Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 549-552.

Karl Marx

Die Geschichte des Opiumhandels

Geschrieben am 31. August 1858.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5433 vom 20. September 1858, Leitartikel]

<549> Die Nachricht vom neuen Vertrag, den die Bevollmächtigten der Verbündeten China abgerungen haben, scheint genau die gleichen phantastischen Vorstellungen von einer unermeßlichen Ausdehnung des Handels erweckt zu haben, wie sie der Geschäftswelt 1845 nach Beendigung des ersten chinesischen Krieges vorschwebten. Angenommen, die Telegramme aus St. Petersburg beruhen auf Wahrheit, muß deshalb der Vermehrung der Handelszentren unbedingt auch eine Ausdehnung des Chinahandels folgen? Besteht denn die Aussicht, daß der Krieg von 1857/58 zu glänzenderen Ergebnissen führen wird als der Krieg von 1841/42? Soviel steht fest, daß der Vertrag von 1843, anstatt die amerikanischen und englischen Exporte nach China zu erhöhen, lediglich zum beschleunigten Ausbruch und zur Verschärfung der Handelskrise von 1847 beigetragen hat. Dadurch, daß der neue Vertrag Illusionen von einem unerschöpflichen Markt erzeugt und Fehlspekulationen begünstigt, kann er in ähnlicher Weise eine neue Krise gerade in dem Augenblick vorbereiten helfen, da der Weltmarkt sich erst langsam von der jüngsten allgemeinen Erschütterung erholt. Der erste Opiumkrieg hat neben diesem negativen Ergebnis einen Aufschwung des Opiumhandels auf Kosten des legitimen Handels zur Folge gehabt; das gleiche Ergebnis wird der zweite Opiumkrieg haben, falls England nicht durch den Druck der gesamten zivilisierten Welt gezwungen wird, den Zwangsanbau von Opium in Indien und dessen gewaltsame Verbreitung in China einzustellen. Wir sehen davon ab, bei der moralischen Seite dieses Handels zu verweilen, die selbst von einem Engländer, Montgomery Martin, in folgenden Worten geschildert wurde:

"Ja, der Sklavenhandel war barmherzig, verglichen mit dem Opiumhandel. Wir haben die Afrikaner nicht physisch zugrunde gerichtet, denn es war unser unmittel- <550> bares Interesse, sie am Leben zu erhalten; wir haben sie nicht ihrer menschlichen Würde beraubt, weder ihre Gesinnung korrumpiert, noch ihre Seelen zerrüttet. Der Opiumverkäufer aber tötet den Leib, nachdem er die sittliche Existenz unglücklicher Sünder korrumpiert, erniedrigt und vernichtet hat; stündlich werden einem unersättlichen Moloch neue Opfer dargebracht, wobei der englische Mörder und der chinesische Selbstmörder sich gegenseitig überbieten in ihren Opfergaben auf seinem Altar."

Die Chinesen können nicht gleichzeitig Gebrauchsgüter und Rauschgift abnehmen; unter den gegenwärtigen Umständen läuft die Ausdehnung des chinesischen Handels auf die Ausdehnung des Opiumhandels hinaus; das Anwachsen des letzteren ist unvereinbar mit der Entwicklung eines legitimen Handels - diese Feststellungen wurden vor zwei Jahren eigentlich allgemein anerkannt. Eine 1847 eingesetzte Kommission des Unterhauses, die den Stand der britischen Handelsbeziehungen mit China untersuchen sollte, berichtete folgendes:

"Wir bedauern, daß sich der Handel mit diesem Land seit einiger Zeit in sehr unbefriedigendem Zustand befindet und daß das Ergebnis unserer erweiterten Handelsbeziehungen keineswegs die berechtigten Erwartungen erfüllt hat, die natürlicherweise an einen freieren Zugang zu einem so großartigen Markt geknüpft worden waren. Wir sind der Meinung, daß die Handelsschwierigkeiten weder einem mangelnden Bedarf an britischen Fabrikaten entspringen noch der wachsenden Konkurrenz anderer Nationen in China; die Bezahlung des Opiums verschlingt sehr zum Schaden für den allgemeinen Handel der Chinesen das Silber, so daß faktisch Tee und Seide den restlichen Handel bestreiten müssen."

"The Friend of China" vom 28. Juli 1849 verallgemeinert die gleiche Behauptung und schreibt in sehr bestimmten Worten:

"Der Opiumhandel greift immer mehr um sich. Der gesteigerte Verbrauch an Tee und Seide in Großbritannien und den Vereinigten Staaten würde nur zu einer Steigerung des Opiumhandels führen; die Sache der Fabrikanten ist hoffnungslos."

Einer der führenden amerikanischen Kaufleute in China brachte in einem in der Januarnummer 1850 von Hunts "Merchant's Magazine" veröffentlichten Artikel das ganze Problem des Handels mit China auf folgenden Nenner:

"Welcher Handelszweig muß unterdrückt werden, der Opiumhandel oder der Exporthandel mit amerikanischen und englischen Produkten?"

Die Chinesen selbst gelangten in dieser Angelegenheit zu der gleichen Meinung. Montgomery Martin erzählt:

<551> "Ich erkundigte mich beim Taotai <höchsten Beamten> in Schanghai, auf welche Art und Weise wir unseren Handel mit China am besten steigern könnten; und das erste, was er mir in Gegenwart von Captain Balfour, dem Konsul Ihrer Majestät, zur Antwort gab, war: 'Schicken Sie uns nicht mehr soviel Opium, und wir werden in der Lage sein, Ihnen Ihre Fabrikate abzunehmen.'"

In den letzten acht Jahren hat die Geschichte des Handels diese Feststellung auf neue, treffende Art bestätigt; bevor wir aber die verderbliche Wirkung des Opiumhandels auf den legitimen Handel untersuchen, möchten wir einen kurzen Überblick über das Aufkommen und das Umsichgreifen dieses staunenswerten Handels geben, der in den Annalen der Menschheit einzig dasteht, ob wir nun die tragischen Konflikte betrachten, die sozusagen die Achse bilden, um die er sich dreht, oder seine Auswirkungen auf die allgemeinen Beziehungen zwischen der östlichen und der westlichen Welt. Vor 1767 betrug die Menge des aus Indien exportierten Opiums nicht mehr als 200 Kisten bei einem Gewicht von etwa 133 lbs. je Kiste. Opium war in China gegen Entrichtung von etwa 3 Dollar Zoll je Kiste als ein Heilmittel gesetzlich zugelassen, wobei die Portugiesen, die das Opium aus der Türkei brachten, seine fast ausschließlichen Exporteure ins Himmlische Reich waren. Im Jahre 1773 brachten Colonel Watson und Vizepräsident Wheeler - Individuen, die einen Platz neben den Hermentiers, Palmers und anderen Giftmischern von Weltruf verdienen - die Ostindische Kompanie auf die Idee, den Opiumhandel mit China aufzunehmen. Hierauf wurde ein Opiumdepot auf Schiffen eingerichtet, die in einer Bucht südwestlich von Macao vor Anker lagen. Die Spekulation war ein Fehlschlag. Im Jahre 1781 sandte die Regierung von Bengalen ein bewaffnetes Schiff mit einer Opiumladung nach China, und 1794 stationierte die Kompanie ein großes Opiumschiff in Whampoa, dem Ankerplatz des Hafens von Kanton. Anscheinend war Whampoa ein geeigneteres Depot als Macao; denn schon zwei Jahre, nachdem man sich für diesen Hafen entschieden hatte, sah sich die chinesische Regierung genötigt, ein Gesetz zu erlassen, das chinesischen Opiumschmugglern androhte, mit einem Bambusstock geprügelt und mit hölzernen Kragen um den Hals in den Straßen zur Schau gestellt zu werden. Um 1798 stellte die Ostindische Kompanie den direkten Opiumexport ein, dafür wurde sie jetzt Opiumproduzent. In Indien wurde das Opiummonopol errichtet; und während den Schiffen der Kompanie scheinheilig verboten wurde, mit dem Rauschgift zu handeln, enthielten die Lizenzen, die sie privaten Schiffen für den Chinahandel erteilte, eine Straf- <552> androhung für den Fall, daß sie anderes als von der Kompanie hergestelltes Opium laden würden. Im Jahre 1800 hatte die Einfuhr in China 2.000 Kisten erreicht. Der Kampf zwischen der Ostindischen Kompanie und dem Himmlischen Reich, der während des 18. Jahrhunderts einen Charakter trug, der allen Fehden zwischen dem ausländischen Kaufmann und dem nationalen Zollamt gemeinsam war, nahm mit Beginn des 19. Jahrhunderts ganz besondere und außergewöhnliche Züge an; während der Kaiser von China gleichzeitig die Einfuhr des Giftes durch die Ausländer und seinen Konsum durch die Einheimischen verbot, um den Selbstmord seines Volkes zu verhindern, verwandelte die Ostindische Kompanie den Opiumanbau in Indien und den Opiumschmuggel nach China sehr schnell in unabdingbare Bestandteile ihres eigenen Finanzsystems. Während der Halbbarbar das Prinzip der Moral vertrat, stellte ihm der Zivilisierte das Prinzip des Mammons entgegen. Daß ein Riesenreich, das nahezu ein Drittel der Menschheit umfaßt, das trotz des Fortschreitens der Zeit dahinvegetiert, durch künstliche Abkapselung vom allgemeinen Verkehr isoliert ist und es deshalb zuwege bringt, sich mit Illusionen über seine himmlische Vollkommenheit zu täuschen -, daß solch ein Reich schließlich vom Schicksal ereilt wird in einem tödlichen Zweikampf, in dem der Vertreter einer veralteten Welt aus ethischen Beweggründen zu handeln scheint, während der Vertreter der überlegenen modernen Gesellschaft um das Privileg kämpft, auf den billigsten Märkten zu kaufen und auf den teuersten zu verkaufen - das ist wahrlich ein tragischer Abgesang, wie ihn seltsamer kein Dichter je ersonnen haben könnte.