nicht der Meinung widersprechen, daß der erste Kanonenschuß das Signal werden kann zu einem sogar noch unheilvolleren Zustand der Dinge, als es die Trübsale sind, die der Krieg unvermeidlich in seinem Gefolge mit sich bringt."

"Und daher", ruft der aufrichtige Friedensstifter aus, "das ängstliche Verlangen der Regierung Ihrer Majestät, die Katastrophe abzuwenden." Wenn hinter der Teilung der Türkei nicht der Krieg mit Frankreich lauerte und hinter diesem nicht das Gespenst der Revolution, so wäre die Regierung Ihrer Majestät ebenso bereit, den Grand Turc zu verschlucken, wie es Seine Kosakische Majestät ist.

Getreu den aus der russischen Kanzlei durch Sir H. Seymours Vermittlung empfangenen Instruktionen schließt der tapfere Clarendon seine Depesche mit einem Appell an "des Kaisers Großmut und Gerechtigkeitsgefühl".

<166> In einer zweiten Depesche unseres Earls vom 5. April 1853 wird Sir Hamilton angewiesen, den russischen Kanzler davon zu unterrichten, daß

"Viscount Stratford de Redcliffe beauftragt worden ist, auf seinen Posten zurückzukehren, und daß seiner Mission durch einen eigenhändigen Brief Ihrer Majestät ein besonderer Charakter beigelegt würde, weil man von der Ansicht ausging, die Pforte werde einem gemäßigten Rate eher Gehör geben, wenn er von einem Manne wie von Viscount Stratford de Redcliffes hoher Stellung, großer Kenntnis und Erfahrung in türkischen Angelegenheiten kommt. Er soll der Pforte raten, ihre christlichen Untertanen mit der äußersten Milde zu behandeln."

Derselbe Clarendon, der diese ausführlichen Instruktionen gab, hatte in seiner geheimen Depesche vom 23. März 1853 geschrieben:

"Die Behandlung der Christen ist nicht hart, und die von der Pforte gegen diesen Teil ihrer Untertanen bezeigte Toleranz könnte wohl gewissen Regierungen, die auf die Türkei als eine barbarische Macht mit Verachtung herabsehen, als Muster dienen."

In dieser geheimen Depesche wird zugegeben, daß Lord Stratford nach Konstantinopel geschickt wurde, weil er das geschickteste und willigste Werkzeug zur Einschüchterung des Sultans sei. In den ministeriellen Blättern aus jener Zeit wurde seine Entsendung als starke Demonstration gegen den Zaren dargestellt, da dieser Edelmann von jeher die Rolle eines persönlichen Gegners von Rußland gespielt hat.

Die Reihe der geheimen Dokumente, die dem Haus vorgelegt wurden, schließt mit dem russischen Memorandum, worin Nikolaus sich dazu beglückwünscht, daß seine Ansichten ganz mit denen des englischen Kabinetts übereinstimmen hinsichtlich der politischen Kombinationen, die hauptsächlich vermieden werden müßten, wenn im äußersten Falle das zufällige Ereignis im Orient einträte.

Das Memorandum ist datiert vom 15. April 1853. Es versichert,

"daß das beste Mittel, der türkischen Regierung Dauer zu verleihen, darin bestünde, sie durch keine das gerechte Maß überschreitenden, in einer ihrer Würde und ihrer Unabhängigkeit gleich schädlichen Weise gestellten Forderungen ferner zu belästigen".

Genau in dieser Zeit spielte Menschikow seine Komödie, indem er am 19. April seine unverschämte "Verbalnote" überbrachte, worin er eine Sprache führte, die "glücklicherweise in der Diplomatie sehr selten vorkommt", wie Earl of Clarendon im Oberhaus erklärte. Um so fester war Seine Lordschaft dafür von der Entschlossenheit des Zaren überzeugt, den kranken Mann schonend zu behandeln. Seine Überzeugung wurde noch fester, als der Kosak in die Fürstentümer eindrang.

<167> Das Koalitionskabinett hat nur ein Loch entdeckt, um sich vor diesen anprangernden Dokumenten zu verkriechen. Es behauptet, der offenkundige Zweck der Mission des Fürsten Menschikow sei die Frage der Heiligen Stätten, während sich die Mitteilungen über die Zerstückelung der Türkei nur auf eine ungewisse, entfernte Zeit bezogen. Der Zar aber hatte ihm in seinem ersten Memorandum klar und deutlich gesagt, daß die Frage des Zusammenbruchs der Türkei "durchaus keine müßige und phantastische Frage, keine allzuferne Eventualität wäre"; daß das englische Ministerium irre, "wenn es in den beiden Fragen, Montenegro und die Heiligen Stätten, nur einfache Streitpunkte sähe, mit welchen die Diplomatie sich gewöhnlich zu beschäftigen hat", und daß die Frage der Heiligen Stätten "eine sehr ernste Wendung nehmen" und zur "Katastrophe" führen könne. Das englische Ministerium selbst habe nicht nur zugegeben, daß ihm in der Angelegenheit der Heiligen Stätten Unrecht geschehen sei, sondern auch, daß er "durch Vertrag das Recht habe, einen ekzeptionellen Schutz" über elf Millionen Untertanen des Sultans auszuüben. Wenn es also versäumte, die Pforte zur Annahme der Forderungen Menschikows zu drängen, so handle der Zar nur im Geiste des Memorandums von 1844, des vom englischen Ministerium selbst mit ihm getroffenen Übereinkommens und getreu seiner mündlichen Erklärung gegenüber Sir G. Hamilton Seymour, "daß er nicht mit sich spaßen lassen werde", und wenn er sich anschicke, ce monsieur sterben zu lassen. Es dreht sich nicht darum, ob er dem Ministerium gegenüber im Recht ist; die einzige Frage ist, ob es sich ihm gegenüber selbst in diesem Augenblick so verhält, "wie es sich ziemt". Jedem, der diese Dokumente aufmerksam liest, muß klarwerden, daß, wenn dieses skandalöse Ministerium im Amt bleibt, das englische Volk allein durch den Einfluß äußerer Komplikationen zu einer schrecklichen Revolution getrieben werden kann, die Thron, Parlament und herrschende Klassen hinwegfegt, denen Fähigkeit und Willen verlorengingen, Englands Stellung in der Welt zu erhalten.

Indem Nikolaus das Koalitionsministerium im "Journal de Saint-Pétershourg" herausforderte, die geheimen Beweise seiner eigenen Infamie zu veröffentlichen, hat er getreu seinem Ausspruch gehandelt:

"Je hais ceux qui me résistent; je méprise ceux qui me servent." <"Ich hasse die, die sich mir widersetzen; ich verachte die, die mir dienen.">

Karl Marx