Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 636-639.

Karl Marx

Das neue Ministerium

Aus dem Englischen.


"New-York Daily Tribune" Nr. 5492 vom 27. November 1858

<636> Berlin, 9. November 1858

"Und so bringt das Dreherchen der Zeit seine gerechte Vergeltung herbei." Herr von Auerswald, der Vizepräsident des neuen Kabinetts, war, wie ich schon in einem früheren Artikel gesagt habe, das nominelle Haupt des ersten regulären Ministeriums der Revolutionsepoche. Seinerzeit wurde seine Ernennung ebenso als ein Symptom der Reaktion angesehen, wie man jetzt, nach Ablauf von zehn Jahren, in ihr ein Symptom des Fortschritts sieht. Er war der Nachfolger des Getreidehändlers Camphausen, den der revolutionäre Sturm aus seinem Kontor in Köln nach Berlin auf die Stufen des preußischen Throns geworfen hatte. Das Ministerium Auerswald bestand von Ende Juni bis zum 7. September 1848. Unabhängig davon, was er tun oder nicht tun konnte, hatte im Juni 1848 allein sein Name an der Spitze der Kabinettsliste eine besondere Bedeutung. Sein Vorgänger Camphausen ist aus Rheinpreußen gebürtig. Auerswald aus Ostpreußen; jener ist Privatkaufmann, dieser Staatsbeamter, jener ist ein Bourgeois, dieser ein Adliger; jener ist reich, dieser arm. So war es klar, daß schon Ende Juni 1848, nur drei Monate nach den Märztagen, sich das Pendel der preußischen Revolution von Westen nach Osten bewegt hatte - von der Nachbarschaft mit Frankreich zur Nachbarschaft mit Rußland, von den gewöhnlichen Sterblichen zu den Mandarinen, von der Bourgeoisie zum Adel, vom Geldbeutel zu Rang und Würden. Außer dieser Bedeutung, die Auerswalds Name hatte, kann man nicht sagen, daß er während der drei Monate, in denen sein Kabinett bestand, irgend etwas Bedeutendes geleistet hat. Wenn Sie einen Preußen nach dem Charakter des damaligen Kabinetts Auerswald fragen, wird er sicherlich seinen Zeigefinger an die Stirn legen, sie mit ernster Miene reiben, <637> ganz in der Art des Hudibras, und endlich, wie aus einem Dämmer zustand erwachend, ausrufen: "Ach, Sie meinen das Kabinett Hansemann!" Tatsächlich war die Seele des Kabinetts Auerswald der Finanzminister Hansemann, den er aus dem Kabinett Camphausen übernommen hatte. So müssen wir also, um Auerswald als Ministerpräsidenten zu charakterisieren, über Hansemann sprechen. Dieser, ein Aachener Kaufmann, hat 1847 im Vereinigten Landtag sein politisches Glaubensbekenntnis in der später berühmt gewordenen Replik an die Adresse des preußischen Königtums zusammengefaßt: "In Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf." <Dieser Ausspruch in der "N.-Y. D. T." englisch und deutsch> Dieser Ausspruch war, wenn es erlaubt ist, parva componere magnis <Kleines mit Großem zu vergleichen>, unter den damaligen Umständen ein Gegenstück zu Sieyès' berühmten Worten: "Le tiers état est tout." <"Der dritte Stand ist alles."> Unter Friedrich Wilhelm III., als es niemand außer den lizenzierten Dienern der preußischen Universitäten wagte, über Politik zu schreiben, veröffentlichte Hansemann ein Buch, das Preußen mit Frankreich verglich und stark nach der Seite des letzteren tendierte, aber so geschickt und in einem so gemäßigten Ton, daß es sogar der preußischen Zensur unmöglich war, seine beleidigende Gegenüberstellung zu unterdrücken. In jenen Tagen, da in Deutschland eine Aktiengesellschaft noch eine rara avis <Seltenheit> war, hatte er den Ehrgeiz, ein deutscher Hudson zu werden und zeigte sich als vollkommener Experte in jener Börsenjobberei, die heute in allen zivilisierten Ländern blüht und vom Crédit mobilier sogar zum System erhoben worden ist. In jenen Tagen, da das altmodische Deutschland noch der Meinung war, ein Bankrott schände eines Mannes ehrlichen Namen, versuchte Hansemann nachzuweisen, die Aufeinanderfolge der Bankrotte im Handel sei fast ebenso produktiv wie die Fruchtfolge in der Landwirtschaft. Die Amtstätigkeit dieses Mannes, der Auerswald seinen Namen lieh, ging von der falschen Vorstellung aus, daß die paar Wochen Revolution die Pfeiler des alten Staates hinreichend erschüttert, Dynastie, Aristokratie und Bürokratie hinreichend gedemütigt, das politische Übergewicht der Bourgeoisie für immer gesichert hätten, daß jetzt nur noch übrigbliebe, die unaufhörlich anrollenden Wogen der Revolution zu brechen. Das Ministerium erwies sich als ein so erfolgreicher Wellenbrecher, daß es drei Monate nach seiner Ernennung selber gebrochen wurde, daß diese liberalen Speichellecker selber von den hinter ihnen stehenden Höflingen für die sie bloß die Kastanien aus dem Feuer geholt hatten, in völlig unzeremonieller Weise beiseite geworfen wurden. Auerswald und Hansemann standen in der traurigen Rolle betrogener Betrüger da. Überdies befand sich <638> Auerswald in der keineswegs beneidenswerten Lage eines Mannes, der für die preußische Außenpolitik verantwortlich war; denn er vereinigte in seiner Person das Amt des Ministerpräsidenten und das des Ministers für Auswärtiges. Wenn zumindest die Innenpolitik des Ministeriums von den offenkundigen Interessen der angesichts des Fortschreitens der Revolution erschreckten Bourgeoisie diktiert war, so wurde die Außenpolitik ausschließlich von der Kamarilla gelenkt, in deren Händen Auerswald ein bloßes Werkzeug war. Im Juni 1850 wurde er zum Oberpräsidenten der Rheinprovinz ernannt, aber sehr bald von Herrn von Westphalen aus diesem Amt entlassen, der die preußische Bürokratie mit derselben Kaltblütigkeit von Liberalen bereinigte, mit der ein schottischer Adliger seine Güter von Menschen bereinigt. Als Mitglied des Abgeordnetenhauses <Abgeordnetenhauses : in der "N.-Y. D. T." englisch und deutsch>begnügte sich Auerswald mit einer derart verwässerten Opposition, daß sie nur von dem Auge eines politischen Homöopathen bemerkt werden konnte. Auerswald ist einer der aristokratischen Vertreter des ostpreußischen Liberalismus. Die Elemente dieses Liberalismus sind: die Erinnerungen an die Kriege gegen Napoleon und die damaligen Hoffnungen der gebildeteren Patrioten; einige allgemeine Ideen, die Königsberg, als das Zentrum der Kantschen Philosophie, fast als sein lokales Eigentum betrachtet; die Interessengemeinschaft der adligen Kornproduzenten mit den Bewohnern der Küstenstädte, die das Korn ausführen; Freihandelsdoktrinen verschiedener Art, denn die Provinz Preußen ist kein Industriegebiet, sondern lebt hauptsächlich vom Verkauf ihrer landwirtschaftlichen Produkte nach England. Herr von Schleinitz, der Minister des Äußeren, hatte schon einmal, und zwar 1849, das gleiche Amt inne und hatte sich während seiner kurzen Amtszeit eng mit der Gothaer Partei verbunden, die, wäre sie erfolgreich, Deutschland in zwei Teile teilen würde, in einen nördlichen, der sich mit Preußen, und in einen südlichen, der sich mit Österreich vereinigen würde. Tatsächlich ist das Verschlucken Deutschlands durch diese beiden großen gegensätzlichen Monarchien das offen bekannte Ziel der Gothaer. Gelänge es ihnen, zwei Deutschlands zu schaffen, würde ein tödlicher Konflikt entstehen, stünde ein neuer Dreißigjähriger Krieg bevor und der Zweikampf zwischen den beiden sich befehdenden Deutschlands würde schließlich beendet werden, indem Rußland das eine und Frankreich das andere Deutschland einstecken würde.

Herrn von Bonin, den Kriegsminister, habe ich bereits in meinem vorigen Artikel erwähnt. Hier füge ich nur hinzu, daß er sich während seines Kom- <639> mandos im Krieg um Schleswig-Holstein nicht so sehr durch die Verfolgung der Dänen ausgezeichnet hat, als durch die der demokratischen Freiwilligen, die unter der deutschen Fahne kämpften. Dieser Krieg war, wie jedermann weiß, eine der blutigen Farcen der modernen Diplomatie. Herr von Patow, der Finanzminister, war Mitglied des Kabinetts Camphausen. Im Abgeordnetenhaus haben ihn vor einigen Jahren die Krautjunker <Krautjunker : in der "N.-Y. D. T." deutsch> als Revolutionär gebrandmarkt. Irgendeine persönliche Beleidigung kam hinzu, und es folgte ein Duell mit dem Grafen Pfeil, das ihn eine Zeitlang zum Liebling des Berliner Publikums machte. Patow könnte Mitglied der Liverpooler Vereinigung für Finanzreform sein. Von Graf Pückler, dem Minister für Landwirtschaft, läßt sich nur sagen, daß er ein Neffe des blasierten Autors der "Briefe eines Verstorbenen" ist. Bethmann-Hollweg war früher Kurator der Bonner Universität; diese Kuratoren sind in Wirklichkeit die Großquisitoren, mit denen die preußische Regierung die offiziellen Zentren der Wissenschaft plagt. Unter Friedrich Wilhelm III. befaßten sie sich mit Demagogenriecherei, unter Friedrich Wilhelm IV. mit Ketzerverfolgung. Bethmann widmete sich dem letzteren Geschäft. Vor der Revolution gehörte er faktisch zur Kamarilla des Königs und entfernte sich von ihr nur, als sie "zu weit" ging. Simons, der Justizminister, und von der Heydt, der Handelsminister, sind die einzigen Mitglieder des Kabinetts Manteuffel, die den Sturz ihres Chefs überlebt haben. Beide stammen aus Rheinpreußen, aber aus dem protestantischen Teil, der auf dem rechten Rheinufer liegt. Da nach dem Plan einige gebürtige Rheinpreußen, jedoch unter Ausschluß der rheinischen Liberalen, dem Kabinett angehören sollten, wurden die beiden Männer übernommen. Simons kann sich rühmen, die Gerichte auf eine niedrigere Stufe heruntergewirtschaftet zu haben, als jene, die in den schlimmsten Zeiten der preußischen Monarchie jemals erreicht worden war. Von der Heydt, ein reicher Kaufmann aus Elberfeld, hatte 1847 vom König gesagt: "Dieser Mensch hat uns so oft belogen, daß wir ihm nicht länger trauen können." <dieser Ausspruch in der "N.-Y. D. T." englisch und deutsch> Im Dezember 1848 trat er in das coup d'état-Ministenum ein. Gegenwärtig ist er der einzige preußische Minister, den man verdächtigt, seine offizielle Stellung zu seinem privaten Vorteil auszunutzen. Ganz allgemein ist das Gerücht verbreitet, daß er Staatsgeheimnisse gern den Handelsgeschäften der Elberfelder Firma Heydt & Co. dienstbar macht.