Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 11, S. 213-216
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Friedrich Engels

Der Feldzug in der Krim


["Neue Oder-Zeitung" Nr. 221 vom 14. Mai 1855]

<213> London, 11. Mai. Die Ungeduld der französischen Armee hat Canrobert gezwungen, den Operationsplan der Alliierten auszuplaudern. Die 25.000 Mann der Reservearmee sollen nach der Krim übergesetzt werden; 30.000-40.000 Mann mehr - Franzosen und Piemontesen - sollen folgen. Sobald die Reservearmee angelangt ist, werden die Franzosen ins Feld rücken, die Tschornaja überschreiten, die Russen angreifen, wo immer sie ihnen begegnen, eine Verbindung mit Omer Paschas Truppen irgendwo in der Nähe der Alma und Katscha zu bewirken suchen und dann nach Umständen handeln. Unterdessen sollen die Dampfer der Flotten Kaffa und Kertsch angreifen und, wenn es ihnen gelingt, sich ihrer zu bemächtigen, diese Plätze halten als mögliche Pivots oder Stützpunkte für die aktive Armee im Felde. Das ist in der Tat der einzig mögliche Plan für die Alliierten, den Krimfeldzug zu einem erfolgreichen Schlusse zu bringen. Aber solche Aktion im freien Felde erfordert bedeutendes Übergewicht der Streitkräfte auf seiten der Alliierten. Ohne dasselbe können sie keinen entscheidenden Vorteil über die russische Observationsarmee davonzutragen erwarten. Wie verhält es sich denn mit der Bilanz der Streitkräfte in diesem Augenblick?

Die Franzosen haben in der Krim 9 Divisionen Infanterie und 1 Brigade Kavallerie (Chasseurs d'Afrique <für den Dienst in Algerien bestimmte leichte Reiterei>). Zu 7.000 Mann per Division gibt dies eine Infanterie von 63.000 Mann, nebst 1.500 Kavallerie. Die Engländer haben 5 Divisionen Infanterie zu höchstens 6.000 Mann jede und 1 Division Kavallerie von 2.000 Mann. Außerdem befindet sich dort eine Division türkischer <214> Infanterie zu etwa 6.000 Mann. Man füge hinzu die französische Reservearmee, von der nicht mehr als 20.000 Bajonette, eingeschlossen die am 3. Mai gelandeten 4.000 Piemontesen, nach der Krim gebracht werden können zu der von Canrobert für Eröffnung des Feldzugs festgesetzten Zeit. Die Gesamtkräfte der Alliierten vor Sewastopol ergeben dann folgendes Resultat:

Französische

Infanterie

83.000,

Kavallerie

1.500

Englische

dgl.

30.000,

dgl.

2.000

Türkische

dgl.

6.000

Gesamtzahl:

Infanterie

119.000,

Kavallerie

3.500

Die Komposition der französischen Reservearmee zu Konstantinopel ist wenig bekannt. Wir wissen daher nicht, ob irgendwelche neue Kavallerie in diesem Augenblick nach der Krim gebracht werden kann. Höchstens wird der Zuwachs von Kavallerie, mit dem sie den Feldzug eröffnen können, 2.000 Mann betragen, so daß ihre Gesamtkavallerie auf 5.500 stiege. Um die Belagerung fortzuführen, sind mindestens ebensoviel Truppen notwendig, als jetzt mit dieser Aufgabe beschäftigt sind, nämlich 46.000 Mann (4 französische Divisionen zu 7.000 Mann jede und drei englische zu 6.000). Hierzu kommen die Matrosen, die Truppen, die mit der Bewachung von Balaklawa, der Linie von Befestigungen bis Inkerman betraut sind und zugleich eine Reserve für das Belagerungskorps bilden. Niedrig geschätzt, betragen sie 12.000 Mann, darunter einbegriffen die obenerwähnten 6.000 Türken. Die Matrosen und Seesoldaten zu 4.000 geschätzt, sind 54.000 Mann von der Gesamtzahl von 119.000 abzuziehen, so daß verwendbar bleiben für Feldoperationen 65.000 Mann Infanterie und 5.500 Kavallerie, zusammen etwas über 70.000 Mann. Außerdem ist in Anschlag zu bringen: Omer Paschas Korps bei Eupatoria, ungefähr 35.000 Mann Infanterie und 3.000 oder 4.000 Kavallerie. Hiervon müssen 15.000 zurückbleiben als Besatzung des Platzes, so daß Omer Pascha wahrscheinlich ins Feld rücken würde mit 20.000 Mann Infanterie, 40.00 Kavallerie, in allem 24.000.

Totalsumme daher der alliierten Streitkräfte für Feldoperationen in 2 geteilten Korps:

Infanterie

Kavallerie

Gesamtzahl

Armee vor Sewastopol

65.000

5.500

70.500

Armee vor Eupatoria

20.000

4.000

24.000

85.000

9.500

94.500

Nehmen wir den niedrigsten Anschlag, den die Russen selbst von ihren gegenwärtigen Streitkräften in der Krim geben, so erhalten wir 120.000 Mann <215> Infanterie und 20.000 Mann Kavallerie. Davon abzuziehn für die Verteidigung von Sewastopol 50.000 Mann, nämlich 26.000 für die Südseite und 24.000 für das Nordfort und das befestigte Lager. Bleiben verwendbar für das Feld 70.000 Infanterie und 20.000 Kavallerie. Es ist unmöglich, die Zahl der Feldartillerie auch nur annähernd zu bestimmen. Indes die Schwierigkeit für die Alliierten, sich Pferde zu verschaffen, und das große Verhältnis, worin Kanonen jede russische Armee begleiten, erlauben kaum einen Zweifel, daß die Russen ihren Gegnern in Artillerie überlegen sein werden. Ebenso klar ist die Überlegenheit der Russen in Kavallerie. Was die Infanterie betrifft, so sind die Alliierten vereint darin den Russen überlegen, aber jedes ihrer zwei Operationskorps für sich ist schwächer. Der größte Vorteil der Russen jedoch ist ihre Position. Postiert auf dem Dreieck zwischen der Alma, Sewastopol und Simferopol, halten sie im Norden gegen Omer Pascha die verschanzte Stellung an jenem Flusse, verteidigungsbar mit 15.000 Mann Infanterie in der Front, während eine Flankenbewegung der russischen Kavallerie die Türken von Eupatoria abzuschneiden droht. Sollte Omer Pascha daher selbst bis zur Alma vorrücken, so wird er nie fähig sein, sie zu überschreiten, bevor die Anglo-Franzosen die Russen nach Simferopol geworfen und sie so gezwungen haben, die Alma aufzugeben. In diesem Falle könnte eine Vereinigung der beiden Korps bewerkstelligt werden. Das Vorrücken der anglo-französischen Armee ist daher die Grundbedingung allen Erfolgs. Dieses Vormarschieren aber der Alliierten kann schwerlich anders stattfinden als auf dem Wege nach Mackenzies-Pacht. Der Weg hier entlang nach der Alma und Simferopol ist verteidigt durch eine doppelte Reihe von Verschanzungen, die erste auf dem die Tschornaja überhängenden Bergrücken, die zweite auf der Nordseite einer Bergschlucht, die von der Felsenkette in der Nähe von Mackenzies-Pacht bis zum Kopfe der Sewastopolbucht niederläuft. Diese zweite und Hauptlinie der Verteidigung, etwa nur zwei englische Meilen ausgedehnt, soll sehr stark verschanzt sein, und hier wird für die Alliierten die erste entscheidende Aktion zu fechten sein, eine Aktion, die entscheiden wird, ob sie auf dem Herakleatischen Chersones gefangen, gesperrt zu bleiben oder in das Innere des Landes vorzudringen haben. Vorteilhaft für die Russen ist die schmale Front, in der die Alliierten hier agieren müssen. Würden die Russen hier geschlagen und ihre Position genommen, dann bleibt ihnen nichts übrig, als sich auf den Belbek zurückzuziehen und diese Linie gegen die Alliierten zu halten, während ein detachiertes Korps an der Alma die Türken in Schach hielte. Selbst wenn hier geschlagen, würden ihre Überlegenheit an Kavallerie und die schlechten Transportmittel, die den Alliierten nicht erlauben, auf einer größeren Ent- <216> fernung von der Küste zu leben, ihnen gestatten, sich aus dem Bereiche der Alliierten zurückzuziehen. Ihre Rückzugslinie läge auf der Verlängerung ihres linken Flügels, was allerdings eine sehr unvorteilhafte Position. Wahrscheinlich indes, daß die Russen von Anfang an versuchen werden, die Alliierten an der Tschornaja zu beschäftigen, ihre Hauptkraft aber auf Omer Pascha zu werfen, um ihn mit Kavallerie zu umzingeln und zu erdrücken und dann sich mit ihrer Gesamtkraft gegen die Anglo-Franzosen zu kehren.