Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 565-569.

Karl Marx

[Über den britisch-chinesischen Vertrag]

Geschrieben am 10, September 1858.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5446 vom 5. Oktober 1858, Leitartikel]

<565> Der chinesische Vertrag Sir Henry Pottingers, der am 29. August 1842 unterzeichnet und ebenso wie die neuen Verträge mit China unter den Geschützmündungen diktiert worden war, hat sich in kommerzieller Hinsicht als ein Mißerfolg erwiesen, was jetzt sogar vom Londoner "Economist", dem führenden Organ des britischen Freihandels, anerkannt wird. Diese Zeitschrift, die sich als einer der unermüdlichsten Apologeten des kürzlichen Einfalls in China hervorgetan hat, fühlt sich jetzt verpflichtet, die lebhaften Hoffnungen, die in anderen Kreisen genährt worden sind, zu "dämpfen". Der "Economist" betrachtet die Auswirkungen des Vertrags von 1842 auf den britischen Exporthandel als "einen Präzedenzfall, der uns vor den Folgen verfehlter Operationen bewahren sollte". Das ist zweifellos ein vernünftiger Rat. Die Gründe jedoch, die Herr Wilson anführt, um das Scheitern des ersten Versuchs der gewaltsamen Ausweitung des chinesischen Marktes für Waren aus dem Westen zu erklären, sind alles andere als überzeugend.

Als erste wichtige Ursache für dieses krasse Mißlingen wird die spekulative Überschwemmung des chinesischen Marktes während der ersten drei Jahre nach dem Pottinger-Vertrag angeführt sowie die Nichtbeachtung der Eigenart des chinesischen Bedarfs durch die englischen Kaufleute. Die englischen Exporte nach China, die sich 1836 auf 1.326.388 Pfd.St. beliefen, waren 1842 auf 969.000 Pfd.St. gefallen. Ihr schnelles und anhaltendes Steigen während der folgenden sechs Jahre ist aus nachstehenden Zahlen ersichtlich:

1842

969.000 Pfd.St.

1843

1.456.000 Pfd.St.

1844

2.305.000 Pfd.St.

1845

2.395.000 Pfd.St.

<566> Aber nicht nur das Sinken der Exporte im Jahre 1846 unter den Stand von 1836, sondern auch die Zusammenbrüche der China-Handelshäuser in London während der Krise von 1847 bewiesen, daß der errechnete Wert der Exporte von 1843 bis 1846, wie er in den offiziellen Umsatzstatistiken erscheint, dem tatsächlich realisierten Wert keineswegs entsprochen hat. Wenn sich die englischen Exporteure derart in der Menge irrten, so irrten sie nicht weniger hinsichtlich der Auswahl der für den chinesischen Konsum angebotenen Artikel, Als Beweis für diese Behauptung zitiert der "Esonomist" folgendes aus den Berichten von Herrn W. Cooke, dem ehemaligen Korrespondenten der Londoner "Times" in Schanghai und Kanton:

"In den Jahren 1843, 1844 und 1845, unmittelbar nach der Öffnung der nördlichen Häfen, gerieten die Engländer in wilde Erregung. Eine bedeutende Firma in Sheffield sandte eine große Lieferung Messer und Gabeln ab und erklärte sich bereit, ganz China mit Bestecken zu versorgen. Sie wurden zu Preisen verkauft, die kaum die Frachtkosten einbrachten. Eine weltbekannte Londoner Firma sandte eine gewaltige Lieferung von Klavieren ab, die das gleiche Schicksal erlitten. Was mit den Bestecken und Klavieren geschah, widerfuhr auch auf weniger spürbare Weise den Kammgarn- und Baumwollerzeugnissen. Als die Häfen geöffnet wurden, unternahm Manchester blindlings gewaltige Anstrengungen, die jedoch mit einem Mißerfolg endeten. Seither ist die Stadt in Apathie verfallen und vertraut nur noch dem Zufall."

Um schließlich die Abhängigkeit der Verminderung, Aufrechterhaltung oder Steigerung des Handels vom Studium der Bedürfnisse des Konsumenten zu beweisen, zitiert der "Economist" aus der gleichen Quelle folgende Angaben für 1856:

1845

1846

1856

Kammgarnstoffe (in Stücken)

13.569

8.415

7.428

Kamelott

13.374

8.034

4.470

Langwaren

91.530

75.784

36.642

Wollstoffe

62.731

56.996

38.553

Bedruckte Baumwollstoffe

100.615

81.150

281.784

Ungemusterte Baumwollstoffe

2.998.126

1.859.740

2.817.624

Baumwollgarn (in lbs.)

2.640.090

5.324.050

5.579.600

Alle diese Argumente und Belege erklären jedoch nichts weiter als die Reaktion auf die Überschwemmung des Marktes von 1843 bis 1845. Es ist keineswegs eine auf den Handel mit China beschränkte Erscheinung, daß einer plötzlichen Ausdehnung des Handels eine heftige Schrumpfung folgen kann oder daß ein neuer Markt gleich bei seiner Erschließung durch britische Überbelieferung verstopft wird, da nicht sehr genau erwogen worden ist, ob <567> die Artikel, die auf den Markt geworfen werden, dem tatsächlichen Bedarf und der Kaufkraft der Konsumenten auch wirklich entsprechen. Tatsächlich ist dies eine in der Geschichte der Weltmärkte ständig wiederkehrende Erscheinung. Nach dem Sturz Napoleons, als der europäische Kontinent wieder dem britischen Handel zugänglich wurde, erwiesen sich die britischen Exporte seinem Aufnahmevermögen so wenig angemessen, daß "der Übergang vom Krieg zum Frieden" sich katastrophaler auswirkte als die Kontinentalsperre selbst. So trug auch Cannings Anerkennung der Unabhängigkeit der spanischen Kolonien in Amerika dazu bei, die Handelskrise von 1825 auszulösen. Waren, die für das Moskauer Klima berechnet waren, wurden nach Mexiko und Kolumbien gesandt. Und in unseren Tagen ist sogar Australien, trotz der Ausdehnungsfähigkeit seines Marktes, dem Schicksal aller neuen Märkte nicht entgangen; es ist so überfüllt mit Waren, daß sowohl seine Konsumtionsfähigkeit als auch seine Zahlungsmittel erschöpft sind. Die den chinesischen Markt kennzeichnende Erscheinung ist folgende: Seit seiner Erschließung durch den Vertrag von 1842 hat der Export von chinesischem Tee und chinesischer Seide nach Großbritannien ständig zugenommen, während der Importhandel mit britischen Fabrikaten nach China im großen und ganzen unverändert blieb. Man könnte in der ständig steigenden Handelsbilanz zugunsten Chinas eine Analogie zum Stand der Handelsbilanz zwischen Rußland und Großbritannien sehen; doch in diesem Fall erklärt sich alles aus der Schutzzollpolitik Rußlands, während die chinesischen Einfuhrzölle niedriger sind als die aller anderen Länder, mit denen England Handel treibt. Der Gesamtwert des chinesischen Exports nach England, der bis 1842 auf ungefähr 7.000.000 Pfd.St. veranschlagt werden könnte, belief sich 1856 auf eine Summe von etwa 9.500.000 Pfd.St. Während der Teeimport Großbritanniens vor 1842 niemals mehr als 50.000.000 lbs. erreicht hatte, war er 1856 auf etwa 90.000.000 lbs. angewachsen. Andererseits hat der britische Import chinesischer Seide erst seit 1852 Bedeutung erlangt. Sein Ansteigen kann man aus folgenden Zahlen ersehen:

lbs.

Pfd.St.

1852

2.418.343

-

1853

2.838.047

-

1854

4.576.706

3.318.112

1855

4.436.862

3.013.396

1856

3.723.693

3.676.116

Man betrachte nun andererseits die Bewegung des britischen Exports nach China:

<568> Jahre

Pfd.St.

Jahre

Pfd.St.

1834

842.852

1836

1.326.388

1835

1.074.708

1838

1.204.356

Für die Zeit nach der Erschließung des Marktes im Jahre 1842 und der Erwerbung Hongkongs durch die Engländer finden wir folgende Zahlen:

Jahre

Pfd.St.

Jahre

Pfd.St.

1845

2.359.000

1853

1.749.597

1846

1.200.000

1854

1.000.716

1848

1.445.950

1855

1.122.241

1852

2.508.599

1856

über 2.000.000

Der "Economist" versucht, die unveränderte und relativ abnehmende Einfuhr britischer Erzeugnisse auf den chinesischen Markt der ausländischen Konkurrenz zuzuschreiben, und wiederum wird Herr Cooke zitiert, um diese Behauptung zu bezeugen. Seinem autoritativen Zeugnis zufolge werden die Engländer auf dem chinesischen Markt in vielen Handelszweigen in offenem Wettbewerb geschlagen. Die Amerikaner, schreibt er, schlagen die Engländer in Drillich und Leinwand. 1856 wurden nach Schanghai 221.716 Stück amerikanischen, aber nur 8.745 Stück englischen Drillichs, und 14.420 Stück amerikanischer Leinwand, aber nur 1.240 Stück englischer eingeführt. Andererseits sollen Deutschland und Rußland, was Wollwaren anbelangt, ihre englischen Konkurrenten hart bedrängen. Wir brauchen keinen anderen Beweis als diese Erläuterung, um uns davon zu überzeugen, daß sowohl Herr Cooke wie der "Economist" in der Einschätzung des chinesischen Marktes fehlgehen. Sie sind der Ansicht, daß bestimmte Züge, die genauso in dem Handel zwischen den Vereinigten Staaten und dem Himmlischen Reich wiederkehren, auf den englisch-chinesischen Handel beschränkt seien. 1837 überstiegen die chinesischen Exporte nach den Vereinigten Staaten die Importe nach China um etwa 860.000 Pfd.St. Während der Periode nach dem Vertrag von 1842 haben die Vereinigten Staaten chinesische Waren für durchschnittlich 2.000.000 Pfd.St. jährlich erhalten, für die sie 900.000 Pfd.St. in amerikanischen Waren zahlten. Von den 1.602.849 Pfd.St., auf die sich die Gesamteinfuhr nach Schanghai, ausgenommen Metallgeld und Opium, im Jahre 1855 belief, entfielen auf England 1.122.241 Pfd.St., auf Amerika 272.708 Pfd.St. und auf sonstige Länder 207.900 Pfd.St., während die Ausfuhr eine Gesamtsumme von 12.603.540 Pfd.St. erreichte, wovon auf England 6.405.040 Pfd.St., auf Amerika 5.396.406 Pfd.St. und auf andere Länder 102.088 Pfd.St. entfielen. Man vergleiche nur die ameri- <569> kanischen Exporte nach Schanghai im Werte von 272.708 Pfd.St. mit den Importen aus dieser Stadt, die 5.000.000 Pfd.St. übersteigen. Wenn der amerikanischen Konkurrenz trotzdem ein spürbarer Einbruch in den britischen Handel gelungen ist, muß der chinesische Markt doch ein sehr begrenztes Betätigungsfeld für den gesamten Handel ausländischer Nationen bieten.

Als letzte Ursache für die geringe Bedeutung, die der chinesische Importmarkt seit seiner Erschließung im Jahre 1842 erlangt hat, wird die chinesische Revolution angegeben, aber trotz dieser Revolution nahmen die Exporte nach China 1851-1852 an der allgemeinen Steigerung des Handels relativen Anteil, und der Opiumhandel erreichte, statt zu fallen, während der ganzen revolutionären Periode sehr schnell gewaltige Ausmaße. Wie dem auch sein mag, es muß dennoch festgestellt werden, daß alle der ausländischen Einfuhr entgegenstehenden Hindernisse, die aus dem zerrütteten Zustand des Kaiserreiches herrühren, durch den jüngsten räuberischen Krieg und die neuen Demütigungen, mit denen die herrschende Dynastie überschüttet worden ist, nicht verringert, sondern vermehrt werden.

Nach einem sorgfältigen Studium der Geschichte des chinesischen Handels kamen wir zu der Meinung, daß im allgemeinen die Konsumtionsfähigkeit und die Kaufkraft der Bewohner des Himmlischen Reiches stark überschätzt worden ist. Bei der gegenwärtigen ökonomischen Struktur der chinesischen Gesellschaft, deren Angelpunkt die in kleinste Parzellen zersplitterte Landwirtschaft und das Handwerk ist, kann von einer nennenswerten Einfuhr ausländischer Waren gar nicht die Rede sein. Immerhin könnte China bis zu einem Betrag von 8.000.000 Pfd.St., nämlich der Summe, die grob geschätzt die Gesamtbilanz zugunsten Chinas gegenüber England und den Vereinigten Staaten bildet, allmählich einen Überschuß englischer und amerikanischer Waren aufnehmen, dies jedoch nur, wenn der Opiumhandel unterdrückt wird. Zu dieser Schlußfolgerung gelangt man zwangsläufig, wenn man die einfache Tatsache feststellt, daß die chinesischen Finanzen und die Geldzirkulation trotz der aktiven Handelsbilanz durch den Import von Opium zum Betrage von etwa 7.000.000 Pfd.St. ernsthaft zerrüttet sind.

John Bull jedoch, der sich wie gewöhnlich mit seiner hohen Moral brüstet, zieht es vor, seine passive Handelsbilanz durch periodische Kriegskontributionen aufzubessern, die er unter räuberischen Vorwänden aus China herauspreßt. Er vergißt nur, daß die Methoden Karthagos und Roms, aus fremden Völkern Geld zu pressen, unweigerlich zum Zusammenstoß und zur gegenseitigen Vernichtung führen, falls sie in einer Hand vereint werden.