Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 10, S. 260-266
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Karl Marx

[Die Bildung eines besonderen Kriegsministeriums in England -
Die Operationen an der Donau -
Die ökonomische Lage]

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4105 vom 14. Juni 1854]

<260> London, Freitag, 2. Juni 1854.

Nachdem die Bildung eines besonderen Kriegsministeriums beschlossen worden ist, ist im Augenblick die große Frage, wer wohl ausersehen wird, dieses Amt zu besetzen. Der Herzog von Newcastle, der bisher sowohl Kolonial- als auch Kriegsminister war, hat seit langem gezeigt, daß er nicht geneigt ist, einen der beiden Posten aufzugeben, und nach dem Ton des "Morning Chronicle" zu urteilen, scheint er auf jeden Fall entschlossen, an der Leitung des Kriegsdepartements festzuhalten. Die heutige "Times" empfiehlt zum dritten Mal die Ernennung Lord Palmerstons.

"Lord Palmerston würde gewiß besser am Platze sein, wenn er als Kriegsminister die Streitkräfte dieses Landes gegen seinen alten Feind anführt, wie wir wohl Rußland bezeichnen dürfen, als sich in eine Reihe von Streitigkeiten mit Gemeindevertretern und Kommissionen für Kanalisation einzulassen."

Die "Daily News" empfiehlt ebenfalls Lord Palmerston. Der gestrige "Morning Herald" brachte eine Darstellung dieser Intrige aus der Feder von Herrn Urquhart. Auf alle Fälle sind diese Vorgänge in der Downing Street von größerer Bedeutung für den "Krieg" als alle militärischen Demonstrationen bei Gallipoli oder Skutari.

Vielleicht erinnern Sie sich, daß der Öffentlichkeit große Hoffnungen über unverzügliche und energische Maßnahmen gemacht wurden, sobald die Befehlshaber der Expeditionsstreitkräfte in Konstantinopel angelangt sein würden. Am 18. Mai begaben sich Marschall Saint-Arnaud, Lord Raglan und der türkische Seraskier <Kriegsminister> nach Varna, wo am 20. mit Omer Pascha und den <261> Admiralen ein Kriegsrat stattfinden sollte. Gestern traf eine telegraphische Depesche in London ein, in der es heißt, "der Kriegsrat in Varna hat beschlossen, daß die alliierten Truppen von Gallipoli nach Adrianopel vorrücken sollen". Gleichzeitig veröffentlichte die "Times" einen Leitartikel, in dem der ganze Feldzugsplan, wie er beschlossen ist, und die Varnaer Konferenz enthüllt wurde.

"Diese Konferenz", heißt es in der "Times", "muß gerade zu der Zeit stattgefunden haben, als die Russen unter Fürst Paskewitsch ihre heftigsten Angriffe gegen die Festung Silistria richteten. Deshalb waren die führenden Offiziere der alliierten Armee am besten in der Lage, über die Maßnahmen zu entscheiden, die zum Entsatz dieser Festung ergriffen werden könnten."

Daher beorderten sie ihre Truppen von Gallipoli nach Adrianopel - zum Entsatz Silistrias -; daher gelangten sie auch zu folgendem heroischen Entschluß:

"Daß es weder angebracht sei, die türkische Armee dem Risiko einer allgemeinen Schlacht auszusetzen, um den Angriff der Russen auf die Festungen, die das rechte Donauufer decken, zurückzuschlagen, ... noch einen beträchtlichen Teil der alliierten Armeen an die Küste zu werfen, um so unmittelbar mit den derzeitigen Vorposten der Russen zusammenzustoßen."

Mit anderen Worten, die alliierten Generale haben beschlossen, den auf die Einnahme der Festungen auf dem rechten Donauufer gerichteten Anstrengungen der Russen nichts entgegenzusetzen. Die "Times" gibt zu, daß dieser Operationsplan "die natürliche Ungeduld der Öffentlichkeit enttäuschen mag"; andrerseits aber entdeckt sie, daß "diese befestigten Plätze in Wirklichkeit die Außenwerke der türkischen Stellung sind und nicht ihre Hauptstärke darstellen". Früher erzählte man uns, die Moldau und die Walachei seien die Außenwerke der Türkei und daß die Türkei nicht viel verliere, wenn sie sie der russischen Besatzung überlasse. Nun hören wir, die Türkei möge mit der gleichen Gelassenheit Bulgarien den Russen preisgeben.

"Der Balkan ist das wirkliche Bollwerk des Ottomanischen Reiches, und es kann den Russen nichts nützen, unter schweren Verlusten die Außenlinie der Umwallung zu nehmen, wenn sich ihnen beim Vormarsch neue Hindernisse von unabsehbar größerem Umfang in den Weg stellen. Je weiter sie in diesem Gebiet nördlich des Balkan vorrücken, desto schwieriger wird ihre Lage ... Die eindringende Armee erschöpft ihre Kraft gegen die befestigten Plätze am Strom und die verstreuten Abteilungen des Feindes; indessen bleiben jedoch die Verteidigungskräfte der Hauptstellung relativ frisch und ungeschwächt."

<262> Solange die beef- <Rindfleisch-> essenden Alliierten eine Begegnung mit dem Feind vermeiden können, bleiben ihre Streitkräfte ohne Zweifel sehr frisch. Was aber, wenn die Russen im Gebiet nördlich des Balkans nicht weiter vorrücken und sich mit dem Besitz der Festungen, den Schlüsseln zu Bulgarien, und mit den Fürstentümern begnügen? Wie wird deren Evakuierung bewirkt werden?

"Hinter den Linien des Balkans bereitet sich die europäische Armee zum Vormarsch vor - zur gegebenen Zeit, mit unwiderstehlicher Kraft - und die letzten Monate des Feldzugs sollten die Vernichtung des Feindes herbeiführen."

Dieser unaufhaltsame Vormarsch wird natürlich durch den russischen Besitz der Donaufestungen in hohem Grade erleichtert, und was die alliierten Armeen nicht erreichen, das wird die Jahreszeit ohne Schwierigkeiten vollenden.

Es stimmt, daß der "Moniteur" bekanntgibt, daß Omer Pascha Vorbereitungen zum Entsatz Silistrias traf; der "Morning Chronicle" kritisiert den oben erwähnten Artikel der "Times" und bemerkt:

"Der Verfasser dieses Plans hofft wahrscheinlich, die österreichische Diplomatie werde inzwischen den Zaren veranlassen, seine Truppen zurückzuziehen, mit der Genugtuung, einen ununterbrochenen Erfolg ohne Widerstand erzielt zu haben; andrerseits glaubt man vielleicht, daß im Falle des Vorrückens der Russen auf dem Balkan die entfernte Möglichkeit, die im österreichisch-preußischen Vertrag vorgesehen ist, sofort in Kraft treten würde."

Die Nachricht des "Moniteurs" ist offenkundig darauf berechnet, die Pariser bei guter Laune zu halten, und die Art, wie der "Chronicle" den Plan der "Times" kommentiert, verstärkt nur die Wahrscheinlichkeit, daß es der Plan der Koalition ist. Andere Informationsquellen bestätigen noch diese Annahme. Der Konstantinopler Korrespondent des "Chronicle" bemerkt unter dem 18. Mai:

"Im Hochsommer wird wohl kaum ein Feldzug an der Donau unternommen werden, da man durch Fieber und Krankheiten mehr Soldaten verlöre als durch andere Ursachen."

Außerdem veröffentlicht der ministerielle "Globe" von gestern Abend einen Artikel, der völlig im gleichen Sinne abgefaßt ist wie der der "Times". Er erzählt uns erstens, daß augenblicklich in der Türkei nur 45.000 alliierte Truppen stehen - 29.000 Franzosen und 16.000 Engländer. Der gleiche <263> "Globe" erklärt an anderer Stelle, daß die Russen vor und um Silistria nur 90.000 Mann haben und das reguläre türkische Feldheer 104.000 Mann zähle. Doch diese Zusammenballung von nahezu 150.000 türkischen, französischen und englischen Truppen wird vom "Globe" nicht für ausreichend erachtet, 90.000 Russen an der Eroberung der bulgarischen Festungen zu hindern, ganz zu schweigen von der Unterstützung, die drei mächtige Flotten geben könnten. Der "Globe" hält es für völlig überflüssig, daß die Türken oder die Alliierten gegen die Russen kämpfen, da "die Zeit gegen sie kämpft". Indem er den von den alliierten Befehlshabern ausgeheckten Feldzugsplan enthüllt, geht der "Globe" sogar noch einen Schritt weiter als die "Times", denn er sagt:

"Was auch aus den Festungen an der Donau werden mag, ausreichende Streitkräfte müssen herangebracht werden, um ein weiteres Vorrücken des Eindringlings zu vereiteln und seinen dreisten Vormarsch zu bestrafen."

Hier haben wir den klaren Beweis, daß England und Frankreich im letzten Wiener Protokoll dem österreichisch-preußischen Vertrag beigetreten sind. Die Festungen an der Donau und in Bulgarien sind an Rußland auszuliefern; ein Kriegsfall würde nur durch seinen weiteren Vormarsch geschaffen werden.

Als die 15.000 Russen, die zuerst in die Moldau einfielen, den Pruth überschritten, gab man der Türkei den Rat, sich nicht zu rühren, da sie eine so gewaltige Streitmacht von 15.000 Mann nicht daran hindern könne, auch die Walachei zu besetzen. Darauf besetzten die Russen die Walachei. Als die Pforte den Krieg erklärt hatte, konnten wegen des Winters keine Operationen gegen die Russen unternommen werden. Als dann das Frühjahr kam, erhielt Omer Pascha Befehl, sich jeglicher Offensivbewegung zu enthalten, da die alliierten Streitkräfte noch nicht eingetroffen seien. Als sie eingetroffen waren, konnte nichts unternommen werden, da es nun Sommer war, und der Sommer eine ungesunde Jahreszeit ist. Laßt den Herbst herankommen, und es wird "zu spät sein, einen Feldzug zu eröffnen". Dieses Verfahren bezeichnet die "Times" als eine Kombination von Strategie und Taktik, das Wesen der Taktik ist nach ihrer Meinung, die Armee zu opfern, um die Reserven "frisch" zu erhalten. Beachten Sie ferner, daß die ganze Zeit, da diese Betrügereien direkt unter den Augen und Nasen der Oppositionszeitungen und der britischen Öffentlichkeit vor sich gehen, der "Morning Advertiser" und die "Times" einander zu übertreffen suchen in Ausdrücken drohender Anklage gegen Preußen, Dänemark und Schweden, weil diese sich nicht den Westmächten "anschließen". Daß die Beweggründe, die den Hang aller <264> kleineren Höfe bestimmen, Partei für Rußland zu ergreifen, nicht ohne guten Grund sind, kann man zum Beispiel dem Ton der dänischen Regierungszeitungen entnehmen. So schreibt der Kopenhagener Korrespondent des "Morning Chronicle":

"England habe sich immer treulos gegenüber Dänemark verhalten, und schlösse sich letzteres nun den Westmächten an, so würden 100.000 Preußen, möglicherweise mit einem Korps Österreicher, Jütland bis hinunter zur Eider verwüsten und das ganze dänische Festland besetzen - mit Hilfe dieser Drohung gelingt es der Regierungspartei, die Nationalpartei ruhig zu halten und abzuschrecken."

Man sollte erwarten, und gewiß erwartete es die Koalition, daß die delikaten militärischen, diplomatischen und anderen Dienste, die sie der "guten Sache" Rußlands erwies, zumindest mit einer gewissen delikaten Dankbarkeit des Selbstherrschers belohnt würden. Weit davon entfernt, erhalten sie von ihm eine ganze Portion Beschimpfungen, die über das Verständnis hinausgehen und auch die Erfordernisse der Sache überschreiten. Um die tiefste Verachtung, die der russische Hof für seine Scheingegner ausdrückt, zu veranschaulichen, möchte ich Ihnen die Übersetzung einer Fabel eines anonymen Tyrtäus Rußlands wiedergeben, die kürzlich die "Nordische Biene" <"Nordische Biene" in der "N.-Y.D.T" deutsch> veröffentlichte. Ihre kindliche Einfachheit in Sprache und Aufbau muß man dem Bedürfnis der halbbarbarischen Intelligenz, an die sich der Dichter wendet, zuschreiben, ebenso wie die ironische Höflichkeit der Kritik, welcher der letzte Odessabericht Admiral Hamelins durch das "Journal de Saint-Pétersbourg" unterworfen wurde, durch den Umstand zu erklären ist, daß sie sich an die Diplomaten Europas wendet. Die Fabel trägt die Überschrift: "Der Adler, die Bulldogge, der Hahn und der Hase."

"Ein Königsadler, groß und stark, saß auf dem Gipfel eines Felsens, und von seinem erhabenen Platz überblicke er die ganze Welt, über die Ostsee hinaus (Weit hinterm Belt die ganze Welt <In der "N.-Y.D.T." deutsch>); da saß er nun still und zufrieden, gesättigt durch sein bescheidenes Mahl und hielt es unter seiner Würde, vom Tal unter ihm Vorräte anzuhäufen, da er zu jeder Zeit über alles verfügt. Eine Bulldogge beäugte ihn mit neidischem Blick und sprach zu dem Hahn: 'Sei mein Verbündeter, wir wollen uns vereinigen, du aus Rache, ich aus Neid, und den Adler dort zu Fall bringen.' Gesagt, getan. Sie marschierten los und berieten sich auf dem Wege, wie sie den Adler wohl am besten bezwingen könnten. Der Hahn sagte: 'Halt! Betrachte seine Krallen, seine Flügel - mag Gott dem beistehen, der sie auf die Probe stellt. Wie oft hörte ich die Flüche meiner Vorfahren, die ihr trauriges Schicksal beklagten, wenn sie von seinem <265> Flügelschlag getroffen waren.' 'Das stimmt', sagte die Bulldogge, 'aber wir wollen einen Plan entwerfen, um den Adler zu fangen. Schicken wir einen Hasen in seine Nähe, er wird den Hasen greifen. Inzwischen lenkst du seine Aufmerksamkeit durch Krähen und Springen, was du ja meisterhaft verstehst, auf dich und tust so, als wolltest du mit ihm einen Kampf beginnen. Nachdem wir so seine Aufmerksamkeit und seine Krallen abgelenkt haben, werde ich ihn von hinten angreifen, so daß er sich nicht verteidigen kann, und bald werden ihn meine scharfen Zähne in Stücke reißen.' Der Plan gefiel dem Hahn, und er nahm einen Beobachtungsposten in der Nähe ein. Die Bulldogge läuft in den Wald und treibt bellend einen Hasen auf den Adler zu, der ruhig beobachtet. Der Hase, dumm und blind, gerät schnell in die Krallen des Adlers. Getreu seiner Verabredung verläßt der Hahn seinen Posten und springt nach dem Hasen. Aber sieh, welche Schmach! Der Adler verschmäht es, den Hasen zu greifen, und ohne sich von seinem Sitz zu rühren, hebt er nur seine Flügel und verscheucht den Hasen erst mit dem einen, dann mit dem anderen, berührt kaum den Hahn, der sich nicht mehr rührt und auch nicht mehr kräht. Man kennt doch die Neigung der Hasen, die Flucht zu ergreifen; so rennt er ohnmächtig und von Sinnen in den See und ertrinkt. Der Adler sah die fette Bulldogge aus einiger Entfernung die Verschwörung leiten - denn, was entgeht schon dem Adlerauge? Er hat den hinter einem Busch versteckten Helden entdeckt. Der Adler breitet seine großen und starken Flügel aus und erhebt sich majestätisch. Die Bulldogge bellt und flieht mit hastigen Sprüngen. Vergeblich, es ist zu spät. Der Adler stürzt auf sie nieder und schlägt seine Krallen der Verräterin in den Rücken, und da liegt sie nun, in Stücke gerissen."

Infolge der günstigen Ernteaussichten und des Fehlens von spekulativen Käufern sind die Kornpreise im Laufe der Woche ein wenig gefallen. Ein Rückschlag ist jedoch unvermeidlich, denn

"alle Anzeichen, die damit in Verbindung stehen, führen zu der Überzeugung, daß die Vorräte der Bauern viel geringer sind als gewöhnlich zur entsprechenden Jahreszeit". ("Mark Lane Express".)

Die Meldungen aus Danzig, Stettin, Rostock etc. stimmen in der Feststellung überein, daß die verfügbaren Vorräte sehr gering sind, daß die Bauern aus der Umgebung wenig oder nichts mehr zu liefern hätten, und daß aus diesen Bezirken keine Hilfe erwartet werden könnte, es sei denn zu sehr hohen Preisen. Auch die Lieferungen der Bauern in Frankreich scheinen nicht zugenommen zu haben, und der auf den Binnenmärkten angebotene Weizen wird als kaum ausreichend bezeichnet, um die Nachfrage für den Verbrauch zu decken.

Aus einer privaten Informationsquelle habe ich auch erfahren, daß die Berichte der "Times" über den Stand des Handels in den Industriebezirken um Manchester allgemein falsche Darstellungen bringen, und daß sich der <266> Handel überall im Niedergang befindet, mit Ausnahme von Birmingham. Der "Manchester Guardian" bestätigt das und fügt hinzu, daß man der Wiederaufnahme der Arbeit durch eine so große Zahl streikender Fabrikarbeiter keine andere Wirkung erwarten konnte als ein Sinken der Preise.

Die von Sir J. Graham vergangenen Montag im Unterhaus angekündigte Maßnahme, nämlich die Nicht-Blockade des Hafens von Archangelsk, erklärt der "Morning Herald" mit folgendem lakonischen Satz: "In Archangelsk gibt es ein Haus, das den Namen des Schatzkanzlers trägt."

Karl Marx