Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 10, S. 414-420
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Karl Marx

[Die Revolution in Spanien -
Bomarsund]

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4174 vom 4. September 1854]

<414> London, Freitag, 18. August 1854.

Die "Leitartikel" der "Assemblée nationale", der "Times" und des "Journal des Débats" beweisen, daß weder die reine Russenpartei noch die Russo-Coburg-Partei, noch die Verfassungspartei von dem Verlauf der spanischen Revolution befriedigt ist. Hiernach hat es den Anschein, daß es für Spanien eine Chance gibt, ungeachtet der Widersprüchlichkeit der Erscheinungen.

Am 8. d.M. sprach eine Abordnung des Unionsklubs bei Espartero vor, um eine Adresse zu überreichen, die das allgemeine Wahlrecht fordert. Zahlreiche Petitionen mit der gleichen Forderung folgten aufeinander. Infolgedessen kam es im Ministerrat zu einer langen, erregten Debatte. Aber sowohl die Anhänger des allgemeinen Wahlrechts als auch die Anhänger des Wahlgesetzes von 1846 sind geschlagen worden. Die Madrider "Gaceta" veröffentlicht ein Dekret für die Einberufung der Cortes am 8. November, dem ein Exposé an die Königin vorangestellt ist. Den Wahlen wird mit kleinen Änderungen das Gesetz von 1837 zugrunde liegen. Die Cortes sollen eine einzige konstituierende Versammlung sein, da die legislativen Funktionen des Senats aufgehoben werden. Zwei Paragraphen des Gesetzes von 1846 sind geblieben, nämlich die, welche den Modus zur Bildung der Wahl-mesas (Ausschüsse, die die Wählerstimmen erhalten und die Wahlberichte veröffentlichen) und die Anzahl der Deputierten betreffen; wobei für jeweils 35.000 Seelen ein Deputierter gewählt wird. Die Versammlung wird sich somit aus 420 bis 430 Mitgliedern zusammensetzen. Nach einem von Santa Cruz, dem Minister des Innern, herausgegebenen Rundschreiben müssen die Wähler bis zum 6. September registriert sein. Nach der Beglaubigung der <415> Listen durch die Provinzdeputierten werden die Wahllisten am 12. September geschlossen. Die Wahlen werden am 3. Oktober in den Hauptorten der Wahlbezirke stattfinden. Die Stimmenzählung wird am 16. Oktober in der Hauptstadt einer jeden Provinz vorgenommen werden. Im Falle widersprüchlicher Wahlen muß das dadurch bedingte neue Verfahren mit dem 30. Oktober beendet sein. Das Exposé stellt ausdrücklich fest, daß

"die Cortes von 1854, wie jene von 1837, die Monarchie retten werden. Sie werden ein neues Band zwischen dem Thron und der Nation sein, welche nicht in Frage gestellt und diskutiert werden können."

Mit anderen Worten, die Regierung verbietet die Diskussion der dynastischen Frage. Die "Times" folgert hieraus das Gegenteil, in der Annahme, daß es jetzt um die Frage geht: entweder die jetzige Dynastie oder überhaupt keine Dynastie - eine Eventualität, die, wie man kaum erwähnen muß, für die Kalkulationen der "Times" unendlich verdrießlich und enttäuschend ist.

Das Wahlgesetz von 1837 beschränkt das Wahlrecht, indem es hierfür einen eigenen Haushalt, die Zahlung der mayores cuotas (die durch den Staat erhobenen Schiffsgebühren) und ein Alter von 25 Jahren zur Bedingung stellt. Weiterhin sind zur Wahl berechtigt die Mitglieder der Spanischen Akademie der Geschichte und der edlen Künste, Doktoren, Lizentiaten an den Fakultäten der Theologie, der Rechte und der Medizin; Mitglieder der geistlichen Kapitel, Parochialkuraten und deren Hilfsgeistlichkeit; Richter und Advokaten mit zwei Jahren Praxis; Offiziere von bestimmtem Rang, gleich, ob im aktiven Dienst oder auf der Pensionsliste stehend; Ärzte, Chirurgen, Apotheker mit zwei Jahren Praxis; Architekten, Maler und Bildhauer, die zu Mitgliedern der Akademie erhoben wurden; Professoren und Lehrer aller Bildungsinstitute, die durch öffentliche Fonds unterhalten werden. Durch dasselbe Gesetz werden von der Wahl ausgeschlossen: säumige Zahler der staatlichen oder örtlichen Steuern, Bankrotteure, Personen, die sich wegen moralischer oder bürgerlicher Unfähigkeit unter gerichtlicher Aufsicht befinden, schließlich alle Personen, gegen die ein Prozeß schwebt.

Zwar verkündet dieses Dekret nicht das allgemeine Wahlrecht und entzieht die dynastische Frage dem Forum der Cortes; dennoch ist es zweifelhaft, ob selbst diese Versammlung ausreichen wird. Wenn die spanischen Cortes 1812 davon absahen, sich mit der Krone zu befassen, so deshalb, weil die Krone nur nominell vertreten war - der König hielt sich seit Jahren nicht auf spanischem Boden auf. Wenn sie 1837 davon absahen, so deshalb, weil sie mit der absoluten Monarchie ins reine kommen mußten, bevor sie daran denken konnten, mit der konstitutionellen Monarchie zu einer Regelung zu <416> kommen. In bezug auf die allgemeine Lage hat die "Times" wahrlich guten Grund, das Fehlen von französischer Zentralisation in Spanien zu bedauern, so daß folglich sogar ein Sieg über die Revolution in der Hauptstadt nichts entscheidet hinsichtlich der Provinzen, solange dort jener Zustand der "Anarchie" besteht, ohne den keine Revolution erfolgreich sein kann.

Natürlich gibt es in den spanischen Revolutionen Momente, die speziell für sie charakteristisch sind. Zum Beispiel die Verbindung von Räuberei und revolutionären Taten - eine Verbindung, welche sich in den Guerillakriegen gegen die französischen Invasionen entwickelte und die von den "Royalisten" 1823 und von den Karlisten seit 1835 fortgesetzt wurde. Die Nachricht, daß sich in Tortosa, in Niederkatalonien, größere Ausschreitungen abgespielt haben, wird daher keine Überraschung auslösen. Die Junta Popular <Volksjunta> jener Stadt sagt in ihrer Proklamation vom 31. Juli:

"Eine Bande elender Meuchelmörder bemächtigte sich unter dem Vorwande der Abschaffung der indirekten Steuern der Stadt und trat alle Gesetze der Gesellschaft mit Füßen. Plünderung, Mord und Brandstiftung kennzeichneten ihren Weg."

Die Ordnung wurde jedoch von der Junta bald wiederhergestellt - die Bürger bewaffneten sich und kamen der schwachen Garnison der Stadt zu Hilfe. Eine Militärkommission, die mit der Verfolgung und Aburteilung der Urheber der Ereignisse vom 30. Juli beauftragt ist, hat ihre Tätigkeit aufgenommen. Natürlich hat dies den reaktionären Journalen Anlaß zu entrüsteten Deklamationen gegeben. Wie wenig diese in diesem Zusammenhang berechtigt sind, mag aus der Bemerkung des "Messager de Bayonne" entnommen werden, daß die Karlisten ihr Banner in den Provinzen Katalonien, Aragonien und Valencia errichtet haben und in denselben angrenzenden Bergen, wo sie ihren Hauptschlupfwinkel in den alten Karlistenkriegen hatten. Es waren die Karlisten, von denen die ladrones facciosos herrührten, jene Verbindung von Räuberei und angeblicher Treue gegenüber einer unterdrückten Partei im Staate. Seit den Zeiten des Viriathus hat der spanische Guerilla immer etwas von einem Räuber an sich gehabt; aber es ist eine neue karlistische Erfindung, daß ein gewöhnlicher Räuber sich den Namen Guerilla zulegt. Die Männer der Tortosa-Affäre gehören sicherlich zu dieser Sorte.

In Lérida, Saragossa und Barcelona ist die Lage ernst. Die beiden erstgenannten Städte haben es abgelehnt, mit Barcelona gemeinsame Sache zu machen, weil dort das Militär die Oberhand hat. Bis jetzt sieht es so aus, als <417> ob dort sogar Concha nicht in der Lage ist, mit dem Sturm fertig zu werden; General Dulce wird an seine Stelle treten, da man erwartet, daß die jüngst erworbene Popularität dieses Generals größere Garantien für eine Beilegung der Schwierigkeiten bietet.

Die geheimen Gesellschaften haben ihre Tätigkeit in Madrid wieder aufgenommen und beherrschen die demokratische Partei genauso wie 1823. Die erste Forderung, die zu stellen sie dem Volk dringend angeraten haben, ist die, daß alle Minister seit 1843 ihre Konten offenlegen sollen.

Das Ministerium kauft die Waffen zurück, welche sich das Volk am Tage der Barrikaden eroberte. Auf diese Weise ist es in den Besitz von 2.500 Musketen gelangt, die bisher in den Händen von Aufständischen waren. Don Manuel Sagasti, der Ayacucho Jefe Politico von Madrid im Jahre 1843, ist in sein Amt wieder eingesetzt worden. In zwei Proklamationen - eine an die Bevölkerung und eine an die Nationalmiliz - tut er seine Absicht kund, jede Ausschreitung energisch zu unterdrücken. Die Entfernung der Kreaturen Sartorius' aus den verschiedenen Ämtern schreitet rapide voran. Dies ist das einzige, was in Spanien schnell durchgeführt wird. Alle Parteien zeigen sich in dieser Hinsicht gleich flink.

Salamanca ist nicht, wie behauptet wurde, eingesperrt worden. Er wurde in Aranjuez verhaftet jedoch bald freigelassen und hält sich jetzt in Malaga auf.

Die Kontrolle des Ministeriums durch öffentlichen Druck beweist die Tatsache, daß die Minister des Krieges, des Innern und für öffentliche Arbeiten eine Reihe von Absetzungen und Vereinfachungen in ihren verschiedenen Abteilungen durchgeführt haben - ein Ereignis, das in der spanischen Geschichte bisher unbekannt war.

Die Unionisten- oder Coburg-Braganza-Partei ist jämmerlich schwach. Würde sie sonst einen derartigen Lärm über eine einzige von Portugal an die Nationalgarde in Madrid gesandte Adresse schlagen? Schauten wir sie uns näher an, dann würden wir sogar entdecken, daß die Adresse (die vom Lissaboner "Journal de Progrés" ausgeht) nicht im geringsten dynastischer Natur ist, sondern einfach von der brüderlichen Art, wie sie aus den Bewegungen von 1848 wohlbekannt ist.

Die Hauptursache der spanischen Revolution war der Zustand der Finanzen und besonders das Dekret von Sartorius, das die Zahlung von Steuern für sechs Monate im voraus anordnete. Als die Revolution ausbrach, waren alle Staatskassen leer, obwohl für keinen Zweig des öffentlichen Dienstes Zahlungen geleistet worden waren; auch waren mehrere Monate hindurch <418> die für bestimmte Dienste vorgesehenen Summen nicht hierfür verwandt worden. So wurden z.B. die eingenommenen Chausseegelder niemals dazu benutzt, die Chausseen in gutem Zustand zu erhalten. Die für öffentliche Arbeiten vorgesehenen Gelder erlebten das gleiche Schicksal. Als die Kasse für öffentliche Arbeiten einer Revision unterzogen wurde, fand man an Stelle von Quittungen über durchgeführte Arbeiten Quittungen von Günstlingen des Hofes vor. Es ist bekannt, daß die Finanzverwaltung seit langem das profitabelste Geschäft in Madrid gewesen ist. Das spanische Budget für 1853 sah folgendermaßen aus:

Zivilliste und Apanagen

47.350.000 Realen

Gesetzgebung

1.331.685 Realen

Zinsen der Staatsschuld

213.271.423 Realen

Konseilpräsident

1.687.860 Realen

Ministerium des Auswärtigen

3.919.083 Realen

Justiz

39.001.233 Realen

Krieg

278.646.284 Realen

Marine

85.165.000 Realen

Inneres

43.957.940 Realen

Polizei

72.000.000 Realen

Finanzen

142.279.000 Realen

Pensionen

143.400.586 Realen

Kultus

119.050.508 Realen

Sonderausgaben

     18.387.788 Realen

Insgesamt

1.209.448.390 Realen

Ungeachtet dieses Budgets ist Spanien das niedrigstbesteuerte Land Europas, und die ökonomische Frage ist nirgendwo so einfach wie dort. Die Reduzierung und Vereinfachung der bürokratischen Maschinerie in Spanien stößt um so weniger auf Schwierigkeiten, da die Gemeinden ihre Angelegenheiten traditionsgemäß selbst erledigen; so verhält es sich mit der Zollreform und der gewissenhaften Ausnutzung der noch nicht veräußerten bienes nacionales <Nationalgüter>. Die soziale Frage im modernen Sinne des Wortes hat keine Grundlage in einem Lande mit so unentwickelten Ressourcen und mit einer so spärlichen Bevölkerung wie in Spanien - nur 15.000.000.

Sie werden in der englischen Presse über die ersten Heldentaten der britischen Armee bei Bomarsund lesen. Diese armseligen Blätter, die noch <419> nie über etwas wirklich Hervorragendes zu berichten hatten, sind voll Enthusiasmus über die Erfolge von 10.000 Franzosen über 2.000 Russen. Ich will mich nicht bei diesen Siegesjubeln aufhalten und lieber die Folgen betrachten, die diese Einnahme einer Insel haben wird, die ein faubourg <eine Vorstadt> von Stockholm und nicht von St. Petersburg ist. Der französische "Siècle" hatte angekündigt, und viele Blätter hatten es ihm nachgedruckt, daß Schweden sich unverzüglich den Aktionen der Westmächte gegen Rußland anschließen werde. Die Wahrscheinlichkeit dieser Ankündigung mag an der Tatsache ermessen werden, daß Schweden gerade zu der Zeit einen Vertrag über bewaffnete Neutralität abschloß, wo es mit Erfolg gegen die Sümpfe und Wälder Finnlands hätte operieren können. Wird es jetzt, wo die Zeit für solche Operationen vorüber ist, seine Politik ändern? England und Frankreich haben König Oskar die verlangten pekuniären und territorialen Garantien für seinen Beitritt verweigert. Wie wäre ferner die Order der schwedischen Regierung zur Demobilisierung eines ganzen Geschwaders zu erklären, wenn man annimmt, daß Schweden wirklich im Begriff steht, ins Feld zu rücken? Diese Demobilisierung erstreckt sich auf die Linienschiffe "Karl XII." und "Prinz Oskar", die Fregatte "Désirée" und die Korvetten "Gefle" und "Thor".

Die Eroberung Bomarsunds kann jetzt, wo die Gewässer in diesen Breitengraden sich bald mit Eis bedecken werden, keine Bedeutung haben. In Hamburg herrscht die Ansicht, ihr müsse die Einnahme Rigas folgen. Diese Ansicht stützt sich auf ein Schreiben Kapitän Heathcotes, des Kommandanten der "Archer", an den englischen Konsul in Memel, Herrn Hertolet, nach dem alle fremden Schiffe den Rigaer Hafen bis zum 10. verlassen haben müssen.

Preußen soll den Schmuggel von Kriegskonterbande an seinen russischen Grenzen sehr unterstützen und gleichzeitig einen Bruch mit den Westmächten vorbereiten. Die Kommandanten der Häfen von Königsberg, Danzig, Kolberg und Swinemünde haben Befehl erhalten, diese Festungen zu armieren.

Die einflußreichsten Blätter Norwegens und Schwedens erklären:

"Es wäre mehr als Wahnsinn, sich mit den Alliierten zu vereinigen und ungeheure Opfer zu bringen, wenn es nicht von vornherein zweifellos und unzweideutig feststünde, daß Rußland zerschlagen und Polen wiederhergestellt wird. Geschähe dies nicht, so wäre selbst die Übergabe Finnlands an Schweden nur Blendwerk und eine Falle."

<420> Man muß sich hierbei vor Augen halten, daß alle diese nördlichen Regierungen mit ihren eigenen Völkern in Konflikt sind. In Kopenhagen steht es beispielsweise so, daß die Schleswig-Holsteiner beschlossen haben, sich aller Wahlen zum Reichsrat <"Reichsrat" in der "N.-Y. D. T." deutsch> zu enthalten, während gleichzeitig die Wähler von Kopenhagen dem Abgeordneten des Landthing Dr. Madvig eine Adresse gesandt haben, in der sie ihn auffordern, kein Mandat für den Reichsrat anzunehmen, denn das Dekret des Königs sei eine Verletzung der dänischen Verfassung und der Rechte des dänischen Volkes.

Karl Marx