Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 226-229.

Karl Marx

Der persische Vertrag

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5048 vom 24. Juni 1857]

<226> London, 12. Juni 1857

Als vor einiger Zeit an Lord Palmerston in seinem eigenen Unterhaus eine Anfrage bezüglich des persischen Krieges gerichtet wurde, antwortete er höhnisch: "Sobald der Frieden ratifiziert ist, darf das Haus seine Meinung zum Krieg äußern." Nun ist dem Haus der in Paris am 4. März 1857 unterzeichnete und in Bagdad am 2. Mai 1857 ratifizierte Friedensvertrag vorgelegt worden. Er besteht aus fünfzehn Artikeln, von denen acht mit dem für Friedensverträge üblichen Ballast beladen sind. Artikel V legt fest, daß sich die persischen Truppen aus dem Territorium und aus der Stadt Herat sowie aus allen anderen Teilen Afghanistans innerhalb von drei Monaten nach dem Tage des Austauschs der Ratifizierungsurkunden des Vertrages zurückzuziehen haben. In Art. XIV verpflichtet sich die britische Regierung, sobald die obengenannte Bedingung erfüllt ist, "die britischen Truppen unverzüglich aus allen Häfen, Orten und Inseln, die zu Persien gehören, zurückzuziehen".

Dabei sollte man jedoch daran denken, daß der persische Gesandte Ferukh Chan, noch bevor Buschir erobert worden war, in den langen Verhandlungen mit Lord Stratford de Redcliffe in Konstantinopel von sich aus vorgeschlagen hatte, die persischen Truppen aus Herat zurückzuziehen. Der einzige neue Vorteil, der England aus dieser Übereinkunft erwächst, beschränkt sich daher auf das Privileg, daß seine Truppen während der ungesundesten Jahreszeit an den verseuchtesten Ort des persischen Reiches gekettet sind. Die schrecklichen Verheerungen, welche die Sonne, die Sümpfe und die See in den Sommermonaten sogar unter der eingeborenen Bevölkerung Buschirs und Mohammerahs anrichten, sind von alten und modernen Schriftstellern beschrieben worden; doch warum auf sie verweisen, wenn erst vor wenigen Wochen ein sehr kompetenter Kenner und dazu noch Palmerston Anhänger, Sir Henry Rawlinson, öffentlich erklärt hat, daß die englisch- <227> indischen Truppen sicherlich den Schrecken des Klimas erliegen werden. Die Londoner "Times" lenkte sofort, als sie die Nachricht vom Sieg bei Mohammerah erhielt, die Aufmerksamkeit darauf, daß es trotz des Friedensvertrages notwendig sei, nach Schiras vorzurücken, um die Truppen zu retten. Auch die Selbstmorde, sowohl der des britischen Admirals als auch der des Generals, jener beiden, die an der Spitze der Expedition standen, waren auf ihre ernste Besorgnis um das mutmaßliche Schicksal der Truppen zurückzuführen, mit denen sie, laut Regierungsbefehl, nicht über Mohammerah hinaus vorstoßen sollten. So kann man mit Sicherheit einer Wiederholung der Krimkatastrophe im kleineren Maßstab entgegensehen, einer Katastrophe, die diesmal weder durch die Erfordernisse des Krieges, noch durch grobe Fehler der Regierung hervorgerufen wird, sondern durch einen Vertrag, der mit dem Schwert des Siegers geschrieben wurde. In den obengenannten Artikeln des Vertrages kommt ein Satz vor, der, wenn es Palmerston paßt, zu "einem kleinen Zankapfel" werden kann.

Laut Art. XIV sollen die "britischen Truppen aus allen Häfen, Orten und Inseln, die zu Persien gehören, zurückgezogen werden". Nun ist es aber eine Streitfrage, ob die Stadt Mohammerah zu Persien gehört oder nicht. Die Türken haben ihren Anspruch auf diesen Ort niemals widerrufen, der, im Delta des Euphrat gelegen, ihr einziger immer zugänglicher Hafen an diesem Fluß war, da der Hafen von Bassorah in bestimmten Jahreszeiten für Schiffe mit großer Tonnage zu seicht ist. Auf diese Weise kann Palmerston, wenn es ihm gefällt, Mohammerah unter dem Vorwand halten, daß es nicht zu Persien "gehört" und daß er auf die endgültige Regelung der Grenzfrage zwischen der Türkei und Persien wartet.

Art. VI besagt, daß Persien einverstanden ist,

"allen Ansprüchen auf die Oberhoheit über das Territorium und die Stadt Herat sowie über die Länder Afghanistans zu entsagen; sich jeglicher Einmischung in die inneren Angelegenheiten Afghanistans zu enthalten"; die "Unabhängigkeit Herats und ganz Afghanistans anzuerkennen und für immer alle Versuche aufzugeben, die Unabhängigkeit dieser Staaten zu verletzen"; sich im Falle von Differenzen mit Herat und Afghanistan "zur Beilegung derselben der freundschaftlichen Vermittlung der britischen Regierung zu bedienen und nicht zu den Waffen zu greifen, es sei denn, daß diese freundschaftliche Vermittlung zu keinem Ergebnis führt".

Die britische Regierung ihrerseits verpflichtet sich,

"jederzeit ihren Einfluß auf die Staaten Afghanistans geltend zu machen, um jeglicher Ursache eines Argwohns, den sie erregen könnten, vorzubeugen" und "ihr bestes zu tun, um Differenzen in einer für Persien gerechten und ehrenvollen Weise zu schlichten".

<228> Wenn man nun diesen Artikel seines Kanzleistils entkleidet, so bedeutet er weiter nichts als die Anerkennung der Unabhängigkeit Herats durch Persien, eine Konzession, zu der sich Ferukh Chan bei den Verhandlungen in Konstantinopel bereit erklärt hatte. Zwar ist die britische Regierung kraft dieses Artikels offiziell dazu bestimmt, sich in die Beziehungen zwischen Persien und Afghanistan einzumischen, aber diese Rolle hat sie seit Beginn des Jahrhunderts immer gespielt. Ob sie imstande sein wird, sie weiter zu spielen oder nicht, ist keine Frage des Rechts, sondern der Macht. Falls der Schah übrigens am Hofe von Teheran einen Hugo Grotius beherbergen sollte, so wird dieser ihn darauf aufmerksam machen, daß jede Vereinbarung, durch die ein unabhängiger Staat einer fremden Regierung das Recht erteilt, sich in seine internationalen Beziehungen einzumischen, nach dem jus gentium <Völkerrecht> null und nichtig ist, und dies trifft besonders auf die Vereinbarung mit England zu, da sie Afghanistan, eine rein poetische Bezeichnung für verschiedene Stämme und Staaten, wie ein wirkliches Land behandelt. Das Land Afghanistan existiert im diplomatischen Sinne genau so wenig wie das Land Panslawien.

Art. VII, der bestimmt, daß im Falle einer Verletzung der persischen Grenze durch die afghanischen Staaten

"die persische Regierung das Recht haben soll, militärische Maßnahmen zur Niederwerfung und Bestrafung der Angreifer zu ergreifen", aber "daß sie sich auf ihr eigenes Territorium zurückziehen muß, sobald sie ihr Ziel erreicht hat",

ist nur eine wörtliche Wiederholung jener Klausel des Vertrags von 1853, die den unmittelbaren Vorwand zur Buschir-Expedition bot.

Gemäß Art. IX gestattet Persien die Einsetzung britischer Generalkonsuln, Konsuln, Vizekonsuln und Konsularvertreter und akkreditiert sie, wobei diese die Privilegien der meistbegünstigten Nation genießen. Durch Art. XII jedoch gibt die britische Regierung

"das Recht auf, künftig einen persischen Untertanen unter Schutz zu nehmen, der nicht tatsächlich im Dienst der britischen Mission oder der britischen Generalkonsuln, Konsum, Vizekonsuln und Konsularvertreter steht".

Da Ferukh Chan der Errichtung britischer Konsulate in Persien schon vor Beginn des Krieges zugestimmt hatte, enthält der gegenwärtige Vertrag nur noch den Zusatz, daß England auf sein Recht verzichtet, persische Untertanen unter seine Schirmherrschaft zu stellen, ein Recht, das als einer der offiziellen Anlässe zum Krieg gedient hatte. Österreich, Frankreich und <229> andere Staaten haben die Errichtung ihrer Konsulate in Persien durchgesetzt, ohne zu räuberischen Expeditionen Zuflucht zu nehmen.

Schließlich nötigt der Vertrag dem Hof von Teheran die Wiederzulassung des Herrn Murray auf und schreibt ihm vor, sich bei diesem Gentleman dafür zu entschuldigen, daß er in einem Brief des Schahs an Sadir Azim <den amtierenden persischen Premierminister> als "dummer, ignoranter und verrückter Mensch", als "Einfaltspinsel" und als der Verfasser eines "groben, unsinnigen und ekelhaften Dokuments" bezeichnet wird. Die Entschuldigung bei Herrn Murray wurde seinerzeit von Ferukh Chan ebenfalls angeboten, aber damals von der britischen Regierung zurückgewiesen, die auf der Absetzung Sadir Azims bestand und den feierlichen Einzug des Herrn Murray in Teheran "unter den Klängen von Hörnern, Flöten, Harfen, Posaunen, Zimbeln, Zithern und ähnlicher Arten von Musik" forderte. Da Herr Murray, als er Generalkonsul in Ägypten war, persönliche Geschenke von Herrn Barrot entgegengenommen hatte, da er bei seiner ersten Ankunft in Buschir den Tabak, der ihm damals im Namen des Schahs geschenkt worden war, auf den Basar zum Verkauf geschickt und den fahrenden Ritter einer persischen Dame von zweifelhafter Tugend gespielt hatte, versäumte es Herr Murray, den Orientalen eine allzu hohe Meinung von britischer Lauterkeit oder Würde einzuflößen. Seine erzwungene Wiederzulassung zum persischen Hof muß daher als ein ziemlich fragwürdiger Erfolg angesehen werden. Im ganzen gesehen enthält der Vertrag außer den Angeboten, die Ferukh Chan vor Ausbruch des Krieges gemacht hat, Vereinbarungen, die nicht das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben, geschweige denn die verausgabten Gelder und das vergossene Blut. Das eindeutige Ergebnis der persischen Expedition kann in folgendem zusammengefaßt werden: Haß, den Großbritannien sich in ganz Zentralasien zugezogen hat; die Unzufriedenheit Indiens, verstärkt durch die Entsendung indischer Truppen und die neuen, dem indischen Schatzamt auferlegten Lasten; die fast unvermeidliche Wiederkehr einer neuen Krimkatastrophe; die Anerkennung der offiziellen Vermittlung Bonapartes zwischen England und den asiatischen Staaten; und schließlich Rußlands Aneignung zweier Landstreifen von großer Bedeutung - des einen am Kaspischen Meer, des anderen an der nördlichen Küstengrenze Persiens.