Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 166-167.

Karl Marx

Ein Verräter im Tscherkessengebiet

Geschrieben um den 25. März 1857.
Aus dem Englischen.


["The Free Press" Nr. 34 vom 1. April 1857]

<166> Folgender Brief ist dem "Pester Lloyd" entnommen.

"Tscherkessisches Hauptquartier, Tuapse, den 26. Feb.

Durch das britische Dampfboot 'Kangaroo' werden Sie diesen Brief erhalten, der wahrscheinlich die erste Nachricht von einem Ereignis nach Europa bringen wird, das sehr großen Einfluß auf das zukünftige Schicksal der Tscherkessenvölker haben dürfte. Es ist ihnen bekannt, daß Mechmed Bey (Bangya), dem ich zugeteilt bin, den Wünschen der Häupter und Abgesandten der Tscherkessenstämme entsprochen und den Posten eines Oberkommandierenden übernommen hat. Montag. den 23. Februar landeten wir in Tuapse, wo sich unser Hauptquartier befindet. Vor unserer Abfahrt nahm Mechmed Bey einige hundert hervorragende Militärausbilder für die verschiedenen Waffengattungen in Dienst, die uns hierher begleiteten. Mechmed Bey ist bereits feierlich zum Oberbefehlshaber der tscherkessischen Streitkräfte ernannt worden. Die Fürsten, Adligen und Deputierten des Volkes haben auf den Koran geschworen, ihm zu gehorchen, und eine Deputation des tscherkessischen Landtages hat heute die Fahne des Propheten überführt, die das Symbol der höchsten Macht darstellt. Die Begeisterung war sehr groß, als der neue Kommandierende der geheiligten Standarte Treue schwor. (Die Fahne selbst ist grün. Auf ihr befindet sich ein weißes Schwert mit dem Halbmond und dem Stern.) Die Erregung ist groß, und die Tscherkessen sind entschlossen, ihre völlige Unabhängigkeit zu erlangen oder im Kampfe darum unterzugehen. Es wird erwartet, daß bis zum Monat Mai 150.000 Mann (?) im Felde stehen werden. Mechmed Bey hat mir gerade gesagt: 'Rußland wird bald eine Möglichkeit haben, sich selbst davon zu überzeugen, daß ein neuer Geist vorherrscht. Ich kenne die Materialien, die mir zur Verfügung gestellt sind (Mechmed Bey stand während des letzten Krieges bei den Tscherkessen), und ich bin der Meinung, daß ein Volk, welches ohne militärische Organisation dreißig Jahre lang seinem Feinde Widerstand leisten konnte, wenn es richtig organisiert wird, imstande sein wird, seine völlige Unabhängigkeit zu erreichen! Sie können im kommenden Frühling einige wichtige Nachrichten aus diesen Bergen erwarten. Sie werden von mir über die Geschehnisse so frühzeitig informiert werden, wie es unsere Möglichkeiten der Nachrichtenübermittlung zulassen!"

<167> Bangya war ein ungarischer Anführer, zuerst Kossuth ergeben und hernach Szemere; er war in den Jahren 1851 und 1852 Emigrant in England, wurde von den Preußen und der französischen Regierung als Spion beschäftigt und muß natürlich im Einvernehmen mit deren gemeinsamem Herrn stehen: Jetzt geht er unter Englands Schirm ins Tscherkessengebiet, wo ein neuer Geist vorherrschen soll. Der alte Geist war gegen Rußland, der neue müßte für Rußland sein - Tscherkessien soll eine Unabhängigkeit erlangen, die es niemals verloren hat, und um das Ganze zu krönen, wird ein Parlament erfunden, das noch zu schaffen ist.