Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 10, S. 177-188
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Karl Marx

[Die Kriegsdebatte im Parlament]

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4055 vom 17. April 1854]

<177> London, Dienstag, 4. April 1854.

Eine der Eigentümlichkeiten der englischen Tragödie, die das Gefühl des Franzosen so abstößt, daß Voltaire sogar Shakespeare als einen betrunkenen Wilden bezeichnete, besteht in der eigenartigen Mischung des Erhabenen und des Niedrigen, des Schrecklichen und des Lächerlichen, des Heroischen und des Burlesken. Nirgends aber überträgt Shakespeare dem Narren die Aufgabe, den Prolog zu einem Heldendrama zu sprechen. Diese Erfindung blieb dem Koalitionsministerium vorbehalten. Mylord Aberdeen hat, wenn auch nicht den englischen Narren, so doch den italienischen Pantalone gespielt. Dem oberflächlichen Beschauer scheint es, als ob alle großen historischen Bewegungen letztlich zur Farce oder wenigstens zum Gemeinplatz herabsinken. Damit aber begonnen zu haben, ist das besondere Merkmal der Tragödie, die den Titel Krieg mit Rußland trägt und deren Prolog Freitag abend in beiden Häusern des Parlaments gesprochen wurde, wo die Antwortadresse des Ministeriums auf die Botschaft der Königin gleichzeitig diskutiert und einstimmig angenommen wurde, so daß sie gestern nachmittag der auf ihrem Thron im Buckingham Palace sitzenden Königin übergeben werden konnte. Der Vorgang im Oberhaus kann sehr kurz geschildert werden. Lord Clarendon legte den Standpunkt des Ministeriums dar, Lord Derby den der Opposition. Der eine sprach als der Mann, der im Amt, der andere als derjenige, der draußen ist. Lord Aberdeen, der edle Earl an der Spitze der Regierung, der "scharfsinnige" Vertraute des Zaren, der "liebe, gute, vortreffliche" Aberdeen Louis-Philippes, der "schätzenswerte Gentleman" Pius IX., schloß zwar seinen Sermon mit dem üblichen Gewinsel um Frieden, rief jedoch während des größten Teils seiner Rede Lachstürme <178> bei den Lords hervor, weil er nicht Rußland, sondern der "Press", einem Londoner Wochenblatt, den Krieg erklärte. Lord Malmesbury erwiderte dem edlen Earl, Lord Brougham - dieses "närrische alte Weib", wie er von William Cobbett betitelt wurde - offenbarte, daß der Kampf, den man aus fechten wolle, kein "leichter". sei. Earl Grey, der es in seinem christlichen Gemüt fertiggebracht hat, die britischen Kolonien zum elendsten Aufenthalt der Welt zu machen, erinnerte das britische Volk daran, daß der Ton und die Stimmung, in denen man von dem Krieg spreche, und das Gefühl der Feindseligkeit gegen den Zaren und seine Kosaken nicht dem Geist entsprächen, mit dem eine christliche Nation einen Krieg beginnen solle. Der Earl of Hardwicke war der Meinung, daß die Mittel, über die England verfüge, zu schwach seien für den Kampf mit der russischen Flotte. Englands Kriegsmacht in der Ostsee dürfe nicht weniger als zwanzig wohlbewaffnete und wohlbemannte Linienschiffe mit einer wohldisziplinierten Mannschaft betragen; man dürfe nicht, wie es geschehen sei, mit einem Haufen neuangeworbener Leute beginnen; denn solcher Mob auf einem Linienschiff während eines Gefechts sei der schlimmste aller Mobs. Der Marquis of Lansdowne verteidigte die Regierung und sprach die Hoffnung aus, daß der Krieg kurz und erfolgreich verlaufen werde, denn" (und dies ist bezeichnend für das Begriffsvermögen des edlen Lords) "es sei kein dynastischer Krieg, welcher gewöhnlich die schwersten Folgen nach sich ziehe und am schwierigsten zu beenden sei".

Nach dieser angenehmen conversazione <Abendunterhaltung>, bei der jedermann sein Sprüchlein hergesagt hatte, wurde der Adresse nemine contradicente <widerspruchslos> zugestimmt.

Alles, was man an Neuem aus dieser conversazione erfuhr, beschränkt sich auf einige offizielle Erklärungen Lord Clarendons und auf die Geschichte des geheimen Memorandums von 1844.

Lord Clarendon erklärte, daß "gegenwärtig das Übereinkommen mit Frankreich einzig und allein in einem Austausch von Noten bestehe, die Vereinbarungen über militärische Operationen enthielten". Folglich existiert in diesem Augenblick kein Vertrag zwischen England und Frankreich. Von Österreich und Preußen bemerkte er, daß ersteres eine bewaffnete, letzteres eine einfache Neutralität bewahren werde, daß es aber

"bei einem derartigen Krieg, wie er sich jetzt an den Grenzen der beiden Länder abspielen werde, beiden Mächten unmöglich sein werde, Neutralität zu bewahren".

Schließlich erklärte er, daß der Friede, der den drohenden Krieg beenden sollte, nur dann ein glorreicher Friede sein werde, "wenn den christlichen Untertanen der Türkei gleiche Rechte und Freiheiten gesichert würden".

<179> Nun wissen wir jedoch bereits, daß der Scheich ul-Islam schon abgesetzt worden ist, weil er sich geweigert hat, durch einen Fetwa den Vertrag zu sanktionieren, der diese Gleichheit der Rechte verbürgt; daß die alttürkische Bevölkerung Konstantinopels aufs höchste erregt ist; und erfahren heute durch eine telegraphische Depesche, daß der Zar Preußen gegenüber seine Bereitwilligkeit erklärt hat, seine Truppen aus den Fürstentümern zurückzuziehen, wenn es den Westmächten gelänge, der Pforte einen, solchen Vertrag aufzuzwingen. Alles, was er will, ist, die osmanische Herrschaft stürzen. Wenn die Westmächte dies an seiner Statt zu tun beabsichtigen, so ist er natürlich nicht der Narr, mit ihnen Krieg zu führen.

Nun zur Geschichte des geheimen Memorandums, wie ich sie mir aus den Reden Derbys, Aberdeens, Malmesburys und Granvilles zusammentrage. Das Memorandum

"sollte ein provisorisches, bedingtes und geheimes Übereinkommen zwischen Rußland, Österreich und England sein, um bezüglich der Türkei verschiedene Vereinbarungen zu treffen, an denen sich Frankreich, auch ohne seine Einwilligung gegeben zu haben, beteiligen müsse".

Dieses Memorandum, so geschildert in den Worten Lord Malmesburys, war das Resultat geheimer Besprechungen zwischen dem Zaren, dem Earl of Aberdeen, dem Herzog von Wellington und Sir Robert Peel. Gerade auf den Rat Aberdeens hin wandte der Zar sich an den Herzog und an Sir Robert Peel. Es bleibt Gegenstand des Streites zwischen Lord Aberdeen und seinen Gegnern, ob das Memorandum bei der Rückkehr des Zaren nach St. Petersburg nach seinem Besuch in England im Jahre 1844 von Graf Nesselrode aufgesetzt wurde, oder ob es die englischen Minister selbst als Protokoll über die Mitteilungen des Kaisers abfaßten.

Die Beziehung des Earls of Aberdeen zu diesem Dokument unterschied sich von der gewöhnlichen Beziehung eines Ministers zu einem offiziellen Dokument, wie dies nach der Behauptung Malmesburys durch ein anderes Schriftstück, das dem Hause nicht vorgelegt wurde, bewiesen wird. Das Dokument wurde als äußerst wichtig betrachtet und als ein Dokument, das den anderen Mächten nicht mitgeteilt werden durfte, obgleich Aberdeen versicherte, er habe Frankreich den "wesentlichen Inhalt" mitgeteilt. Auf alle Fälle wußte der Zar nichts davon, daß eine solche Mitteilung erfolgt sei. Das Dokument wurde vom Herzog von Wellington und von Sir Robert Peel sanktioniert und gebilligt. Dem Kabinett Peel, dessen Mitglied damals Lord Derby war, wurde es jedoch weder bekanntgegeben noch zur Begutachtung vorgelegt. Es wurde nicht mit den gewöhnlichen Schriftstücken des Ministeriums des Auswärtigen aufbewahrt, sondern jedem nachfolgenden Minister <180> des Auswärtigen zur geheimen Aufbewahrung übergeben, und im Ministerium des Auswärtigen befand sich keine wie immer geartete Kopie davon. Obgleich nun Lord Derby 1844 selbst ein Mitglied des Kabinetts Peel war, erfuhr er bei seinem Amtsantritt nichts von dem Dokument. Als Earl of Aberdeen aus dem Amte schied, übergab er es in einer Kassette an Lord Palmerston, der die Büchse der Pandora seinem Nachfolger Earl Granville übergab, der sie wieder, wie er selbst berichtet, auf Verlangen Baron Brunnows, des russischen Gesandten, an Earl of Malmesbury bei seinem Eintritt ins Ministerium des Auswärtigen aushändigte. Doch scheint in der Zwischenzeit eine Änderung oder, richtiger gesagt, eine Fälschung in der Originalüberschrift des Dokuments vorgenommen worden zu sein, denn Earl of Granville sandte es an Earl of Malmesbury mit der Bemerkung, es sei ein Memorandum, das Baron Brunnow als das Ergebnis der Konferenzen zwischen dem Kaiser von Rußland, Sir Robert Peel und Lord Aberdeen abgefaßt habe, wobei der Name des Herzogs von Wellington überhaupt nicht erwähnt wurde. Es kann kein anderes Motiv für diese falsche Bezeichnung angenommen werden als das eifrige Bestreben, die Wichtigkeit des Memorandums zu verschleiern, indem man es als bloße Aufzeichnung des Gesandten darstellte und nicht als offizielles Dokument der Hofkanzlei in St. Petersburg,

Rußland maß diesem Dokument solche Wichtigkeit bei, daß Baron Brunnow 48 Stunden nach Lord Malmesburys Amtsantritt erschien und ihn fragte, ob er es schon gelesen habe; aber Malmesbury hatte es damals noch nicht gelesen, denn es wurde ihm erst einige Tage später übergeben. Baron Brunnow wies ihn nachdrücklich darauf hin, daß es notwendig sei, dieses Dokument zu lesen, das, wie er behauptete, den Schlüssel zu allen Verhandlungen mit Rußland bilde. Von diesem Augenblick an jedoch erwähnte er den Derbyiten gegenüber das Dokument nicht mehr, da er offenbar die Tory-Regierung für zu machtlos oder zu vergänglich hielt, die russische Politik auszuführen. Im Dezember 1852 dankte die Regierung Derby ab, und kurz nachdem die Nachricht von der Bildung des Koalitionsministeriums St. Petersburg erreicht hatte, am 11. Januar, schnitt der Zar die Frage von neuem an - ein genügender Beweis dafür, daß er dem Kabinett aller Talente zutraute, auf der Basis dieses Memorandums zu wirken.

Hier also haben wir die kompromittierendsten Enthüllungen, gemacht im Oberhaus von den unwiderlegbarsten Zeugen, deren jeder einzelne Premier oder Minister des Auswärtigen von Großbritannien gewesen ist. Ein "eventuelles Abkommen" - wie es im Memorandum heißt - wird von einem englischen Minister des Auswärtigen insgeheim mit Rußland getroffen, und zwar nicht nur ohne die Einwilligung des Parlaments, sondern hinter dem <181> Rücken seiner eigenen Kollegen, von denen nur zwei in das Geheimnis eingeweiht worden sind. Das Dokument wird dem Ministerium des Auswärtigen zehn Jahre lang vorenthalten und von jedem Minister des Auswärtigen der Reihe nach in geheimer Obhut bewahrt. Sooft ein Ministerium vom Schauplatz abtritt, erscheint der russische Gesandte in Downing Street und bedeutet dem Neuankömmling, daß er sich den Vertrag, den Geheimvertrag, genau anzusehen habe, den nicht die gesetzliche Vertretung der Nation, sondern irgendein Kabinettsminister mit dem Zaren abgeschlossen hat, und daß er sich genau so zu verhalten habe, wie ihm ein russisches Memorandum vorschreibt, das in der Hofkanzlei von St. Petersburg abgefaßt wurde.

Wenn das nicht offener Verfassungsbruch, Verschwörung und Hochverrat ist und ein geheimes Einverständnis mit Rußland bedeutet, dann wissen wir nicht, was man unter solchen Ausdrücken verstehen soll.

Gleichzeitig erfahren wir aus diesen Enthüllungen, warum die Schuldigen, die sich vollkommen sicher fühlen, am Staatsruder bleiben dürfen, und zumal zur Zeit eines offensichtlichen Krieges mit Rußland, mit dem sie doch fortwährend konspiriert haben, wie ihnen nachgewiesen wurde; und warum die parlamentarische Opposition ein bloßer Schwindel ist, nur in Szene gesetzt, um die Schuldigen zu beunruhigen, nicht aber, um sie anzuklagen. Alle Minister des Auswärtigen und folglich auch alle aufeinanderfolgenden Regierungen seit 1844 sind Mitschuldige; jeder wurde es von dem Augenblick an, wo er verabsäumte, seinen Vorgänger anzuklagen, und schweigend die geheimnisvolle Kassette übernahm. Schon durch das Streben nach Verheimlichung wurde jeder von ihnen zum Schuldigen. Jeder von ihnen wurde zum Beteiligten an der Verschwörung, indem er sie vor dem Parlament verheimlichte. Das Gesetz sieht in dem Hehler des gestohlenen Guts ebenso einen Verbrecher wie in dem Dieb selbst. Jedes gerichtliche Verfahren würde nicht nur die Koalition, sondern auch ihre Nebenbuhler, und nicht nur diese Minister, sondern auch die parlamentarischen Parteien, die sie vertreten, und nicht nur diese Parteien, sondern auch die herrschenden Klassen Englands zu Fall bringen.

En passant will ich bemerken, daß die einzige erwähnenswerte Rede im Oberhaus vom Earl of Derby gehalten wurde. Jedoch enthält seine Kritik des Memorandums und der geheimen Korrespondenz - und von der Debatte im Unterhaus kann ich dasselbe sagen - nichts, was ich nicht schon in der ausführlichen Darlegung gesagt hätte, die ich Ihnen von diesem verhängnisvollen Memorandum und dieser außergewöhnlichen Korrespondenz gab.

"Das Recht, einen Krieg zu erklären, ist das Vorrecht der Krone; und wenn Ihre Majestät ihr Parlament beruft und ihm mitteilt, daß sie es für notwendig befunden <182> habe, sich in einen Krieg einzulassen, so ist dies kein Anlaß für das Unterhaus, sich darüber zu äußern, ob der Krieg eine Klugheit oder eine Unklugheit sei. Unter solchen Umständen ist es seine Pflicht, sich um den Thron zu scharen und bei einer passenden späteren, verfassungsmäßigen Gelegenheit die Politik zu diskutieren, die zum Krieg geführt haben mag."

So sprach Herr Disraeli in der Sitzung des Unterhauses, und so sprachen alle Mitglieder des Unterhauses, und dennoch füllte die "Times" siebzehn Spalten mit Erklärungen zu jener Politik. Warum dies? Gerade deshalb, weil dies nicht die "Gelegenheit" war und ihr Geschwätz resultatlos bleiben wurde. Man muß jedoch Herrn Layard ausnehmen, der rundheraus erklärte:

"Wenn das Haus nach dem, was er ihm sagen würde, der Meinung sein sollte, daß das Verhalten der Minister Anlaß zu einer parlamentarischen Interpellation gäbe, so würde er vor der ihm dadurch auferlegten Pflicht nicht zurückschrecken und bereit sein, die Minister zu ersuchen, bald einen Tag zu bestimmen, an dem die Sache vorgebracht werden könnte."

Man wird nun verstehen, weshalb die "Times" an der Richtigkeit der assyrischen Entdeckungen des Herrn Layard zu zweifeln beginnt.

Lord J. Russell, der die Adresse im Unterhaus einbrachte, unterschied sich von Lord Clarendon nur durch die Betonung der Worte Integrität, Freiheit, Unabhängigkeit, Zivilisation, was ihm den Beifall seines mehr gemeinen Publikums eintrug.

Herr Layard, der sich erhob, um ihm zu entgegnen, beging zwei grobe Schnitzer, die seine sonst bemerkenswerte Rede entstellten. Erstens suchte er die Existenz von gegensätzlichen Elementen im Koalitionsministerium nachzuweisen - das russische und das englische Element, die Fraktion Aberdeen und die Fraktion Palmerston, während sich doch diese beiden Fraktionen durch nichts weiter unterscheiden als durch ihre Sprache und die Art ihrer Unterwürfigkeit gegen Rußland. Der eine ist ein Parteigänger Rußlands, weil er es nicht versteht, und der andere, obgleich er es versteht. Der erstere ist daher ein offener Parteigänger und der letztere ein geheimer Agent, Der erstere dient ihm umsonst, und der letztere wird dafür bezahlt. Der erstere ist weniger gefährlich, da er im offenen Gegensatz zu den Gefühlen des englischen Volkes steht; der letztere ist verhängnisvoll, weil er sich als die Verkörperung der nationalen Erbitterung gegen Rußland ausgibt. Wir dürfen bei Herrn Layard annehmen, daß er den Mann nicht kennt, den er in Gegensatz zu Aberdeen bringt. Für Herrn Disraeli, der denselben Gegensatz konstruierte, gibt es keine Entschuldigung. Kein Mensch kennt Lord Palmerston besser als dieser Führer der Opposition, der schon 1844 erklärte, daß keine <183> auswärtige Politik eines Ministers je so verhängnisvoll für die britischen Interessen gewesen sei wie die des edlen Lords. Der zweite Schnitzer, den Herr Layard beging, war die Behauptung, daß die "Times" das direkte Organ der Partei Aberdeens sei, denn die geheime und vertrauliche Korrespondenz lieferte schon zwei bis drei Tage nach ihrem Eintreffen das Material zu den Leitartikeln dieser Zeitung. Mit diesen Artikeln werde versucht, das Land dazu zu bewegen, der schändlichen Übereinkunft, die man in St. Petersburg anstrebe, zuzustimmen, wie dies besonders in den Artikeln vom Februar und März letzten Jahres der Fall gewesen sei. Layard hätte besser daran getan, gleich Lord Palmerston zu folgern, daß jenes Material durch die russische Gesandtschaft in London geliefert worden sei; das hätte ihm ermöglicht, sowohl die "Times" als auch das Ministerium des Auswärtigen zu bezichtigen, Organe des St. Petersburger Kabinetts zu sein.

Da ich der Meinung bin, daß die "Times" tatsächlich eine größere Macht als die Koalition, nicht wegen ihrer Anschauungen, sondern wegen der Tatsachen, die den verräterischen Charakter dieser geheimen Korrespondenz enthüllen, so füge ich die gesamte Erklärung des Herrn Layard gegen dieses Blatt hinzu:

"Die erste dieser geheimen Depeschen traf am 23. Januar 1853 in England ein, und am 26. des gleichen Monats erschien in der 'Times' der erste von jenen Artikeln, auf die er Bezug genommen habe. Die nächste Depesche traf am 6. Februar 1853 ein, und am 11. des gleichen Monats, vier Tage später, erschien in der 'Times' ein außerordentlicher Artikel, aus dem er jetzt zitieren werde. In einem Teil des Artikels wird erklärt: 'Wir glauben nicht, daß es das Ziel der Politik Rußlands ist, eine Katastrophe im Orient zu beschleunigen; abermals wird man die guten Dienste dieses Landes in Anspruch nehmen, um die Gefahren einer Situation zu verringern, die kritisch zu werden beginnt. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß der Versuch, die brutale und gebrechliche Macht der Türken in Europa zu verlängern, durch die Auslieferung fruchtbarer Provinzen und einer großen christlichen Bevölkerung an eine barbarische Mißregierung erkauft wird, und wir werden uns freuen, wenn Zivilisation und Christentum imstande sind, das durch die ottomanische Eroberung widerfahrene Unrecht zu beseitigen.'

Die 'Times' erklärte am 23. Februar 1853 erneut nach verschiedenen Bemerkungen über den erschöpften Zustand der Türkei:

'Äußerste politische Hinfälligkeit, das Fehlen jeglicher Fähigkeit und Redlichkeit bei jenen Männern, von denen die Pforte noch regiert wird, Verminderung der muselmanischen Bevölkerung und einen erschöpften Staatsschatz vereint die Pforte wie in einem höhnischen Kontrast hierzu mit der Herrschaft über einige der fruchtbarsten Gebiete, die besten Häfen und das kühnste und talentvollste Volk Südeuropas ... Es ist schwer zu begreifen, wie ein so unzweifelhaft großes Übel so lange von Politikern <184> als verhältnismäßig gut hat verteidigt werden können; und obwohl wir uns der Schwierigkeiten bewußt sind, die jede Veränderung auf dem Territorium eines so riesigen Reiches begleiten, neigen wir dazu, dem Herannahen einer Zeit eher mit Befriedigung als mit Beunruhigung entgegenzusehen' - woher wußte die 'Times', daß diese Zeit herannahte? 'wo es unmöglich sein wird, die Herrschaft einer solchen Regierung, wie der der Pforte, über ein solches Land zu verlängern wie das, welches jetzt ihrer Gewalt unterworfen ist. Vielleicht ist jene Zeit weniger weit entfernt, als man gemeinhin annimmt, und es mag die Angelegenheit weiser Staatsmänner sein, Vorbereitungen für den Fall eines solchen Ausganges zu treffen, den weiterhin auf unbestimmte Zeit zu verschieben außerhalb ihrer Macht liegt. Wir glauben nicht, und wir beabsichtigen nicht, zu unterstellen, daß gegenwärtig irgendwelche Pläne Österreichs und Rußlands existieren oder vielleicht ohne Wissen der anderen europäischen Mächte ausgearbeitet werden, die den territorialen Ansprüchen des Ottomanischen Reiches feindlich gegenüberstehen. Wir haben genügend Grund zur Annahme' - wenn die 'Times' das sagt, wissen wir, was das bedeutet -, 'daß Fürst Menschikow als außerordentlicher Gesandter aus St. Petersburg nach Konstantinopel zu dem ausdrücklichen Zweck entsandt worden ist, im Namen von Kaiser Nikolaus zu erklären, daß dieser als Oberhaupt der orthodoxen Kirche weder sich selbst mit den Bedingungen des jüngst durch den französischen Gesandten erhaltenen Fermans bezüglich der Heiligen Stätten im Heiligen Lande einverstanden erklären könne, noch den orientalischen Kirchen erlauben könne, dies zu tun.'

Nun, die erste Mitteilung von der Mission Fürst Menschikows war in den am 14. und am 21. Februar eingegangenen Depeschen Sir H. Seymours enthalten. Es sei wichtig zu erwähnen, daß am 6. März 1853 die Depesche eintraf, die den vollständigen Plan des Kaisers von Rußland zur Aufteilung der Türkei wiedergab. Die Antwort darauf wurde, wie bereits gesagt, erst am 23. März abgesandt, und bis zum 13. März fand keine Beratung des Kabinetts statt, obgleich einige Mitglieder der Regierung sieben Tage zuvor den Vorschlag des Kaisers erhalten hatten. Ihren Kollegen wurde dieser Vorschlag erst am 13. März vorgelegt; zuvor aber war er der ,Times' mitgeteilt worden, denn am 7. März, am Morgen nach dem Empfang der Depesche, die zu dieser Zeit nicht mehr als zwei oder drei Mitgliedern des Kabinetts bekannt gewesen sein konnte und auch von keinem einzigen Beamten des Ministerium des Auswärtigen gesehen worden sein konnte, erschien ein ausführlicher Artikel in der 'Times'" ("Hört, hört!") "worin es unter anderem hieß:

'Der Zustand des Türkischen Reiches und die Beziehungen der europäischen Mächte zum Orient sind Gegenstände, worüber sich eine Meinung zu bilden und sie auszudrücken für Politiker und die unabhängige Presse nützlich sein könnte, obgleich die Verwirklichung der Pläne, worauf diese Meinungen abzielen, noch unzeitig und fern ist. Staatsmänner, die gezwungen sind, die Tagesgeschäfte zu erledigen und in jedem Fall die Verpflichtungen der sogenannten Staatsnotwendigkeit zu erkennen, sind auf engere Bereiche beschränkt und wären wahrscheinlich nicht imstande, irgendeiner neuen oder originellen Idee zur Geltung zu verhelfen, wenn diese nicht vorher Gegenstand der Aufmerksamkeit und der Überlegungen der Öffentlichkeit gewesen wäre."

<185> Er ersuche den edlen Lord, auf die nun folgenden Worte zu achten, da sie sich auf von ihm erhobenen Einwände bezögen.

'Wir wären daher keineswegs überrascht, wenn Lord John Russell in Anspielung auf die Differenzen, die neuerlich in der Türkei und besonders an ihren europäischen Grenzen entstanden sind, seine Ablehnung gegenüber den Ansichten ausgedrückt hätte, die in jüngster Zeit über diesen Gegenstand vorgebracht worden sind, und seinerseits im Parlament mit dem ganzen Gewicht offizieller Verantwortlichkeit die alte Geschichte von der Integrität und Unabhängigkeit des ottomanischen Reiches wiederholt hätte. Wir jedoch sind nicht von ähnlichen Erwägungen beeinflußt.'

Woher wußte der Schreiber, daß der edle Lord ablehnte?" ("Hört!") "Der Artikel fährt fort:

'Wir stimmen daher nicht mit der Meinung Lord J. Russells überein, daß gegenwärtig kein größeres Unglück in Europa eintreten könne als die Notwendigkeit, zu überlegen, was getan werden müsse in solch einem Fall wie der Zerstückelung jenes Reiches.'

Möge das Haus die folgenden Worte beachten, die fast identisch sind mit denen du Kaisers von Rußland:

'Wir glauben, es wäre ein weit größeres Unglück, wenn die Zerstückelung begänne, bevor irgendwelche Überlegungen dieser Art angestellt worden sind."'

("Hört, hört!") "Das waren die gleichen Worte. Der Schreiber fährt fort:

'Und hier sei uns gestattet, unser Erstaunen darüber auszudrücken, daß ein Staatsmann für einen Augenblick die Politik, die im Falle einer Auflösung des Türkischen Reiches richtigerweise zu verfolgen wäre, verwechseln könnte mit jener, die zur Teilung Polens führte. Kein Zweifel, das Argument der Staatsnotwendigkeit bleibt noch zur Unterstützung der Integrität und Unabhängigkeit des Türkischen Reiches; aber dieses Argument steht allein einer Menge von Übelständen gegenüber, und in Wirklichkeit bedeutet es nichts anderes als die Furcht, sich mit einer folgenschweren und unsicheren Frage zu beschäftigen. Die Vorurteile gegenüber diesem Gegenstand, die besonders in vergangenen Jahren genährt wurden, sitzen wahrhaftig so fest, daß ein Versuch, diese Frage ihrer eigentlichen Bedeutung nach zu erörtern, in gewissen Kreisen als ein Akt politischer Verderbtheit angesehen wird und als eine Verletzung aller Gesetze, durch die die Nationen miteinander verbunden werden.'

Der nächste Artikel erschien am 10. März. Das Haus könnte vielleicht der Meinung sein, er habe bisher noch nicht bewiesen, daß der Schreiber in der 'Times' die gleichen Worte verwandte, die in den Depeschen gebraucht wurden; der Artikel aber, den er jetzt zitiere, werde alle Zweifel hierüber beseitigen. Am 10. März erschien ein Artikel in der 'Times', der mit folgenden Worten begann:

'Fürst Menschikow kommt mit genauerem diplomatischem Auftrag, und wir haben Grund zur Annahme, daß seine Instruktionen einen versöhnlicheren Charakter tragen als die des Grafen Leiningen.' Eine Ähnlichkeit des Ausdrucks läßt sich in Sir H. Seymours Depesche vom 21. Februar feststellen:

'Seine Exzellenz (Graf Nesselrode) wünschte mir zu versichern, daß die Instruktionen, mit denen Fürst Menschikow versehen sei, eine versöhnliche Natur trügen.'

<186> Der Artikel fährt fort:

'Wir wagen es auszusprechen, daß sich bei modernen Staatsmännern eine Dürftigkeit der Mittel zeigt, wenn sie sich mit einer Frage zu beschäftigen haben, welche die Zivilisation großer Provinzen beinhaltet, die Wiederherstellung des Christentum selbst zu jener Vorherrschaft, deren es sich einst in allen Teilen Europas erfreute, und das fortschreitende Wohlergehen von Millionen Menschen. Der einzige Ausweg, zu dem sie sich verstehen können, ist, einen Türkenkopf mit einem Turban zu zieren und ihn so zu behandeln, als wäre er noch ein Symbol von Stärke und Macht.'

Am 19. März fand eine Beratung des Kabinetts statt, auf der die am 6. dieses Monats eingegangene Depesche erörtert wurde, und am 23. März wurde eine Antwort abgesandt, die folgende Stelle enthielt:

'Wiewohl die Regierung Ihrer Majestät sich gemüßigt fühlt, an den Grundsätzen und der Politik festzuhalten, die in Lord John Russells Depesche vom 9. Februar aufgestellt sind, so willfährt sie doch gerne dem Wunsche des Kaisers, daß der Gegenstand noch weiter und freimütig diskutiert werde.'

Am gleichen Tage erschien ein Artikel in der 'Times', worin man einige der in Lord Clarendons Depesche gebrauchten Sätze finden konnte. Der Artikel begann wie folgt:

'Unsere Meinung über die gegenwärtige Lage und die künftigen Aussichten des Ottomanischen Reiches stimmt nicht mit dem Standpunkt überein, den Lord J. Russell vertritt und den er dem Unterhaus mitgeteilt hat. Sie weicht erheblich von der Politik ab, die dieses Land zu früheren Zeiten und bei verschiedenen Gelegenheiten verfolgt hat; und sie weicht völlig von dem System ab, das ein zahlenmäßig starker Teil der Londoner Presse weder sehr brillant noch erfolgreich zu verteidigen sucht.'

Ehre der britischen Presse, die, obgleich es ihr an der brillanten scharfen Feder fehlte, die einen Kolonialminister erschüttert und beinahe ein Kabinett gestürzt hatte, nicht die Ansichten der 'Times' unterstützte. Die 'Times' fügte fernerhin gegen Ende ihres Artikels hinzu:

'Er' (der Kaiser) 'hat gesagt, es sei Gegenstand seines Bestrebens, sich mit diesem Lande gut zu stehen und sein Vertrauen zu verdienen. Sein Vorgehen in dieser Frage wird zeigen, ob seine Versicherung aufrichtig gemeint ist, und er kann uns keinen größeren Beweis von Mäßigung und Wohlwollen gegenüber der Türkei und dem übrigen Europa geben als die Bereitschaft, auch weiterhin in diesen Fragen mit der britischen Regierung zusammenzuarbeiten.'

Am gleichen Tage, an dem die 'Times' bekanntgab, daß ihre Bemühungen, die britische Öffentlichkeit für die Teilung der Türkei zu gewinnen, fehlgeschlagen waren, wurde die Antwort auf die Depesche, die 16 Tage verzögert worden war, nach St. Petersburg gesandt." ("Hört, hört!") "Er brauche das Haus nicht mit weiteren Auszügen aus der 'Times' zu behelligen."

Herr Bright unterstützte Herrn Cobden, um Lord Palmerston neuerlich Gelegenheit zu geben, sich durch eine Schimpfrede gegen Rußland und eine heuchlerisch-energische Verteidigung der Kriegspolitik populär zu machen. Unter anderem erklärte Palmerston:

<187> "Nun, ich glaube, jenen, welche die europäischen Angelegenheiten seit beträchtlicher Zeit aufmerksam verfolgen, ist bekannt, daß die Ansichten Rußlands über die Türkei nicht von gestern oder schon gar nicht aus der jüngsten Zeit datieren." ("Hört!") "Es ist bekannt, daß Rußland schon seit langem beständig und unablässig die Politik verfolgt, zumindest von dem europäischen Teil der Türkei Besitz zu ergreifen und danach von der asiatischen Türkei. Diese Politik ist mit unbeirrbarer und systematischer Beharrlichkeit verfolgt worden. Es hat sie immer im Auge behalten. Wenn die Umstände günstig waren, wurde ein Schritt vorwärts getan, und zeigten sich Hindernisse, dann wurde dieser Schritt zurückgenommen, doch nur, um aus der nächsten sich bietenden Gelegenheit Vorteil zu ziehen." ("Hört, hört!") "Verzögerung ist nie ein Mittel gewesen, Rußland zu besänftigen oder zu veranlassen, seine Pläne aufzugeben. Seine Politik hat darin bestanden, sein Ziel im Auge zu behalten - sich nicht zu übereilen, den Gegenstand seines Strebens nicht durch voreiliges Zugreifen zu verlieren, sondern den Kurs der anderen Regierungen Europas zu beobachten und jede nur mögliche Gelegenheit auszunutzen, die ihm auch nur das geringste Vorrücken auf das endgültige Ziel seines Strebens ermöglicht."

Vergleicht man nun diese Erklärung Lord Palmerstons mit jenen aus den Jahren 1829, 1830, 1831, 1833, 1836, 1840, 1841, 1842, 1843, 1846, 1848 und 1849, so zeigt sich, daß das obenstehende weniger eine Antwort auf Herrn Bright als auf seine eigene frühere Politik bildet. Aber während dieser hinterlistige Feind durch solche Angriffe auf Rußland die Sympathien der Öffentlichkeit zu gewinnen sucht, sichert er sich auf der anderen Seite die Gunst des Zaren durch folgende Bemerkung:

"Tadle ich etwa die russische Regierung dafür, daß Sie eine solche Politik betreibt? Eine Politik der Expansion, mit rechtmäßigen Mitteln verfolgt, ist eine Politik, die man als gefährlich für sich selbst ablehnen mag, der man sich als unheilbringend für die Unabhängigkeit und Freiheit anderer Staaten widersetzen mag, die aber durchaus kein Anlaß zur Verurteilung der Regierung ist, welche sie verfolgt, wenn sie diese Politik nur mit offenen, aufrichtigen und allgemein anerkannten Mitteln verfolgt, ohne Geheimhaltung, ohne Vorwand und ohne Betrug. Der Weg jedoch, ich bedaure, das feststellen zu müssen, den die russische Regierung im Verlauf der jüngsten Ereignisse eingeschlagen hat, war nicht der offene und gerade Weg, welcher ihre offen zugegebene und kühn verkündete Politik rechtfertigen könnte."

Doch der einzige Vorwurf, welcher der russischen Regierung gemacht werden müsse, sei, wie es Herr Disraeli ausdrückte, der der verhängnisvollen Freimütigkeit. Wenn also Palmerston das tadelt, was Rußland nicht tat, rechtfertigt er vollkommen das, was es wirklich getan hat.

Herrn Disraelis Kritik der geheimen Dokumente war wie immer geschickt, verfehlte jedoch ihre Wirkung wegen seiner Erklärung, Kritik sei jetzt nicht am Platze, und seine einzige Absicht, wenn er sich an das Haus <188> wende, sei, die Adresse zu unterstützen. Es ist bedauerlich zu sehen, wie ein so talentvoller Mann einem Palmerston nicht nur im Parlament, sondern auch in seinem angesehenen Organ "The Press" aus niedriger Ämter- und Parteipolitik schmeichelt.

In der gestrigen Sitzung des Hauses meldete Sir J. Graham, er habe Nachricht erhalten, daß die Flotte ins Schwarze Meer eingefahren sei und sich in der Nähe von Varna befinde.

Im Oberhaus teilte Lord Aberdeen mit, daß er am Dienstag, dem 11., die Vertagung des Hauses auf Donnerstag, den 27. d.M., beantragen werde.