Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 553-556.

Karl Marx

Die Geschichte des Opiumhandels

Geschrieben am 3. September 1858.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5438 vom 25. September 1858, Leitartikel]

<553> Die Übernahme des Opiummonopols in Indien durch die britische Regierung hatte die Ächtung des Opiumhandels in China zur Folge. Die grausamen Strafen, die der Himmlische Gesetzgeber über seine ungehorsamen Untertanen verhängte, waren genauso unwirksam wie das strenge Einfuhrverbot, das den chinesischen Zollämtern auferlegt worden war. Die nächste Auswirkung des moralischen Widerstandes der Chinesen war, daß die Engländer die kaiserlichen Behörden, Zollbeamten und überhaupt alle Mandarine demoralisierten. Die Korruption, die sich der Himmlischen Bürokratie bis ins Mark hineinfraß und die Stützen der patriarchalischen Ordnung zerstörte, wurde zusammen mit den Opiumkisten von den englischen Depotschiffen, die bei Whampoa vor Anker lagen, in das Reich geschmuggelt.

Von der Ostindischen Kompanie großgezogen, von der Zentralregierung in Peking vergeblich bekämpft, nahm der Opiumhandel allmählich größeren Umfang an, bis er 1816 die Höhe von etwa 2.500.000 Dollar erreichte. Der im selben Jahr in Indien zugelassene freie Handel - den Teehandel als einzigen ausgenommen, der weiterhin ein Monopol der Ostindischen Kompanie blieb - gab den Geschäften der englischen Schmuggler einen neuen mächtigen Auftrieb. Im Jahre 1820 hatte sich die Anzahl der Kisten, die nach China eingeschmuggelt wurden, auf 5.147 erhöht, 1821 auf 7.000 und 1824 auf 12.639. Indessen richtete die chinesische Regierung drohende Protestnoten an die ausländischen Kaufleute, bestrafte gleichzeitig die als ihre Helfershelfer bekannten Hong-Kaufleute, entwickelte eine ungewöhnliche Aktivität in der Verfolgung der einheimischen Opiumkonsumenten und ergriff strengere Maßnahmen in ihren Zollämtern. Das Endergebnis dieser <554> Bemühungen war ähnlich wie im Jahre 1794, nämlich, daß die Opiumdepots von einer unsicheren nach einer geeigneteren Operationsbasis verlegt wurden. Macao und Whampoa wurden zugunsten der Insel Lingting an der Mündung des Kanton-Flusses aufgegeben, um dort die Opiumdepots endgültig auf schwer bewaffneten und wohl bemannten Schiffen zu stationieren. Ebenso ging der Handel nur von einer Hand in die andere über, als es der chinesischen Regierung vorübergehend gelungen war, die Opiumgeschäfte der alten Kantoner Häuser zu unterbinden; er wurde von einer Schicht kleinerer Händler übernommen, die entschlossen waren, ihn unter jedem Risiko und mit allen Mitteln weiterzuführen. Dank den dadurch geschaffenen Erleichterungen stieg der Opiumhandel in den zehn Jahren von 1824 bis 1834 von 12.639 auf 21.785 Kisten.

Das Jahr 1834 ist, ebenso wie die Jahre 1800, 1816 und 1824, ein Wendepunkt in der Geschichte des Opiumhandels. In diesem Jahr verlor die Ostindische Kompanie nicht nur ihr Handelsprivileg für chinesischen Tee, sondern sie mußte überhaupt jegliche Handelstätigkeit einstellen. Durch ihre Umwandlung aus einem Handelsunternehmen in eine rein staatliche Einrichtung erlangte das englische Privatunternehmertum unbeschränkten Zugang zum Handel mit China; und es betrieb ihn mit solcher Energie, daß es ihm 1837 gelang, 39.000 Kisten Opium im Werte von 25.000.000 Dollar nach China zu schmuggeln, trotz des verzweifelten Widerstandes der Himmlischen Regierung. Zwei Umstände erfordern hier unsere Aufmerksamkeit: erstens, daß seit 1816 mit jeder Etappe in der Entwicklung des Exporthandels nach China ein unverhältnismäßig großer und ständig steigender Anteil auf den Opiumschmuggel entfiel; und zweitens, daß Hand in Hand mit dem allmählichen Erlöschen des rein merkantilen Interesses der englisch-indischen Regierung am Opiumhandel ihr fiskalisches Interesse an diesem Schleichhandel an Bedeutung zunahm. Schließlich war die chinesische Regierung 1837 an dem Punkt angelangt, wo entscheidende Maßnahmen nicht länger hinausgezögert werden konnten. Der durch den Opiumimport hervorgerufene ständige Abfluß von Silber hatte bereits begonnen, sowohl die Staatskasse als auch die Geldzirkulation des Himmlischen Reiches in Unordnung zu bringen. Heu Nailzi, einer der hervorragendsten chinesischen Staatsmänner, schlug vor, den Opiumhandel zu legalisieren und ihn zu einer Einnahmequelle zu machen; aber nach einer ausführlichen Beratung, die sich unter Beteiligung aller hohen Beamten des Kaiserreiches über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr hinzog, beschloß die chinesische Regierung: "Der schändliche Handel ist wegen der Schäden, die er dem Volk zufügt, gesetzlich nicht zugelassen." Schon 1830 hätte ein Einfuhrzoll von <555> 25 Prozent Einnahmen von 3.850.000 Dollar eingebracht. 1837 hätte er die doppelte Summe erbracht; der Himmlische Barbar lehnte es jedoch ab, eine Steuer zu erheben, die gewiß nur proportional zur Entartung seines Volkes steigen würde. Unter weit bedrückenderen Verhältnissen und in vollem Bewußtsein der Aussichtslosigkeit aller Bemühungen, den steigenden Opiumimport aufzuhalten, beharrte der jetzige Kaiser Hien Feng 1853 auf der unnachgiebigen Politik seiner Vorfahren. En passant möchte ich bemerken, daß der Kaiser durch die Verfolgung des Opiumgenusses als Ketzerei diesem Handel alle Vorteile der religiösen Propaganda in die Hand gab. Die außerordentlichen Maßnahmen der chinesischen Regierung in den Jahren 1837, 1838 und 1839, die in der Ankunft des Bevollmächtigten Lin in Kanton ihren Höhepunkt fanden, und die Beschlagnahme und Vernichtung des eingeschmuggelten Opiums auf dessen Befehl lieferten den Vorwand für den ersten Englisch-Chinesischen Krieg, der im Ergebnis zum chinesischen Aufstand, zur äußersten Erschöpfung der Staatskasse, zum erfolgreichen Eindringen Rußlands vom Norden her und zu einer gewaltigen Entwicklung des Opiumhandels im Süden führte. Obgleich geächtet in dem Vertrag, mit dem England einen Krieg beendete, den es zur Verteidigung des Opiumhandels begonnen und geführt hatte, hat sich dieser Handel seit 1843 praktisch völliger Straflosigkeit erfreut. Der Opiumimport wurde 1856 auf ungefähr 35.000.000 Dollar geschätzt, während die englisch-indische Regierung im gleichen Jahr Einkünfte in Höhe von 25.000.000 Dollar, genau den sechsten Teil ihres gesamten Staatseinkommens, aus dem Opiummonopol zog. Die Vorwände, die dem zweiten Opiumkrieg als Anlaß dienten, sind noch zu frisch in Erinnerung, um eines Kommentars zu bedürfen.

Wir können diesen Teil des Themas nicht abschließen, ohne auf einen offenkundigen inneren Widerspruch der sich christlich drapierenden und mit Zivilisation hausierenden britischen Regierung näher einzugehen. In ihrer Eigenschaft als Regierung eines Weltreichs stellt sie sich, als hätte sie nicht das geringste mit dem Opiumschmuggel zu tun, und geht sogar Verträge zu dessen Ächtung ein. In ihrer Eigenschaft als indische Regierung jedoch zwingt sie Bengalen, sehr zum Schaden für dessen Produktivkräfte, den Opiumanbau auf, sie zwingt einen Teil der indischen Raiat, sich dem Mohnanbau zuzuwenden, während sie einen anderen Teil durch Geldvorschüsse dazu verleitet; sie hält die massenweise Herstellung des verderblichen Rauschgifts als straffes Monopol in ihren Händen, sie überwacht mit einer ganzen Armee von offiziellen Spionen seine Anpflanzung, seine Ab- <556> lieferung an den vorgeschriebenen Orten, seine Eindickung und Präparierung für den Geschmack der chinesischen Konsumenten, seine Verpackung in einer für den Schmuggel besonders geeigneten Form, und schließlich seinen Transport nach Kalkutta, wo es auf staatlichen Auktionen versteigert und von den Staatsbeamten den Spekulanten ausgehändigt wird, um von da aus in die Hände der Schmuggler zu gelangen, die es in China an Land schaffen. Die Kiste, die die britische Regierung ungefähr 250 Rupien kostet, wird auf der Auktion in Kalkutta zu einem Preis verkauft, der zwischen 1.210 und 1.600 Rupien schwankt. Aber noch nicht zufrieden damit, faktisch ein Komplize zu sein, ist die gleiche Regierung bis zum heutigen Tage direkt am Gewinn- und Verlustgeschäft der Kaufleute und Schiffsherren beteiligt, welche das gewagte Geschäft betreiben, ein Reich zu vergiften.

Die Finanzen der britischen Regierung in Indien sind in Wirklichkeit nicht nur von dem Opiumhandel mit China, sondern von dem ungesetzlichen Charakter dieses Handels abhängig gemacht worden. Würde die chinesische Regierung den Opiumhandel legalisieren und gleichzeitig den Mohnanbau in China zulassen, so würde die englisch-indische Staatskasse eine ernste Katastrophe erleiden. Während sie öffentlich den Freihandel mit Gift predigt, verteidigt sie insgeheim das Monopol seiner Herstellung. Wann immer wir das Wesen des britischen Freihandels näher betrachten, so stellt sich fast stets heraus, daß seiner "Freiheit" das Monopol zugrunde liegt.