Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 168-172.

Karl Marx

Die Niederlage von Cobden, Bright und Gibson

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4990 vom 17. April 1857]

<168> London, den 31. März 1857

"Die Masse der Kandidaten bekundete ihre Absicht, Lord Palmerston allgemeine Unterstützung zu gewähren; damit begründeten sie ihren Anspruch, als Vertreter der öffentlichen Meinung wieder ins Parlament einzuziehen ... Palmerston wird das Haus nicht als Führer der Konservativen, der Whigs, der Peeliten oder einer radikalen Partei betreten, sondern als der Führer des englischen Volkes, als der große Schöpfer und Leiter einer nationalen Partei."

Das sind Worte aus der "Morning Post", dem Leiborgan des Lords Palmerston. Palmerston als Diktator, das neue Parlament als sein Corps législatif - das ist ihre Bedeutung, welche die Wahlbulletins zu bestätigen scheinen. Was die "öffentliche Meinung" anbetrifft, von der die "Post" spricht, so ist mit Recht gesagt worden, daß Palmerston die Hälfte davon selbst fabriziert und daß er sich über die andere Hälfte lustig macht.

Die völlige Niederlage der Manchesterschule - Bright und Milner Gibson in Manchester, Cobden in Huddersfield, Sir E. Armitage in Salford, Fox in Oldham und Miall in Rochdale erhielten keine Sitze - ist das große Ereignis der Wahlschlacht. Besonders der Wahlausgang in Manchester setzte jedermann in Erstaunen, sogar die Palmerston-Regierung. Mit wie wenig Nachdruck sie die Aussichten auf einen Sieg in dieser Gegend genutzt hatte, kann man daraus ersehen, daß sie den Wahlkampf sehr unbeständig und zögernd führte. Zuerst drohte Palmerston nach Kenntnisnahme von einigen Wahlreden in Manchester, selbst nach Cottonopolis <Baumwollstadt (Manchester)> zu gehen, um seine Gegner "auf ihrem eigenen Misthaufen" herauszufordern. Nach reiflicher Überlegung wich er jedoch zurück. Dann erschien Bob Lowe, ein Handlanger <169> der Regierung. Nachdem er von einer Sippschaft der großen Fabrikbesitzer aufgefordert worden war, für Manchester zu kandidieren, und nachdem er Zusicherungen erhalten hatte, daß er im Falle einer Niederlage eine Summe von 2.000 Pfd.St. bekäme, die ihm den Ankauf eines der faulen Wahlflecken in der Grafschaft ermöglichen würde, nahm er das Angebot öffentlich an und gestattete einem Wahlkomitee, die Agitation in seinem Namen zu führen. Dann kam die große Rede des Herrn Cobden in Manchester. Palmerston befahl daraufhin Lowe, zurückzutreten, was er auch tat. Nach weiterer Überlegung indessen schien der Versuch in Manchester so bar aller Erfolgsaussichten, daß die "Times" die Weisung bekam, die Rolle des Fuchses aus der Fabel zu spielen. Bob Lowe mußte einen Leitartikel schreiben, in dem er auf der Wiederwahl von Bright & Co. bestand und Manchester vor der Schande warnte, seine alten Vertreter zu verstoßen. Als der Telegraph entgegen all diesen Befürchtungen die Nachricht von Cobdens Niederlage in die Downing Street brachte, daß Bright und Gibson niedergestimmt worden sind, und dies noch mit überwältigender Mehrheit, da kann man sich das wonnige Entzücken und das tolle Triumphgeschrei im Regierungslager vorstellen. Was Palmerston selbst anbelangt, so dachte er vielleicht, er sei für seine eigenen Zwecke zu erfolgreich gewesen, denn er war sich dessen klar bewußt, wie es der alte Gauner immer ist, daß man, um sogar einen Riesen zu lähmen, diesen nur in das Unterhaus bekommen muß, während man zur Beschleunigung des Zusammenbruchs des Hauses selbst - seiner Basis, der privilegierten Wahlkreise, und seines Überbaus, der ministeriellen Usurpation - nur seine bedeutenden Mitglieder ausschließen und auf die Straße werfen muß, wobei man so der enterbten Masse außerhalb der Tore der "britischen Verfassung" namhafte Anführer gibt.

Die Niederlage der Manchesterschule in ihren eigenen Festungen durch die Mehrheit ihrer eigenen Armee trägt alle Erscheinungen eines persönlichen Triumphs auf seiten Palmerstons, nicht nur, weil Cobden und Gibson den Mißtrauensantrag einbrachten, der ihn aus dem Kabinett treiben sollte und den Vorwand für die Auflösung des Parlaments lieferte. Ein tödlicher Gegensatz der Prinzipien und Stellungen scheint sich in den Personen von Palmerston auf der einen und Bright, Cobden & Co. auf der anderen Seite zu verkörpern. Palmerston der Trompeter des nationalen Ruhms, sie - Organe der industriellen Interessen, er, der diplomatische Graf, vereinigt in seiner Person alle Usurpationen der britischen Oligarchie, sie, die Parvenu-Demagogen. repräsentieren die ganze Vitalität der britischen Bourgeoisie; er zieht seine Kraft aus dem Verfall der Parteien, sie verdanken ihre Kraft dem Kampf der Klassen. Er ist die letzte skrupellose Verkörperung des alten <170> Torysmus gegen die Führer der nunmehr entschlafenen Anti-Korngesetz-Liga. So erscheint also die Niederlage von Cobden, Bright & Co. als persönlicher Triumph Palmerstons, um so mehr, als ihre siegreichen Gegner auf der Wahlbühne an und für sich keinerlei Bedeutung besitzen. So ist zum Beispiel der Gegner von Bright, Sir John Potter, nur als der dickste Mann von Manchester bekannt. Er hätte den Namen eines Sir John Falstaff von Manchester verdient, wenn sein geringer Verstand und seine große Börse ihn nicht vor einem Vergleich mit diesem unsterblichen Ritter bewahren würden. A. Turner, der Gegner Milner Gibsons, stützte seine persönlichen Ansprüche auf die Tatsache, daß er ein einfacher Mann sei, der niemals die Gefühle seiner Mitbürger durch unangenehmes Anmaßen von Geist und Glanz verletzen würde. Herr Ackroyd schließlich, der Gegner Cobdens, beschuldigte den letzteren, ein Mann des Britischen Reiches zu sein, während er (Ackroyd) niemals mehr war und sein würde als ein einfacher Mann aus Huddersfield. Alle rühmten sich dessen, daß sie keine Männer von Talent, sondern von Charakter wären, was sie gewiß davor bewahren würde, in den Fehler ihrer Vorgänger zu verfallen "gegen alle Regierungen zu opponieren" und, wie Milner Gibson, alle lukrativen Ämter theoretischen Grillen zu opfern.

Entgegen allem Anschein bot der Appell Palmerstons gegen Cobden & Co. zwar nicht die Ursache, aber doch den Vorwand zur Explosion des brennbaren Materials, das sich seit langer Zeit rings um die Manchesterschule gesammelt hatte. Da Manchester den Kern der Partei bildet und Bright als ihr wahrer Held anerkannt wird, so wird es genügen, seine Niederlage zu betrachten, um den gleichzeitigen Mißerfolg seiner Waffenkameraden in anderen Industrieorten zu erklären. Da gab es vorerst die alten Whigs und Tories von Manchester, die darauf brannten, sich für ihre politische Nichtigkeit seit den Tagen der Anti-Korngesetz-Liga zu rächen. Die Wahlen von 1852, bei denen Bright mit nur 100 Stimmen Mehrheit siegte, hatten bereits gezeigt, daß ihre zahlenmäßige Stärke keineswegs zu verachten war. Da sie selbstverständlich nicht imstande waren, unter ihrem eigenen Banner zu siegen, bildeten sie eine mächtige Verstärkung für jedes von der Bright-Armee abfallendes Korps. Dann kamen in zweiter Linie die Anführer der teuren Presse mit ihrem eingefleischten Groll und ihrem finsteren Haß gegen die parlamentarischen Paten der Pennypresse. Herr Garnett, der Herausgeber des "Manchester Guardian" brachte Himmel und Erde gegen Bright auf und war unermüdlich dabei, die schäbigen Motive der Anti-Bright-Koalition in ein mehr oder weniger anständiges Gewand zu kleiden - ein Versuch, der durch die Unpopularität, die Bright und Cobden zur Zeit des russischen Krieges erworben hatten, erleichtert wurde. Zu jener Zeit konnten sie es tatsächlich nicht <171> wagen, auf einer öffentlichen Versammlung in Manchester aufzutreten, sondern mußten sich bei geschlossenen Teegesellschaften in den Newall-Sälen verbergen, dem alten Treffpunkt der Anti-Korngesetz-Liga. Von der liberalen Bourgeoisie, den Fabrikherren und den großen Handelsfirmen, stimmte eine überwältigende Mehrheit gegen Bright; vom Kleinbürgertum und der Krämerschaft, dieser zahlreichen Minorität, die überall im Vereinigten Königreich an den Hacken der "natürlichen Vorgesetzten" klebt, standen nur die Quäker und die Iren wie ein Mann für Bright. Woher wohl dieser Abfall der liberalen Bourgeoisie? Er erklärt sich größtenteils aus der Ungeduld der reichen "Männer von Manchester", solche "Gentlemen" zu werden, wie ihre Rivalen in Liverpool. Wenn sie die Überlegenheit eines so talentierten Mannes wie Bright ertragen hatten, solange er das unentbehrliche Werkzeug ihrer Klasseninteressen war, so hielten sie nun die Gelegenheit für gekommen, dem neidischen Scherbengericht wohlhabender Mittelmäßigkeit zu fröhnen. Sie rebellierten jedoch nicht nur gegen seine persönliche Überlegenheit, sondern mehr noch gegen die verjährten Ansprüche des Rumpfes der Anti-Korngesetz-Liga, der auf Manchester nahezu ebenso lastete wie einst das Rumpfparlament auf dem britischen Commonwealth gelastet hatte. Dieser Rumpf der Liga versammelte sich in bestimmten Zeitabständen unter dem Vorsitz des Herrn Wilson, dieses "ehrwürdigen Inventarstücks", eines ehemaligen Stärkehändlers von Beruf; ihn unterstützten in diesen Versammlungen Herr Robinson, der ehrenamtliche Sekretär der Liga und andere Männer ohne gesellschaftlichen Rang oder persönliche Bedeutung, die von den Wogen einer sturmgepeitschten Periode an die Oberfläche geworfen worden waren, und die sich hartnäckig weigerten, abzutreten, die aber wahrlich keinerlei Grund für ihr verlängertes Dasein auf der politischen Bühne aufweisen konnten außer der abgenutzten Tradition der Vergangenheit und der konventionellen Lüge der Gegenwart, daß sie Manchester vertreten, wann immer Bright es auch wünschen mag. Einer der Führer der Rebellion, Herr Entwistle, erklärte rundheraus von der Wahltribüne:

"Es geht nicht um die Frage des chinesischen, russischen oder irgendeines anderen Krieges. Es geht darum, ob Manchester sich noch länger dein Diktat der Überreste der Partei fügen soll, die sich in den Newall-Sälen trifft."

Indem sie den Rumpf der Anti-Korngesetz-Liga, der wie ein Alp auf ihnen lastete, begruben, merkten die Fabrikherren von Manchester, die sich in der falschen Hoffnung wiegten, die Tore ihres Jakobinerklubs zu schließen, natürlich nicht, daß sie damit das Haupthindernis für eine neue revolutionäre Bewegung hinwegfegten.

<172> Der wirkliche Sinn der Wahlen in Manchester wurde jedoch von einem betrunkenen Gegner Brights verraten, der während der Abstimmung furchtbar brüllte: "Wir wollen keine Innenpolitik; wir wollen Außenpolitik!" Mit anderen Worten: Weg mit den Fragen der Reform und des Klassenkampfes! Schließlich bildet die Bourgeoisie die Mehrheit der Wähler, und das ist alles, was wir brauchen. Das Schlagwort gegen die Aristokratie ist langweilig, nutzlos geworden und rührt nur die Arbeiter auf. Wir haben die Freiheit des Handels erlangt und fühlen uns außerordentlich wohl, besonders seit dem die Kriegs-Einkommensteuer gesenkt wurde. Trotz alledem lieben wir einen Lord innigst. "Wir wollen keine Innenpolitik; wir wollen Außenpolitik." Einigen wir uns alle auf der Grundlage, auf der wir alle gleich sind, auf der nationalen Grundlage. Laßt uns alle Engländer sein, wahre John Bulls unter der Führung des wahrhaft britischen Ministers, Lord Palmerston.

Das wahre Geheimnis der Wahlen in Manchester ist also der Verzicht auf die revolutionäre Führerschaft seitens der Fabrikherren, die sie während der Agitation der Anti-Korngesetz-Liga usurpiert hatten.