Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 10, S. 364-374
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Karl Marx

[Die Politik Österreichs -
Die Kriegsdebatte im Unterhaus]

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4152 vom 9. August 1854]

<364> London, Freitag, 28. Juli 1854.

In einem meiner früheren Briefe gab ich Ihnen eine Analyse des österreichisch-türkischen Vertrags vom 14. Juni und erklärte als das Ziel dieser merkwürdigen diplomatischen Abmachung: erstens, den alliierten Armeen einen Vorwand zu geben, die Donau nicht zu überschreiten und den Russen nicht gegenüberzutreten; zweitens, die Türken an der Wiederbesetzung der ganzen Walachei zu hindern und sie aus dem schon von ihnen eroberten Teil wieder herauszudrängen; drittens, in den Fürstentümern das alte reaktionäre Regime wiederherzustellen, das Rußland den Rumänen 1848 aufgezwungen hatte. Wir erfahren nun tatsächlich aus Konstantinopel, daß Österreich gegen die Anmaßung Omer Paschas, die Donau zu überschreiten, protestiert habe; daß es eine ausschließliche Besetzung der Fürstentümer für sich beansprucht und das Recht, sie nicht nur den englisch-französischen Truppen, sondern gleichermaßen den Türken zu verschließen. Auf diese Vorstellungen hin soll die Pforte Omer Pascha Order gegeben haben, die Donau gegenwärtig nicht zu überschreiten, soll sich aber geweigert haben, im Prinzip der ausschließlichen Besetzung der Fürstentümer durch Österreich zuzustimmen. Der jämmerliche Reschid Pascha, der von seinem Lehrer und Gönner Lord Palmerston schon einiges gelernt hat, hat natürlich wenig dagegen einzuwenden, das, was er im Prinzip ablehnt, tatsächlich zuzulassen. Man wird vielleicht denken, Österreich hätte den Vertrag vom 14. Juni bereits verletzt oder faktisch ungültig gemacht, als es nicht in dem Augenblick in die Walachei einmarschierte, wo sich die russische Armee ungeordnet in drei <365> verschiedenen Richtungen zurückzog und in der Flanke und im Rücken einem österreichischen Angriff ausgesetzt war, wenn es ihr nicht gelungen wäre, sich sogleich hinter den Sereth zurückzuziehen. Man erinnere sich jedoch, daß Österreich gerade durch den Wortlaut dieses berühmten Vertrags weder verpflichtet ist, sogleich in die Fürstentümer einzuziehen, noch sie zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verlassen, noch selbst die Russen zu zwingen, sie in einer festgesetzten Frist zu räumen. Es wird jetzt berichtet, daß die Österreicher wirklich in die Kleine Walachei einmarschieren und die Russen ihre Truppen von den Karpatenpässen zurückberufen und sie in Fokschani konzentrieren. Das bedeutet jedoch nichts anderes, als daß die Österreicher, anstatt die Russen aus der Großen Walachei hinauszuwerfen, beschlossen haben, die Türken aus der Kleinen Walachei zu vertreiben und dadurch ihre Operationen an den Ufern der Aluta zu verhindern. Kein besserer Plan hätte ersonnen werden können, um einen Militäraufstand in der Türkei hervorzurufen, als die Entfernung der Türken aus dem Gebiet, das die türkische Armee erobert hat, und die Besetzung Bulgariens durch englisch-französische Truppen, die den Russen sorgfältig aus dem Wege gehen und die Türken in einer Art Belagerungszustand halten, wie aus der gemeinsamen Proklamation der englischen und französischen Befehlshaber an die Einwohner Bulgariens hervorgeht - einer Proklamation, die übrigens fast wörtlich von einem Budberg, einem Gortschakow und tutti quanti <ihresgleichen> abgeschrieben ist. Ich habe Ihnen bereits vor langem vorausgesagt, daß die Westmächte dem Fortschritt einen Dienst erweisen würden - den Dienst, die Türkei, diesen Grundpfeiler des überlebten europäischen Systems, zu revolutionieren.

Österreich protestiert nicht nur gegen die Anmaßung der Türkei, türkisches Gebiet zu besetzen, es fordert außerdem die Wiedereinsetzung der zwei Hospodare, die sich jetzt in Wien aufhalten; ihre Rückkehr nach der Walachei und Moldau zusammen mit den ersten österreichischen Truppen hat Herr von Bruck der Pforte angekündigt. Reschid Pascha erwidert, die Pforte wolle in Erwägung ziehen, ob ihre Wiedereinsetzung am Platze sei - Herr von Bruck seinerseits besteht jedoch auf Erfüllung des Artikels 3 des Vertrages, der die Wiederherstellung der alten Regierung festlegt. Man wird sich erinnern, daß ich die Aufmerksamkeit auf die zweideutige Fassung lenkte, die man diesem Artikel geben könne. Reschid Pascha wendet dagegen ein, die Wiedereinsetzung könne nicht stattfinden, ehe die Pforte sich nicht vergewissert habe, daß die Hospodare gegen ihre Pflicht als loyale Untertanen nicht verstoßen hätten. Gegen den Moldaufürsten Ghika hätte <366> die Pforte keine ernstlichen Einwände, aber das Verhalten Stirbeis, des walachischen Hospodars, sei ein sehr herausforderndes gewesen; er habe sich in skandalösester Weise als Parteigänger Rußlands entpuppt, so daß seine Absetzung der Pforte zur Pflicht gemacht wurde. Herr von Bruck appellierte nun an den Sultan, der eine außerordentliche Sitzung des Staatsrats einberief, in der der Kompromiß zustande kam, daß beide Hospodare provisorisch auf ihre Posten zurückberufen werden sollten, während die Pforte einen Hohen Kommissar ernennen würde, der ihr Verhalten genau untersuchen sollte, worauf ein endgültiger Beschluß gefaßt werden wurde. Es ist natürlich selbstverständlich, daß Fürst Ghika, gegen den Reschid angeblich keine ernstlichen Einwände hat, nur nominell zurückberufen wird, da die Moldau in den Händen der Russen verbleibt. Hingegen ist die Zurückberufung von Fürst Stirbei, den die Pforte selbst wegjagte und als russischen Agenten brandmarkte, eine wirkliche Wiedereinsetzung, da ein Teil der Walachei schon von den Russen geräumt ist und der andere wohl auch binnen kurzem geräumt wird.

Die Tätigkeit der österreichischen Diplomatie bleibt jedoch nicht hier stehen. In der gestrigen "Morning Post" lesen wir in einer aus Belgrad vom 19. Juli datierten Depesche:

"Aus Konstantinopel traf gestern ein Befehl ein, alle Rüstungen und militärischen Übungen einzustellen. Vertraulich wird mitgeteilt, daß ein weiterer Befehl zur Abrüstung vorliegen soll. Die Nachricht wurde sofort Fürst Alexander übermittelt."

Das also ist die Antwort der Pforte auf den serbischen Protest gegen eine österreichische Besetzung. So wird die jämmerliche türkische Regierung daran gehindert, ihrem erklärten Feind Trotz zu bieten, und gleichzeitig wird sie zu feindseligen und widerrechtlichen Handlungen gegen ihre eigenen loyalen Gebiete aufgestachelt. Durch den Vertrag vom 14. Juni brach die Türkei ihr Abkommen mit den Fürstentümern, und durch die Abrüstungsorder bricht sie nun die Grundgesetze Serbiens. Derselbe politische Vorstoß treibt die türkische Armee in einen Zustand des Aufruhrs und Serbien sowie die Fürstentümer in die Arme Rußlands. Die österreichische Sommation zur Räumung der Fürstentümer erweist sich als ein Verbot für die Türken, daselbst einzumarschieren, und die viel gerühmten Rüstungen Österreichs entpuppen sich als die Abrüstung Serbiens.

Das bornierte Österreich, dieses bloße Werkzeug in den Händen des Zaren und seiner englischen Bundesgenossen, bereitet mit alledem nur die Grundlagen für eine allgemeine Revolution vor, deren erstes Opfer es selbst sein wird, und deren Ausbruch nur utopistische Reaktionäre wie David <367> Urquhart beklagen können. Sie sind bereits über die ersten Bewegungen in Italien informiert. Die öffentlichen Blätter sprechen von Unruhen in Genua, Modena, Parma etc.; aber meiner Meinung nach erinnern uns die Szenen, die sich in Ferrara abspielten, mehr an den allgemeinen Aufstand von 1848 als alle übrigen.

Daß ich die patriotische freiwillige Anleihe der arroganten und bankrotten österreichischen Regierung von vornherein richtig eingeschätzt habe, werden Sie aus der Bekanntmachung ersehen, die Chevalier Burger kürzlich an die loyalen Untertanen der Lombardei richtete. Er informiert sie, daß die Quote, die das lombardische Gebiet für die freiwillige Anleihe zu zahlen hat, 40.000.000 Gulden betragen wird, ein Betrag, der 104.400.000 Francs entspricht, die, aufgeteilt auf die Bevölkerung, 40 Francs pro Kopf ausmachen.

"Diese freiwillige Anleihe", sagt L'Unione", "stellt sich als eine gigantische Konfiskation heraus - jeder Provinz, jeder Gemeinde und jeder Einzelperson ist eine Quote zugewiesen, welche sie freiwillig zahlen müssen."

Um keinen Zweifel an der wahren Bedeutung dieser freiwilligen Anleihe zu lassen, endet die Bekanntmachung von Chevalier Burger mit den folgenden Worten:

"Es muß mehr als offenkundig sein, daß, falls die freiwillige Anleihe nicht erfolgreich sein sollte, den verschiedenen Arten der Einkünfte von Land, Kapital, Handel und Industrie eine außerordentliche und zwangsweise Kontribution in den passendsten Proportionen auferlegt werden müßte."

In der Montagsitzung des Unterhauses erhob sich - ein in den Annalen des Parlaments noch nie dagewesener Fall - der Präsident des Geheimen Rats und Führer des Hauses <John Russell> unter dem Vorwand, eine ausführliche Darlegung der Absichten des Kabinetts zu geben, die er sechs Stunden später an derselben Stelle völlig widerrief. Um 7 Uhr abends war nach seinen Worten Sewastopol bombardiert, niedergerissen, zerstört und von Rußland losgetrennt. Um 1 Uhr 15 Minuten nach Mitternacht war die russische Flotte bei Sewastopol um ein oder zwei Linienschiffe verringert und "Rußland in keiner Weise in seinem jetzigen Rang und seiner Stellung beeinträchtigt worden". Sechs Stunden lang lärmte, prahlte, bramarbasierte, polterte, schwadronierte, jauchzte, beglückwünschte und übertrieb der kleine Johnny vor seinen Unterhäuslern; sechs Stunden lang ließ er sein Parlament in einem <368> "Schlaraffenland" schwelgen, dann genügte ein Wörtchen von Herrn Disraelis spitzer Zunge, die Seifenblase zum Platzen zu bringen, und der falsche Löwe mußte sich wieder den gewohnten Schafpelz um die Schultern legen. Das war ein "Bußtag" für das Ministerium, aber seine drei Millionen Pfund setzte es durch.

In der Dienstagsitzung fand die Debatte über den Antrag Lord Dudley Stuarts über die Nichtvertagung des Parlaments statt. Sie hatten das Geld des Landes votiert; nun blieb ihnen nichts weiter übrig, als dem Ministerium ihr Vertrauen zu votieren. Das war für die ehrenwerten Mitglieder selbstverständlich, und deshalb war das Haus nur schwach besucht, die Debatte schläfrig, das Ministerium herausfordernder denn je, und der Antrag Dudleys wurde ohne Abstimmung verworfen. Das Ministerium brachte es zuwege, seine eigene Schande in einen Sieg über die Mitglieder des Unterhauses zu verwandeln. Dies, war der "Bußtag" für das Parlament. Dennoch gestaltete sich die Sitzung bemerkenswert durch die Verteidigung der Kriegführung, die Herr Herbert, der britische Kriegsminister und Schwager Woronzows, gab, durch die Indiskretionen Berkeleys, des Lords der Admiralität, und durch die hochmütigen Erklärungen des kleinen Johnny über den inneren Zustand des englischen Ministeriums.

Herr Herbert, ein kleinköpfiger früherer Jung-Tory, beantwortete die Klagen über die mangelhafte Organisation des Kommissariats mit einer weitschweifigen Lobeshymne auf den Generalkommissar Filder, der sicherlich der geeignetste Mann für diesen Posten sei, habe er sich doch vor etwa fünfzig Jahren des Vertrauens des eisernen Herzogs <Wellington> erfreut und hohe Stellen unter ihm bekleidet. Den unangenehmen Briefen der Zeitungskorrespondenten stellte er die schöngefärbten Berichte "der besten Zahlmeister der Armee" sowie die verbindlichen Komplimente einiger französischer Offiziere gegenüber. Er äußerte kein Wort über das gänzliche Fehlen aller Transportmittel in der Armee, die weder über Maultiere noch Pferde verfügt zur Beförderung des Gepäcks und des Wassers sowie der sonstigen Erfordernisse einer Armee, die von Varna und Devna nach der Donau marschiert. Er äußerte sich mit keinem Wort darüber, daß der Armee die Mittel fehlten, sich zu verproviantieren. Er bestritt nicht die Tatsache, daß ein Kommissariat erst ernannt worden war, nachdem bereits mehrere Divisionen ausgesandt und die Flotten in Konstantinopel waren. Er wagte der Behauptung nicht zu widersprechen, daß Lord Raglan selbst gesagt habe, seine Truppen seien wegen der Unzulänglichkeit des Kommissariats fast zwei Monate an einer <369> Stelle stationiert gewesen, ohne vorrücken zu können, obwohl sie sich beinahe in Hörweite eines Kanonenschusses vom halbverhungerten Feind befanden.

Auf ähnliche Art tat der findige Schwager des Fürsten Woronzow die Klagen wegen der Artillerie ab. Langatmig beantwortete er einen Vorwurf, den niemand anders als er selbst vorgebracht hatte, daß nämlich die Armee in der Türkei nur Sechspfünder bei sich habe; dafür überging er mit hartnäckigem Stillschweigen die Tatsache, daß die Armee keine Belagerungsgeschütze mit sich führte, daß die Infanterie fast ohne Unterstützung durch die Kavallerie war, die wirksamste Waffengattung für Operationen in den Ebenen der Walachei, und daß die 40.000 Mann in Varna keine 40 Geschütze hatten, um sie den Russen entgegenzustellen, bei denen jedes Korps von 40.000 Mann über 120 Geschütze verfügt.

Auf die Angriffe gegen die Nachlässigkeit der Regierung bei der Versorgung der Armee mit den nötigen Hilfsmitteln antwortete der Schwager Woronzows mit einer entrüsteten Verteidigung der militärischen Befehlshaber, die durchaus nicht zu tadeln seien.

Zu den verhängnisvollen Unglücksfällen und dem britischen Monopol auf verhängnisvolle Unglücksfälle, wie sie der französischen Expedition niemals zustießen, erklärte der ehrenwerte Herr Herbert, erstens sei es wahr, daß ein Schiff, das einen Teil des 6. Dragonerregiments an Bord hatte, durch Feuer vernichtet wurde, daß aber der Kommandant, "ein edler alter Mann, dem schrecklichsten Tod ins Auge sah, den der Mensch erleiden kann, und sich weigerte, auf Anraten seiner Leute das Schiff zu verlassen, bis es, ach, zu spät war und er auf seinem Posten starb". Die einfältigen Mitglieder des Unterhauses bejubelten diese alberne Antwort. Was den Verlust des "Tiger" betreffe, so gehöre er zu dem Kapitel Unglücksfälle. "Und der traurige Vorfall in der Ostsee - nun, der beweise nur die Tollkühnheit unserer Seeleute."

Der kleinköpfige Herr ging dann zur Beantwortung der Frage über, "ob unsere Flotten und Armeen irgendwelche praktischen Ergebnisse erzielt hätten", und er prahlte mit "der völligen, erfolgreichen und unwiderstehlichen Blockade der russischen Häfen". Diese Blockade war so erfolgreich, daß z.B. acht russische Kriegsdampfer Odessa von Sewastopol aus erreichten, ungeachtet aller Bombardierungen, Gefechte und Hindernisse. Sie war so erfolgreich, daß der Ostseehandel von Rußland in solchem Umfang weitergeführt wird, daß russische Waren in London zu einem Preise verkauft werden, der kaum höher als der Vorkriegspreis ist; daß der Handel in Odessa genauso wie im Vorjahr betrieben wird, und daß sogar die nur nominelle <370> Blockade des Schwarzen und des Weißen Meeres den Engländern erst vor wenigen Tagen durch Bonaparte aufgezwungen werden mußte.

Aber, so erklärt der edle junge Mann namens Herbert, die englische Regierung hat noch mehr getan. Hat sie nicht Rußland die Möglichkeit genommen, den Nachschub auf dem Schwarzen Meer zu transportieren und es von jedem Zugang zum Meer abgeschnitten? Er vergaß, daß sie den Russen vier Monate lang die Herrschaft über die Donau überließ; daß sie ihnen gestattete, mit nur 15.000 Mann die europäischen Kornkammern der Moldau und Walachei in Besitz zu nehmen, daß sie Rußland fast vor ihren Augen die reichen Herden der Dobrudscha überließ und daß sie die türkische Flotte hinderte, das russische Geschwader bei Sinope zu vernichten.

Zu den militärischen Erfolgen der Türken hätten die Engländer reichlich beigetragen, denn indem sie deren Reserve bildeten, ermöglichten sie ihnen, jeden Mann und jedes Geschütz gegen die eindringende Armee einzusetzen. Muß ich Ihren Lesern wiederholen, daß, solange die Russen nicht vermochten, eine überlegene Streitmacht in den Fürstentümern zu konzentrieren, die britische Regierung Omer Pascha verbot, sein eigenes zahlenmäßiges Übergewicht und die Früchte seiner ersten Siege auszunutzen?

Was haben die englischen Truppen sonst noch geleistet?

"Wieviel Pfund Sterling hat Rußland zur Errichtung einer Linie von Forts entlang der tscherkessischen Küste ausgegeben? In einem kurzen Feldzug waren all diese befestigten Plätze, die die Kette bildeten, mit der die Tscherkessen gebunden waren, mit einer Ausnahme in unsere Hände oder in die Hände unserer Alliierten gefallen."

Woronzow! Woronzow! Hast du vergessen, als man dir zu Beginn der Session riet, diese Forts zu nehmen, daß du dich weigertest und dadurch den Russen ermöglichtest, ihre Garnisonen nach Sewastopol zurückzuziehen? Du hast bloß jene Forts genommen, die die Russen vorzogen aufzugeben, und die einzige "Ausnahme", die von dir weder zerstört noch genommen, noch angegriffen wurde, ist das einzige Fort, das wert war, genommen zu werden, das einzige, das die Russen für wert hielten, zu halten, und das einzige, das eine Verbindung mit den Tscherkessen ermöglicht - Anapa.

Den Gipfel seines abgeschmackten Geredes erreichte Herr Herbert jedoch, als er behauptete, England hätte einen Anteil an der glorreichen Verteidigung von Silistria - die es weder selbst unterstützt noch Omer Pascha erlaubt hatte, zu unterstützen - wegen eines toten jungen Mannes, eines Hauptmanns, namens Butler. Leutnant Nasmyth, der noch lebt, wird natürlich nicht erwähnt. Hauptmann Butler, muß ich erwähnen, ging nach Silistria erst, nachdem die Regierung es abgelehnt hatte, ihn hinzuschicken, um <371> so mehr Ursache hat Marschall Herbert, seinem Verhalten Anerkennung zu zollen. Was Leutnant Nasmyth betrifft, so gehört er zu jener Sorte von Leuten, die binnen kurzem aus dem britischen Lager ausgeschlossen werden sollen. Er ging daher als Zeitungskorrespondent nach Silistria.

Als Lord Dudley Stuart die Regierung angriff, weil sie keine Dampfer angeschafft habe, die nur drei Fuß Tiefgang hätten und mit ein oder zwei schweren Geschützen bestückt seien, ersuchte Admiral Berkeley, der nach General Herbert sprach, den edlen Lord, "den Schiffsbauinspektor lehren zu wollen, wie man solche Schiffe baue". Das war die Antwort des tapferen Whig-Admirals auf die Frage, wie die Admiralität eine Ostseeflotte ausrüsten könne, ohne eine große Anzahl Kanonenboote zu beschaffen. Der wackere Berkeley und sein wissenschaftlicher Schiffsbauinspektor täten besser daran, sich wegen Instruktionen an die schwedische und russische Admiralität zu wenden als an den armen und gefoppten Dudley Stuart.

Halten wir uns nicht länger bei der Verteidigung der britischen Kriegführung durch den eleganten Herbert und den tapferen Berkeley auf, und kommen wir nun zu den indiskreten Eröffnungen des gleichen Berkeley. Gestern abend ließ der kleine Johnny die Seifenblase von Sewastopol platzen; heute war es Berkeley, der die Seifenblase von Kronstadt zum Platzen brachte. Da die Österreicher die Sache in den Fürstentümern allein ausfechten werden, so bleibt "den gewaltigsten Armeen und Flotten mit ihren Schraubendampfern, Paixhans und anderen riesigen Zerstörungskräften, die nur je ein Land ausgerüstet und ausgeschickt hat", kein Betätigungsfeld. Aus einem Brief des tapferen Kommandanten der Ostseeflotte <Admiral Charles Napier> zitierte der tapfere Berkeley folgendes:

"Es stand nicht in meiner Macht, mit dieser gewaltigen Flotte etwas anzufangen; denn jeder Angriff auf Kronstadt oder Sweaborg hätte sicheren Untergang bedeutet."

Doch damit nicht genug. Der kühne Berkeley, frohlockend darüber, was die mächtigste Flotte nicht leisten konnte, schwatzte munter weiter:

"Admiral Chads, ein Mann mit dem größten Wissen seiner Zeit, schrieb ebenfalls: 'Nach zweitägiger Inspektion vom Leuchtturm aus und vollkommener Rekognoszierung der Forts und Schiffe, erweisen sich die ersteren als zu massiv für die Schiffsgeschütze. Sie stellen große Massen von Granit dar. Ein Angriff auf die Schiffe an ihrem jetzigen Standort kommt nicht in Frage.'"

Hinsichtlich Napier schloß der wackere Berkeley mit den Worten:

"Es gab niemals einen britischen Offizier, mit vollständigerer Carte blanche <unbeschränkter Vollmacht>, nach eigenem Gutdünken zu handeln. Weit davon entfernt, ihm die Hände zu binden, <372> ermutigte ihn im Gegenteil die Regierung in jeder Hinsicht vorwärtszugehen" - von Bomarsund nach Kronstadt und von Kronstadt nach Bomarsund.

Als Herr Hildyard, ein Tory, bemerkte, "er habe noch nie in seinem Leben solche Indiskretionen gehört", Berkeley habe als offensichtlicher Agent Rußlands gesprochen, und all die Rodomontaden über Kronstadt hätten dennoch seine stillschweigende Zustimmung gefunden, nahm der wackere Berkeley seine Indiskretionen so weit zurück, daß er erklärte, Napier hätte nur von seiner jetzigen Position gesprochen, in der er bloß über Schiffe verfüge und sich auf keine Landmacht stützen könne. Daß man in der Ostsee ohne Landtruppen und ohne eine Allianz mit Schweden nichts ausrichten könnte, habe ich Ihnen die ganze Zeit über wiederholt, seit Napier die englische Küste verließ, und meine Meinung wurde von allen Militärwissenschaftlern geteilt.

Ich komme nun zum letzten Punkt dieser denkwürdigen Debatte, zu den hochmütigen Erklärungen Lord John Russells. Nachdem er seine Anweisung auf drei Millionen Pfund erhalten hatte, wurde er ebenso unverschämt, wie er zwanzig Stunden früher kleinlaut war, als er sich unter den Sarkasmen Disraelis wand. "Er halte es keinesfalls für notwendig, seine gestrigen Erklärungen näher zu erläutern." Was die "peinlichen Unterschiede anlange", die einige Parteien zwischen Aberdeen und seinen Kollegen zu schaffen versuchten, so wolle er nur sagen, daß

"hinsichtlich der allgemeinen Kriegsmaßnahmen diese Schritt für Schritt von jenen Ratgebern Ihrer Majestät, die man gewöhnlich das Kabinett nennt, beschlossen wurden, und für die getroffenen Entscheidungen seien alle Kollegen von Lord Aberdeen dem Parlament und dem Land gegenüber ebenso verantwortlich wie dieser edle Lord".

Er wagte tatsächlich - allerdings ohne jegliche Gefahr - dem Haus zu sagen:

"Wenn wir die geeigneten Minister der Krone sind, liegt es in unserem Ermessen, das Parlament einzuberufen oder nicht; bestreitet man uns diese Entscheidung. so sind wir andrerseits nicht länger geeignet, Minister der Krone zu sein."

Nachdem ich diesen Sitzungen des englischen Parlaments am Montag und Dienstag beigewohnt, gestehe ich ein, daß es von mir ein Irrtum war, 1848 in der "Neuen Rheinischen Zeitung" die Berliner und Frankfurter Versammlung als den Tiefstand parlamentarischen Lebens gebrandmarkt zu haben.

Es wird Ihre Leser amüsieren, wenn sie den Deklarationen von Woronzows britischem Schwager, den faden Prahlereien eines Russell und den <373> hochtrabenden Leitartikeln der "Times" folgende Auszüge aus den letzten Briefen des "Times"-Korrespondenten im britischen Lager bei Varna vom 13. Juli gegenübergestellt sehen:

"Gestern Abend herrschte die allgemeine Überzeugung, daß der Friede bald erklärt würde, weil berichtet worden war, ein österreichischer Gesandter habe mit General Brown diniert; dieser österreichische Gesandte befand sich auf dem Weg von Schumla, wo er lange Unterredungen mit Omer Pascha geführt habe, nach Varna, wo er Beratungen mit Lord Raglan und Marschall Saint-Arnaud führen sollte. Es wurde berichtet, der Herzog von Cambridge habe gesagt, die Kavallerie würde gegen November und die Infanterie gegen Mai zu Hause sein. Freilich kann nicht bestätigt werden, daß wir uns im Kriege befinden, noch daß die alliierten Armeen die Stellung einer kriegführenden Partei bezogen, noch seit ihrer Landung in der Türkei Kriegshandlungen aufzuweisen haben. Unsere Paraden, Revuen, Exerzierübungen und Inspektionen sind so harmlos, so unschuldig, als wenn sie in Satory oder in Chobham stattfänden, und unsere ganzen Landoperationen sind beschränkt worden: erstens, auf eine Rekognoszierungsexkursion von Lord Cardigan; zweitens, auf die Entsendung einiger Genieoffiziere und Sappeure nach Silistria und Rustschuk; drittens, auf den Marsch einiger weniger französischer Pontoniere in gleicher Richtung, und viertens, auf die Entsendung einer weiteren Kompanie Sappeure und 150 Matrosen nach Rustschuk, um eine Brücke vom Ufer zu den Inseln und von dort hinüber auf die andere Seite zu schlagen."

Es gibt keine Bastille in England, doch es sind Irrenhäuser vorhanden, in welche eine jede dem Hof unbeliebte oder der Regelung bestimmter Familienangelegenheiten im Wege stehende Person ganz einfach durch einen lettre de cachet <geheimen Haftbefehl> gesperrt werden kann. In der Mittwochdebatte wurde dies im Falle von Dr. Peithmann ausreichend bewiesen von Herrn Otway, der von Herrn Henley unterstützt wurde. Es bedurfte nur einiger Worte von Lord Palmerston, dem civis Romanus und bekannten Advokaten der "Rechte und Privilegien des britischen Untertanen" - und die Angelegenheit wurde fallengelassen. Palmerston behauptete nicht einmal, Peithmann sei wirklich wahnsinnig, sondern nur, "er scheine sich einzubilden, irgendeine Forderung an die Regierung zu haben", und beabsichtige, diese Forderung auf eine sehr lästige Weise der Königin vorzutragen oder vielmehr jener anonymen Persönlichkeit namens Prinz Albert. Die Coburger sind überall; gerade in diesem Augenblick beabsichtigen sie, sich Spaniens zu bemächtigen.

"Es ist", sagt der ministerielle "Globe", "eine Frage der Rechte des Doktors und Rechte der Königin, und wir glauben, daß es niemand innerhalb oder außerhalb des Parlaments gibt, der zögern kann, diese Rechte abzuwägen."

<374> Kein Wunder also, daß Thomas Paines "Rights of Man" in diesem freien und gesegneten Lande öffentlich verbrannt wurden.

Noch eine kleine parlamentarische Komödie spielte sich an jenem Mittwochabend ab. In der Sitzung vom vergangenen Freitag hatte Herr Butt die Resolution eingebracht, britischen Untertanen sollte unter gewissen Strafen verboten werden, mit russischen Staatspapieren zu handeln, diese Bill bezog sich nur auf Anleihen der russischen Regierung während des jetzigen Krieges. Die britische Regierung hatte die Bill nicht eingebracht, durfte aber kaum wagen, dagegen aufzutreten, da Bonaparte im "Moniteur" bereits fälschlicherweise mitgeteilt hatte, die britische Regierung halte gleich ihm Subskriptionen der russischen Anleihe für ungesetzlich. Palmerston unterstützte daher den Antrag Butts, fand jedoch einen recht unliebenswürdigen Widerstand bei Herrn Wilson, dem klugen Herausgeber des "Economist" und Sekretär des Schatzamtes. Derselbe Palmerston, der am Montag das Koalitionskabinett verteidigt hatte, der sich am Dienstag des Redens enthielt und dadurch den Erfolg der Koalition sicherte, konnte sich doch am Mittwoch die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sich erneut als die "verfolgte Unschuld" des Kabinetts aufzuspielen. Er sprach ganz im Tone und mit den Gebärden einer männlichen Sibylle, als wäre er übermannt von dem spontanen Ausbruch seiner patriotischen Gefühle, die er, der Ärmste, an den zwei vorhergehenden Abenden hatte unterdrücken müssen, gefesselt wie er war durch den eisernen Zwang einer offiziellen Stellung. Er löste unvermeidlichen Jubel unter den ehrenwerten und betörten Zuhörern aus, als er erklärte:

"Die Bill bestätige nur den Grundsatz, daß britische Untertanen Rußland nicht die Mittel zur Verfügung stellen dürften, den Krieg fortzusetzen. Die vom Sekretär des Schatzamtes vorgebrachten Argumente sollten beweisen, daß wir unsere Gesetze über Hochverrat abschaffen müßten. Diese Argumente seien reiner Unsinn."

Man beachte, daß des derselbe Mann ist, der 24 Jahre lang England die russisch-niederländische Anleihe auferlegte und in diesem Augenblick das einflußreichste Mitglied eines Kabinetts ist, das immer noch Kapital und Zinsen dieser Anleihe zahlt und dadurch Rußland "Mittel zur Fortsetzung des Krieges" gibt.

Karl Marx