Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. S. 43-48.

Karl Marx

[Die Revolution in Spanien]

Geschrieben Anfang August 1856.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4783 vom 18. August 1856, Leitartikel]

<43> Saragossa ergab sich am 1. August um 1/22 Uhr nachmittags, und damit war das letzte Zentrum des Widerstandes gegen die spanische Konterrevolution verschwunden. Militärisch gesehen bestanden nach den Niederlagen in Madrid und Barcelona, der nur schwachen Aktion der Aufständischen in Andalusien und dem konzentrischen Vorrücken überwältigender Kräfte aus den Baskischen Provinzen, aus Navarra, Katalonien, Valencia und Kastilien nur wenig Erfolgsaussichten. Aber jede Aussicht, die noch möglicherweise bestand, wurde durch den Umstand zunichte gemacht, daß ausgerechnet General Falcon, ein alter Adjutant Esparteros, die Widerstandskräfte befehligte, daß als Kampflosung "Espartero und die Freiheit" ausgegeben wurde und daß die Einwohner Saragossas von dem unermeßlich lächerlichen Fiasko Esparteros zu Madrid erfahren hatten. Außerdem gab es einen direkten Befehl aus Esparteros Hauptquartier an seine Gehilfen in Saragossa, daß sie jedem Widerstand ein Ende setzen sollten, wie man dem folgenden Auszug aus dem "Journal de Madrid" vom 29. Juli entnehmen kann:

"Einer der Exminister Esparteros nahm an den Verhandlungen teil, die zwischen General Dulce und den Behörden von Saragossa geführt wurden, und Juan Martinez Alonzo, ein Espartero-Anhänger in den Cortes, übernahm den Auftrag, die aufständischen Führer davon zu unterrichten, daß die Königin, ihre Minister und ihre Generale von einem höchst versöhnlichen Geist beseelt wären."

Die revolutionäre Bewegung war nahezu vollständig über ganz Spanien verbreitet. Madrid und La Mancha in Kastilien; Granada, Sevilla, Malaga, Cadiz, Jaen usw. in Andalusien; Murcia und Cartagena in Murcia; Valencia, Alicante, Alcira usw. in Valencia Barcelona, Réus, Figueras, Gerona in Katalonien; Saragossa, Teruel, Huesca, Jaca usw. in Aragonien; Oviedo in <44> Asturien und Coruña in Galicien. Es gab keine Erhebungen in Estremadura, Leon und Alt-Kastilien, wo die revolutionäre Partei schon zwei Monate vorher unter der gemeinsamen Leitung Esparteros und O'Donnells unterdrückt worden war; die Baskischen Provinzen und Navarra blieben ebenfalls ruhig. Die Sympathien der letztgenannten Provinzen waren jedoch bei der revolutionären Sache, wenn sie auch angesichts der französischen Beobachtungsarmee nicht so offen hervortreten konnten. Das ist um so bemerkenswerter, wenn man bedenkt, daß zwanzig Jahre vorher gerade diese Provinzen das Bollwerk des Karlismus bildeten -, der damals durch die Bauernschaft Aragoniens und Kataloniens unterstützt wurde; diesmal jedoch standen die Bauern mit großer Leidenschaft auf der Seite der Revolution und hätten sich als äußerst machtvolles Element des Widerstandes erwiesen, wenn die Schwachköpfigkeit der Führer in Barcelona und Saragossa die Entfaltung ihrer Energien nicht verhindert hätte. Sogar der Londoner "Morning Herald", der orthodoxe Verfechter des Protestantismus, der vor etwa zwanzig Jahren Lanzen für Don Carlos, den Don Quiote des Autodafé, gebrochen hatte, ist über diese Tatsache gestolpert, die er, ehrlich genug, anerkennt. Das ist eines der vielen Symptome des Fortschritts, welche die letzte Revolution in Spanien enthüllt hat, eines Fortschritts, dessen Langsamkeit nur diejenigen verwundern wird, die mit den eigentümlichen Sitten und Gebräuchen eines Landes nicht bekannt sind, wo "a la mañana" <"bis morgen"> das Kennwort des alltäglichen Lebens ist und wo jedermann einem die Antwort bereithält, daß "unsere Vorfahren achthundert Jahre brauchten, um die Mauren zu vertreiben".

Ungeachtet der allgemeinen Verbreitung der pronunciamientos <Aufrufe zum Aufstand> war die Revolution nur auf Madrid und Barcelona beschränkt. Im Süden wurde sie durch die Choleraseuche, im Norden durch die Espartero-Pest gebrochen. In militärischer Hinsicht bieten die Aufstände in Madrid und Barcelona nur wenig Interessantes und kaum irgendwelche neuartigen Züge. Auf der einen Seite - der Armee - war alles längst vorbereitet; auf der anderen Seite wurde alles improvisiert, die Offensive ging auch nicht für einen Augenblick auf sie über. Auf der einen Seite eine gut ausgerüstete Armee, die mühelos den Befehlen ihrer Generale folgte; auf der anderen Führer, die sich nur widerstrebend und durch den Druck eines ungenügend bewaffneten Volkes vorwärtsstoßen ließen. In Madrid begingen die Revolutionäre gleich zu Anfang den Fehler, sich in den Innenbezirken der Stadt einzuschließen, auf einer Linie, welche die östlichen mit den westlichen Außenbezirken verbindet; <45> diese Außenbezirke aber wurden von O'Donnell und Concha beherrscht, die miteinander und mit der Kavallerie von Dulce über die äußeren Boulevards in Verbindung standen. Auf diese Weise schnitten sich die Leute selbst ab und setzten sich dem konzentrischen Angriff aus, der vorher zwischen O'Donnell und seinen Komplizen verabredet war. O'Donnell und Concha brauchten nur ihre Vereinigung durchzuführen - und die revolutionären Kräfte waren in die Nord- und Südbezirke der Stadt zersprengt und allen weiteren Zusammenhalts beraubt. Es war ein besonders charakteristisches Merkmal des Madrider Aufstands, daß man Barrikaden wenig und nur an wichtigen Straßenecken verwendete, während die Häuser zu Zentren des Widerstandes wurden, und - was im Straßenkampf noch nicht dagewesen ist - daß die stürmenden Kolonnen der Armee mit Bajonettangriffen empfangen wurden. Wenn aber die Aufständischen sich die Erfahrungen der Pariser und Dresdener Erhebungen zunutze machten, so hatten die Soldaten nicht weniger davon gelernt. Die Häusermauern wurden nacheinander durchbrochen und die Aufständischen von der Flanke und von hinten angegriffen, während die Straßenausgänge mit Geschützfeuer bestrichen wurden. Ein weiteres hervorstechendes Merkmal dieser Schlacht von Madrid bestand darin, daß Pucheta, als er nach der Vereinigung von Concha und O'Donnell in den südlichen Teil (Toledo) der Stadt gedrängt wurde, den Guerillakrieg aus den spanischen Bergen in die Straßen von Madrid übertrug. Zersprengt, stellten sich die Aufständischen dem Feind unter dem Bogen einer Kirche, in irgendeiner engen Gasse, auf der Treppe eines Hauses und verteidigten sich dort bis in den Tod.

In Barcelona war der Kampf noch intensiver, wobei es dort überhaupt keine Führung gab. Militärisch gesehen, scheiterte dieser Aufstand wie alle früheren Erhebungen in Barcelona an der Tatsache, daß die Zitadelle, Fort Montjuich, in der Hand der Armee blieb. Die Heftigkeit des Kampfes wird dadurch charakterisiert, daß in Gracia, einem Vorort, den die Aufständischen heiß umkämpften, nachdem sie schon aus Barcelona vertrieben waren, 150 Soldaten in ihrer Kaserne verbrannt wurden. Folgendes verdient erwähnt zu werden: Während in Madrid, wie wir im vorhergehenden Artikel gezeigt haben, die Proletarier von der Bourgeoisie verraten und im Stich gelassen wurden, erklärten die Weber von Barcelona gleich zu Anfang, daß sie nichts zu tun haben wollen mit einer Bewegung, die von den Espartero-Anhängern ins Werk gesetzt worden ist, und beharrten darauf, daß die Republik ausgerufen werde. Als ihnen dies verweigert wurde, blieben sie mit Ausnahme von einigen, die dem Pulvergeruch nicht widerstehen konnten, passive Betrachter der Schlacht, die damit schon verloren war, denn alle Aufstände in Barcelona werden von den 20.000 Webern der Stadt entschieden.

<46> Die spanische Revolution von 1856 unterscheidet sich von allen ihren Vorgängerinnen durch das Fehlen jeglichen dynastischen Charakters. Es ist bekannt, daß die Bewegung von 1808 bis 1814 <In der "N.-Y. D. T.": von 1804-1815> national und dynastisch war. Obwohl die Cortes 1812 <In der "N.-Y. D. T.":1824> eine nahezu republikanische Verfassung verkündeten, taten sie das im Namen Ferdinands VII. Die zaghaft republikanische Bewegung von 1820-1823 war insgesamt unreif und hatte die Massen, um deren Unterstützung sie anrief, gegen sich, weil diese Massen völlig mit der Kirche und der Krone verbunden waren. So tief verwurzelt war das Königtum in Spanien, daß der Kampf zwischen der alten und der neuen Gesellschaft, um ernsthaft geführt zu werden, ein Testament Ferdinands VII. und die Verkörperung der antagonistischen Prinzipien in zwei dynastischen Linien, der der Karlisten und der Christinas, benötigte. Sogar um für ein neues Prinzip zu kämpfen, brauchte der Spanier eine altehrwürdige Standarte. Unter diesen Bannern wurde der Kampf von 1833 <In der "N.-Y. D. T.":1831> bis 1843 ausgefochten. Dann war die Revolution zu Ende, und von 1843 bis 1854 wurde der neuen Dynastie ihre Bewährungsprobe zugestanden. In der Julirevolution von 1854 war somit notwendigerweise ein Angriff auf die neue Dynastie einbegriffen, doch die unschuldige Isabella wurde dadurch geschützt, daß sich der Haß auf ihre Mutter konzentrierte; und das Volk berauschte sich nicht nur an seiner eigenen Emanzipation, sondern auch an der Isabellas von ihrer Mutter und der Camarilla.

1856 war die Hülle gefallen, und Isabella selbst stellte sich gegen das Volk durch den coup d'état, der die Revolution provozierte. Sie erwies sich als die würdige, kaltblütig grausame und feigherzig heuchlerische Tochter Ferdinands VII., der so sehr der Lüge verfallen war, daß er ungeachtet seiner Bigotterie niemals - auch nicht mit Hilfe der heiligen Inquisition - zu der Überzeugung gelangen konnte, daß so erhabene Persönlichkeiten wie Jesus Christus und seine Apostel die Wahrheit gesprochen hätten. Selbst Murats Blutbad unter den Madrileños <Madridern> im Jahre 1808 verblaßt zu einer unbedeutenden Ausschreitung im Vergleich mit den Metzeleien des 14.-16. Juli, bei deren Anblick die unschuldige Isabella nur gelächelt hat. Diese Tage läuteten dem spanischen Königtum die Totenglocke. Nur die geistesschwachen Legitimisten Europas leben in dem Wahn, daß Don Carlos aufsteigen könne, nachdem Isabella gefallen sei. Sie sind ewig in dem Glauben befangen, daß die letzte Manifestation eines Prinzips nur abstirbt, um seiner ursprünglichen Manifestation neues Leben zu geben.

<47> 1856 hat die spanische Revolution nicht nur ihren dynastischen, sondern auch ihren militärischen Charakter verloren. Warum die Armee eine so hervorstechende Rolle in spanischen Revolutionen spielte, läßt sich in sehr wenigen Worten sagen. Die althergebrachte Einrichtung der Generalkapitanate, welche die Generalkapitäne zu den Paschas ihrer jeweiligen Provinzen machte; der Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich, der die Armee nicht nur zum Hauptinstrument der nationalen Verteidigung, sondern auch zur ersten revolutionären Organisation und zum Zentrum des revolutionären Handelns in Spanien werden ließ; die Verschwörungen von 1814-1819 <In der "N.-Y. D. T.": 1815-1818>, die sämtlich von der Armee ausgingen; der dynastische Krieg von 1833-1840 <In der "N.-Y. D. T.":1831-41>, welcher von den Armeen beider Seiten abhing; die Isolierung der liberalen Bourgeoisie, die sie dazu zwang, die Bajonette der Armee gegen die Geistlichkeit und die Bauernschaft auf dem Lande zu verwenden; die für Christina und die Camarilla zwingende Notwendigkeit, Bajonette gegen die Liberalen zu verwenden, so wie die Liberalen Bajonette gegen die Bauern verwendet hatten; die Tradition, die aus all diesen Präzedenzfällen erwuchs; - dies waren die Ursachen welche der Revolution in Spanien einen militärischen und der Armee einen prätorianischen Charakter verliehen. Bis 1854 hatte die Revolution ihren Ursprung immer in der Armee gehabt, und ihre verschiedenartigen Ausdrucksformen boten bis zu dieser Zeit kein sichtbares Unterscheidungsmerkmal außer der Rangstufe in der Armee, wo sie entstanden. Selbst 1854 ging der erste Anstoß noch von der Armee aus, doch bezeugt das Manifest O'Donnells zu Manzanares, wie schwach die Basis des militärischen Übergewichts in der spanischen Revolution geworden war. Unter welchen Bedingungen wurde es O'Donnell schließlich gestattet, seinen kaum zweideutigen Spaziergang von Vicálvaro zur portugiesischen Grenze aufzuhalten und die Armee nach Madrid zurückzuführen? Nur nach dem Versprechen, sie unverzüglich zu reduzieren, sie durch die Nationalgarde zu ersetzen und nicht zuzulassen, daß die Generale die Früchte der Revolution untereinander aufteilen. Wenn die Revolution von 1854 sich also darauf beschränkte, ihr Mißtrauen zum Ausdruck zu bringen, so mußte sie nur zwei Jahre später erleben, daß sie offen und direkt von dieser Armee angegriffen wird - einer Armee, die nun würdig an die Seite der Kroaten Radetzkys, der Afrikaner Bonapartes und der Pommern Wrangels getreten ist. Wie sehr die spanische Armee die Herrlichkeit ihrer neuen Position abzuschätzen weiß, wird durch die Rebellion eines Regiments am 29. Juli in Madrid bewiesen, welches mit den Zigarren Isabellas noch nicht zufriedengestellt, für die <48> Fünf-Francs-Stücke und Würste Bonapartes streikte und sie dann auch bekam.

Diesmal ist nun die Armee gänzlich gegen das Volk gewesen, oder, genauer, sie hat nur gegen das Volk und die Nationalgarde gekämpft. Kurz, die revolutionäre Sendung der spanischen Armee ist zu Ende. Der Mann, in dem sich der militärische, der dynastische und der bürgerlich-liberale Charakter der spanischen Revolution konzentrierte - Espartero -, dieser Mann ist sogar noch tiefer gesunken als seine intimsten connoisseurs <Kenner> nach dem gewöhnlichen Gesetz des Schicksals voraussehen konnten. Wenn, wie allgemein das Gerücht umgeht und wie es sehr wahrscheinlich ist, die Espartero-Anhänger vorhaben, sich unter O'Donnell zu sammeln, werden sie ihren Selbstmord durch einen eigenen offiziellen Akt bestätigt haben. Ihn aber werden sie nicht retten.

Die nächste europäische Revolution wird Spanien zur Zusammenarbeit mit ihr gereift finden. Die Jahre 1854 und 1856 waren Übergangsphasen, die das Land zu durchlaufen hatte, um zu dieser Reife zu gelangen.