Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 149-152.

Karl Marx

Die bevorstehenden Wahlen in England

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4975 vom 31. März 1857]

<149> London, 13. März 1857

"Stand between two churchmen, good my Lord;
For on that ground I'll make a holy descant."
<"Und habt, Mylord, zween Geistlichen zur Seite,
Denn daraus zieh' ich heil'ge Nutzanwendung."
Shakespeare, "König Richard der Dritte", III. Aufzug, 7. Szene>

Palmerston befolgt den Rat, den Buckingham Richard III. gegeben hat, nicht genau. Er steht zwischen dem Geistlichen auf der einen und dem Opiumschmuggler auf der anderen Seite. Während die Bischöfe der Low Church, die dieser erfahrene Betrüger dem Earl von Shaftesbury, seinem Verwandten, zu ernennen gestattete, seine "Redlichkeit" bezeugen, bezeugen die Opiumschmuggler, die Händler des "süßen Gifts für des Zeitalters Gaum", seinen treuen Dienst am "Eigennutz, dem Nebenhang der Welt". Burke, der Schotte, war stolz auf die Londoner "Wiederbeleber". Ebenso stolz ist Palmerston auf die Liverpooler "Vergifter". Diese glattgesichtigen Herren sind die würdigen Vertreter einer Stadt, deren Größe sich direkt auf den Sklavenhandel zurückführen läßt. Liverpool, das ansonsten nicht wegen poetischer Erzeugnisse berühmt ist, kann zumindest das originelle Verdienst für sich in Anspruch nehmen, daß es die Poesie mit Oden an den Sklavenhandel bereichert hat. Während Pindar seine Hymne auf die olympischen Sieger mit dem berühmten "Das Fürnehmst' ist Wasser" (Ariston men hudor) beginnt, dürfte daher wohl von einem modernen Liverpooler Pindar erwartet werden, daß er seine Hymne auf die Preisfechter der Downing Street mit der geistreicheren Einleitung beginnt: "Das Fürnehmst' ist Opium."

Hand in Hand mit den heiligen Bischöfen und den unheiligen Opiumschmugglern gehen die großen Teehändler, die größtenteils direkt oder indirekt am Opiumhandel beteiligt und daher daran interessiert sind, die gegenwärtigen Verträge mit China umzustoßen. Sie werden außerdem von ihren <150> ureigenen Beweggründen getrieben. Da sie sich im vergangenen Jahr an enorme Spekulationen mit Tee herangewagt haben, wird die Verlängerung der Feindseligkeiten sofort die Preise ihrer riesigen Vorräte in die Höhe treiben und es ihnen ermöglichen, die großen Zahlungen an ihre Gläubiger in Kanton hinauszuzögern. So wird der Krieg ihnen gestatten, gleichzeitig ihre britischen Käufer und ihre chinesischen Verkäufer zu betrügen und damit ihre Vorstellungen von "nationalem Ruhm" und "kommerziellen Interessen" zu verwirklichen. Im allgemeinen sind die britischen Fabrikanten mit den Lehren dieses Liverpooler Katechismus nicht einverstanden wegen des gleichen erhabenen Prinzips, das den Mann aus Manchester, der niedrige Baumwollpreise begehrt, in Gegensatz bringt zum Herrn aus Liverpool, der hohe Preise begehrt. Während des ersten Englisch-Chinesischen Kriegs, der sich von 1839 bis 1842 hinzog, hatten sich die britischen Fabrikanten falsche Hoffnungen auf eine außerordentliche Ausdehnung des Exports gemacht. Sie hatten die Baumwollstoffe, die die Bewohner des Himmlischen Reiches <China> tragen sollten, schon Yard für Yard ausgemessen. Die Erfahrung brach das Vorhängeschloß auf, das die Palmerstonschen Politiker vor ihren Geist gehängt hatten. Von 1854 bis 1857 betrugen die britischen Manufaktur-Exporte nach China nicht mehr als durchschnittlich 1.250.000 Pfd.St., ein Betrag, der oft in den Jahren vor dem ersten Krieg mit China erreicht worden war.

"Tatsächlich", so erklärte Herr Cobden, der Sprecher der britischen Fabrikanten, im Unterhaus, "haben wir" (das Vereinigte Königreich) "seit 1842 unseren Exporten nach China überhaupt nichts hinzugefügt, zumindest soweit es unsere Manufakturen betrifft. Wir haben unseren Teeverbrauch erhöht; das ist alles."

Daher sind die britischen Fabrikanten imstande, sich klarere Ansichten über die China-Politik zu bilden als die britischen Bischöfe, Opiumschmuggler und Teehändler. Wenn wir über die Steuerfresser und Stellenjäger, die an den Röcken jeder Regierung hängen, und über die dummen Kaffeehauspatrioten hinweggehen, welche glauben, daß unter Pam's <Palmerstons> Führung "die Nation sich aufraffen wurde", so haben wir in der Tat alle bona fide <getreuen> Anhänger von Palmerston aufgezählt. Wir dürfen jedoch die Londoner "Times" und den "Punch", den Großkophta der britischen Presse und ihren Clown, nicht vergessen, die beide mit der jetzigen Regierung durch goldene und offizielle Bande fest verknüpft sind und demzufolge mit gekünstelter Begeisterung den Helden des Kantoner Blutbades herausstreichen. Aber dann sollte beachtet werden, daß die Abstimmung im Unterhaus nicht nur eine Rebellion gegen Palmerston, sondern auch gegen die <151> "Times" anzeigte. Die bevorstehenden Wahlen haben daher nicht nur zu entscheiden, ob Palmerston alle Macht des Staates an sich reißen soll, sondern auch, ob die "Times" das Monopol für die Fabrikation der öffentlichen Meinung erlangen soll.

Unter welcher Losung wird nun Palmerston seinen Aufruf zu den Wahlen für das Unterhaus erlassen? Unter dem der Ausdehnung des Handels mit China? Aber er hat doch gerade den Hafen, von dem dieser Handel abhing, zerstört. Er hat diesen Handel für eine mehr oder weniger lange Zeit vom Meer aufs Land, von den fünf Häfen nach Sibirien, von England nach Rußland verlegt. Im Vereinigten Königreich hat er den Zoll für Tee erhöht - die größte Schranke gegen die Ausbreitung des Chinahandels. Unter der Losung der Sicherheit des britischen Handelsspekulanten? Das Blaubuch "Korrespondenz über Beleidigungen in China", das das Kabinett selbst auf den Tisch des Unterhauses gelegt hat, beweist jedoch, daß in den vergangenen sieben Jahren nur sechs Fälle von Beleidigungen vorgekommen sind, wovon bei zweien die Engländer die Angreifer waren, während in den vier anderen Fällen sich die chinesischen Behörden zur vollsten Zufriedenheit der britischen Behörden bemühten, die Schuldigen zu bestrafen. Wenn also das Vermögen und das Leben der britischen Kaufleute in Hongkong, Singapur usw. gegenwärtig gefährdet ist, so sind ihre Leiden von Palmerston selbst heraufbeschworen. Aber wie steht's mit der Ehre der britischen Flagge! Palmerston hat sie für 50 Pfd.St. pro Stück an die Schmuggler von Hongkong verkauft und sie mit dem "Riesenblutbad hilfloser britischer Kunden" befleckt. Gleichwohl sind diese Argumente von der Ausdehnung des Handels, der Sicherheit der britischen Spekulanten und der Ehre der britischen Flagge die einzigen, mit denen die Weisen der Regierung bis jetzt ihre Wähler angesprochen haben. Sie halten sich klugerweise davor zurück, irgendeinen Punkt der Innenpolitik zu berühren, da das Schlagwort "Keine Reform" und "Mehr Steuern" nichts ausrichten würde. Ein Mitglied des Palmerston-Kabinetts, Lord Mulgrave, der Household Treasurer <Schatzmeister des königlichen Haushaltes>, erzählt seinen Wählern, daß er "keine politischen Theorien vorzulegen habe". Ein anderer, Bob Lowe, verhöhnt in seiner Ansprache in Kidderminster die geheime Wahl, die Ausdehnung des Wahlrechts und ähnlichen "Humbug". Ein dritter, Herr Labouchere, derselbe geriebene Bursche, der die Bombardierung von Kanton mit der Begründung verteidigte, daß, wenn das Unterhaus sie als Unrecht brandmarken sollte, das englische Volk darauf gefaßt sein müßte, eine Rechnung von etwa 5.000.000 Pfd.St. an die ausländischen <152> Kaufleute zu zahlen, deren Besitz in Kanton zerstört worden war - derselbe Labouchere ignoriert in seiner Ansprache an seine Wähler in Taunton die Politik völlig und stützt seine Forderungen einfach auf die großen Taten von Bowring, Parkes und Seymour.

Die Bemerkung eines britischen Provinzblattes, daß Palmerston nicht nur "keine gute Losung für die Wahlbühne, sondern überhaupt keine Losung" habe, ist also völlig richtig. Doch sein Fall ist keineswegs hoffnungslos. Seit der Abstimmung des Unterhauses haben sich die Umstände völlig gewandelt. Das örtliche Verbrechen an Kanton hat zu einem allgemeinen Krieg mit China geführt. Da bleibt nur noch die Frage: Wer soll den Krieg fortführen? Ist der Mann, der behauptet, daß dieser Krieg gerecht sei, nicht besser imstande, ihn kraftvoll voranzutreiben, als seine Gegner, die in die Wahl hineingehen, indem sie ihn verurteilen?

Wird Palmerston während seines Interregnums nicht die Dinge so in Unordnung bringen, daß er der unersetzliche Mann bleibt?

Wird dann nicht die bloße Tatsache, daß eine Wahlschlacht stattfindet, die Frage zu seinen Gunsten entscheiden? Für den größeren Teil der britischen Wahlkörperschaften, so wie sie jetzt zusammengesetzt sind, bedeutet eine Wahlschlacht eine Schlacht zwischen Whigs und Tories. Da er nun der tatsächliche Kopf der Whigs ist, da sein Sturz die Tories zur Macht bringen würde, wird da nicht der größere Teil der sogenannten Liberalen für Palmerston stimmen, damit Derby durchfällt? Das sind die wahren Erwägungen, von denen sich die Anhänger des Kabinetts leiten lassen. Wenn ihre Rechnung stimmt, würde Palmerstons Diktatur, bisher schweigend geduldet, offen proklamiert. Die neue Parlamentsmehrheit würde ihre Existenz dem ausdrücklichen Bekenntnis zum passiven Gehorsam gegenüber dem Minister verdanken. Dem Appell Palmerstons vom Parlament an das Volk könnte dann zu gegebener Zeit ein coup d'état folgen, so wie er dem Appell Bonapartes von der Assemblée nationale <Nationalversammlung> an die Nation folgte. Die gleichen Leute könnten dann zu ihrem Leidwesen erfahren, daß Palmerston ein ehemaliger Amtsbruder des Castlereagh-Sidmouth-Kabinetts ist, das die Presse mundtot machte, öffentliche Versammlungen unterdrückte, die Habeas-Corpus-Akte aufhob, der Regierung die Vollmacht gab, nach Belieben einzukerkern und auszuweisen und die schließlich das Volk von Manchester niedermetzeln ließ, weil es gegen die Korngesetze protestierte.