Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 11, S. 601-635
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961

Karl Marx

Der Fall von Kars

Geschrieben Ende März und im April 1856.
Aus dem Englischen.


I

["The People's Paper" Nr. 205 vom 5. April 1856]

<603> Der Fall von Kars ist der Wendepunkt in der Geschichte des Scheinkrieges gegen Rußland. Ohne den Fall von Kars keine fünf Punkte, keine Konferenzen, kein Vertrag von Paris, mit einem Worte, kein Scheinfrieden. Denn, wenn wir aus den Blaubüchern der Regierung selbst beweisen können - und seien sie auch noch so sorgfältig zusammengebraut, durch Auszüge verstümmelt, durch Weglassungen verunstaltet und durch Fälschungen gefärbt und geflickt -, daß das Kabinett Lord Palmerstons den Fall von Kars von Anfang an geplant und bis ans Ende systematisch durchgeführt hat, dann lüftet sich der Schleier, und das Drama des Orientkrieges mit all seinen staunenerregenden Zwischenfällen löst sich aus den Nebeln, in die es bis jetzt diplomatisch eingehüllt war.

Gegen Ende Mai 1855 berichtet General Williams Lord Redcliffe, der wiederum an Lord Clarendon berichtet, daß

"bei Gumry eine starke Streitmacht, bestehend aus 28.000 Mann Infanterie, 7.500 Mann Kavallerie und 64 Geschützen der Artillerie, zusammengezogen sei, und daß der Muschir die Nachricht erhalten habe von der Absicht des Feindes, Kars zu attackieren. In diesem befestigten Lager haben wir 13.900 Mann Infanterie, 1.500 Mann Kavallerie und 42 Feldgeschütze."

Sieben Tage später, am 3. Juni, meldet Williams an Clarendon:

"Ich habe jetzt noch für vier Monate Proviant in der Garnison Kars, und ich hoffe zuversichtlich, daß die Zentralregierung und die Alliierten diesem Überbleibsel einer Armee bald beweisen werden, daß es nicht ganz von ihnen vergessen ist."

Diese Depesche (siehe die Akten von Kars, Nr. 231) wurde am 25. Juni in der Downing Street empfangen. Die britische Regierung erfuhr also an <604> diesem Tage, daß Kars am 3. Oktober fallen mußte, wenn es keine Hilfe erhielt, darauf baute sie nun ihre weiteren Operationen auf.

Am 11. Juli erhält Lord Clarendon drei Depeschen von General Williams, datiert vom 15., 17. und 19. Juni, in denen er nacheinander meldet, es habe ein Scharmützel der Vorposten stattgefunden, am 16. Juni sei eine reguläre Attacke der Russen auf das befestigte Lager von den Türken tapfer abgewiesen worden, und schließlich, der Feind habe einen Flankenmarsch gegen das befestigte Lager gemacht und sich mit starken Kräften (30.000 Mann), eine Marschstunde weit von dem schwächsten Punkt der Position der Türken, festgesetzt. Williams schließt die letzte dieser Depeschen mit folgenden Worten:

"Unglücklicherweise haben wir keine irreguläre Kavallerie. ... Der Feind hat unsere Kommunikation mit Erzerum schon teilweise unterbrochen."

Als die gleiche Nachricht Konstantinopel erreichte, wurde Lord Redcliffe zu einer Konferenz im Hause des Großwesirs am Bosporus eingeladen. Die türkischen Minister schlugen vor, Kars Hilfe zu geben durch eine Expedition von Redut Kale über Kutais nach Georgien, die aus folgenden Kräften bestehen soll:

Kontingent Vivians

20.000

Kontingent Beatsons

3.000

aus der Garnison Batums

12.000

Albanern

2.000

aus Bulgarien

5.000

reguläre ägyptische Kavallerie

800

tunesische Kavallerie

     600

Insgesamt

43.400

Die Pforte drückte ihre Bereitwilligkeit aus, die Führung dieser Expedition einem britischen Befehlshaber anzuvertrauen und General Vivian als solchen zu akzeptieren. Dieser Vorschlag war am 11. Juli in den Händen Lord Clarendons. Am 2. Juli benachrichtigte Lord Redcliffe ihn telegraphisch:

"Vorbereitungen zu einer eventuellen Expedition sind im Gange. Es würde viel kostbare Zeit sparen, wenn ich sofort telegraphisch Nachricht bekäme, ob die Regierung bereit ist, eine großangelegte Diversion über Redut Kale und Kutais nach Georgien zu sanktionieren."

Vom 25. Juni bis 12. Juli rührte die britische Regierung, die von der Gefahr für Kars genau unterrichtet war, nicht einen Finger zu dessen Rettung; nicht <605> ein einziges Mal wurde der Telegraph in Gang gesetzt. An demselben Tag jedoch, als es galt, irgendeinen Plan der Türken zur Unterstützung von Kars zu durchkreuzen, gerät die Regierung in fieberhafte Tätigkeit. Am 13. Juli (siehe Akten von Kars, Nr. 248) richtet Clarendon an Redcliffe eine Depesche folgenden Inhalts:

"Die Regierung Ihrer Majestät ist der Ansicht, es wäre kluger, Verstärkungen in das Hinterland der türkischen Armee statt einer Expedition in das Hinterland der russischen Armee zu senden. Die Verstärkungen könnten nach Trapezunt gehen und von da nach Erzerum dirigiert werden. Die Entfernung von Trapezunt nach Erzerum ist geringer als die von Redut Kale nach Tiflis, und der Weg geht durch befreundetes und nicht durch Feindesland. In Erzerum würde die Armee hilfreichen Freunden und nicht widersetzlichen Feinden begegnen und Vorräte vorfinden statt Hunger. Kann die Armee in Kars diese Position gegen die Russen nicht halten, so sollte sie sich auf Erzerum zurückziehen, und die ganze türkische Streitmacht sollte dort konzentriert werden. Sollen die Russen geschlagen werden, so wird dies leichter durch die ganze vereinigte Streitmacht geschehen als durch einzelne ihrer Teile; und eine Niederlage würde um so entscheidender sein, je weiter sie innerhalb der türkischen Grenzen stattfände."

Am Tage nach dem Eintreffen der telegraphischen Nachricht Lord Redcliffes wird Clarendon noch freigiebiger und setzt auch noch Erzerum auf die Liste der zu räumenden Plätze.

(Telegraphisch.)

"Earl of Clarendon an Lord Stratford de Redcliffe.

Ministerium des Auswärtigen, 14. Juli 1855.

Der Plan zur Verstärkung der Armee in Kars, der in Ihren Depeschen vom 30. Juni und vom 1. Juli" (soll heißen 12. Juli) "enthalten ist, wird mißbilligt. Die Gründe gegen eine Verwendung des türkischen Kontingents, solange es nicht zum Kriegsdienst tauglich ist, werden durch den heutigen Kurier übermittelt werden. Trapezunt sollte die Operationsbasis bilden, und wenn die türkische Armee von Kars und Erzerum den letzteren Platz gegen die Russen nicht behaupten kann, so mag sie sich auf Trapezunt zurückziehen, wo sie leicht verstärkt werden könnte."

Ist Kars der Schlüssel zu Erzerum, so ist Erzerum der Schlüssel zu Konstantinopel und der zentrale Punkt, wo die strategischen und Handelswege Anatoliens zusammenlaufen. Sind Kars und Erzerum erst einmal in den Händen der Russen, so ist der britische Handel zu Lande via <über> Trapezunt nach Persien abgeschnitten. Die britische Regierung, der alle diese Umstände wohlbekannt sind, gibt der Pforte kaltblütig den Rat, die Schlüssel ihres Hauses in <606> Asien auszuliefern, wo kaum einer der beiden Punkte in Gefahr war, und ladet die belagerte Armee von Kars ein, sich zu den Verstärkungen zu begeben, denen es verboten war, sich zu der belagerten Armee zu begeben. "Sollen die Russen geschlagen werden", sagt Seine Lordschaft (wozu ist das eigentlich notwendig?, scheint er zu fragen), so denkt er, eine Niederlage wäre um so entscheidender und leichter, je weiter innerhalb der türkischen Grenzen sie stattfände, d.h. je mehr befestigte Plätze und Gebiete den Russen ausgeliefert werden und je dichter sie tatsächlich an Konstantinopel heran sind.

Diese Depeschen Lord Clarendons finden ihr würdiges Gegenstück in der folgenden Depesche von Mylord "Take care of Dowb" Panmure, dem englischen Carnot, an den Generalleutnant Vivian:

"Lord Panmure an Generalleutnant Vivian.

Kriegsministerium, 14. Juli 1855.

Sir!

Ich übermittle Ihnen hiermit zu Ihrer Information eine Kopie der Depesche, die der Earl von Clarendon soeben an die Gesandtschaft Ihrer Majestät in Konstantinopel absandte bezüglich des von der Pforte vorgeschlagenen Planes zur Hilfeleistung für die türkische Armee in Kars. Ich muß Sie in Kenntnis setzen, daß ich mit allem vollständig übereinstimme, was in dieser Depesche gegen den nicht einwandfreien Charakter des von der Pforte vorgeschlagenen Planes gesagt ist. Ich setze ein viel zu festes Vertrauen in Ihre Fachkenntnisse, um besorgt zu sein, daß Sie sich auf eine Expedition von so abenteuerlicher und verworrener Art einlassen könnten, wie sie die Pforte vorschlägt. Wohl ist es Ihre Pflicht, nicht nur als Befehlshaber des Kontingents, sondern auch als britischer Offizier, der das Vertrauen der Regierung Ihrer Majestät genießt, unseren Alliierten, den Türken, jede nur mögliche Hilfe angedeihen zu lassen, gleichzeitig aber ist es nötig, daß Sie so vorsichtig sind, die Ehre des britischen Namens und Ihren eigenen Ruf nicht aufs Spiel zu setzen, indem Sie militärische Operationen unternehmen, für die noch keine geeignete Basis geschaffen, noch keine Kommunikationen eröffnet, noch keine Vorräte beschafft, noch keine Transportmittel vorbereitet sind. Ein Coup de main <Handstreich>, mit dem man plötzlich eine Armee an die Küste wirft, um eine feindliche Festung zu bedrohen oder gar zu attackieren, ist etwas ganz anderes als eine wohlüberlegte Expedition mit dem Ziel, in ein feindliches Land einzufallen und den Feind auf seinem eigenen Gebiet zu bekriegen. Im ersteren Falle darf man etwas riskieren, im zweiten Fall jedoch muß der Aktion eine gründliche Vorbereitung vorangehen. Überdies glaube ich aus allen mir zugegangenen Informationen bestimmt entnehmen zu können, daß die Armee von Batum sich in einem jammervollen Zustand befindet. Ich weiß, daß das Kontingent kaum organisiert ist, über die bulgarischen Truppen wissen sie nichts, und von der Kavallerie Beatsons nehme ich an, daß sie <607> ebensowenig von Zucht und Disziplin weiß wie Ihre eigenen Truppen. Kurz, ich bin überzeugt, es wäre Wahnsinn, dem Generalbrigadier Williams auf diesem Wege zu Hilfe kommen zu wollen. Es ist zu spät, jetzt die Politik zu beklagen, die diesen tapferen Offizier und seine Armee in eine solche Notlage brachte; aber es hieße nur neuen Mißgriffen Tür und Tor öffnen, wollte man die Pläne ausführen, die vorgeschlagen wurden mit dem Ziel, ihm Hilfe zu geben. Sie dürfen, wie Ihnen zweifellos klar sein wird, keine Zeit verlieren, Ihre Truppen zum Kriegsdienst bereitzuhalten, der Sie sicher irgendwo erwarten wird, sobald Sie erst dazu bereit sind. Organisation ist für eine Armee ebenso wichtig als Ausdauer und Tapferkeit, und wo die erstere fehlt, sind letztere gänzlich nutzlos."

Lord Palmerstons Kriegsminister tritt in dieser Depesche als der reine Hanswurst auf, der zu nichts gut ist als zum Amüsement seines Herrn, Die Festung Sewastopol zu bedrohen "oder gar" zu attackieren, eine Festung, auf die Rußland die Verteidigungsarbeiten von zwanzig Jahren konzentriert hat, erscheint ihm als eine ganz verständige Sache, denn das sei ein unüberlegter Coup de main von seiten der Alliierten, aber ein "wohlüberlegter Einfall" von seiten der Pforte in ein feindliches Land, mit der Absicht, den Feind zu schlagen - nein, von so etwas hat "Dowb" noch nie gehört! Er teilt völlig Clarendons Meinung, daß das wahre Wesen der Strategie darin besteht, das Hinterland des eigenen Heeres zu stärken, statt im Hinterland des Feindes zu operieren - möge er sich darüber mit Napoleon I., Jomini und allen anderen großen Strategen auseinandersetzen. Auch darin stimmt er mit seinem Freund überein, daß eine Armee in Kriegszeiten niemals durch feindliche, sondern immer nur durch befreundete Länder marschieren soll - "wo sie Vorräte vorfinden statt Hunger" -, die echte Philosophie von Schmarotzern. Aber hinter der selbstzufriedenen Dummheit des Hanswursts erhaschen wir einen Schimmer des Geistes, der ihn treibt! Denn wäre es wohl dem armen Dowb zuzutrauen, daß er herausfindet, Georgien sei ein feindliches und kein befreundetes Land - Georgien, Rußlands Polen im Kaukasus.

Der türkische Vorschlag, den Dowb abenteuerlich und verworren nennt, war seiner ganzen Konzeption nach kühn, richtig und, wir können sagen, die einzige strategische Idee, die in diesem ganzen Krieg aufgekommen ist. Der Vorschlag lief darauf hinaus, der Belagerungsarmee gegenüber eine exzentrische Position einzunehmen, Tiflis, das Zentrum der russischen Macht in Asien zu bedrohen und Murawjow zum Rückzug von Kars zu zwingen, indem man ihn der Gefahr aussetzte, von seiner Operationsbasis und Kommunikationslinie abgeschnitten zu werden. Eine solche mingrelische Expedition versprach nicht nur, Kars Hilfe zu geben, sondern auch die Möglichkeit, nach allen Seiten offensiv vorzugehen und so den größten Vorteil zu erringen, <608> den es im Krieg gehen kann: nämlich den Feind in die Defensive zu drängen. Da aber die Gefahr dringend war, so konnte ein solcher Plan nur dann gelingen, wenn er mit der größten Energie, mit ausreichenden Kräften und mit reichlichem Proviant und Transportmitteln betrieben wurde. Mit Gumry als erster Operationsbasis unmittelbar im Rücken, einer Festung, die zur Defensive gegen das türkische Territorium direkt ausersehen war, war Murawjow imstande, seine Position so lange zu behaupten, bis er die Überzeugung hatte, daß ihm ein Vormarsch des Feindes gegen Tiflis wirklich gefährlich werden könne. Um das herbeizuführen, wäre die Landung von wenigstens 55.000 Mann an der zirkassischen Küste, die Einnahme von Kutais und die Bezwingung des Passes von Gumry erforderlich gewesen. Omer Pascha, der diese Expedition zu einem späteren Zeitpunkt an der Spitze von 36.000 Mann unternahm, brachte am Rion kaum 18.000 bis 20.000 zusammen.

Darüber besteht kein Zweifel, daß 20.000 Mann in Erzerum mehr genützt hätten als 40.000 in Mingrelien. Andererseits darf man nicht vergessen, daß zur Zeit, als die Pforte ihren Vorschlag machte, die Zahl der Russen in Tiflis nach dem Bericht des Blaubuchs selbst nicht mehr als 15.000 betrug und Bebutow mit seinen Verstärkungen noch nicht angekommen war. Außerdem hätte die Fortbewegung einer für diesen Zweck ausreichenden Armee von Trapezunt über Erzerum nach Kars mit Vorräten, Munition und Kanonen nach Omer Paschas Versicherung genau vier Monate gefordert. Und schließlich, wenn die Pforte einen richtigen Plan mit ungenügenden Mitteln vorschlug, so war es Sache ihrer Alliierten, die richtigen Mittel herbeizuschaffen, nicht aber einen falschen Plan vorzuschlagen. 60.000 Türken waren zu dieser Zeit tatenlos in der Krim eingepfercht, und dabei waren das die einzigen diensttauglichen Truppen der Türkei.

"In Batum, Suchum Kale und anderen in der Nähe liegenden Küstenpunkten", schreibt Lord Redcliffe unter dem Datum des 28. Juni, "würde es außerordentlich schwierig sein, mehr als 1.000 Mann zusammenzubringen ... Die anderen Teile des Reichs" (ausgenommen Bulgarien) "bieten keine zusätzlichen Reserven, mit der Ausnahme Bosniens, wo es noch möglich wäre, einige tausend Mann frei zu machen; ich spreche von regulären Truppen; Baschi-Bosuks könnte man erhalten, doch weiß Eure Lordschaft wohl, wie wenig man sich auf solch undisziplinierte Horden verlassen kann ... Ob in Bulgarien mit Einrechnung aller Garnisonen mehr als 50.000 Mann sind, erscheint mir fraglich. Österreich hat allerdings seine Absicht erklärt, den Übergang der Russen über die Donau als einen Casus belli <Kriegsgrund> zu betrachten, und hat sich auch verbürgt, diese Macht aus den Donaufürstentümern auszuschließen. Aber der Beschluß, der es in einem solchen Fall der Pforte ermöglichen würde, ihre Maßnahmen auf diese <609> Zusicherungen hin zu treffen und davon abzusehen, wie ungünstig es wäre, eine wichtige Position ohne ausreichende Verteidigung zu lassen, ist mehr geeignet, bewundert zu werden, als es wahrscheinlich ist, ihn durchzuführen."

Welche Truppen blieben also zur Verfügung der Pforte außer dem englisch-türkischen Kontingent? Und dieses diente, wie aus den Depeschen von Clarendon und Panmure hervorgeht, nur als Kniff, um der Pforte ihre letzten verfügbaren Streitkräfte vorzuenthalten.

Hatte nun die britische Regierung irgendeinen eigenen Plan dem türkischen gegenüberzustellen? War sie irgendwie darauf bedacht, das englisch-türkische Kontingent nach Trapezunt und von da nach Erzerum oder Kars zu senden? In seiner vom 14. Juli datierten Depesche spricht sich Clarendon dagegen aus, "das türkische Kontingent zu verwenden, solange es nicht zum Kriegsdienst tauglich sei". War es aber zum Kriegsdienst untauglich, so war es ebenso untauglich zur Expedition nach Erzerum wie zu der nach Mingrelien. Der Hanswurst Panmure schreibt in seiner Depesche an demselben Tage an Vivian, den Befehlshaber des Kontingents:

"Sie dürfen keine Zeit verlieren, Ihre Truppen zum Kriegsdienst bereitzuhalten, der Sie sicher irgendwo erwarten wird, sobald Sie dazu bereit sind."

Er fordert ihn also auf, sich bereitzuhalten, nicht etwa für eine unmittelbare Aktion, nicht etwa für Erzerum, sondern für irgendwo, das heißt nirgendwo. Trotzdem hält Clarendon noch am 7. September (siehe Nr. 302 der Akten) das englisch-türkische Kontingent für zu wenig organisiert, um das Lager in den befestigten Linien vor Sewastopol beziehen zu können. Es ist also klar, daß die britische Regierung das Erzerumprojekt nicht vorschlägt, damit es ausgeführt wird, sondern um die mingrelische Expedition der Pforte zu vereiteln. Sie widersetzte sich nicht nur einem bestimmten Plan der Hilfeleistung für Kars, sondern überhaupt jedem Plan.

"Es wäre Wahnsinn, den Truppen des Generalbrigadiers Williams zu Hilfe kommen zu wollen ... Es ist zu spät, jetzt die Politik zu beklagen" (Palmerstons Politik), "die diesen tapfern Offizier und seine Armee in eine solche Notlage brachte",

sagte Panmure zu Vivian.

Es ist zu spät, etwas anderes zu tun, als Kars an Rußland auszuliefern und Erzerum noch dreinzugeben, sagt Clarendon zu Redcliffe. Dieser Plan war nicht nur von der Regierung Palmerstons schon am 13. Juli festgesetzt gewesen, nein, er wird in dem Blaubuch sogar zugestanden, und nicht einen Augenblick sehen wir sie von ihm abgehen.

<610> Alle Depeschen Redcliffes vom Monat Juli, die in den Nr. 254 bis 277 der Akten von Kars angeführt werden, zeigen uns die Türkei eifrig mit den Vorbereitungen zur mingrelischen Expedition Vivians beschäftigt. Wie kam dies zustande?

Am 12. Juli 1855 telegraphierte Lord Redcliffe, wie erinnerlich, an Lord Clarendon, daß die Vorbereitungen für die mingrelische Expedition unter General Vivian Fortschritte machten und daß er, "um viel kostbare Zeit zu sparen", die Regierung um telegraphische Instruktionen bäte. Folglich sendet Clarendon seinen Protest gegen den türkischen Plan per Telegraph; aber obwohl diese Botschaft das Datum des 14. Juli trägt, erreicht sie Konstantinopel erst am 30. Juli, als, wie wir sehen, Lord Redcliffe wieder an Clarendon schreibt:

"Das ungünstige Urteil, das die Regierung Ihrer Majestät über die in letzter Zeit diskutierten Pläne über die Hilfeleistung für die türkische Armee in Kars fällte, hat natürlich die Verwirrung der Pforte noch erhöht. Es war meine Pflicht, dieses Urteil den türkischen Ministern bekanntzugeben nicht nur als eine Meinungsäußerung, sondern im Hinblick auf General Vivians Kontingent als ein Veto. Das unmittelbare Resultat ist ein außerordentlich ernstes Dilemma. Die Regierung Ihrer Majestät hält nicht nur das Kontingent zurück, sondern begünstigt ganz entschieden die Alternative, Verstärkungen nach Erzerum auf dem Wege über Trapezunt zu senden. Diese Ansicht teilt hier weder die Pforte noch irgendeine offizielle oder persönliche Autorität. Der Seraskier <Mehmed Ruschdi Pascha>, Omer Pascha, General Guyon und unsere eigenen Offiziere stimmen mit der Pforte und der französischen Botschaft darin überein, daß eine Diversion gegen Redut Kale viel bessere Aussichten auf Erfolg böte, natürlich unter der Voraussetzung, daß die nötigen Transportmittel, Proviant und anderer notwendiger Bedarf ausreichend geliefert werden können ... Inzwischen lauten die Nachrichten aus Kars gar nicht ermutigend, und Zeit von kostbarem Wert wird unvermeidlich verschwendet in Zweifel und Ungewißheit."

Da der Weg von Konstantinopel nach London nicht um ein Jota länger ist als der Weg von London nach Konstantinopel, so ist es in der Tat sehr merkwürdig, daß Redcliffes Telegramm, das Konstantinopel am 12. Juli verließ, London schon am 14. Juli erreichte, während Clarendons Depesche, die von London am 14. Juli abging, Konstantinopel erst am 30. Juli oder um diese Zeit erreichen sollte. In seiner Depesche vom 19. Juli beklagt sich Redcliffe über das Schweigen der Regierung, die er doch gebeten habe, "unverzüglich ihre Meinung kundzugeben". Aus einer späteren Depesche, datiert vom 23. Juli, ersehen wir, daß er auch da noch keine Antwort hatte. Und tatsäch- <611> lich bestätigt er erst am 30. Juli, wie wir schon sagten, den Eingang einer Antwort. Es ist also außer jedem Zweifel, daß das Londoner Datum der Clarendonschen Depesche gefälscht ist und daß sie erst einige Wochen nach dem Datum abgeschickt wurde, das im Blaubuch angegeben wird. Diese Fälschung verrät den Zweck der Verzögerung. Zeit von kostbarem Wert mußte verstreichen, Zweifel und Ungewißheit mußten erzeugt werden, und vor allem mußte die Pforte den ganzen Monat Juli mit Vorbereitungen für die Expedition Vivians verschwenden, die nach dem festen Entschluß der britischen Regierung niemals stattfinden sollte.

II

["The People's Paper" Nr. 206 vom 12. April 1856]

Da die strategischen Skrupel der englischen Regierung ihr nicht gestatteten, im Verlauf von drei Monaten ihren Standpunkt zu den großen Operationen festzulegen, die die Pforte zu unternehmen beabsichtigte, so wäre nichts besser und nichts dringender gewesen, als daß sie in der Zwischenzeit auf eigene Verantwortung ein kleines Detachement via Erzerum gesendet hätte, um die Kommunikation zwischen dieser Stadt und Kars wiederzueröffnen. Die Alliierten waren Herren des Schwarzen Meers, und die britische Regierung hatte zu ihrer uneingeschränkten Verfügung General Beatsons 4.000 Baschi-Bosuks, das einzige kampffähige Korps der türkischen irregulären Kavallerie. Einmal in Trapezunt gelandet, hätten sie in zehn Tagen Erzerum erreichen, Proviant nach Kars geleiten und so diese Festung instand setzen können, ihren Widerstand um vier bis sechs Wochen zu verlängern, das heißt so lange, bis das Einsetzen des strengen armenischen Winters allen Offensivbewegungen der Belagerer ein Ende gemacht hätte. Am 7. Juli schrieb General Beatson an Redcliffe und suchte darum nach, ihn für den aktiven Kriegsdienst abzubeordern.

Sein Ersuchen blieb unbeachtet. Am 14. August reichten die Truppen selbst Petitionen ein, in denen sie baten, sie nicht länger unbeschäftigt zu lassen, sondern sie nach Asien zu schicken. Sie bekamen überhaupt keine Antwort. Da wagte es Beatson, am 12. September ein drittes Mal vorstellig zu werden. Und da nun die Geduld der britischen Regierung durch diese ewigen Belästigungen des unbescheidenen Bittstellers erschöpft war, so wurden einige diplomatisch-militärische Intrigen in Szene gesetzt, die mit Beatsons Entlassung aus dem Heeresdienst endeten. Und so wie Beatson <612> selbst aus dem Dienst entfernt wurde, so ist sein ganzer Schriftwechsel mit der Regierung aus dem Blaubuch entfernt worden.

Wir sahen schon, wie hartnäckig sich die britische Regierung auf eine Expedition nach Erzerum via Trapezunt versteifte. Als nun die Nachricht kam, daß die Russen sich auf der Heerstraße zwischen Erzerum und Kars festgesetzt und einen Teil der für die Armee in Kars zusammengebrachten Lebensmittel abgeschnitten hatten, wurde von Trapezunt aus, hinter dem Rücken der britischen Gesandtschaft, ein spontaner Versuch zu sofortiger Hilfeleistung gewagt. In einer Depesche Redcliffes vom 16. Juli 1855 ist eine Meldung des Vizekonsuls Stevens über dieses Unternehmen eingeschlossen:

"Trapezunt, 9. Juli 1855.

Mylord!

Ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß Hafis Pascha gestern mit 300 Artilleristen und 20 Feldgeschützen nach Erzerum gezogen ist. Gegenwärtig wird eine große Zahl irregulärer Truppen zusammengezogen, die bis 10.000 Mann stark sein dürften, und die heute nach demselben Ort marschieren werden.

(gez.) Stevens."

Redcliffe verlangt pflichtschuldigst sofort Erklärungen, warum der Seraskier über die Zusammenziehung von 10.000 Irregulären in Trapezunt und über den Marsch Hafis Paschas nach Erzerum Stillschweigen gewahrt habe.

"Alles, was ich von Seiner Exzellenz hierüber erfahren habe", beschwert er sich, "ist, daß Tussum Pascha den Befehl erhalten hatte, nach Trapezunt und von da vielleicht nach Siwas zu gehen, wo er 4.000 Irreguläre sammeln sollte, um mit diesen sich dann auf den Kriegsschauplatz zu begeben."

Zieht man zwischen Trapezunt, Siwas und Erzerum Linien, so sieht man, daß sie etwa ein gleichschenkliges Dreieck bilden, dessen Basis, nämlich die Linie zwischen Erzerum und Trapezunt, etwa ein Drittel kürzer als die der beiden anderen Seiten ist. Die Verstärkungen direkt von Trapezunt nach Erzerum zu senden, statt Tussum Pascha von Konstantinopel nach Trapezunt, von Trapezunt "vielleicht" nach Siwas zu schicken, um dort Zeit zu verschwenden bei der Sammlung einer irregulären Streitkraft, und dann vielleicht mit dieser nach Erzerum zu marschieren, war daher ein zu übereiltes Verfahren, als daß es der britische Gesandte nicht hätte tadeln müssen. Da er dem Seraskier nicht zu sagen wagte, daß die Hilfeleistung für eine belagerte Stadt von einem wohlüberlegten Zögern abhängt, so legt er ihm die Frage vor:

"Dürfte es nicht zweifelhaft sein, ob eine so große Masse von Baschi-Bosuks, die so plötzlich und so nachlässig zusammengebracht wurde, niemand anderem als nur dem Feind von Nutzen sein wird?"

<613> Und als der Seraskier darauf mit Recht erwiderte,

"er habe dringend um die Geldmittel gebeten, sie zu bezahlen, da sie das Hauptmittel zur Aufrechterhaltung der Ordnung seien, und er habe mit seinem Rücktritt gedroht, wenn seine Forderung nicht erfüllt würde",

wird Lord Redcliffe sofort schwerhörig,

Wenn wir auf den zweiten Operationsplan eingehen, den die Pforte vorschlug und den ihre Alliierten durchkreuzten, so betreten wir ein Labyrinth voller verschlungener Pfade und mit keinem einzigen geraden Weg.

Aus einer Depesche vom 15. Juli, die der britische Bevollmächtigte in Omer Paschas Lager, Oberstleutnant Simmons, an Lord Clarendon richtete, und aus einem beigefügten Memorandum Omers ergeben sich folgende Tatsachen: Am 23. Juni erhielt Omer Pascha einen Brief von General Williams, in dem dieser mitteilte, daß die Kommunikation mit Erzerum unterbrochen sei, und in den dringendsten Ausdrücken verlangte, es sollten unverzüglich Verstärkungen nach Kars geschickt oder eine wirksame Diversion gegen Redut Kale unternommen werden. Am 7. Juli richtete Omer Pascha ein Memorandum an die alliierten Befehlshaber, Simpson und Pélissier, und forderte sie auf, einen Rat der alliierten kommandierenden Generale und Admirale einzuberufen, um sofort einen Beschluß zu fassen. In seinem Memorandum schlägt er vor,

"er selbst würde sich mit dem Teil seiner Armee, der sich hier" (in Balaklawa) "und in Kertsch befindet - mit 25.000 Mann Infanterie und 3.000 Mann Kavallerie aus Eupatoria und der entsprechenden Artillerie -, auf irgendeinen Punkt der zirkassischen Küste werfen, um von dort aus die Kommunikationen der Russen zu bedrohen und sie zu zwingen, die Belagerung von Kars aufzugeben".

Um diesen Vorschlag zu unterstützen, weist Omer darauf hin, daß die ottomanische Armee in Asien, 10.000 Mann an der Zahl, in dem befestigten Lager von Kars durch eine noch stärkere russische Macht blockiert, sich in einer Lage befinde, in der sie wahrscheinlich aus Mangel an Nahrungsmitteln gezwungen werden würde, zu kapitulieren; daß die Garnison von Kars in Wirklichkeit die ottomanische Armee in Asien sei; daß, wenn die Garnison von Kars sich ergäbe, Erzerum, eine Stadt, die wegen ihrer Lage sehr schwer zu befestigen sei, in die Hände des Feindes fallen würde, der dann dadurch zum Herrn der Kommunikationen mit Persien und eines großen Teils von Kleinasien würde; daß die Alliierten, wenn sie seinen Vorschlag annähmen, sich die Hauptvorteile, die sie besäßen, zunutze machen würden, nämlich die günstige Gelegenheit des Seetransports und die einzige türkische Armee, die wirklich kampffähig und marschbereit sei, nämlich seine eigene. Auf dieses <614> Memorandum antworteten Marschall Pélissier und General Simpson, daß sie "in Ermanglung näherer Informationen der Ansicht sind, eine Konferenz sei verfrüht". Dessenungeachtet richtet Omer Pascha am 12. Juli erneut ein Schreiben an sie, in dem er ihnen mitteilt,

"er habe mittlerweile von seiner Regierung eine Depesche des Inhalts erhalten, nach der die ganze asiatische Türkei bis zu den Toren von Konstantinopel selbst unverteidigt bleibt; und da jede Stunde äußerst kostbar sei, beschwöre ihn die Regierung, alle Mittel und Ressourcen zu finden und anzuwenden, die notwendig sind, um diese Gefahr abzuwenden, in der sich die türkische Regierung und daher auch die Sache der Alliierten befindet". "Unter diesen Verhältnissen", fügt er hinzu, "wo ich in der Krim 60.000 Türken habe, die größtenteils Asiaten sind und deren Familien und Eigentum den Verheerungen des Feindes ausgesetzt sind, und da ich finde, daß diese Armee in der Krim untätig und, soweit ich sehen kann, ohne Aussicht auf sofortige Verwendung ist, halte ich es für meine Pflicht gegenüber meinem Souverän und im Interesse der gemeinsamen Sache, meinen früheren Vorschlag zu wiederholen."

Er ladet sie daher nochmals zu einer Konferenz im englischen Hauptquartier ein. Gleichzeitig mit dieser Note an die alliierten Generale läßt er noch durch den Oberstleutnant Simmons einen vertraulichen Brief an General Simpson und Admiral Lyons richten, aus dem wir nachstehenden Auszug geben:

"Die Pforte habe dem General Vivian vorgeschlagen, das türkische Kontingent nach Redut Kale zu führen ... Omer Pascha hält es jedoch für ein großes Risiko, die Leute dahin zu schicken, da sie noch nicht mit ihren Offizieren vertraut sind, die Offiziere noch nicht ihre Sprache sprechen und sie daher im Feld nicht befehligen können, und das Kontingent, obzwar es wohl eine Garnison zu bilden vermöchte, noch nicht in der Verfassung sein könne, in das Innere des Landes zu marschieren. Auch sei das Kontingent zu schwach an Zahl, um die beabsichtigte Operation durchzuführen. Auch meint Omer Pascha, daß es für ihn, der das Vertrauen der Türken besäße und in Asien wohlbekannt sei, wo er schon mehrere Kampagnen mitgemacht habe, leichter sei, die Sympathie und Hilfe von den Bewohnern bei der Beschaffung von Lebensmitteln und bei der Einziehung von Informationen zu erlangen, als für Fremde, die weder die Sprache noch das Land kennten."

Am 14. Juli fand die Konferenz statt, an der Omer Pascha, Oberstleutnant Simmons, General Simpson, Pélissier, Martimprey und die Admirale Lyons, Bruat und Stewart teilnahmen. Omer Pascha gab eine detaillierte Schilderung der russischen Streitkräfte in Asien und ihrer Operationen in der Umgegend von Kars. Er entwickelte die oben angeführten Argumente aufs eingehendste und betonte aufs nachdrücklichste, daß seiner Meinung nach

"keine Zeit mehr zu verlieren sei, sondern unverzügliche Maßnahmen gegen das weitere Vordringen der Russen in Asien getroffen werden müßten".

<615> Dennoch, so berichtet Oberstleutnant Simmons an Clarendon, entschieden sich

"die Generale und Admirale, die von ihren respektiven Botschaftern in Konstantinopel keine Informationen darüber erhalten hatten, die sie veranlassen müßten, zu glauben, daß die Angelegenheiten in Asien so schlimm stünden, wie sie Omer Pascha nach den Informationen seiner Regierung darstellen zu müssen glaubte, keine Meinung über diesen Gegenstand - eben auf Grund des Fehlens solcher Informationen - zu äußern".

Die alliierten Generale lehnten es also ab, ihre Meinung zu dieser Frage zu äußern, da sie keine Informationen von ihren respektiven Regierungen erhalten hätten. Später erklärten dann die alliierten Regierungen, keine Befehle erteilen zu können, weil die Generale ihre Meinung nicht abgegeben hätten. Einigermaßen bestürzt über das kühle Benehmen der alliierten Befehlshaber, über ihre eigentümliche Taktik, ihren Unglauben an die Tatsachen als Grund dafür vorzugeben, daß sie keine Meinung über sie äußerten, und über die Unhöflichkeit, seine Regierung der Lüge zu zeihen, erhob sich der einzige unmittelbar an der Sache Interessierte, Omer Pascha, sofort und erklärte kategorisch,

"er hielte es unter diesen Umständen für seine Pflicht, sich auf einige Tage nach Konstantinopel zu begeben, um mit seiner Regierung zu beratschlagen".

Er begab sich denn auch zwei Tage später, am 16. Juli, nach Konstantinopel und nahm den Oberstleutnant Simmons mit sich, doch begleitete ihn auch ein Oberstleutnant Suleau, "der vorgeblich zur Wiederherstellung seiner Gesundheit reiste" (siehe Beilage I zu Nr. 270 der Akten über Kars), aber in Wahrheit von Pélissier und Simpson mit der Mission betraut war, Omer Paschas Pläne zu durchkreuzen. Dieser Suleau, der dem Stab Simpsons angehörte, überbrachte Redcliffe einen Brief von dem armseligen General Simpson - dem unglückseligsten Krieger, von dem man je gehört hat, wie General Evans sich ausdrückt -, in welchem dieser General dem Gesandten mitteilt, nicht daß er und seine Kollegen Omer Paschas Behauptungen keinen Glauben schenkten, "sondern daß sie die stärksten Bedenken gegen die Zurückziehung irgendwelcher Truppen aus der Krim in diesem Augenblick hegten"; nicht daß sie es für angezeigt gehalten hätten, Omer Pascha ihre Meinung zu verschweigen, sondern

"daß er Seine Exzellenz inständigst bitte, seinen mächtigen Einfluß bei der Pforte aufzubieten, damit ihre Ansicht über die Seiner Hoheit triumphiere", denn "große Staatsinteressen ständen auf dem Spiel" und "ein Erfolg Omer Paschas könnte ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen".

<616> Der Erfolg also! Omer Paschas Erfolg war es, der Pélissier nicht schlafen ließ, der bis zu dieser Zeit sich noch keiner anderen Leistung rühmen durfte als der schmachvollen Schlacht vom 18. Juni. Der armselige Simpson, der unglückselige Krieger, den General Evans als von Natur aus beschränkt schildert, war doch pfiffig genug, das Unbehagen seines Mitbefehlshabers herauszufühlen und hinter dem Rücken Omer Paschas eine Intrige anzuzetteln - man kann sagen, das einzige Manöver, das er während des ganzen Krimkrieges ausführte.

In einer Depesche vom 19. Juli schreibt Redcliffe an Clarendon:

"In der vorgestrigen Nacht" (am 17. Juli) "habe er zu seiner Überraschung erfahren, Omer Pascha sei plötzlich aus der Krim angekommen und habe sich direkt zum Seraskier begeben."

Er lacht innerlich, als ihm der Fanariot Pisani das Gerücht zuträgt, daß

"die ohne Bewilligung seiner Regierung erfolgte Ankunft des Generalissimus einige Unzufriedenheit erregt habe", und "hat den starken Eindruck, daß Omer am besten das Interesse der Allianz wahrnähme, wenn er unverweilt zum Kommando seiner Truppen in die Krim zurückkehrte".

Trotz dieses starken Eindrucks Redcliffes zog sich Omer Paschas Aufenthalt in Konstantinopel vom 17. Juli bis in den Anfang des September hin. Wir werden späterhin sehen, wodurch diese Zeitvergeudung verursacht wurde.

Am 23. Juli wird Clarendon von Redcliffe benachrichtigt, daß

"Omer Pascha der Pforte vorgeschlagen habe, er wolle selbst von Redut Kale ausgehend in Georgien einfallen und Kutais umgehen".

Dieser Vorschlag sei in der vorhergehenden Nacht (22. Juli) in einer Konferenz beim Großwesir erörtert worden, und das Resultat dieser Erörterungen sei folgendes gewesen:

"Die Truppen, die unter Omers Befehl in der obenerwähnten Art verwendet wurden, sollten bis zu 20.000 Mann aus Eupatoria und bis zu 5.000 Mann aus Bulgarien genommen werden, und die Lücke in Eupatoria sollte durch das wieder vervollständigte Kontingent ausgefüllt werden. Im Falle der obenerwähnte Plan Bedenken hervorruft, ihn dahin zu modifizieren, daß man nur 10.000 Mann aus der Krim und 15.000 aus Bulgarien nähme, diejenigen miteingerechnet, die einen Teil des Kontingents bilden sollten."

Diese Depesche nun, die, wie es heißt, Clarendon am 1. August erhielt und deren Ankunft er unmittelbar zum Anlaß nahm, an den britischen Bot- <617> schafter in Paris, Lord Cowley, zu depeschieren, ist an der entscheidenden Stelle offenbar und wissentlich gefälscht; das ist an jener Stelle, wo es heißt, die Pforte habe die Zurückziehung von 20.000 Mann aus Eupatoria vorgeschlagen, die unter das Kommando von Omer Pascha gestellt und die in Eupatoria durch das türkische Kontingent ersetzt werden sollen. Diese Stelle eben ist es, auf die Clarendon in seiner Depesche an Lord Cowley hindeutet, wobei er äußert, "die Regierung Ihrer Majestät sei günstig dafür gestimmt" und "er hoffe, daß auch die Kaiserliche Regierung sich einverstanden erklären wird".

An dieser Stelle wird Eupatoria für Balaklawa eingeschoben. Aus der Depesche des Oberstleutnants Simmons vom 15. Juli, die Clarendon am 30. Juli erhielt, hat man ersehen, daß Omer Pascha in seinem Memorandum an die alliierten Generale und im Kriegsrat darauf bestand, jenen Teil seiner Armee mit sich zu nehmen, der hier (in Balaklawa) sei, den er von Eupatoria gebracht habe und den er als den einzigen erklärte, der für die asiatische Kampagne geeignet sei. Änderte Omer Pascha seine Ansicht nach seiner Ankunft in Konstantinopel? Das Gegenteil geht aus einer Depesche vom 2. August hervor, in welcher Simmons mitteilt:

"Seine Hoheit Omer Pascha teilt mir mit, er würde, um das Kontingent zu vervollständigen, gern jede türkische Truppe unter seinem Kommando abgeben, ausgenommen die Division, die jetzt im Lager vor Sewastopol ist; diese bestehe aus seinen besten Truppen, und die wünsche er natürlich bei sich zu haben, wenn er die geplante Bewegung nach Asien mache."

Wird man behaupten wollen, daß die Pforte in der Konferenz in der Nacht vom 22. Juli zu einem Beschluß kam, der Omers Vorschlag zuwiderlief? In derselben Depesche vom 23. Juli, in der Redcliffe über diesen Beschluß der Pforte berichtet, sagt er Clarendon, daß

"Omer Pascha vom Sultan sehr gnädig empfangen und sehr reichlich beschenkt worden sei", und er fügt hinzu: "Ich brauche nicht zu erwähnen. daß er mit den Ministern Seiner Majestät und besonders mit dem Seraskier Pascha auf dem besten Fuße steht."

Es kann daher von irgendeiner Differenz zwischen der Pforte und ihrem Oberbefehlshaber keine Rede sein. Beide sind denn auch gleicherweise bestürzt, als sie von London die Aufforderung erhalten, die Truppen in Eupatoria unter Omers Befehl zu stellen und ihm die Truppen von Sewastopol und Kertsch zu entziehen. Welche Absicht verfolgte denn also die britische Regierung, als sie die obenerwähnte Stelle fälschte? Der Öffentlichkeit zu verheimlichen, daß sie, während sie sich vor der französischen Regierung als die Gönnerin des Omerschen Planes aufspielte, den eigenen Vorschlag der <618> Türkei durch eine reine Wortverdrehung in einen ihr direkt feindlichen verwandelt hatte. Dadurch war ein neues Streitobjekt gegeben. Die Dinge wurden immer verwickelter, und die Gelegenheit war geboten, August und September mit Ordern und Konterordern zu vertrödeln. Dieses falsche Spiel der britischen Regierung tritt selbst in der Aufmachung des Blaubuchs zutage. Um den Leser zu verwirren, figuriert Clarendons Note an Cowley auf Seite 248, darauf folgen von Seite 248-252 Auszüge aus Redcliffes Depesche vom 19. Juli. Simpsons Brief an Redcliffe vom 16. Juli, Omer Paschas Briefe und Memoranden, und erst an letzter Stelle erscheint Redcliffes Depesche vom 23. Juli, deren Folge Clarendons Instruktion an Cowley angeblich sein soll.

Wir müssen nun einen Augenblick im Ministerium des Auswärtigen in der Downing Street verweilen und den Earl von Clarendon betrachten, wie er dort emsig beflissen ist, den obersten Kommis des großen Palmerston zu spielen. Zwei Tage nach Absendung seiner Depesche an Redcliffe vom 16. Juli sendet er an Redcliffe eine andere Depesche, die mit folgenden Worten schließt:

"Nach wie vor empfiehlt die Regierung ihrer Majestät, daß alle Streitkräfte, die der Armee von Kars zur Hilfeleistung gesendet werden, nach Trapezunt marschieren sollen. Sollte Omer Pascha, der unserem Vernehmen nach im Begriff ist, sich nach Konstantinopel zu begeben, sich entschließen, irgendeinen Teil seiner eigenen Armee mit Tunesiern und Albanern nach Redut Kale mitzunehmen, so hätte die Regierung Ihrer Majestät zu diesem Vorgehen nichts zu bemerken."

Während Redcliffes Depesche, datiert Konstantinopel, den 23. Juli, London am 1. August, in genau neun Tagen, erreichte, braucht Clarendons Depesche, datiert vom 16. Juli, wieder mehr als einen halben Monat, um nach Konstantinopel zu gelangen. Am 30. Juli war sie noch nicht da; an diesem Tage schreibt Redcliffe:

"Wenn die Regierung Ihrer Majestät darauf besteht, daß die Verstärkungen via Trapezunt gesendet werden, wird die Pforte in das schwierigste Dilemma versetzt."

Redcliffe war also noch nicht im Besitz der Depesche Clarendons, in der dieser erklärte, die Regierung Ihrer Majestät hätte nichts gegen die Expedition nach Redut Kale einzuwenden, wenn Omer Pascha selbst sie unternähme. Es ist ein eigentümlicher Charakterzug der Chronologie dieses seltsamen diplomatisch-militärischen Dramas, daß alle Depeschen, die eine Verzögerung verursachen, mit größter Eile ankommen, während alle, die zur Beschleunigung raten sich in unerklärlicher Weise verzögern. Aber da ist noch ein anderer Punkt in Clarendons zuletzt zitierter Depesche, der uns ebenso stutzig macht. Während Lord Redcliffe aus Konstantinopel unter dem <619> 19. Juli schreibt, er sei über die Nachricht von Omer Paschas plötzlichem Eintreffen in Konstantinopel höchlichst erstaunt, informiert Clarendon von London aus den Lord Redcliffe am 16. Juli, also an demselben Tage, an dem Omer Pascha die Krim verläßt, "er erfahre, daß Omer im Begriff sei, sich nach Konstantinopel zu begeben". Omer Pascha selbst faßte, wie wir wissen, diesen Entschluß erst am 14. Juli, nachdem der Kriegsrat abgebrochen wurde. In der Zeit vom 14. bis 16. Juli ging jedoch kein Fahrzeug von Sewastopol nach Konstantinopel, so daß Omer genötigt war, Admiral Lyons zu ersuchen, Ihrer Majestät Schiff "Valorous" zu seiner Verfügung zu stellen. Sollen wir etwa glauben. daß, während die Depeschen des Ministeriums des Auswärtigen siebzehn Tage brauchen, um Konstantinopel zu erreichen, die Depeschen, die es aus der Krim erhält, schon über Ereignisse berichten, noch ehe sie stattgefunden haben? So ist die Sache nicht. Da war das Unterseekabel von Sewastopol nach Varna und der Telegraph von Varna nach London, so daß Clarendon an dem gleichen Tage direkte Nachricht haben konnte, als der Kriegsrat seine Sitzung abhielt. Wo aber ist diese aus Sewastopol datierte Depesche? Sicher ist sie nicht im Blaubuch. Sie ist einfach unterdrückt worden. Und warum? Dieselbe Telegraphenleitung, durch die Clarendon von Omer Paschas beabsichtigter Abreise Kunde erhielt, mußte ihm auch von dem Widerstand Mitteilung machen, den Omer Pascha bei Pélissier, das heißt bei der französischen Regierung, fand. Daraus würde nun natürlich die Frage entstehe, warum Clarendon ruhig vom 16. Juli bis 1. August wartete, um der französischen Regierung die Sache mitzuteilen und mit ihr über den Punkt in Verhandlungen einzutreten, von dem die ganze Kampagne abhing. Um dieser Frage vorzubeugen, ließ man die telegraphische Nachricht verschwinden. Wenn er aber Clarendon die Depesche aus der Krim unterdrückte, warum veröffentlichte er dann seine eigene aus London, datiert vom 16. Juli? Da man keine Spur davon entdecken konnte, daß sie Konstantinopel jemals erreicht hat, so hätte ihre Weglassung im Blaubuch keine fühlbare Lücke gelassen. Ein doppelter Zweck wurde dabei verfolgt. Einerseits sollte die Bereitwilligkeit der englischen Regierung, Kars zu Hilfe zu kommen, gegenüber den Schwierigkeiten, die Bonaparte machte, ins hellste Licht gerückt und das ganze Odium der Verzögerung auf dessen Schultern geschoben werden. Andererseits solle Clarendons Glauben an die falsche Depesche vom 23. Juli durch seine Bereitwilligkeit bewiesen werden, Omer Pascha jeden Teil seiner Armee zu überlassen, bevor er den Beschluß der Pforte kannte, ihn mit der Eupatoria-Armee zu belasten. Als Clarendon diesen Beschluß erst einmal kannte, versteifte er sich allerdings darauf, ungeachtet aller Proteste Omer Paschas und der Pforte. Das ganze Vorgehen Clarendons, seine Aufmunterung <620> der Pforte, sich während des ganzen Juli mit Vivians Expedition zu beschäftigen, seine Verzögerung der Verhandlungen mit Bonaparte bis August, seine Unterschiebung eines gefälschten Vorschlags der Pforte in die Depesche nach Paris, eben jenes Vorschlags, der, wenn ihn Bonaparte akzeptiert hätte, gewiß eine Quelle weiterer Verwicklungen in dieser Komödie der Irrungen geworden wäre - all diese Schritte dienten dem gleichen Zweck: die Zeit totzuschlagen.

III

["The People's Paper" Nr. 207 vom 19. April 1856]

Am 2. August 1855 telegraphierte Lord Cowley aus Paris, daß "Graf Walewski Einwände gegen den Vorschlag voraussieht", den Clarendon im Namen der Pforte gemacht habe. Somit bietet sich dem schlauen Earl Gelegenheit, seinen patriotischen Eifer in einer Depesche, datiert vom 3. August, zu entwickeln und die französische Regierung eindringlich auf die ungeheuerlichen Folgen aufmerksam zu machen, die wahrscheinlich entstehen würden, wenn Kars und Erzerum in die Hände Rußlands fielen. Am folgenden Tag, dem 4. August, bekommt er aus Paris folgende Depesche:

"Lord Cowley an den Earl of Clarendon.

Paris, 4. August 1855.

Die französische Regierung wird sich der geplanten Expedition Omer Paschas nach Kleinasien nicht widersetzen, vorausgesetzt, daß die Zahl des türkischen Kontingents vor Sewastopol nicht verringert wird."

Ungeachtet dieser bedingten Form bedeutet dies die unbedingte Annahme des von Clarendon am 1. August im Namen der Pforte gemachten Vorschlags, demzufolge die in Eupatoria stationierten Truppen an Omer Pascha übergeben und dort durch General Vivians Kontingent ersetzt werden sollten. An demselben Tage depeschierte Clarendon an Redcliffe:

"4. August. Omer Pascha kann Kars zu Hilfe kommen, vorausgesetzt, daß er seine türkischen Truppen vor Sewastopol nicht vermindert und die Garnison in Jenikale unangetastet läßt."

Die französische Regierung hatte bloß gegen die Verminderung der türkischen Truppen vor Sewastopol protestiert. Die englische Regierung fügt noch ein Hindernis hinzu, indem sie die türkischen Truppen von Jenikale mit Beschlag belegt. Am 8. August erhielt Clarendon einen Brief von General Williams, datiert aus Kars vom 14. Juli, in dem er berichtet, General <621> Murawjow habe am 11. und 12. Juli in der Nähe der Festung Rekognoszierungen durchgeführt und

"sei am 13. Juli mit seiner ganzen Armee auf den südlichen Anhöhen über Kars erschienen, die den Schlüssel zu unserer Verteidigung bilden und von deren Gipfelpunkt aus Kars 1828 genommen wurde".

Der Brief schließt mit den Worten:

"Soeben höre ich, daß der russische General Verstärkungen aus Bajazid via Gumry erwartet, und daß jene Truppen, die vor kurzem aus den Garnisonen an der zirkassichen Küste hinausgetrieben wurden, sich auch auf dem Marsch ins Innere von Georgien befinden und an den künftigen Operationen in Kleinasien teilnehmen können." (Nr. 276).

Clarendons Eifer, die türkische Streitmacht zu verkleinern, erhält einen neuen Impuls, als er von den russischen Verstärkungen hört. Er setzt sich unverzüglich hin, um seinen Index militum prohibitorum <Liste der Truppen, die mit Beschlag zu belegen sind> zu vollenden:

"Telegramm Lord Clarendons an Lord Redcliffe.

Ministerium des Auswärtigen, 9. August 1855.

General Vivians Kontingent geht unverzüglich nach Eupatoria. Die türkischen Truppen daselbst, 10.000 oder 12.000 Mann, marschieren mit Omer Pascha nach Redut Kale. Die türkischen Truppen in Balaklawa und Kertsch sind an Zahl nicht zu vermindern. Die türkische Streitmacht, die unter Omer Pascha nach Redut Kale zu gehen hat, wird auf ihre volle Zahl gebracht aus Truppen von Bulgarien und andernorts, jedoch nicht aus der Krim."

Wir sehen hier, wie Clarendon neuerdings das Bereich seiner Verbote erweitert. Da er sich erinnert, daß Oberstleutnant Simmons am 15. Juli gemeldet hat, Omer Pascha beabsichtige, "jenen Teil seiner Armee, der sich hier" (in Balaklawa) "und in Kertsch befindet - 25.000 Mann Infanterie, 3.000 Mann Kavallerie aus Eupatoria und Artillerie" -, mit sich zu nehmen, so verbietet er jetzt der Pforte, die Garnison in Kertsch anzutasten, und dehnt Bonapartes Einspruch gegen die Zurückziehung von türkischen Truppen aus Sewastopol auf die ganze Krim mit Ausnahme von Eupatoria aus; und selbst an diesem Ort schrumpft die Zahl der Truppen auf 10.000 oder 12.000 Mann zusammen an Stelle der 20.000, die er in seiner Depesche vom 1. August an die französische Regierung erwähnte. Mit clownartigem Humor überläßt er es der Pforte, sich "woanders" nach Truppen umzusehen. Nachdem er die Bombe gefüllt hat, kann er jetzt ruhig abwarten, wie sie in Konstantinopel platzt.

<622> In Clarendons Depesche an Redcliffe vom 16. Juli frappierte uns folgende Stelle..

"Sollte Omer Pascha, der unserem Vernehmen nach im Begriff ist, sich nach Konstantinopel zu begeben, sich entschließen, irgendeinen Teil seiner eigenen Armee nach Redut Kale mitzunehmen, so hätte die englische Regierung zu diesem Vorgehen nichts zu bemerken."

Aus einem Brief Fuad Efendis an Redcliffe vom 31. Juli, aus Redcliffes Antwort vom 4. August und aus Redcliffes Brief vom 8. August (siehe Nr. 282 und Beilage) geht nun hervor, daß Clarendons Depesche, datiert vom 16. Juli, am 8. August Konstantinopel noch nicht erreicht hatte. Fuad Pascha konstatiert in seinem Brief, daß die bereits getroffenen Maßnahmen (in bezug auf die mingrelische Expedition) suspendiert worden seien, "da die" (von London) "erwartete offizielle und kategorische Antwort noch nicht eingetroffen sei", und nimmt den türkischen Plan einer mingrelischen Expedition gegen "den wesentlichen Inhalt der englischen Depeschen" in Schutz, demzufolge "die Verstärkung durch Erzerum auf dem Wege über Trapezunt geschickt werden müsse". In seiner Antwort vom 4. August sagt Redcliffe,

"als man ihn neulich aufgefordert habe, die Ansichten seiner Regierung zu äußern, so habe er diese Pflicht nur in dem peinlichen Bewußtsein der Schwierigkeiten erfüllt, in denen sich die Pforte befinde",

denn diese würden durch die Ansichten, "die er zu äußern berufen sei", nur noch gesteigert, und er fügt hinzu:

"Obgleich die Regierung Ihrer Majestät erklärt hat, daß sie einer mehr direkten Operation über Trapezunt und Erzerum entschieden den Vorzug gäbe, so würde sie aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Einwände gegen eine Diversion nach der zirkassischen Seite hin einschränken, wenn die angewandten Streitkräfte fest zusammengefügt und zuverlässig wären."

In seiner Depesche vom 8. August an Clarendon klagt er, daß die Regierung

"noch immer das Hauptgewicht auf Trapezunt lege, als den einzig wirklichen Punkt, dem man Hilfe gehen kann ... Die militärischen Autoritäten sind entschieden dafür" (für die mingrelische Expedition) ... "Trotz der vielen mir entgegengehaltenen, kräftig unterstützten Beweisgründe für den einzigen gangbaren Weg zur Hilfeleistung, teilte ich der Pforte ohne Rückhalt die entgegengesetzten Ansichten meiner Regierung mit."

Clarendons Antwort auf diese letzte Depesche Redcliffes (20. August) muß man unter einem doppelten Gesichtspunkt betrachten: im Hinblick auf Redcliffes Behauptung, daß seiner Meinung nach die englische Regierung sich <623> der mingrelischen Expedition bis zum 8. August widersetzt habe, und im Hinblick auf den Plan, den Clarendon am 1. August als eigenen Plan der Pforte nach Paris sandte. Zum ersten Punkt erklärt Clarendon (siehe Nr. 283):

"Meine verschiedenen telegraphischen Botschaften und meine Depesche vom 4. dieses Monats, die Sie seit der Absendung Ihrer Depesche erhalten haben werden, werden ihnen gezeigt haben, daß die Regierung Ihrer Majestät im Verein mit der Kaiserlichen Regierung von Frankreich darein willigten, daß Omer Pascha nach Asien gehe, um eine Diversion zur Hilfeleistung für Kars zu bewerkstelligen; die Regierung Ihrer Majestät besteht in diesem Falle nicht länger auf dem zuerst eingenommenen Standpunkt, daß die Hilfe über Trapezunt erfolgen muß."

Mit Ausnahme der Depesche vom 14. Juli, in der Clarendon gegen die mingrelische Expedition protestierte und die Türken aufforderte, von Erzerum und Kars zurückzugehen, und der Depesche vom 9. August, die Redcliffe naturgemäß am 8. noch nicht erhalten haben konnte, hatte Clarendon laut Bericht des Blaubuchs überhaupt keine Depesche abgesandt. Es ist daher eine greifbare Fälschung, wenn er von seinen "verschiedenen telegraphischen Botschaften" spricht, in denen er den Einspruch der britischen Regierung gegen die mingrelische Expedition zurückgezogen habe. Warum bezieht er sich nicht auf seine Depesche vom 16. Juli? Weil sie nur im Blaubuch figuriert, nur für das Blaubuch geschrieben war und niemals das Ministerium des Auswärtigen in der Downing Street verlassen hat. Redcliffe, als ob er die ihm gestellte Falle ahnte, schrieb unterm 13. August an Clarendon (Nr. 286):

"Eben erfahre ich den Inhalt der Depesche Eurer Lordschaft vom 9. dieses Monats. Es wird dem türkischen Ministerium wie auch Omer Pascha zur höchsten Befriedigung gereichen, daß die englische Regierung das Experiment einer Diversion gegen Redut Kale sanktioniert. Die Fassung der vorhergehenden Botschaft, die ausschließlich ein Vorrücken nach Kars von Trapezunt aus zu begünstigen schien, hatte eine unverkennbare Enttäuschung hervorgerufen."

Redcliffe weiß nichts von Clarendons "verschiedenen telegraphischen Botschaften". Er weiß nur, daß die vorige Botschaft sich "ausschließlich" zugunsten einer Expedition über Trapezunt aussprach. Er meint damit die Botschaft vorn 13. Juli, die noch durch das Telegramm vom 14. Juli gestützt wird. Von der Existenz der Botschaft vom 16. Juli weiß er überhaupt nichts. Auf diesen Punkt legen wir aus einem ganz einfachen Grunde Gewicht. Ein Blick auf die Akten über Kars wird jedermann zur Genüge zeigen, wie sich die britische Regierung beständig bemühte, die Pläne der Pforte zu durchkreuzen. Und die von uns aufgedeckten Fälschungen, Erfindungen und Lügen beweisen, daß die britische Regierung sich wohl bewußt war, falsches Spiel zu <624> spielen, und verraten, daß bei ihr ein vorher verabredeter Plan existierte, den sie nicht wagt, offen zu gestehen.

Betrachten wir nun Clarendons Depesche vom 20. August aus einem anderen Gesichtspunkt.

"Omer Pascha", sagt er, "wird als Befehlshaber der Truppen des Sultans freie Hand haben, seine Bewegungen so einzurichten, wie sie für die gemeinsame Sache am vorteilhaftesten sind, und die einzige Beschränkung, die ihm von den beiden Regierungen bei seinem Vorgehen auferlegt wird, ist die Bedingung, daß die Bewegung in Asien nicht zu irgendeiner Verminderung der bei Sewastopol und Jenikale verwendeten türkischen Streitmacht führt, während das türkische Kontingent unter General Vivian dazu verfügbar gemacht werden kann, an die Stelle jener türkischen Truppen zu treten, die Omer Pascha von Eupatoria aus mit sich nehmen mag."

Gemäß Clarendons Depesche nach Paris vom 1. August hatte die Pforte vorgeschlagen, die Truppen von Eupatoria unter Omer Paschas Befehl zu stellen, aber ohne sich mit der türkischen Armee vor Sewastopol zu befassen. Wie kann er die einfache Annahme des eigenen Vorschlags der Pforte so hinstellen, als ob man " Omer Pascha bei seinem Vorgehen eine Beschränkung" auferlege? Aber andererseits, was konnte er anderes machen, wo ihn doch gerade die Depesche Redcliffes, die er beantwortet, daran erinnert, daß der Pascha auf "17.000 Mann von Balaklawa", 3.000 Mann von Kertsch usw. rechnet? So wird, was in seiner Depesche nach Paris als eigener Vorschlag der Pforte figuriert, jetzt der Pforte als der Rat ihrer westlichen Alliierten vorgeschrieben.

Bis zum 13. August - gerade einen Monat, nachdem Omer Pascha den alliierten Generalen seine mingrelische Expedition vorgeschlagen hatte - stand die Pforte unter dem peinlichen Eindruck, daß die britische Regierung sich ihr widersetze, und alle ihre Vorbereitungen zur Hilfeleistung für Kars waren infolgedessen förmlich gelähmt. Am 13. August sieht sie sich endlich von diesem Alp befreit und hat die Genugtuung, zu vernehmen, daß ihre westlichen Alliierten dem von ihr am 22. Juli gefaßten Beschluß zugestimmt haben. Endlich sollte sie nun die Freiheit haben, ihre Kraft gegen Murawjow anstatt gegen Clarendon zu verwenden. Am 15. August wird der Rat des Osmanischen Reiches zusammenberufen, um über die wirksamsten Mittel zu beraten, Kars zu Hilfe zu kommen. Das Resultat dieser Beratungen ist ebenso erstaunlich als unerwartet.

"Omer Pascha", sagt Redcliffe in seiner Depesche vom 16. August (Nr. 294) an Clarendon, "widersetzt sich aufs allerentschiedenste dem telegraphisch übermittelten Londoner Projekt, das Kontingent in Eupatoria zu stationieren, und fühlt sich außerstande, die Verantwortung als Kommandant der Expedition zu übernehmen, wenn den türkischen Truppen vor Sewastopol nicht erlaubt wird, einen Teil davon zu bilden."

<625> So sehen wir also, wie jetzt von dem Eupatoriaplan, der angeblich am 23. Juli nach London gemeldet wurde, behauptet wird, er sei am 9. August von London nach Konstantinopel übermittelt worden.

Am 16. August sandte Oberstleutnant Simmons ebenfalls eine Botschaft an Clarendon (Nr. 297):

"Ich muß Eurer Lordschaft berichten, daß der Seraskier, nachdem er von Lord Stratford de Redcliffe dahin benachrichtigt worden, daß Ihrer Majestät Regierung das türkische Kontingent nach Eupatoria beordert habe, diese Mitteilung Seiner Hoheit Omer Pascha zukommen ließ; dieser in der Überzeugung, daß diese Aktion die Pforte nicht in den Stand setzen wird, die nötigen Kräfte aufzubringen, um eine Operation in Asien zur Rettung der Armee von Kars zu unternehmen, hat einen Bericht an den Seraskier verfaßt ... Omer Pascha, obwohl er darauf besteht, seine Truppen von Sewastopol mit sich zu nehmen, wird einen Teil davon und die türkischen Truppen von Kertsch dem englisch-türkischen Kontingent überweisen, soviel als nötig sind, um es auf seine volle Stärke zu bringen ... Der Vorschlag des Paschas erscheint mir als der einzige, der Hoffnung auf eine Rettung der Armee in Kars gewährt, die Bedingung vorausgesetzt, die, wie Seine Hoheit weiß, von der englischen und französischen Regierung insofern auferlegt wurde, als keine tatsächliche Verringerung der Streitkräfte in der Krim stattfinden darf, und daß daher der erste Vorschlag Omers an die Generale, über den ich am 15. Juli berichtete, nicht ausgeführt werden kann. Der Pascha bezweifelt, daß die Expedition jetzt noch rechtzeitig genug kommen wird, die Garnison von Kars zu retten; wenn aber nicht, so wird sie doch auf alle Fälle den Feind verhindern, sich im Gouvernement Erzerum festzusetzen und daselbst Maßnahmen zu einem neuerlichen Vorstoß ins Innere für die künftige Kampagne zu treffen."

Omer Paschas Memorandum an den Seraskier, auf das in dieser Depesche des Oberstleutnants Simmons angespielt wird, ist dem Briefe Redcliffes an Clarendon vom 16. August beigeschlossen. Wir entnehmen daraus die hier folgenden von Omer Pascha gemachten Erwägungen:

"Die jetzt in Eupatoria befindlichen Truppen bestehen aus verschiedenem Menschenmaterial, aus Tunesiern und Ägyptern, und es fehlt ihnen an Mitteln zum Landtransport ... Sie sind nicht imstande, ins Feld zu rücken oder zu manövrieren ... Müßten die Ägypter nach Asien ziehen - denn es wird sich als notwendig erweisen, während des Winters im Feld zu bleiben -, so würden sie, da sie an ein heißes Klima gewöhnt sind, die notwendigen Manöver nicht ausführen können, und da die Armee aus verschiedenem Menschenmaterial zusammengesetzt ist, so wäre wenig Aussicht auf Erfolg. Wird dieses Projekt durchgeführt, so wird die Einheit sowohl der ottomanischen als der englischen Armee zerstört, und es darf nicht vergessen werden, daß ein großer Teil der Kampffähigkeit, wenn nicht gar die ganze Existenz einer Armee, von ihrer Einheitlichkeit abhängt ... Der Pascha bemerkt, jeder Befehlshaber sollte bei der Kriegführung von vornherein die schwierigsten Umstände ins Auge fassen, in die er durch die Kriegsereignisse geraten könne, und soweit als möglich dem Mißgeschick <626> vorbeugen. Er setzt den Fall, die Armee von Kars wäre schon vor seinem Eintreffen in Asien vernichtet und die Russen über diesen Platz hinaus vorgerückt, und erklärt, in einem solchen Falle würde er mit einer aus verschiedenem Menschenmaterial zusammengewürfelten Armee, in die er nicht vollstes Zutrauen setzen könne, in ähnliche Schwierigkeiten geraten wie die, in denen sich die asiatische Armee heute befinde.

Jeder General, dem man eine Operation anvertraut, müsse mit dieser Operation und dem Modus ihrer Durchführung einverstanden sein, so daß er für ihren Verlauf verantwortlich gemacht werden könne. Das englisch-türkische Kontingent, würde es durch die aus Bulgarien und Kertsch zuziehenden Detachements zu seiner vollen Stärke ergänzt, würde an Zahl den unter seinem Kommando befindlichen Divisionen etwa gleichkommen. Was die Zahlen der alliierten Armeen betrifft, so brauchten sie nicht vermindert zu werden, wenn man nur seiner Ansicht beitreten wollte. Würde im Gegenteil der Londoner Plan ausgeführt, so würden dadurch die permanenten Vorkehrungen, die der Seraskier zur Versorgung der Garnison von Eupatoria getroffen habe, durchbrochen werden, es müßten unvermeidliche Verzögerungen entstehen und ganz neue Einrichtungen organisiert werden."

Nach Omer Paschas Meinung sind die natürlichen Folgen des aus London eingeschickten Planes, würde er verwirklicht, die Vernichtung der letzten schlagkräftigen türkischen Armee, der Verlust der Einheit sowohl in der englischen wie auch in der ottomanischen Armee, die nutzlose Hinopferung der Ägypter und Tunesier, die Durchbrechung der permanenten Vorkehrungen zur Versorgung der türkischen Truppen in Eupatoria, die Schaffung unvermeidlicher Verzögerung, der Ruin seines eigenen militärischen Renommees und die Gefahr für die mingrelische Armee, das gleiche Schicksal wie das der Garnison von Kars zu erleiden. Bei der Mitteilung dieses scharfen Protestes an Clarendon läßt Redcliffe nicht im geringsten ahnen, daß er selbst der Kanal war, durch den die Pforte veranlaßt wurde, eben dieses selbe Projekt Clarendon zu übermitteln.

Somit haben wir also den neuen und unwiderleglichen Beweis, daß der Vorschlag der Pforte, wie er in der Depesche vom 23. Juli dargestellt ist, eine Londoner Fälschung ist, und daß Clarendon, als er ihn in seiner Depesche vorn 1. August der französischen Regierung zur Annahme vorlegte, sich wohl bewußt war, einen abscheulichen Betrug zu verüben.

Clarendons Plan erfüllte sich ganz nach seinem Wunsch. Die Pforte, endlich davon informiert, daß die englische Regierung der türkischen Expedition im allgemeinen zustimmt, erfährt gleichzeitig, daß sie sich sämtlichen Einzelheiten der Ausführung widersetzt. Nachdem sie einen Monat lang gegen Clarendons Erzerumprojekt hat ankämpfen müssen, muß sie nun den noch weit kostbareren Monat August damit vertrödeln, sich gegen sein Eupatoriaprojekt zur Wehr zu setzen.

<627> In einer Depesche Redcliffes vom 20. August an Clarendon ist ein zweites Memorandum Omer Paschas beigeschlossen, das dem ersten an Inhalt ähnelt, aber folgenden Zusatz enthält (siehe Nr. 296):

"Jeder General, der eine derartige Operation gegen alle militärischen Regeln auszuführen versucht, würde seinen militärischen Ruf aufopfern, und er würde überdies die gemeinsame Allianz gefährden. Ich beabsichtige keines von beiden zu tun.

Selbst wenn ich das Kommando annähme, so brächte es der angestrebten Sache keinen Nutzen."

Er schildert die Truppen von Eupatoria "als undisziplinierte, zusammengewürfelte und unerfahrene Soldaten".

Am 20. August (siehe Nr. 298, Simmons an Clarendon) informiert Omer Pascha Simmons über den Stand der Dinge in Kars nach der Schilderung eines Adjutanten des Seraskiers, der Kars am 5. August verließ und in Konstantinopel am 9. August eintraf..

"Zur Zeit seiner Abreise enthielten die Lager innerhalb der Stadt Kars nur mehr Vorräte für vier, höchstens fünf Wochen, und mit Munition war die Garnison auch nur ungenügend versehen. Das sei allerdings nicht von großer Wichtigkeit, denn General Murawjow habe seiner nach den erhaltenen Verstärkungen etwa 50.000 Mann zählenden Armee verkündet, er wolle Kars aushungern und die Stadt nehmen, ohne einen Schuß abzufeuern ... Die Russen haben die Einwohner gezwungen, alles, was nach Proviant aussah, acht Stunden (28 Meilen) im Umkreis von Kars wegzuschaffen ... Die Garnison in Erzerum besteht aus 6.000 Mann regulärer und 12.000 irregulärer Truppen; doch von den letzteren gehen viele auf und davon oder laufen auseinander." Simmons sagt: "Aus Omer Paschas Ausführungen geht hervor, daß die Pforte von dem traurigen Zustand der Dinge in Asien tief ergriffen ist und die fast sichere Aussicht, Ende dieses Monats oder Anfang September die Garnison von Kars, 16.000 Mann und nahezu 200 Geschütze, darunter 70 Feldgeschütze, verlieren zu müssen, sie geradezu zur Verzweiflung treibt ... Sie ist sehr betrübt und enttäuscht, daß so viel Zeit verlorenging und daß die Kabinette in Paris und London und auch die militärischen Autoritäten in der Krim der Angelegenheit nicht die ernste Bedeutung beigelegt hätten, in der sie der Pforte erscheint, sondern sich den Vorschlägen widersetzt hätten, die bisher in der Absicht gemacht worden sind, ihre Lage zu verbessern und das Unheil zu verhüten."

Am 21. August, auf einer Sitzung des Rates der Pforte (Nr. 299, Simmons an Clarendon am 23. August),

"gelangt man zu dem Entschluß, mit dem größten Nachdruck und mit allen der Pforte zur Verfügung stehenden Mitteln vorzugehen, um den von Omer Pascha vorgeschlagenen Plan auszuführen ... Eine Note wurde vereinbart, die an die Gesandten von Frankreich und England zu richten wäre, um sie von der Entscheidung der Pforte in Kenntnis zu setzen und sie aufzufordern, den Beistand der Flotten ihrer Regierungen <628> zu erlangen, um die ottomanischen Truppen mit ihrer Artillerie, ihrer Bagage und ihren Landtransportmitteln an die asiatische Küste zu bringen ... Habe sie alles getan, was in ihrer Macht stand, um einen Feldzug zustande zu bringen, der der Armee von Kars Hilfe bringen sollte, und ihre Position in Asien wiederzugewinnen, so fühle sie sich" (die Pforte) "frei von der Verantwortung für jedes Unheil, das aus der Nichtausführung der zu diesem Zwecke vorgeschlagenen Pläne entstehen könnte. Die türkische Regierung schicke jetzt, um die Bewegung in Fluß zu bringen, ihre Schiffe nach Sozopolis, um die Einschiffung der Truppen zu beginnen usw. Doch hätte sie offenbar einige Zweifel gehegt, ob sie diesen entscheidenden Schritt unternehmen solle, da das englisch-türkische Kontingent aus London Order bekommen hatte, nach Eupatoria zu marschieren."

So ist nun bald der August zu Ende, und die Pforte sieht sich immer noch in ihren Bewegungen durch Clarendons Eupatoriaplan gehemmt. Ihre Unruhe steigt, je verzweifelter die Nachrichten aus Kars lauten; endlich erpreßt sie von Redcliffe, der inzwischen einen Abstecher nach Sewastopol gemacht hatte, folgende telegraphische Depesche (Nr. 290):

"Lord Redcliffe an Earl Clarendon.

Vor Sewastopol, 26. August.

Ich ersuche, mich hierher sofort und definitiv darüber zu informieren, ob Omer Pascha türkische Truppen im ganzen oder zum Teil von Balaklawa wegnehmen kann, vorausgesetzt, daß sie durch andere in gleich großer Zahl ersetzt werden, und ob in diesem Fall General Vivians Kontingent freie Hand hat, seine Stellung vor Sewastopol einzunehmen, statt nach Eupatoria zu gehen. Omer Pascha wird von Tag zu Tag erwartet. Er macht seine Expedition davon abhängig, ob ihm die Macht eingeräumt wird, so zu handeln, wie oben ausgeführt wurde. Er hat annehmbare Gründe dafür vorgebracht. Wenn wir Transporte beistellen können, so könnten, wie es scheint, die Truppen in Redut Kale etwa in einem Monat landen. Die Russen, die Erzerum bedrohten, haben sich auf der Straße nach Kars zurückgezogen; von der türkischen Armee daselbst wird berichtet, daß sie zu Anfang August fast noch für zwei Monate Proviant besaß."

IV

["The People's Paper" Nr. 208 vom 26. April 1856]

Clarendon hat es nun fertiggebracht, durch sein Eupatoriaprojekt jede Aktion der Pforte während des ganzen Monats August zu durchkreuzen. Redcliffes Depesche bestätigte die Behauptung des Generals Williams, "daß der Proviant in Kars kaum noch bis Anfang September reichen wird". Mit welcher außerordentlicher Hingebung die türkische Garnison in Kars es fertig- <629> brachte, über diesen von Williams bezeichneten Zeitpunkt hinaus ihre Existenz zu fristen, zeigt uns das Memorandum, das wir hier folgen lassen. (Beilage zu Nr. 315):

"Kars, 1. September 1855.

Wir strecken unseren Proviant so weit wie möglich; die Soldaten sind auf halbe Ration Brot und Fleisch oder Reisbutter gesetzt. Manchmal 100 Drachmen Biskuit statt Brot, sonst nichts. Kein Geld. Muselmanische Bevölkerung, 3.000 Schützen, werden bald Hungers sterben. Armenier haben Order, morgen die Stadt zu verlassen. Keine Gerste, kaum noch Fourage. Kavallerie nur noch wandelnde Skelette, werden aus der Garnison entfernt, Artilleriepferde bald ebenfalls. Wie wird man dann die Geschütze von der Stelle bewegen? ... Was geschieht zur Rettung dieser Armee? gez. Williams"

Nachdem sich Clarendon vergewissert, daß die Vorräte in Kars nicht über den Anfang Oktober hinaus reichen könnten, und nachdem ihn Redcliffe andererseits versichert hatte, daß selbst mit Hilfe der Transportmittel der Alliierten die Truppen Omer Paschas nicht vor den ersten Oktobertagen bei Redut Kale ankommen würden, hält er es nicht länger mehr für gefährlich, die französische Regierung zur Annahme des türkischen Projektes zu drängen. Außerdem war er davon informiert, daß genau in dem Moment, wo er sich an diese Regierung wandte, der Sturm auf Sewastopol unmittelbar bevorstand, und daß daher Pélissier gute Gründe dafür hatte, in der Zusammensetzung der Truppen vor Sewastopol keinerlei Veränderungen eintreten zu lassen. Um diese Kenntnis zu verbergen, wird die Depesche Redcliffes in der verstümmelten Form eines Auszuges wiedergegeben. Die Depesche Clarendons an Lord Cowley lautet folgendermaßen:

"Ministerium des Auswärtigen, 28. August 1855.

Die Regierung Ihrer Majestät hat das Vertrauen, daß die Kaiserliche Regierung der hier folgenden Antwort auf die Depesche des Viscount Stratford de Redcliffe, die aus Balaklawa vom 26. August datiert ist, zustimmt. Ist das der Fall, so soll Eure Exzellenz sie unverzüglich über Lord Panmure an General Simpson weitersenden, der den Viscount de Redcliffe, wenn er noch in Balaklawa ist, instruieren wird: 'Omer Pascha soll freie Hand haben, diejenigen von seinen Truppen von Balaklawa nach Asien zu nehmen, die ihm genehm sind. Sie müssen in gleicher Stärke aus General Vivians Kontingent oder aus Truppen von Eupatoria ersetzt werden, je nach der Entscheidung der alliierten Generale, und entsprechende Instruktionen wegen ihrer Transportierung müssen in Übereintimmung mit den Admiralen gegeben werden.'

gez. Clarendon"

Selbst in dieser Depesche kann sich Clarendon nicht enthalten, der Pforte einen Streich zu spielen. Obwohl er aus den verschiedenen Memoranden Omer Paschas davon unterrichtet ist, daß die Ersetzung seiner Truppen vor <630> Sewastopol durch Truppen von Eupatoria sein ganzes Projekt in hohem Maße schädigen würde, schlägt er ganz en passant <nebenbei> der französischen Regierung vor, die Truppen vor Sewastopol durch Vivians Kontingent oder durch Truppen von Eupatoria zu ersetzen. Die Antwort aus Paris lautete so:

"Telegraphisch. Lord Cowley an den Earl of Clarendon.

Paris, 29. August 1855.

Der Kaiser hat gegen die Entfernung der türkischen Truppen von Balaklawa und gegen ihre Ersetzung durch andere nichts einzuwenden, vorausgesetzt, daß die alliierten Oberbefehlshaber keine Einwendung machen, er will jedoch nicht die Verantwortung auf sich nehmen, unter diesen Verhältnissen mehr zu sagen. Ich sende die telegraphische Depesche an General Simpson und füge hinter dem Wort 'Asien' hinzu: 'vorausgesetzt, daß Sie und General Pélissier keine Einwendungen machen'."

Lord Clarendons aufrichtige Besorgnis, die mingrelische Expedition in diesem letzten Augenblick zu beschleunigen, leuchtet mit unwiderstehlicher Klarheit aus seiner Depesche vom 7. September hervor, die er mit gewöhnlicher Post an Oberstleutnant Simmons sandte, so daß sie ihn erst am 23. September erreichte. Er hatte am 5. September folgende Depesche von Oberstleutnant Simmons bekommen (Nr. 301):

"Ich muß Eurer Lordschaft mitteilen, daß Omer Pascha mir erklärte, Konstantinopel nicht vor fünf oder sechs Tagen verlassen zu können, da er damit beschäftigt sei, die notwendigen Vorbereitungen zur Expedition nach Asien zu treffen, und seine Anwesenheit hier zu deren Vollendung unbedingt erforderlich sei." Infolge der von der Pforte akzeptierten Anordnungen "hoffte Omer Pascha in Asien 50.000 Mann und 3.400 Pferde allein mit der türkischen Flotte in zwei Fahrten zu laden, so daß die Operation drei bis vier Wochen oder jede Fahrt zehn bis vierzehn Tage in Anspruch nehmen würde ... Omer Pascha wünscht sehnlichst, daß ihm die Alliierten helfen, die Truppen und das Material, die vor Sewastopol sind, und die Trainpferde von Sazopolis zu befördern, und er glaubt, sie könnten dies in der geeignetsten Weise tun, wenn sie der englischen Flotte die Erlaubnis gäben, die vor Sewastopol befindlichen Truppen nach Asien zu bringen, nachdem sie vorher das Kontingent, das sie ersetzen soll, nach Balaklawa gebracht hat."

Auf diese Depesche antwortet Clarendon in folgender Weise:

"Earl of Clarendon an Oberstleutnant Simmons

Auswärtiges Amt, 7. September 1855

Der Bericht über die von Omer Pascha der Pforte vorgeschlagenen Anordnungen zum Entsatz der Armee in Asien, den Ihre Depesche vom 26. vorigen Monats enthält, <631> ist unvereinbar mit späteren Erklärungen, die Ihrer Majestät Regierung erhalten hat. Sie melden in Ihrer Depesche, daß Omer Pascha darauf rechnet, einen Teil der bei Sewastopol befindlichen türkischen Truppen mitzunehmen und sie durch General Vivians Kontingent zu ersetzen. Aus einer später datierten Depesche General Simpsons geht jedoch hervor, Omer Pascha habe sich dahin geäußert, daß General Vivians Kontingent nicht geeignet wäre, vor dem nächsten Frühjahr eine Position vor Sewastopol zu beziehen. Infolge dieser Äußerung und auf Grund des Protestes von seiten des Generals Simpson gegen die Absendung des Kontingents an ihn, eines Protestes, der sich auf diese Äußerung stützte, hat die Regierung Ihrer Majestät beschlossen, daß das Kontingent nicht abgehen soll, um sich mit der Armee vor Sewastopol zu vereinigen.

Clarendon"

Wir machen darauf aufmerksam, daß die Depesche Simpsons, des armseligen Kriegers, im Blaubuch weggelassen ist, daß Omer Paschas "Äußerung" eine Fälschung ist und daß das "spätere Datum", unter dem Omer Pascha seine neue Meinung abgab, die seiner Meinung vom 26. August widersprach, zufällig auf den Anfang Juli fällt, wie man aus dem hier folgenden Auszug aus einer aus dem Lager von Kamara vom 23. September 1855 datierten Depesche des Oberstleutnants Simmons ersehen wird:

"Ich gestatte mir, Eure Lordschaft über diesen Gegenstand dahin zu informieren, daß Omer Pascha diese Ansicht Anfang Juli in einem Brief an General Simpson aussprach, ... und zwar, noch ehe er die kritische Lage der Armee in Asien erkannte. Er äußerte sich damals, daß er unbedingt der Meinung sei, General Simpson könne nicht daran denken, das Kontingent im offenen Feld (en rase campagne) vor dem Feind zu verwenden ... Lord Raglan hatte bei verschiedenen Gelegenheiten angefragt, ob ich es für möglich hielte, mit dem Kontingent die Linie von Balaklawa zu halten, und als ich Omer Pascha um seine Ansicht hierüber befragte, sagte er mir, er sähe keinen Einwand dagegen, wenn Seine Lordschaft es für unumgänglich notwendig hielte."

Wenn er eine Äußerung Omer Paschas ausgrub, die gefallen war, ehe noch die mingrelische Expedition zur Diskussion stand, wenn er diese Äußerung fälschte und dann auf diese Fälschung einen Protest begründete, folgte Simpson in seinem "Stumpfsinn" selbstverständlich nur den geheimen Instruktionen, die er aus London bekam. Der arme Simpson ist eine Erfindung Palmerstons, einer seiner Golems. Golems sind, wie uns der deutsche Dichter Arnim sagt, Erdklumpen in Menschenform, denen launische Hexenmeister künstliches Leben eingehaucht haben. Angenommen, Simpson hätte genauso geschrieben, wie es in Clarendons Depesche dargestellt ist - die Unterdrückung seiner Depesche im Blaubuch läßt diesen Punkt fraglich erscheinen -, so konnte Clarendon doch keinen Moment im Zweifel über den Zeitpunkt und den Inhalt von Omer Paschas Äußerung sein. Schon am 15. Juli hatte ihn Simmons verständigt, daß nach Omer Paschas Ansicht "das <632> Kontingent, wenn es auch eine Garnison bilden könne, doch noch nicht in der Verfassung sei, ins Innere des Landes zu marschieren"; und in einer späteren Depesche hatte er gesagt, "in Balaklawa und Kertsch würden sich die Truppen des Kontingents innerhalb befestigter Linien befinden", also "nicht im offenen Feld".

Die Geschichte der mingrelischen Expedition Omer Paschas ist im Blaubuch nicht wiedergegeben, aber es sickert genug durch, um einen Begriff von den Hindernissen zu geben, die ihr von den alliierten Regierungen in den Weg gelegt wurden, sogar noch zu dem viel zu späten Zeitpunkt, als sie mit Widerstreben ihre Einwilligung gegeben hatten und die Südseite von Sewastopol genommen war.

Simmons schreibt an Clarendon aus dem Lager von Kamara am 21. September 1855.

"Am 18. dieses Monats willigte General Pélissier in die Abreise von drei Bataillonen türkischer Chasseure von hier nach Asien. Sie werden in einem oder zwei Tagen nach Batum eingeschifft werden. Bis zur Stunde hat General Pélissier noch nicht seine Einwilligung zur Abreise weiterer jetzt hier stationierter ottomanischer Truppen nach Asien gegeben."

"Auf meine Anfragen bei der Pforte", sagte Redcliffe am 26. September, "wird mir versichert, daß die Überfahrt der Truppen und der Transport der Vorräte vorwärtsgeht, wenn auch langsam, weil man zu diesem Zweck Transportmittel nur in beschränktem Maß beordert habe. Man kann sich unmöglich der Einsicht verschließen, daß die vielen Änderungen des Kriegsplans, die Erfordernisse unserer Operationen in Sewastopol und die starke Beanspruchung des Transportdienstes vereinigt dahin wirken, die Hoffnung auf die Rettung von Kars zu vermindern."

Nun waren aber die vielen Änderungen des Kriegsplans das Werk des britischen Ministeriums, die durch die Operationen in Sewastopol bedingten Erfordernisse ein bloßer Vorwand, denn die Alliierten beschränkten sich nach der Einnahme der Stadt darauf, deren Ruinen zu bewachen, und der Mangel an genügenden Transportmitteln war schließlich dadurch verursacht, daß von Downing Street Anordnungen zu sinnlosen Verschickungen des Kontingents von Varna nach Jenikale, Kertsch, Eupatoria und zurück zum Bosporus erlassen worden waren.

Das Dunkel dieser Vorahnungen wurde einen Augenblick durch den meteorartigen Glanz des Sieges erhellt, den die Türken am 29. September vor Kars über die anstürmenden Reihen der Russen errangen. In seiner Depesche desselben Datums nennt General Williams diesen Tag einen "glorreichen für die türkischen Waffen". In seiner Depesche vom 3. Oktober (Nr. 342) äußert er sich gegen Clarendon:

<633> "Die türkische Infanterie wie auch die Artillerie fochten während des fast sieben Stunden währenden Kampfes mit äußerster Kühnheit, und wenn man sich erinnert, daß sie während einer fast vier Monate dauernden Periode an ihren Verschanzungen arbeiten und sie bei Nacht bewachen mußten, wenn man bedenkt, daß sie schlecht gekleidet und nur mehr auf halbe Kost gesetzt waren, und daß sie neunundzwanzig Monate lang keine Löhnung bekommen hatten, so glaube ich, Eure Lordschaft wird zugeben, daß sie sich der Bewunderung Europas würdig gezeigt und zweifellos den Anspruch erworben haben, seinen ausgezeichneteten Truppen zugezählt zu werden."

Die Pforte erließ beim Erhalt dieser frohen Kunde eine Adresse an die Verteidiger von Kars (Nr. 345), in der es heißt:

"Wir waren überzeugt von der Unerschrockenheit und dem Eifer, die Eure Exzellenz beseelten, und von der unendlichen Gnade Gottes, und fanden Trost in diesem Gedanken. Andererseits arbeiteten wir Tag und Nacht daran, Mittel zu ersinnen, die den Feind zwingen sollten, die Belagerung aufzuheben. Die freudige Nachricht von diesem Sieg hat uns mit neuem Leben erfüllt."

Und welche Fülle von neuem Leben wird sie erst in Clarendons Brust erwecken! Er, der Tag und Nacht daran arbeitete, Mittel zu ersinnen, um die von der Pforte ersonnenen Mittel zu vereiteln, wird er nicht, wenigstens zum Schein, die wohlfeilen Blüten seiner rhetorischen Sympathie umherstreuen? Keineswegs. Er läßt vielmehr, in seinen Berechnungen enttäuscht, seinen Ärger gegen die Pforte in einer kurzen und herausfordernd ironischen Depesche aus (Nr. 346):

" ... Die vernachlässigte Garnison von Kars wird wenigstens die Befriedigung haben, zu erfahren, daß ihre Leiden ... die Ruhe der türkischen Minister störten, die, da ihnen alle gewöhnlichen Mittel fehlten Hilfe zu leisten, niemals aufhörten, für ihre Wohlfahrt und ihren Erfolg zu beten."

Clarendon, früher der schweigsame Freund Aberdeens, tritt hier als Palmerstons dröhnendes Sprachrohr auf.

Von der Zurückwerfung der Russen vor Kars am 29. September bis zum Tag seiner Kapitulation, dem 24. November, verstrichen nun wieder fast zwei Monate. Wie nutzte die britische Regierung diese Zeit? Erstens, indem sie Omer Pascha die notwendigen Transportmittel vorenthielt. Am 2. Oktober schreibt Herr Oliphant, Korrespondent der "Times", aus Omer Paschas Lager:

"Das Aussehen der türkischen Armee wird nach und nach immer imponierender. Sind erst die 10.000 türkischen Soldaten von Balaklawa eingetroffen, zu deren Absendung die alliierten Generale endlich widerwillig ihre Zustimmung gaben, so wird sie 50.000 Mann stark sein. Hauptsächlich wird die Verzögerung durch die Saumseligkeit <634> unserer Obrigkeit in der Krim verursacht, die weder Transportmittel für die Beförderung der Truppen nach hier bereitstellt, noch sich im geringsten darum zu kümmern scheint, ob sie überhaupt hierher gelangen oder nicht. Es ist sicher ein recht unglücklicher Zustand, daß der einzige ernstliche Grund zur Beunruhigung, die Omer Pascha bei dieser Expedition empfunden hat, der gleichen Quelle zuzuschreiben ist, aus der schon so viel Unheil entsprungen ist."

Doch damit nicht genug. Im Juli schon hatte Lord Palmerston in den Parlamentsdebatten über die türkische Anleihe erklärt, daß die Pforte in einer erbärmlichen Geldklemme sei, und alle ihre weiteren Operationen davon abhingen, ob sie sofort Geld bekäme. Das Parlament gab seine Zustimmung zu der Anleihe, und die britische Regierung schrieb sie im August 1855 aus; aber aus einem dem Parlament vorgelegten Dokument geht hervor, daß die Pforte von den ihr bewilligten fünf Millionen Pfund Sterling am 29. Januar 1856 erst knapp zwei ausgezahlt erhalten hatte, und daß sogar diese Summe in kleinen Raten von 100.000 Pfd.St. geschickt worden war.

Noch am 24. November 1855 erklärte die Pforte (Nr. 353, Beilage 4):

"Zum Schlusse wendete sich Seine Exzellenz" (der Seraskier) "zu mir und sagte, ich wüßte doch so gut wie er von den steten Anstrengungen, die von ihm gemacht würden, um der Garnison von Kars zu helfen. Omer Pascha sei durch Gründe aufgehalten worden, über die er unglücklicherweise keine Macht besäße. Die Sache läge bei den Alliierten. Man sei sich schon immer darüber klar gewesen, daß keine Maßnahme, die zu treffen in ihrer Macht liege, den angestrebten Zweck erreichen könne, wenn sie ohne die in der Krim zurückgehaltene Armee durchgeführt werden müsse ... Mit großem Nachdruck fuhr Seine Exzellenz dann fort, mir auseinanderzusetzen, daß durch die Verzögerung der Anleihe die Türken absolut daran gehindert wären, das für die Fortsetzung des Feldzugs Nötige zu tun. Getreide im Betrag von einer Million Kilogramm, das sie für den Verbrauch in der Armee gekauft hätten, werde ihnen nicht zugestellt, da sie es nicht bezahlen könnten ... Er habe an den Großwesir geschrieben, daß, wenn das Geld aus jener Quelle" (der Anleihe) "nicht binnen einer Woche, von heute an gerechnet, zum Vorschein käme, er sein Amt niederlegen würde." (Brief des Generals Mansfield an Lord de Redcliffe.)

Es ist ein ziemlich merkwürdiger Zufall, daß gerade an dem Tage, an dem Kars kapitulierte, der Seraskier dem britischen Armeebevollmächtigten die wahren Gründe dieses Unglücks eindringlich auseinandersetzte: die Verzögerung der Expedition Omer Paschas, weil die Alliierten der Pforte deren eigene Truppen zurückhielten, und dann das Einstellen aller Operationen im Oktober und November, weil die britische Regierung der Pforte ihr eigenes Geld zurückbehielt.

Als man sich in Kars am 24. November zur Kapitulation entschloß,

<635> "starben täglich hunderte Soldaten Hungers. Sie waren nur noch Skelette und unfähig, zu kämpfen oder zu fliehen. Die Frauen brachten ihre Kinder in das Haus des Generals, damit sie dort Nahrung bekämen, und ließen sie dort, und die Straßen der Stadt waren mit Toten und Sterbenden bedeckt." (Nr. 366)

Während der ganzen Zeit, in der Clarendon systematisch die Pläne der Pforte durchkreuzt, ihre Kräfte lähmt und ihr ihr eigenes Geld vorenthält, sehen wir, wie er der an Händen und Füßen gefesselten Pforte mit seinen Ratschlägen in den Ohren liegt, energisch vorzugehen, und sie wegen ihrer Schlaffheit beschimpft. Die Weltgeschichte bietet vielleicht keine Parallele, die von grausamerer Lächerlichkeit wäre als die zwischen der britischen Regierung, die England durch ihre Abenteuer in der Krim, in der Ostsee, im Stillen Ozean und durch die an die Werkzeuge dieser Mißgriffe verschwendeten Belohnungen zur Zielscheibe des Gespötts von Europa macht - und derselben Regierung, die die Pforte in den schärfsten Tönen antiken Catonentums wegen der schweren Fehler ihrer Militär- und Verwaltungsbeamten schmäht. Die Regierung des Sadleirismus, die sich moralisch über die Korruption der Paschas entrüstet; die Gönner eines Codrington und eines Elliot, die auf der Bestrafung eines Selim Pascha und eines Tahir Pascha bestehen; die improvisatori <Macher, Hintermänner> eines Simpson, die drohend die Stirn runzeln über die Förderer eines Omer Pascha; "Take Care of Dowb" Panmure, der den Seraskier belehrt; Downing Street mit ihren Doktores Smiths, ihren Filders, ihren Aireys und ihren Gordons, die noch während der Sitzungen des Sewastopoler Komitees einen Pascha in Trapezunt tadeln, weil eine Ladung von Zündschwämmen und Ladestöcken nicht in Bündel gepackt und mit Matten bedeckt wurde - das ist das getreue Bild des Orientkriegs! Und allen voran der tapfere Clarendon mit seinen herzbewegenden Klagen über die Apathie der Pforte! - man denkt an einen offiziellen Thersites, der die Danaiden schulmeistert, weil sie ihr löchriges Faß nicht füllen.

Karl Marx